#1

Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:44
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

1.

„Tom verdammt noch mal, hör auf!“ Georg brüllt mir ins Ohr, während er mich gleichzeitig, an meinen Armen festhaltend, daran hindert, wieder auf Bill loszugehen. Ich könnte Georg umbringen. Gleich nach meinem Bruderherz. Wann wird die Welt endlich mal begreifen, dass er nicht das ist, was alle denken? Ein Unschuldsengel. Das ich nicht lache. Niemand kennt ihn so gut wie ich. Und er ist alles andere als das. Aber er hat sich seine Fassade perfekt aufgebaut, das muss ich ihm ja lassen. Wer würde nicht auf seine unschuldigen braunen Augen und seine niedliche Nase reinfallen? Ich kann sie ja verstehen, die ganzen Weiber. Doch diesmal ist er einfach zu weit gegangen. Und immerhin hab ich ihn erwischt, so dass er sich jetzt blutend in Gustavs Armen windet. „Komm mit“ reißt Georg mich barsch aus meinen Gedanken. Ich bin viel zu perplex, um mich zu wehren und nach einem letzten Blick auf Bill, der sich mit Händen und Füßen gegen Gustavs Griff wehrt und irgendwas hinter mir her schreit, lasse ich mich von Georg mitziehen.

***

„So und jetzt erzählst Du mal in Ruhe, was passiert ist“ fängt Georg wieder an, nachdem wir uns in seinem Hotelzimmer aufs Bett gesetzt haben. Ich schnaube nur. Zu groß ist immer noch die Wut auf meinen Zwilling, als dass ich das hier so locker flockig erzählen könnte. Was erwartet Georg denn von mir? „Also wieder so eine bescheuerte Wette“ stellt Georg nach einem weiteren Blick in meine Augen trocken fest. Ja, scheiße. Schon wieder so eine dumme, blöde Wette. Gott sei Dank wissen Georg und Gustav nur, dass diese Wetten existieren, aber nicht, worum es dabei in Wirklichkeit geht.
Ich bringe ein schwaches Nicken zustande und hefte dann meine Augen auf den Fußboden, als gäbe es dort etwas interessantes zu entdecken. „Wann hört ihr endlich auf damit?“ fragt Georg eindringlich und schiebt noch ein ungeduldiges „Tom!“ hinterher, als ich nicht reagiere. „Was denn? Warum fragst du mich das? Immerhin fängt Bill immer an!“ versuche ich mich zu rechtfertigen. „Das klingt jetzt aber ganz gewaltig nach Kindergarten Tom. Und wer zwingt dich, mitzumachen?“ Georg hört sich so langsam wütend an. „Jetzt habt ihr euch auch noch geprügelt. Das geht wirklich zu weit!“
Jaja, Georg. Erzähl das der Wand. „Er hat es verdient!“ rufe ich aufgebracht. „Das weiß ich nicht. Du erzählst mir ja nicht, was ihr wieder getrieben habt!“ sagt Georg erstaunlich ruhig. Getrieben. Ja. Für Bill ist das eindeutig das richtige Wort. Er treibt es ja auch mit allem, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Und jeder kauft ihm ab, dass er die Unschuld in Person ist. Wenn es nicht so demütigend wäre, würde ich laut lachen.
„Los Tom. Ich kann dir nur helfen, wenn du den Mund aufmachst“ versucht Georg noch mal sein Glück. Mir kann zwar eh keiner mehr helfen, aber ich hole trotzdem tief Luft. Georg gibt sowieso keine Ruhe, bis er alles weiß. „Also gestern beim Konzert, da ist mir ein Mädchen aufgefallen, wirklich süß und so. Bill mit seinen Adleraugen wusste natürlich gleich wieder, was Sache ist. Und hat mir die Tour vermasselt eben wieder mit einer von seinen glorreichen Wetten. Und wer gewonnen hat, kannst du dir ja denken“ fasse ich den gestrigen Abend in wenigen Sätzen zusammen. Im Grunde ist damit alles gesagt. „Hm“ macht Georg. „Und dann hast du die beiden erwischt?“ will er dann noch wissen. Ich nicke nur. Das ist eigentlich auch völlig egal. Es geht ja gar nicht um das Mädchen. Sie wäre einfach nur eine gute Ablenkung gewesen, nichts anderes. Mir geht es einzig und allein um Bill. Aber das muss Georg ja nicht unbedingt erfahren.
„So kann das aber nicht weitergehen“ meint Georg eine Sekunde später, als würde er mir damit irgendwie weiterhelfen können. „Das weiß ich selbst“ nöle ich vor mich hin. Wie gerne würde ich ihm mein Herz ausschütten, ihm sagen, in welchem Teufelskreis ich stecke, aber ich würde dadurch alles nur noch schlimmer machen. Bill hat mich einfach in der Hand und er weiß das auch. Im Spielchen spielen ist er großartig und war es auch schon immer. Ich weiß gar nicht, ob er zu wirklichen, echten Gefühlen fähig ist. Vielleicht werde ich es auch nie erfahren.

Und ich muss mich jetzt ablenken, sonst platze ich. Ich springe so schnell vom Bett auf, dass Georg erschrocken zusammenzuckt. „Wo willst du denn hin? Nicht wieder zu Bill, hoff ich!“ Sein Tonfall ist fast flehend. „Um Gottes Willen, nein. Ich geh ne Runde zocken bis heute Abend“ sage ich so locker, wie ich es fertig bringe und verschwinde aus Georgs Zimmer. In meinem eigenen Zimmer haue ich mich vor die Playstation und versuche Bill aus meinem Kopf zu verdrängen.

***

Stunden später spule ich routiniert mein Programm herunter. Wenigstens auf der Bühne stehen macht mir noch Spaß. Und hey, ich kann funktionieren wie auf Knopfdruck, wenn ich will. Oder muss.
Ich konnte Bill den ganzen restlichen Tag aus dem Weg gehen und ich bin dankbar dafür. Erst kurz vor dem Auftritt sind wir uns in der Garderobe begegnet und ich habe kein einziges Wort mit ihm gewechselt. Man sieht schon fast nichts mehr von seiner aufgeplatzten Lippe. Nächstes Mal werde ich fester zuhauen.

Ich bin wie in Trance, wenn wir Konzerte geben. Doch heute ist es anders. Innerlich bin ich immer noch oder schon wieder völlig aufgewühlt und ich dresche mehr auf meine Gitarre ein, als dass ich sie spiele. Und ich weiß, dass Bill es weiß. Immer wieder wirft er mir diese Blicke zu, bei denen mir ein Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt. Und immer wieder streift er mich unauffällig, mal am Arm, mal am Rücken, während er über die Bühne wirbelt. Dieses Miststück.

Georg schaut misstrauisch. In einer kurzen Pause zwischen zwei Songs nimmt er mich zur Seite. „Tom, jetzt komm mal wieder runter. Ich hab nicht gesehen, das Bill dich jetzt noch mal provoziert hat. Und wenn du deine Gitarre vergewaltigst, hilft dir das auch nicht weiter“ versucht er mich zu beruhigen und erreicht doch genau das Gegenteil.
Aber wenn mein Bruder meine Seele vergewaltigt, ist das in Ordnung oder wie? Am liebsten hätte ich Georg das laut ins Gesicht geschrien, aber ich kann mich grade noch beherrschen. Und so schnaufe ich nur und wende mich wieder meiner Gitarre zu.
Den Rest des Konzerts bekomme ich nur noch am Rande mit, ich bin gar nicht mehr richtig anwesend. Meine Gedanken sind schon ein paar Stunden weiter gewandert. Wird er heute wieder zu mir kommen? Ich kann ihn überhaupt nicht mehr einschätzen im Moment. Es ist, als würde ich auf einem Pulverfass sitzen.

***

„Hey Tom, was ist denn nun?“ Verwirrt schaue ich auf und blicke in Gustavs Gesicht, das mich fragend ansieht. „Wie was ist nun?“ wiederhole ich irritiert. „Na kommst du nun mit oder nicht?“ Gustav verdreht genervt die Augen, weil ich mal wieder überall bin, nur nicht hier. „Wohin denn?“ frage ich blöd. „Meine Güte, wir wollen noch was trinken unten, Bill und Georg sind schon vorgegangen... kommst du nun mit oder nicht?“ Jetzt sieht Gustav aus, als würde er überlegen, ob ich eine ernsthafte Krankheit habe. Vielleicht hab ich die ja auch.... Gibt es eine Krankheit Namens Bill?

Ich überlege kurz, entscheide mich dann aber dagegen, mitzugehen. Den ganzen restlichen Abend neben Bill zu sitzen, das halte ich heute nicht aus. „Ich glaub ich geh lieber schlafen, Gustav“ sage ich leise. „Mensch, vertrag dich doch wieder mit Bill. Das ist ja nicht zum aushalten“ schimpft Gustav, aber ich schüttele nur den Kopf. Wir haben uns ja gar nicht gestritten, jedenfalls nicht so, wie die anderen das denken. Aber das kann ich Gustav unmöglich erzählen. Und Georg auch nicht. Verdammte Scheiße.

Müde trotte ich zurück in mein Zimmer. Sollen sie Spaß haben. Bill muss man das ja nie zweimal sagen. Unweigerlich steigen wieder die Bilder von gestern in mir auf, er mit diesem Mädchen...
Ich werde schon wieder wütend und entschließe mich, die Minibar zu plündern. Einfach ein bisschen die Sinne betäuben, damit ich nicht so viel nachdenken muss. Und vielleicht kann ich dann sogar schlafen nachher.

Gerade habe ich mir die fünfte Bierflasche geholt und es mir wieder auf dem Bett vor dem Fernseher bequem gemacht, als es leise an der Tür klopft. Unwillkürlich beginnt mein Herz schneller zu schlagen. Das kann nur er sein. Ich werde einfach so tun, als ob ich schon schlafe.
„Tom, mach auf, ich weiß, dass du wach bist!“ Wie auf Kommando ertönt Bills Stimme gedämpft durch das dünne Holz, als könnte er meine Gedanken lesen. Wir sind eben Zwillinge, manchmal vergesse ich das für wenige Sekunden. Oder auch Stunden.
Ich reagiere trotzdem erst mal nicht. Vielleicht hab ich ja auch einfach einmal Glück.
„Tom! Mach auf!“ Das klingt jetzt schon wesentlich gereizter und fast wie ein Befehl. Es hat keinen Sinn. Schon leicht schwankend vom Alkohol schlurfe ich zur Tür und reiße sie auf. Bill zuckt nicht mal mit der Wimper, als hätte er genau gewusst, in welchem Moment ich nachgebe. Er schiebt mich unsanft zur Seite und knallt die Tür mit dem Fuß wieder ins Schloss. „Warum warst du nicht mit unten? Wir hatten Spaß“ sagt er und ich kann das Grinsen in seinen Augen sehen, obwohl er die Mundwinkel nicht einen Millimeter verzogen hat. „Das glaub ich gern“ motze ich oder versuche es zumindest, denn langsam wird meine Zunge schwer. Ich hätte ein oder zwei Bier weniger trinken sollen. „Und nächstes Mal wird nicht nur deine Lippe bluten!“ drohe ich Bill und gerate schon wieder in Rage.
Bill macht einen Schritt auf mich zu, schubst mich rückwärts aufs Bett und sitzt so schnell auf meiner Hüfte, dass ich es fast gar nicht realisieren kann. „Bill, lass das“ fauche ich, obwohl doch schon ein einziger Blick in die Augen meines Ebenbildes genügt, um zu wissen, dass ich wieder verloren bin. „Du willst doch gar nicht, dass ich das lasse“ wispert er mir entgegen und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals. Mittlerweile rast mein Herz so schnell, dass ich glaube, es springt mir jeden Moment aus der Brust. Seine Hände wandern unter mein T-Shirt und mit dem letzten Willen, den ich noch aufbringen kann, halte ich ihn an den Armen fest. „Das war einfach zu viel gestern Bill“ bringe ich schwer atmend hervor. Er lächelt lieb. Sein Unschuldslächeln. Und ich bin der einzige, der ihm das nicht mehr abkauft. „Tommy-Schatz. Du hättest doch mitmachen können. Wer hat dich gehindert? Ich sicherlich nicht“ meint er, immer noch lächelnd. Am liebsten würde ich ihm schon wieder mitten ins Gesicht schlagen, wie heute Morgen. „Ich kann ja nichts dafür, dass du so schüchtern bist – und dass du ständig verlierst“ setzt er noch einen drauf und schüttelt geschickt meine Hände ab. Bevor ich noch irgendwas machen kann, hat er meine Handgelenke gepackt und drückt sie in einer schnellen Bewegung über meinem Kopf in das Kissen. Gleichzeitig beugt er sich so nah über mich, dass sein Atem meine Wange streift.
„Tommylein, du bist doch der einzige, den ich wirklich liebe“ flüstert er zärtlich und für eine winzige Sekunde glaube ich ihm das sogar. Doch dann kommt alles wieder hoch, alles, was wir die letzten Monate erlebt haben und ich erkenne, dass das nicht die Wahrheit ist. Und doch hat er mich wieder einmal in der Hand, hat wieder einmal, was er will. Und wieder einmal wird es mir plötzlich egal, vielleicht liegt es auch nur am Alkohol, der mein Gehirn schon leicht vernebelt hat.
Egal, alles egal, und die Konturen des Zimmers verschwimmen langsam um mich herum. Ich will ihm nur noch nah sein, ihn spüren und sonst nichts.

Längst bin ich in seinen Augen versunken und schon gespannt, um was er heute mit mir wetten will. Und ich muss mich nicht lange gedulden. Mit einem teuflischen Grinsen beugt Bill sich noch ein Stück weiter runter, so dass er mir direkt ins Ohr hauchen kann. Und dann kommt mit rauer Stimme, worauf ich gewartet habe:
„Ich kann heute länger als du Tom... wollen wir wetten?“

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#2

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:45
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

2.

Längst schon bin ich wieder verloren. Längst schon liegen seine Lippen auf meinen und ersticken jeden aufkommenden Protest schon im Keim. Aber ich will gar nicht protestieren. Er hat mich schon wieder mit einer Leichtigkeit in seinen Bann gezogen, dass es mir Angst machen würde, könnte ich noch klar denken. Doch Bill versteht es wie immer, mein Denken innerhalb von Sekunden auszuschalten – ob ich will oder nicht. Er nimmt sich einfach, was er braucht.

Seine Hände schleichen sich fast unbemerkt unter mein T-Shirt, aber nur fast, denn seine Fingerspitzen sind kalt. Und dennoch können sie die Hitze auf meiner Haut nicht lindern, nichts kann das im Moment. Krampfhaft versuche ich, ihn nicht spüren zu lassen, wie verrückt er mich schon wieder macht, wie sehr er mich in der Hand hat, aber ehe ich es verhindern kann, ist mir schon ein verräterisches Seufzen entwichen. Bill löst sich von mir, um mir in die Augen zu sehen und das Glitzern darin macht mich gleichzeitig wütend, aber auch geil. Und er weiß es.

"Du verlierst, Tom" raunt er mir diabolisch grinsend gegen den Mund und bevor ich etwas erwidern kann, hat er mich schon wieder in einen wilden Kuss gezogen. Ich bekomme nichts mehr um mich herum mit, will mich nur noch von der Hitze mitreißen lassen und es ist mir auch egal, ob ich verliere. Ich verliere so gut wie immer, ich bin es gewohnt. Um so erstaunter reagiere ich, als Bill plötzlich von mir runterspringt als hätte er sich verbrannt, und sich dann anzüglich mit dem Handrücken über den Mund fährt. "Was?" frage ich irritiert. Ist das wieder eins von seinen merkwürdigen Spielchen? "Mach auf" fordert er leise und streicht sein Shirt glatt. Mach auf? Mein Gesichtsausdruck muss Bände sprechen, denn Bill deutet schweigend auf die Tür.

Ich will ihn gerade darauf aufmerksam machen, dass ich auf Zuschauer gut und gerne verzichten kann, als es laut klopft. Scheiße. „Nun mach schon auf“ wiederholt Bill ungeduldig seine Worte, während in meinem Kopf die Gedanken rasen. Wer kann das sein? Jetzt? Es ist doch schon spät und... „Tom!“ reißt mich Bill aus meinen Überlegungen und ich blicke ihn gehetzt an. Warum verdammt noch mal ist er so ruhig? Wie kann er hier stehen, als würde ihn nichts und niemand erschüttern können? Weil es so ist.

Schnaubend springe ich auf meine Füße und hechte zur Tür, an der es mittlerweile erneut geklopft hat. Mein Herz rast. Eben noch weil ich erregt war, jetzt habe ich Angst. Vorsichtig öffne ich die Tür, aber nur einen Spalt breit. Gustav schaut mir angespannt entgegen. „Hast du Bill gesehen, Tom?“ „Nein“ sage ich schnell, viel zu schnell. „Er ist vorhin einfach abgehauen und ich mach mir langsam Sorgen“ redet Gustav weiter und versucht dabei, einen Blick ins Zimmer zu erhaschen, was ich aber gekonnt zu verhindern weiß. Trotzdem verhalte ich mich viel zu auffällig.
„Um Bill muss man sich keine Sorgen machen“ sprudelt es aus mir heraus, meine Stimme zittert und ich atme einmal tief durch. Gustav mustert mich zweifelnd. „Aber um dich muss man sich Sorgen machen. Immerhin habt ihr euch heute geprügelt“ sagt er dann. „Ach was. Bill hat mich provoziert, aber das ist doch schon längst vergessen“ widerspreche ich und schaue dann betreten auf den Fußboden. Vorhin hab ich noch ganz anders über meinen Zwilling gesprochen und Gustav wird mir das nie und nimmer abkaufen. „Tom, ich versteh euch langsam nicht mehr. Was ist nur los mit euch?“ Falsche Frage. Ich versteh mich ja selbst nicht mehr. Ein letztes Mal reiße ich mich zusammen, meinem Freund zuliebe.
„Gustav, mit Bill wird schon alles in Ordnung sein okay? Und ich persönlich würd jetzt gern pennen gehen, wenn du nichts dagegen hast, ich hab zu viel Bier getrunken und morgen müssen wir früh raus“ erkläre ich ihm langsam und deutlich. Wo ist eigentlich das besagte Bier, wenn man es mal braucht? Von seiner Wirkung spüre ich jedenfalls nichts mehr.

„Na von mir aus. Dann schlaf gut. Und... ach egal“ murmelt Gustav, durchbohrt mich mit einem letzten skeptischen Blick und macht dann endlich kehrt. Erleichtert schubse ich die Tür wieder ins Schloss und drehe mich um. Bill steht lässig an der Wand am anderen Ende des Zimmers gelehnt, die Arme verschränkt, ein Bein über das andere geschlagen, und sieht mir grinsend entgegen. Für einen Moment verschlägt es mir die Sprache. „So, so, ich hab dich also provoziert ja? Und Sorgen machen muss man sich um mich auch nicht? Das ist aber gar nicht nett, Tommy“ zieht er mich auf und reißt mich damit aus meiner Trance. „Bill, hör auf“ wehre ich ab. Irgendwie ist mir meine Lust auf ihn urplötzlich abhanden gekommen und hat wieder Platz gemacht für die unbändige Wut, die ich auf ihn habe.

„Womit denn? Ich hab doch noch gar nichts gemacht“ erinnert er mich in harmlosem Tonfall. Nein, er hat nichts gemacht. NOCH nicht. Aber das, was er im Begriff war zu tun, wird mich irgendwann umbringen. Wir müssen damit aufhören. Jetzt. Sofort.
„Geh einfach“ fordere ich meinen Zwilling auf, zwinge mich, in seine Augen zu blicken und registriere, wie sich für eine Millisekunde ein erstaunter Ausdruck auf sein Gesicht legt. Doch er hat sich schnell wieder im Griff. „Du wirst dir doch wohl nicht von Gustav die Laune verderben lassen“ meint er gelassen und macht einen Schritt auf mich zu. „Nein, das hast DU schon vorher geschafft“ motze ich aufgebracht, jetzt bin ich wirklich wütend. „Bist du immer noch sauer wegen dem Mädel?“ fragt Bill sichtlich genervt. Er versteht mich einfach nicht. Wo ist unsere Zwillingsverbindung geblieben? Wieder einmal, wie so oft in letzter Zeit frage ich mich das. Früher haben wir uns blind verstanden. Ohne Worte. Jetzt ist mir mein Bruder nur noch ein einziges Rätsel.

„Verdammt, dieses Mädchen ist mir doch scheißegal“ schreie ich Bill ungehemmt an, so dass er merklich zusammenzuckt. Einen Augenblick herrscht Stille.

"Heute Morgen hatte ich nicht den Eindruck, dass es dir scheißegal ist" sagt er schließlich mit einer ungewohnten Schärfe in der Stimme. Aber äußerlich bleibt er immer noch ruhig, erhält die Maske aufrecht. "Verschwinde einfach Bill" zische ich und biete meinen letzten Rest Beherrschung dafür auf, um ihm nicht wieder an den Hals zu springen. Bill macht einen weiteren Schritt auf mich zu und ich muss die Augen schließen, damit mich seine Präsenz nicht überrollt wie ein Lastwagen. "Was ist mit unserer Wette? Willst du gar nicht wissen, wer gewinnt?" höre ich ihn auf einmal ganz nah an meinem Ohr flüstern. Ein Schauer rast meinen Rücken hinunter und in meinem Magen beginnt es aufgeregt zu kribbeln. Schon wieder bin ich kurz davor, meine beschissenen Gedanken über Bord zu werfen und ihm zu geben, was er will. Aber dann kommt mir eine Idee. Einfach so. Die Lösung.

Ich kann nicht länger so weitermachen. Und ich kann ihm ebenso wenig sagen, wie tief meine Gefühle wirklich gehen, er würde mich auslachen. Aber hier ist sie, die Lösung all meiner Probleme und gleichzeitig könnte ich noch ein letztes Mal...

Entschlossen schiebe ich Bill ein Stück von mir weg, der sich schon wieder an meinem Hals zu schaffen macht. Fragend schaut er mich mit seinen großen, so unschuldig wirkenden Augen an. Nur wenn man genauer hinsieht, bemerkt man das Funkeln, die List darin. "Bill, wir haben noch gar nicht über den Wetteinsatz gesprochen" mache ich ihn auf die Tatsache aufmerksam, die mich entweder retten oder mir das Genick brechen wird.

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#3

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:45
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

3.

"Hmm, den Wetteinsatz, du hast Recht, den hätte ich fast vergessen" schnurrt Bill und wieder schleicht sich ein teuflischer Ausdruck in seine Augen. Er löst sich endgültig von mir und scheint zu überlegen. "Vorschläge?" fragt er dann und grinst amüsiert. "Ja" sage ich fest, bemüht, mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. "Wenn ich gewinne, dann war es das letzte Mal" füge ich einen Atemzug später hinzu.
Jetzt ist es ausgesprochen, ich kann nicht mehr zurück und ich weiß ganz genau, dass er mich verstanden hat.

"Das meinst du doch nicht ernst" kommt es auch prompt aus seinem Mund, verständnislos starrt er mich an. Ich erwidere nichts, sehe, dass ich nichts sagen muss.
"Aber warum?“ fragt Bill mit einem merkwürdigen Unterton in der Stimme. Sein Blick haftet auf mir und ihm entgeht keine noch so minimale Reaktion von mir. Ich bin immer noch nicht in der Lage, etwas dazu zu sagen, sehe an Bill vorbei an die strahlend weiße Wand hinter ihm und wünsche mich plötzlich ganz weit weg. Weit weg von diesem Alptraum, der sich immer wiederholt. Weit weg von seiner Nähe, die ich brauche wie die Luft zum atmen, die mich aber gleichzeitig zu ersticken droht. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, schon kommen erste Zweifel auf.

„Tom!“ Bill hat mich an den Schultern gepackt, schüttelt mich energisch und holt mich unweigerlich in die Realität zurück. „Was ist denn los mit dir? Macht es dir plötzlich keinen Spaß mehr?“ löchert er mich weiter, seine Augen werden mit jeder Silbe dunkler. Eigentlich passiert das nur, wenn er geil ist. „Das ist nicht das Problem“ beeile ich mich zu murmeln. „Was ist es dann?“ lässt Bill nicht locker. „Wir sind Brüder Bill. Zwillinge“ flüstere ich das einzige, was als wirkliches Argument durchgehen kann. „Das waren wir schon immer.“ Bill bleibt unbeeindruckt. Er glaubt mir nicht und lässt mich das auch spüren.
„Bill, lass es einfach. Deal oder nicht?“ will ich wissen, wenn ich mich jetzt auf weitere Diskussionen mit ihm einlasse, gebe ich zu viel preis. Wieder trifft mich ein Blick aus seinen unergründlichen Augen, doch diesmal sieht er nachdenklich aus. „Und wenn du verlierst?“ stellt er nach scheinbar endlosen Sekunden als Gegenfrage. „Dann hast du einen Wunsch frei. Und außerdem verliere ich nicht – nicht heute“ antworte ich schlicht.
Ich darf nicht verlieren, denn dann sterbe ich. „Du bist komisch, Tom. Ich muss darüber nachdenken.“

Damit bringt er mich jetzt völlig aus dem Konzept. Seit wann muss er darüber nachdenken, ob er mit mir schlafen will? Tausend Fragen schießen durch meinen Kopf, aber keine einzige davon spreche ich laut aus. Zähe Augenblicke lang stehen wir uns gegenüber und das Schweigen wird fast unerträglich. Ich wüsste zu gern, was in seinem Kopf vor sich geht. Er ist mindestens genau so komisch wie ich. Oder bin ich der Grund für seinen Sinneswandel?

„Ich geh jetzt schlafen“ beendet Bill schließlich dieses unkonstruktive Beisammensein. Mir entfleucht hörbar die Atemluft und ich muss aufpassen, dass meine Kinnlade nicht bis auf den Boden fällt. „Okay, dann geh doch“ brumme ich endlich, es klingt abwehrender als ich wollte. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich mich freuen soll, gleich wieder allein zu sein, denn er fehlt mir jetzt schon, obwohl er noch hier vor mir steht.
Und dann geht Bill tatsächlich. Er verliert kein unnötiges Wort mehr, wirft mir nur noch einen Blick über die Schulter zu, der mir mehr verrät, als Worte es je könnten.

Ich halte ihn nicht auf, aber in dieser Nacht kann ich lange keinen Schlaf finden.

* * *

„Noch fünf Minuten Jungs“ informiert uns David und hat seinen Kopf schon wieder aus der Garderobe gezogen, ehe ich auch nur hochsehen kann. In fünf Minuten müssen wir auf der Bühne stehen und ich glaube, ich hab mich noch nie in meinem Leben so sehr danach gesehnt wie jetzt in diesem Moment. Dann kann ich wenigstens für gute anderthalb Stunden meinem Gedankenchaos entfliehen, die Routine empfinde ich als Rettungsanker. Und ich weiß, dass Bill mich heute bei unserem Auftritt in Ruhe lassen wird.
Wir sind uns den ganzen Tag mehr oder weniger aus dem Weg gegangen, soweit das bei unserem vollgestopften Terminkalender überhaupt möglich war. Irgendwie haben wir uns auf merkwürdige Weise voneinander distanziert, unausgesprochene Worte hängen in der Luft und Gustav und Georg beobachten mit Argusaugen, wie wir uns umkreisen. Doch keiner der beiden hat mich bisher darauf angesprochen und ich wüsste auch nicht, was ich ihnen sagen sollte.

Meine Augen huschen zu meinem Zwilling, der zwei Sessel weiter sitzt und seine Nägel begutachtet. Er ist hibbelig, wie vor jedem Konzert, ich sehe es an seinen fahrigen Bewegungen und seiner schnellen Atmung. Unwillkürlich muss ich lächeln und dann, als hätte er es geahnt, hebt er plötzlich den Blick, sieht mir genau in die Augen. Sofort jagt ein heißer Schauer meine Wirbelsäule hinunter, das Lächeln gefriert auf meinem Gesicht und ab diesem Zeitpunkt weiß ich, dass heute noch etwas passieren wird.

Völlig erschöpft sitze ich zwei Stunden später in der Bar unseres Hotels vor meinem Bier, welches ich eigentlich gar nicht trinken will. Das euphorische Gefühl, das sich sonst nach jedem Konzert einstellt, ist heute ausgeblieben. Mein Kopf ist voll von den absurdesten Gedanken und am liebsten würde ich jetzt einfach verschwinden und sie ausschalten. Georg und Gustav sitzen rechts und links neben mir, mein Bruder braucht anscheinend mal wieder länger für eine seiner Schminkorgien. Als er jedoch nur Minuten später auftaucht, bin ich mehr als erstaunt. Seine Augen sind ungeschminkt, seine Haare glatt und auf seinem Kopf thront die kleine schwarze Wollmütze, die ich so unglaublich gern an ihm mag. Er begrüßt kurz unsere beiden Bandkollegen und wendet sich dann ohne Zögern an mich. „Gehen wir hoch?“ wispert er mir ins Ohr und früher hätte ich das als eindeutige Aufforderung verstanden, aber die Dominanz in seiner Stimme fehlt und ich warte vergebens auf das altbekannte Prickeln in meinem Magen. Statt dessen beginnt mein Herz vor Aufregung zu rasen. Ich nicke nur kurz und lasse mich langsam von meinem Stuhl gleiten. „Wir müssen was besprechen. Bis morgen früh“ entschuldige ich mich in Richtung Gustav. Es folgt ein leicht ängstlicher Blick, aber Fragen bleiben aus und ich bin froh darüber.

Bill sagt nichts, er hat den anderen schon den Rücken gekehrt und marschiert zielstrebig Richtung Fahrstuhl. Ich weiß, dass wir die nächsten Stunden wieder Gesprächsthema Nummer eins bei unseren Freunden sein werden, doch es ist mir egal. Das hier ist jetzt wichtiger. Als wir im Fahrstuhl nebeneinander stehen, traue ich mich nichts zu sagen und ich kann Bill auch nicht ansehen. Irgendwie ist seit gestern alles anders zwischen uns und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Die Fahrt ist nur kurz und ich atme erleichtert auf, als ich der engen Kabine entfliehen kann.
Wie automatisch steuere ich mein Zimmer an, aber Bill hält mich am Arm zurück. „Lass uns zu mir gehen“ begründet er seine Aktion. Ich zucke mit den Schultern und folge ihm dann. Es macht ja keinen Unterschied, wo ich sterbe.

Mein Bruder zückt seine Chipcard und öffnet die Tür. Im Zimmer ist es dunkel und ich sehe ihn nur noch schemenhaft, als er darin verschwindet. Es raschelt kurz, offensichtlich zieht er die Vorhänge zu. Eine leichte Gänsehaut überzieht meine Arme bei dem Gedanken, was auch immer gleich passieren wird und dann höre ich, wie Bill seine kleine Nachttischlampe anknipst. Er dimmt sie herunter, bis nur noch ein fast unwirkliches Licht den Raum erhellt. Währenddessen stehe ich immer noch in der offenen Tür und starre meinen Zwilling sprachlos an. Jetzt endlich schenkt er mir seine ganze Aufmerksamkeit, kommt mit wenigen Schritten geschmeidig wie eine Katze auf mich zugelaufen und greift an mir vorbei, um die Tür zu schließen.

Mühelos fängt er meinen Blick ein und ich drohe schon in seinen Augen zu ertrinken, ehe er auch nur einen Ton gesagt hat. Bill beugt sich ein Stück zu mir herunter und ich denke schon, er will mich jetzt einfach küssen, aber er stoppt Millimeter vor meinen Lippen. Oh Gott.
„Ich hab nachgedacht, Tom“ wispert er mir mit rauer Stimme an den Mund. Ich versuche mich zusammenzureißen, um ihm einigermaßen vernünftig antworten zu können. „Und was ist dabei herausgekommen?“ bringe ich brüchig hervor. „Dass ich dich unter keinen Umständen gewinnen lassen werde“ kommt es leise zurück.

Wie soll ich standhalten? Er macht mich ja jetzt schon wieder wahnsinnig und schaltet mein Denken aus, als müsste er nur einen winzigkleinen Knopf dafür drücken. „Vergiss es“ kontere ich trotzdem. „Nein, Tom...“ Bill verteilt leichte Küsse auf meinen Mundwinkeln und grinst zufrieden, als ich selbstvergessen seufze. „Du willst doch gar nicht gewinnen“ stellt er fest, als er einen Moment mit seinen Liebkosungen innehält. Er bringt mich schon wieder in Rage, mit diesem einzigen Satz, mit den paar gedankenlos dahingeworfenen Worten und plötzlich erwacht in mir ein bisher unbekanntes Gefühl. „Ich werd dir jetzt mal zeigen, was ich will“ keuche ich in einem Anflug von Entschlossenheit und drücke Bill nach einer schnellen Drehung rückwärts gegen die Tür. Er ist so perplex, dass er nicht mal den Versuch macht, sich zu wehren.
Er macht mich völlig verrückt und trotzdem werde ich ihm jetzt beibringen, dass ich nicht so schwach bin, wie er glaubt.

Game over.

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#4

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:46
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

4.

Doch ich habe meinen Bruder wie fast immer unterschätzt. Ein minimal kurzes Zögern meinerseits hat er genutzt, um sich blitzschnell von meinem Angriff zu erholen und jetzt hat der perplexe Ausdruck in seinem Gesicht wieder Platz gemacht für ein siegessicheres Grinsen. Ich hab mich einfach zu früh gefreut und werde wohl niemals aus meinen Fehlern lernen.

„So stürmisch heute?“ unterstreicht Bill meinen Eindruck und es fühlt sich an, als würde er mich auslachen, so als hätte er schon gewonnen. Vielleicht denkt er das tatsächlich. Denn er kann anscheinend noch denken, im Gegensatz zu mir.
Ich bin trotzdem nicht bereit, so schnell aufzugeben, aber Bill macht es mir wirklich schwer. Offensichtlich hält er es nicht für nötig, sich gegen meinen festen Griff um seine Schultern zu wehren, im Gegenteil. Inzwischen wieder völlig er selbst, steht Bill an das harte Holz der Tür gepresst, seine Arme hängen schlaff an seinem Körper herunter und er mustert mich mit einem so intensiven Blick unter seinen langen Wimpern hervor, dass mir schwindelig wird. Wie automatisch sauge ich seinen Anblick ganz tief in mich auf, wer weiß schon, ob ich ihn jemals wieder so sehen werde. Aber noch immer bin ich um mein letztes bisschen Selbstbeherrschung bemüht, will mich auch von seinem einladend halbgeöffneten Mund nicht ablenken lassen.

Und ich darf vor allem nicht vergessen, worum es hier geht.

Meine Gedanken werden abrupt unterbrochen, als Bill sich wie unabsichtlich, dafür wahnsinnig lasziv über die Lippen leckt. Er bricht dabei den Blickkontakt aber nicht ab, sondern verstärkt ihn noch. „Du Biest“ sage ich ohne nachzudenken, denn das trifft es doch auf den Punkt. Bill weiß ganz genau, was er für eine Wirkung auf andere, aber vor allem auf mich hat und nutzt diese Tatsache gnadenlos aus.
„Ich nehm das mal als Kompliment“ grinst er süffisant und am liebsten würde ich einfach wieder ausholen und ihn schlagen, damit ich überspielen kann, dass er mich mühelos um den kleinen Finger wickelt. „Sei ruhig“ fordere ich, nur leider klingt es leider ganz und gar nicht so fordernd, wie ich wollte. „Warum? Weil du dir nicht eingestehen willst, dass es dich scharf macht?“

Ich weigere mich zu glauben, dass er Recht hat. „Bill, sei jetzt sofort still, sonst...“ „Sonst... was?“ fällt er mir milde lächelnd ins Wort, immer noch die Ruhe selbst. Verzweifelt kralle ich mich noch fester in seine Schultern, aber er lässt sich nicht anmerken, ob es ihn schmerzt. „Sonst vergess ich mich“ japse ich mühsam beherrscht. „Das würde mir gefallen“ schnurrt Bill und räkelt sich wie eine rollige Katze unter meinen Händen, während ich krampfhaft versuche, mein aufgeregt flatterndes Herz zu ignorieren.
Ich glaube ihm aufs Wort, dass es ihm gefallen würde, und doch ist es auch wieder eine unterschwellige Anspielung auf unsere beschissene Wette. Denn wenn ich mich wirklich vergesse, verliere ich definitiv. Und das wäre mein Untergang. Unser beider Untergang.

„Halt jetzt endlich den Mund!“ herrsche ich ihn an. Bills Augen leuchten einmal kurz auf, bevor er mir antwortet. „Du hast Recht, Tom. Meinen Mund brauche ich gleich noch für ganz andere Dinge“ meint er mit so rauchiger Stimme, dass es mir fast ein bisschen Angst macht und unweigerlich schürt er damit lebhafte Vorstellungen in meinem Kopfkino, die mich augenblicklich schneller atmen lassen.
Bills gespielt ahnungsloser Blick verschlimmert das Ganze zusätzlich um etliche Nuancen. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, liebe ich seine kleinen Spielchen, Andeutungen und Provokationen, besonders in Situationen, in denen ich nicht mit ihnen rechne.

Nur zwei Sekunden später hat Bill sich wohl dazu entschlossen, jetzt endgültig Taten sprechen zu lassen und unser Geplänkel zu beenden. Zart schlängelt sich sein rechtes Bein an meinem nach oben, bis er es schließlich um meine Hüfte schlingt und mich mit sanftem Druck näher an seinen Körper presst. Auch seine Hände erwachen plötzlich zu neuem Leben. Als er die Arme hebt, rutschen meine eigenen Hände von seinen schmalen Schultern wie bei einer leblosen Puppe. Bill hypnotisiert mich förmlich mit seinem Blick, lässt mich keine Sekunde aus den Augen, währenddessen er seine grazilen Finger dazu benutzt, mich von Cap, Stirnband und Zopfgummi zu befreien. „Viel besser“ findet Bill, als er sein Werk vollendet hat und mir die offenen Dreads locker um meine Schultern fallen. Ein Anblick, der fast ausschließlich meinem Bruder vorbehalten bleibt.

Provozierend langsam legt er beide Hände an meine Wangen und mustert mich begehrlich, bevor er mich das letzte Stückchen zu sich zieht, das uns noch voneinander trennt. Mein Puls rast in Erwartung klar definierter Vorstellungen mittlerweile wie verrückt. Aber Bill hat noch eine Überraschung in petto. Ungewohnt sanft treffen seine Lippen auf meine, eine Berührung gleich einem Hauch.
Ich bin es gewöhnt, dass Bill die Führung übernimmt, niemals würde er sich die Kontrolle entziehen lassen, aber normalerweise ist er forsch und ungeduldig, manchmal sogar ein bisschen ruppig. Jetzt wirkt er auf einmal zahm wie ein Lämmchen und auf subtile Art und Weise gefällt mir diese so selten zum Vorschein kommende Seite an ihm ungemein gut. Und ja, es macht mich an.

Doch ich will mich nicht einfach so von Bill überrumpeln lassen, denn ich hab absolut keine Ahnung, was er sich bei dieser Aktion wieder denkt.

„Seit wann bist du denn so anschmiegsam?“ schaffe ich, ihn zwischen zwei zärtlichen Küssen zu fragen und ernte dafür einen tödlichen Blick aus gefährlich verengten Augen. Für einen Moment sieht Bill aus, als würde er sich über sich selber ärgern, doch der Ausdruck verschwindet so unglaublich schnell, dass ich schon fast glaube, es mir nur eingebildet zu haben. „Seit wann fragst du so viel, Tommy?“ kontert er dann und küsst mich in gewohnt ungebremster Manier, natürlich ohne mir die Chance auf eine Antwort zu geben. Kurz wundere ich mich noch über sein seltsames Verhalten, doch schnell wird mir alles um mich herum egal. Bill weiß mittlerweile sehr gut, welche Knöpfe er drücken muss, um seinen Willen zu bekommen.

Und was er jetzt im Augenblick will, macht er mir gerade mehr als deutlich.

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#5

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:47
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

5.

Einige Sekunden unterbricht Bill jegliche Berührungen, sieht nur stumm in meine Augen und mir schießen tausend Gedanken auf einmal durch den Kopf. Warum schubse ich ihn nicht einfach zur Seite und verschwinde von hier? Was verdammt noch mal ist es denn, was mich hier einfach stehen bleiben lässt, unfähig irgendetwas zu tun? Ich weiß es, ich weiß es ganz genau. Ich weiß, was mich an ihm wie magisch anzieht und genau das ist der Grund, warum ich es auf diese Art und Weise beenden muss.

In früheren Affären bin grundsätzlich ich derjenige gewesen, der die Regeln bestimmt hat. Das hier war von Anfang an anders. Das hier war gefährlich, macht mich jetzt mehr als je zuvor angreifbar und ich bin mir dessen vollkommen bewusst. Und das nicht nur, weil er mein Bruder ist.

Bill kommt meinem Gesicht quälend langsam näher und ich kann nicht verhindern, dass mir ein enttäuschter Seufzer entfährt, als er dann doch nur mit seinen Lippen meinen Mund streift. Scheiße. Es wird eine Zerreißprobe für mich werden. Bill hält inne und sieht mich wieder an. „Denkst du wirklich, ich mache es dir so einfach?“ flüstert er lächelnd. Ich kann nicht antworten, ich kann mir nur wieder einmal eingestehen, dass es mich unglaublich anturnt, wie er mit mir umgeht.

Immer noch lächelnd wiederholt Bill sein Spielchen von eben. Diesmal presse ich die Lippen fest aufeinander, damit er nicht merkt, in welches Gefühlschaos er mich damit stürzt. Ein auswegloses Unterfangen. Und dann stehe ich auf einmal selbst mit dem Rücken an der Tür, es ging so schnell, dass ich es nicht einmal jetzt wirklich realisiere, wo es schon längst geschehen ist.
Ich versuche meine Hände zu befreien, die er neben meinen Körper an das harte Holz genagelt hat, aber unter seinem harten Griff gelingt es mir nicht.

„Gib doch einfach auf Schatz. Das macht bestimmt mehr Spaß, als sich die ganze Zeit zusammenzureißen... und wir vergessen diese leidige Wette einfach“ grinst Bill frech. „Nein“ erwidere ich gepresst. Ich hasse und liebe es gleichzeitig, wenn er mich `Schatz` nennt. „Du musst dich einfach nur fallen lassen...“ redet er unbeirrt weiter und schiebt langsam sein Knie zwischen meine Beine, beginnt es sacht zu bewegen und mit jedem Quäntchen mehr Reibung, das er erzeugt, schwindet auch mein Verstand.

Und dann tut Bill etwas, was mich all meine Bedenken endgültig über Bord werfen lässt. Er lässt meinen rechten Arm los und wischt sich langsam mit seinem Handrücken über den Mund, so als hätten wir uns gerade hemmungslos geküsst, lässt mich dabei aber nicht eine Sekunde aus den Augen. Hat er überhaupt eine Ahnung, wie das wirkt? Gleichzeitig unschuldig und doch irgendwie herausfordernd. Meine Knie fühlen sich an wie Pudding. Und er weiß es. Er weiß genau, wie diese Geste gewirkt hat. Ich kann es an seinem Lächeln sehen, das immer noch seinen sinnlichen Mund ziert. Er sieht aus wie eine Katze, die sich in die Molkerei eingeschlichen hat. In meinem Kopf brennt eine Sicherung durch. Ungestüm reiße ich auch meine linke Hand aus seinem Griff, um ihn unsanft an den Schultern packen und in Richtung seines Bettes schubsen zu können.

Genau das, was er die ganze Zeit will, doch ich ignoriere diese Tatsache.

Keine Sekunde später habe ich ihn unter mir gefangen und genieße für einen Moment den jetzt doch leicht überraschten Ausdruck auf seinem Gesicht. In seinen Augen spiegelt sich Verlangen, Begehren, aber auch noch etwas anderes, etwas, das ich nicht deuten kann. Doch Bill lässt mir keine Zeit, mir länger darüber Gedanken zu machen.
Gefühlvoll legt er eine Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich herunter. Ein Kuss von ihm ist nie schöner gewesen als jetzt in diesem Augenblick. Meine Augen flattern zu und ich fühle nur noch. Fühle Bills Hände, die ruhelos meinen Rücken hinabwandern, fühle wie sich unsere Münder öffnen und sich unsere Zungen treffen. Unkontrolliert stöhne ich in seinen Mund, als er immer tiefer vordringt. Bill küsst so vernichtend, dass es mich jedes Mal aufs Neue am ganzen Körper zittern lässt.

Plötzlich gibt es für mich kein Halten mehr. Hungrig reiße ich Bill die Kleider vom Leib und lasse zu, dass er ebenso ungeduldig an meinen Sachen zerrt. Nach und nach fliegen all unsere störenden Klamotten mitsamt seiner heißen Mütze quer durchs Zimmer, während wir uns immer wieder verzehrend küssen. Ich kann einfach nicht aufhören, ihn zu küssen und ich weiß auch nicht, wie ich in Zukunft ohne das hier leben soll.
Mir wird erst bewusst, dass ich mich immer härter an Bills Körper reibe, als er leise unter mir aufstöhnt. Das Gefühl, zumindest für kurze Zeit der Überlegene zu sein, lässt mich erst grinsen und dann innehalten.

Vorsichtig öffne die ich meine Augen, sehe, dass Bill selbstvergessen den Kopf in den Nacken gelegt hat und jetzt irritiert die Stirn kraus zieht. Wieder muss ich grinsen und gerade als ich anfange zu überlegen, wie es wohl wäre wenn ich zur Abwechslung einmal, nur ein einziges Mal, die Initiative übernehmen würde, trifft mich sein Blick aus halbgeöffneten Augen. Es ist, als würde er bis auf den Grund meiner Seele blicken, und ich fühle mich irgendwie ertappt. Ein heißer Schauer rieselt mein Rückgrat hinab, ein Adrenalinstoß folgt dem nächsten und dann geht alles ganz schnell.

Ehe ich mich versehe, hat Bill sich aus seiner unterlegenen Position befreit und meinen Körper mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung unter sich begraben. „Bill...“ keuche ich lustvoll, da er jetzt mein Spielchen von eben weiterführt und sich nackt und erregt an mich presst, mir zu allem Überfluss auch noch genüsslich in den Hals beißt. Er ist nicht gerade sanft, aber der kleine Schmerz jagt trotzdem Schauer der puren Lust durch meinen Körper. Immer härter reibt er sich an mir, bis ich nach laut Luft schnappen muss. Mein Herz rast gegen meine Brust und wie von selbst legen sich meine Hände auf seine Hüften, unterstützen seine Bewegungen und jetzt ist es Bill, der stöhnt.

Und doch hat er mich in der Hand, sein teuflisches Grinsen, das nur Sekundenbruchteile später folgt, ist wieder einmal mehr Beweis dafür. Langsam kommt er mit seinem Gesicht immer näher an meins, aber statt mich endlich wieder zu küssen, macht er Halt an meinem Ohr, zärtlich tänzelt seine Zunge darüber. Gänsehaut überzieht meine Haut und all mein Blut sammelt sich in meiner Körpermitte.
Wie schafft er das nur immer wieder, mich mit einfachsten Berührungen derart außer Gefecht zu setzen? Lange habe ich keine Zeit, darüber nachzudenken, schon macht sich seine Zunge auf den Weg in andere Gefilde, folgt der Halsschlagader, liebkost meine Halsbeuge. Er hat nicht vergessen, dass ich dort ganz besonders empfindlich bin.

Seine Küsse gehen zielstrebig tiefer, sein Becken schiebt sich abwärts und sein Glied streift meins. Ich verbeiße mir krampfhaft sämtliche Laute, stöhne dann aber erst recht, als er beginnt, an meiner Brustwarze zu knabbern. Ich spüre ihn gegen meine erhitzte Haut grinsen, dann wandert sein Mund schon wieder weiter. Gänsehaut zieht sich über meinen brennenden Körper, und mir wird schwindelig. Ich muss die Augen schließen, winde mich unter ihm und will gleichzeitig, dass er aufhört und weitermacht. Will, dass er mich in seinen Mund aufnimmt und weiß doch, dass ich es nicht überleben werde.

Bill drückt erbarmungslos meine Hüften auf die Matratze und ich öffne die Augen wieder, als ich seinen heißen Atem an meiner empfindsamsten Stelle fühle. Allein bei seinem Anblick könnte ich schon kommen, meine Hände verselbständigen sich und wühlen sich in seinen schwarzen Haarschopf. Er nimmt meinen Blick gefangen, hält ihn fest, während seine Zungenspitze meinen Schaft antippt, sich einmal daran entlang schlängelt und er ihn dann ohne Vorwarnung tief in seinem heißen Mund verschlingt. Mein Blut rauscht durch meine Adern, heiße Wellen der Lust lassen meinen Körper erschauern und ich kann ein Wimmern nicht länger unterdrücken. Nur mit Mühe widerstehe ich dem Drang, ihn tiefer in meinen Schoß zu drücken und ziehe ihn stattdessen unsanft an seinen Haaren wieder nach oben. Bill wirkt nicht im mindesten überrascht, eher amüsiert. Lasziv leckt er sich über die Lippen.

"Gefällts dir nicht?" werde ich süffisant gefragt und seine raue Stimme lässt sich meine Nackenhaare aufstellen. "Glaubst... du wirklich, ich... mache es dir... so einfach?" stelle ich ihm keuchend die gleiche Frage wie er mir vorhin. Wieder ernte ich nur ein siegessicheres Grinsen. Mir reicht es jetzt endgültig. Ich will es endlich zu Ende bringen, halte meine Erregung keine Sekunde länger aus.

"Gottverdammt Bill, fick mich endlich!" fordere ich, sehe das Funkeln in seinen inzwischen fast schwarzen Augen und weiß, dass ich mich gleich unglaublich zusammenreißen muss. Nur am Rande nehme ich wahr, wie Bill sich kurz von mir entfernt und in seinem Nachtschrank kramt. Ich bin nicht mehr fähig, irgendetwas zu tun, höre ihn neben mir rascheln, aber ich kann nicht hinsehen. Ich muss auch nicht hinsehen, ich weiß, was er tut. Dann ist er plötzlich wieder über mir und wie von allein spreizen sich meine Schenkel einladend für ihn. "Tom..." flüstert er leise, aber ich reagiere nicht.

Meinen Schrei, der meine Lippen verlassen will, als er mich einfach mit einem einzigen Stoß pfählt, erstickt Bill in einem leidenschaftlichen Kuss. Es ist jedes Mal wieder diese Mischung aus Schmerz und Lust, die mich wahnsinnig werden lässt. Und doch ist heute etwas anders als sonst. Seine provozierenden Sätze bleiben aus, er hält still und gerade als ich verwirrt die Augen aufreißen will, beginnt er sich wieder zu bewegen. „Oh Gooott“ stoße ich unbeherrscht aus, als Bill sich tief in mir versenkt, beiße mir fest auf die Lippen, um irgendwie die Emotionen unter Kontrolle zu bekommen, die meinen Körper überfluten. Die Reibung wird immer heftiger und ich werfe überwältigt meinen Kopf in den Nacken, lasse mich einfach hart von ihm nehmen. Bills Stöße sind mittlerweile ungezügelt und energisch, er stöhnt mir genau ins Ohr und alleine das würde schon ausreichen, um mich kommen zu lassen.

Als er jetzt noch fast unbemerkt seine rechte Hand zwischen unsere Körper schleichen lässt, kann ich sie gerade noch beiseite schlagen, bevor es zu spät ist. Vorerst startet er keinen neuen Versuch und ich brauche auch schon so all meine Konzentration, um mich nicht einfach von der Welle mitreißen zu lassen, die mich mit aller Macht überrollen will. Unser Stöhnen vermischt sich miteinander und ich weiß, dass ich nicht mehr lange durchhalten werde. Jetzt oder nie.

Bill wird immer schneller, ich immer lauter, schlinge die Beine um seine Hüften. Und dann lasse ich meine Muskeln spielen, was Bill über mir überrascht keuchen lässt. Seine Hände fassen nach meinen, halten sie, krallen sich fest, während ich ihn immer weiter einenge. Sein Körper bäumt sich auf, und ich öffne die Augen. Ich will ihn sehen, ein letztes Mal. Bills Gesicht verzieht sich ungläubig, er stöhnt meinen Namen und irgendwann wird es zu viel für ihn, es gibt kein Zurück mehr. Mit voller Wucht kommt er tief in mir und jetzt endlich lasse ich los, werde erbarmungslos überrollt, während Bills Bewegungen immer fahriger werden, ehe er komplett aufhört und sich erschöpft neben meinem Kopf abstützt. Schwer atmend schließe ich die Augen. Es ist vorbei.

Zeit, aufzuwachen.

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#6

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:48
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

6.

Ich realisiere erst nach und nach, dass es wirklich vorbei ist, wenn ich will, aber dass ich dann auch die Konsequenzen für mein Handeln tragen muss. Und diese Tatsache sickert ganz, ganz langsam in mein Bewusstsein. Jetzt habe ich die Chance auf den Absprung und wenn ich sie heute nicht ergreife, dann werde ich niemals wieder mutig genug sein.
Bill lässt sich neben mich fallen. Ich kann ihn nicht ansehen, höre nur zu, wie sich seine Atemfrequenz nach und nach wieder normalisiert, während ich angespannt an die Decke starre und sich die Gedanken in meinem Kopf förmlich überschlagen.

Ich habe gewonnen – ich habe wirklich gewonnen, nur fühlt sich der Gewinn eher an wie ein schwerer Verlust.

Diesmal ist alles anders. Wo sich vorher nach jedem Mal innere Ruhe eingeschlichen hat, herrscht jetzt einzig und allein Chaos und Verwirrtheit. Für Traurigkeit ist noch kein Platz in mir, noch bin ich zu aufgewühlt dafür, aber sie wird mich mit Sicherheit einholen und dann mit um so mehr Wucht treffen.

Die Stille zwischen uns breitet sich aus und legt sich wie eine unangenehm schwere Decke über mich. Plötzlich hab ich das dringende Bedürfnis, ganz schnell aus diesem Raum zu flüchten, um Bills Nähe, seinen herrlichen verschwitzten Geruch und seine absolute Präsenz in diesen vier Wänden nicht mehr länger ertragen zu müssen.

Hastig setze ich mich auf und suche das Zimmer nach meiner Boxershorts ab. Gerade als ich sie gefunden habe und aufstehen will, hält mich die Stimme meines Bruders zurück. „Warte Tom...“
Ich halte wie automatisch in der Bewegung inne, versuche meinen Verstand einzuschalten, der mir sagt, schnellstens zu verschwinden und dabei mein Herz zu ignorieren, das genau das Gegenteil verlangt. Bills Stimme hat einen merkwürdigen Unterton, der mir einen heißkalten Schauer über den Rücken jagt und mich letztlich dazu bewegt, ihn endlich anzusehen.

„Bleibst du heute Nacht hier?“ ergreift er erneut das Wort und ich kann mich sekundenlang nicht entscheiden, ob er ernst meint, was er da von sich gegeben hat. „Was?“ ist die einzige Reaktion, die ich in meiner jetzigen Verfassung zustande bringe. Vielleicht hab ich mich ja doch verhört, mein völlig durcheinander gebrachtes Hirn hat mir nur einen widerlichen, makaberen Streich gespielt.
Es muss einfach so sein.
„Du hast mich schon verstanden, Tom. Bleibst du bei mir?“ wiederholt Bill, diesmal klingt er entschlossen.

Damit bringt er mich aus dem nicht vorhandenen Konzept, ich kann auf einmal keinen einzigen Muskel mehr rühren und nicht fassen, dass er mich das ausgerechnet heute fragt. Als Kinder haben wir oft zusammen in einem Bett geschlafen, aber das ist endlose Jahre her und jetzt sind die Karten absolut neu gemischt. Noch niemals vorher, in all den vergangenen Monaten nicht, haben diese Worte seinen Mund verlassen und für einen Moment denke ich, dass es nur wieder eins seiner verrückten Spielchen ist, er mich hinhalten will. Doch ein Blick in seine Augen belehrt mich eines besseren. Davon abgesehen, dass ich bei seinem zerzausten Anblick sofort wieder über ihn herfallen könnte, sagt mir sein Blick, dass er ganz und gar keine Scherze macht. Was ist nur in ihn gefahren? Hat er denn nicht begriffen, was eben geschehen ist?

„Ich kann nicht, Bill... bitte“ würge ich hervor, schüttele fast unmerklich den Kopf und stehe auf, auch wenn sich meine Beine wie Blei anfühlen. Stumm suche ich meine überall auf dem Boden verstreuten Klamotten zusammen und wage erst wieder einen Blick auf Bill, als ich fertig angezogen bin. Er hat sich keinen Millimeter bewegt, seine Haare hängen ihm wüst ins Gesicht, auf seinen Wangen schimmert immer noch ein gesunder Rotton und er verfolgt jede meiner Bewegungen mit Argusaugen, als könne er nicht glauben, was er sieht. Er wirkt so wunderschön auf mich in diesem Moment, ich kann ihn unmöglich jetzt einfach alleine lassen. Doch merkwürdigerweise macht es mich noch immer nicht traurig zu wissen, dass er wohl nie wieder so aussehen wird, weil ICH mit ihm zusammen war... denn in Zukunft werden andere an meiner Stelle sein. Außerdem war ich niemals alleine an seiner Seite, es gab immer andere neben mir. Ich sollte endlich damit aufhören, mich selbst zu belügen.

„Du kannst nicht oder du willst nicht?“ bohrt Bill den Stachel unerwartet tiefer in mein Herz, und reißt mich damit zurück in die Wirklichkeit. Ich kann nicht einschätzen, ob er weiß, was er damit anrichtet. Das hier ist der falsche Zeitpunkt für so ein Gespräch und er hat mir monatelang so weh getan, dass ich ihm keine Rechenschaft ablegen will. Nicht hier. Und nicht jetzt.

„Bill, lass gut sein. Ich hab die Wette gewonnen, es war das letzte Mal und ich bin nicht mehr länger deine Marionette. Ich geh jetzt rüber“ schaffe ich ohne Holpern mehrere ganze Sätze, auch wenn sie mich alle Kraft kosten, die ich noch besitze und ich danach mehrmals trocken schlucken muss.
Ich beobachte halb entsetzt, halb fasziniert, wie ein Ausdruck von unglaublicher Traurigkeit über Bills Gesicht huscht. Es sieht fast so aus, als würde er erst jetzt wirklich begreifen, dass ich es ernst gemeint habe. Beinahe bin ich schon so weit, zu glauben, dass es ihm doch etwas bedeutet hat, dass er wirklich verletzt ist. Vielleicht schmerzt es ihn genau so sehr wie mich? Langsam mache ich einen kleinen Schritt auf ihn zu, will mich fast der Illusion hingeben, als er sie gleich wieder zerstört.

„Was stehst du denn immer noch da rum? Hast du nicht gesagt, du willst nicht mehr? Du willst gehen, Tom? Dann geh doch, verschwinde endlich, ich kann dich nicht mehr sehen!“ zischt er mir entgegen, aber in meinen Ohren klingt das schlimmer, als hätte er mich angeschrieen. Denn ich liebe ihn. Und er liebt mich nicht. Nur er ist in der Lage, mich derart zu verletzen, wie er es gerade getan hat.
Stumm und fassungslos, und unfähig etwas dazu zu sagen, wende ich mich ab und verlasse sein Zimmer ohne einen Blick zurück. Jeder Schritt schmerzt und ich frage mich wahrscheinlich zum hunderttausendsten Mal, was nur mit uns passiert ist. Früher hatten wir niemals Kommunikationsschwierigkeiten, haben uns blind verstanden und nicht wenige Menschen um uns herum haben wahnsinnig beneidet, dass wir uns auch problemlos nonverbal verständigen konnten. Und jetzt haben wir alles kaputt gemacht.

Bills Worte haben mich hart getroffen, härter als er sich vielleicht vorstellen kann. Wie ich in mein Zimmer gelangt bin, kann ich schon gar nicht mehr sagen. Ohne darüber nachzudenken, streife ich die eben erst angezogenen Sachen wieder von meinem Körper, um mich auf direktem Weg unter der Dusche wiederzufinden. Ich habe keine Chance, all das, was mich bedrückt, einfach den Abfluss herunterzuspülen, so naiv bin nicht mal ich. Aber vielleicht wird mein Kopf wieder ein winziges bisschen klarer, wenn ich auf eiskalt stelle.
Warum nur kann ich nicht mal im Ansatz nachvollziehen, was in Bill vorgeht? In einem Augenblick hab ich das Gefühl, es tut ihm genau so weh wie mir, im nächsten glaube ich wieder daran, dass ihn das alles überhaupt nicht interessiert und er sich nur ärgert, dass er sich jetzt ein neues Spielzeug suchen muss.

Oder ist er nur wütend geworden, weil er ein schlechter Verlierer ist? Hab ich mir den traurigen Ausdruck in seinen Augen nur eingebildet, weil es für mich dann leichter zu ertragen ist?

Diese Fragen verfolgen mich bis in den Schlaf, in den ich irgendwann vor lauter Erschöpfung falle, auch wenn ich mich stundenlang im Bett herumgewälzt habe.

* * *

Als ich am nächsten Morgen aufwache, fühle ich mich wie gerädert. Mein ganzer Körper ist taub und ich sollte doch eigentlich erleichtert sein, aber die Last ist um Tonnen schwerer anstatt leichter geworden. Ich bin frei. Der Gedanke schickt ein bitteres Lächeln über meine Lippen. Das, was ich seit Monaten wollte, ist wahr geworden und doch macht es mich nicht annährend zufriedener.
Diese Form der Freiheit fühlt sich schrecklich an, so schrecklich, dass ich nicht einmal eine einzige Träne weinen kann. Die Leere in mir ist einfach zu übermächtig.

Mit einem tiefen Seufzen rolle ich auf die andere Seite, absolut sicher, heute nicht aufstehen und meinem Bruder in die Augen sehen zu können.

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#7

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:49
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

7.

Schon zwei Minuten später wird dieser Wunsch wieder zunichte gemacht. Es klopft lautstark an meiner Zimmertür und auch die Tatsache, dass ich mir die Decke über den Kopf ziehe, kann den Störenfried da draußen nicht verscheuchen. Nun höre ich das Klopfen zwar gedämpft, aber es ist immer noch da. „Ey Tom! Willst du heute überhaupt nicht mehr aufstehen? Wir müssen in einer halben Stunde los! Hast du verpennt?“
Dieser Jemand vor meiner Tür ist Georg. Und er hört sich nicht wirklich nach guter Laune an. Ich beginne fieberhaft zu überlegen. Wenn ich einfach liegen bleibe, muss ich eine plausible Erklärung für mein Verhalten liefern. Krank sehe ich bestimmt aus, aber diesen Triumph will ich wiederum Bill nicht gönnen.
Außerdem lenkt Arbeit bestimmt ab. „Ich komm gleich!“ rufe ich schließlich zurück, mir erst bewusst werdend, wie zweideutig diese Worte sind, als ich sie schon ausgesprochen habe. „Keine Details aus deinem Sexleben am frühen Morgen bitte“ unkt Georg auch prompt und dann entfernen sich seine Schritte auf dem Gang.

Früher hätte ich das lustig gefunden. Jetzt möchte ich am liebsten laut schreien. Die ganze scheiß Welt anschreien. Und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich diesen Tag überstehen soll, ohne dass dumme Fragen von den anderen kommen. Und ohne dass sie merken, dass etwas nicht stimmt. Für einen kurzen Moment vergrabe ich mein Gesicht in den Handflächen und schließe die Augen. Irgendwie muss ich mich zusammenreißen. Professionalität ist alles. Und wie es in mir drin aussieht, geht niemanden etwas an.

Als ich endlich mit ziemlicher Verspätung und immer noch ein bisschen derangiert in der Hotellobby ankomme, fuchtelt David schon aufgeregt mit seinen Armen in der Luft herum. „Guten Morgen Herr Kaulitz, auch schon aufgestanden? Wie siehst du denn überhaupt aus? Jetzt kannst du nicht mal mehr was essen, Zeit ist Geld“ werde ich begrüßt. Unter normalen Umständen sind das schon zu viele Sätze auf einmal für mich, heute bin ich überhaupt nicht aufnahmefähig. „Keinen Hunger“ winke ich nur müde ab und werfe anschließend einen verstohlenen Blick auf meinen Bruder. Er ist blasser als sonst, das kann auch die reichlich aufgetragene Schminke nicht übertünchen. Aber ansonsten wirkt er eigentlich wie immer.
„Sagt mal, was ist denn auf einmal los mit euch? Bill ist heute auch so muffelig. Habt ihr euch gestritten?“ will David wissen, während er misstrauisch zwischen uns beiden hin und her äugt. „Nein verdammt!“ pampt Bill los, bevor Davids Frage überhaupt bei mir angekommen ist. „Können wir jetzt endlich? Ich bin total groggy“ nölt er sofort weiter, wartet ungeduldig auf eine Reaktion von David und als diese endlich in Form eines leicht überforderten Kopfnickens kommt, schlurft mein Zwilling auch schon Richtung Hinterausgang davon. Mich hat er während der ganzen Aktion keines einzigen Blickes gewürdigt und seine Ignoranz ist nur ein weiterer tiefer Stich ins Herz.

* * *

„Willst du mir jetzt vielleicht endlich mal verraten, was passiert ist?“ Erschrocken zucke ich zusammen und reiße meinen Blick von der überaus spannenden vorbeiziehenden Landschaft los. „Hm?“ mache ich teilnahmslos in Georgs Richtung. Warum hat er mich aus meinen Tagträumen gerissen? Gerade war alles so leicht, so einfach, so unbeschwert, so... „Tom! Rede mit mir!“ fordert Georg barsch und jetzt endlich sehe ich ihn richtig an. „Was soll ich denn sagen?“ stelle ich mich dumm. Ich will nicht in diesem verdammten Bus sitzen. Und ich will auch keine Interviews geben. Und erst recht will ich heute kein Konzert spielen. Ich will einfach nur in Ruhe sterben.

„Habt ihr wieder gewettet?“ löchert Georg mich weiter. „Wie kommst du denn auf die glorreiche Idee?“ stöhne ich genervt. „Ja oder Ja?“ Georg bleibt unbeeindruckt und ich schaffe es nicht, ihn jetzt anzulügen. Langsam nicke ich und kassiere ein lautes Seufzen. „Und ihr habt beide verloren oder wie?“ Stirnrunzelnd betrachte ich meinen Freund. Was will er denn jetzt damit wieder sagen? „Wie meinst du das?“

„Ich war eben bei Gustav und Bill. Und ehrlich gesagt sieht ein Gewinner anders aus. Um was habt ihr denn wieder gewettet?“ schnauft Georg. Das ist mir alles zu viel und ich kann nicht reagieren. Ich komme ja kaum nach, meine Gedanken zu sortieren. Gott sei dank sind wir im Tourbus unterwegs und ich kann meinem Bruder ganz gut aus dem Weg gehen, was auch irgendwie den ganzen Tag geklappt hat.

„.... Tom?“ Ich hab nicht mal ansatzweise verstanden, was Georg mich gefragt hat. Und genau so muss ich auch aussehen, denn er wiederholt seine Worte, allerdings nicht ohne ein entnervtes Schnauben. „Tom, ihr habt euch aber nicht wieder geprügelt?“ Na, wenn das seine einzige Sorge ist... „Nein“ schaffe ich zu antworten. Es ist weitaus schlimmer, als wenn wir uns geprügelt hätten. Aber das kann ich Georg unmöglich sagen.

„Wir haben beschlossen, mit diesen verfluchten Wetten aufzuhören“ versuche ich ihn halbherzig zu beruhigen. Es ist ja nicht mal wirklich gelogen. Georg schenkt mir einen zweifelnden Blick, überlegt kurz und setzt dann wieder zum sprechen an. „Hör mal, ihr seht beide nicht gerade glücklich aus. Um ehrlich zu sein, siehst du furchtbar aus, Tom. Wenn du jemanden zum reden brauchst...“ „Schon gut“ wehre ich hastig ab. Ich will nur vergessen, nicht reden.
„Okay. Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du es dir anders überlegen solltest. Außerdem sind wir nächste Woche ja für ein paar Tage zu Hause. Da habt ihr mal in Ruhe Gelegenheit, euch auszusprechen.“ Ich merke förmlich, wie mir unter Georgs Worten sämtliche Gesichtszüge entgleisen. Wir sind nächste Woche zu Hause? Oh mein Gott. Ich hatte es verdrängt. Das stehe ich nicht durch. Niemals.
„Ist alles in Ordnung?“ werde ich gefragt und beeile mich zu nicken. „Ich lass dich mal in Ruhe“ beschließt Georg mit einem letzten skeptischen Blick auf mich und ich muss mich beherrschen, um ihn nicht merken zu lassen, wie sehr er mich gerade aufgewühlt hat.

* * *

Irgendwann hab ich mir einfach nicht mehr gestattet, länger über zu Hause nachzudenken und was dort alles passieren könnte. Der Rest des Tages zieht einfach so an mir vorüber. Im langweiligsten Interview meines Lebens sage ich nur etwas, wenn ich direkt angesprochen werde und es ist mir scheißegal, welche Gerüchte morgen wieder in den verschiedenen Zeitschriften über mich kursieren. Sollen sie doch alle denken, was sie wollen.

Jetzt sitzen wir in der Garderobe und warten auf unseren Auftritt. Ich kann froh sein, dass das alles inzwischen Routine für mich ist. Wahrscheinlich ist ein Konzert jetzt sogar genau das richtige. Ein bisschen abschalten und meinen Bruder dabei ignorieren. Er hat mich schließlich auch den ganzen Tag mit Nichtachtung gestraft und auch jetzt ist er nicht bei uns, sondern hat sich mit der Begründung „sich vorbereiten zu müssen“ weiß der Geier wohin verzogen.

Plötzlich öffnet sich die Tür und ich erstarre direkt. Doch es ist nicht Bill, sondern David, der sich in den kleinen stickigen Raum schiebt und direkt auf mich zusteuert. Innerlich verdrehe ich die Augen, denn ich weiß haargenau, was jetzt kommt. „Du wirst doch wohl nicht krank Tom?“ fragt er und setzt sich mit besorgter Miene neben mich. Fehlt nur noch, dass er meine Temperatur fühlt und mich ein bisschen tätschelt.
Eigentlich mag ich David. Heute geht er mir auf die Nerven. Wie alle anderen auch.
„Nein, ich bin nur müde“ lüge ich schnell, viel zu schnell. Bill hätte es gemerkt, aber David sieht mich einen Moment durchdringend an und nickt dann. „Nächste Woche habt ihr frei, da kannst du den ganzen Tag schlafen wenn du willst“ meint er wohlwollend und ich ringe mir ein schiefes Lächeln ab. Wenn der wüsste... aber er weiß nicht und das ist auch besser so.

„Oder hast du dich doch mit Bill gestritten?“ Beim Namen meines Zwillings zucke ich unwillkürlich zusammen. „Wir... hatten eine... kleine... ähm... Meinungsverschiedenheit. Aber das ist alles... halb so wild“ stammele ich mir zusammen. „Bist du sicher?“ hakt David nach und nachdem ich wieder eifrig nicke, steht er lächelnd auf. Manchmal frage ich mich wirklich, wie blind und taub die Menschen um mich herum eigentlich sind.

„Schön. Bill sieht auch schon wieder besser gelaunt aus als heute Morgen“ bemerkt David und hat damit von einer auf die andere Sekunde meine vollste Aufmerksamkeit. „Ach ja?“ frage ich schneidend. Ein überraschter Blick von Gustav trifft mich und ich hab das Gefühl, als würden alle im Raum einzig und allein auf mich starren. „Das ist ja schön für ihn“ bemerke ich trocken, während ich gleichzeitig einen riesigen Kloß in meinem Hals herunterschlucken muss.

„Äh.. ja. Ich muss dann mal kurz... Jungs, ihr habt noch 10 Minuten, ich bin gleich wieder da“ sagt David leicht verwirrt und rauscht nach draußen. „Tom, klär das mit Bill, sonst leiden wir irgendwann alle drunter“ findet Georg und ich wiederum finde, dass sich mein Handabdruck gerade wahnsinnig gut in seinem Gesicht machen würde. Jetzt werde ich ungerecht, ich weiß ja, dass Georg mir im Grunde nur helfen will. Leider ist mir nicht mehr zu helfen. Aber Gewalt ist ja bekanntlich auch keine Lösung. „Ja ja Georg, ich klär das mit Bill“ äffe ich ihn nach, aber Georg kommt nicht mehr dazu, mit einer bissigen Bemerkung zu kontern.

„Gibt’s Probleme?“ Erschrocken fahre ich herum und sehe meinen Bruder lässig mit gekreuzten Beinen im Türrahmen lehnen. Was hat er gemacht? Von blass und müde keine Spur mehr und wenn ich auch nur im entferntesten daran geglaubt habe, dass es ihm in irgendeiner Weise schlecht geht... dann habe ich mich getäuscht.
„Was willst du denn mit mir klären Bruderherz?“ fragt er weiter, ohne eine Antwort auf seine vorherige Frage abzuwarten. Irgendwie sieht er... anders aus als vorhin. „Später!“ raunze ich ihn an, bevor ich an ihm vorbei aus dem Raum stürze. Plötzlich ist die Luft hier drin derart verbraucht, dass ich glaube, ersticken zu müssen, wenn ich mich auch nur eine Sekunde länger aufhalte.

Doch meine Flucht wird schon nach ein paar Metern mitten auf dem Flur gestoppt. „Warte Tom...bitte... ich...“ flüstert Bill, der mich am Arm festgehalten hat. Sein Tonfall ist flehend, aber das registriere ich gar nicht wirklich. Denn im selben Moment wird die unbändige Wut in meinem Kopf wieder übermächtig. Die Erkenntnis, was er die letzte halbe Stunde gemacht haben muss, trifft mich wie ein Blitzschlag. Ich brauche ihn doch nur ansehen...

„Hat`s wenigstens Spaß gemacht?“ will ich betont ruhig wissen. Und plötzlich ist Bill wieder der alte – das Funkeln kehrt in seine Augen zurück und ich sehe, wie er sich jedes weitere Wort genauestens zurechtlegt. „Was genau soll mir denn Spaß gemacht haben Tommy?“ fragt er mit provozierendem Augenaufschlag und hält meinem bohrenden Blick dabei mühelos stand. „Mit wem hast du`s getrieben Bill?“ quetsche ich durch die Zähne. Eigentlich will ich das gar nicht wissen, eher möchte ich eine Bestätigung, dass ich mich nicht täusche. Auch wenn das alles andere als gut für mich ist.

„DU willst es ja nicht mehr mit mir treiben, Tom!“ knallt er mir vor die Füße, aber das sonst übliche Grinsen suche ich jetzt vergeblich in seinem so täuschend zarten Gesicht. Ist es verletzte Eitelkeit?
Wie kann er es eigentlich wagen? Und diese ganze Szene dann noch hier mitten im Flur, wo uns jederzeit jemand hören kann. „Du solltest hier nicht so rumschreien Bill. Und jetzt geh mir aus dem Weg, du widerst mich an“ fordere ich gefährlich leise und mit dem letzten Rest an Beherrschung, das noch übrig geblieben ist. „Vielleicht hab ich’s mir ja auch selbst besorgt, und dabei nur an dich gedacht...“ raunt Bill mir zu und ich kann nicht verhindern, dass mir bei seinen Worten schwindelig wird. „Lass mich einfach in Ruhe“ murmele ich, während ich gleichzeitig kurz die Augen schließen muss.

Warum macht er das? So zwiespältig waren meine Gefühle noch niemals vorher. Es macht mich zu gleichen Teilen scharf und unendlich traurig. Aber wenn ich hier jetzt vor ihm auch noch in Tränen ausbreche, ist alles zu spät. „Ich will mit dir reden Tom – heute Abend in meinem Zimmer“ sagt Bill auf einmal völlig zusammenhanglos und mit einer gehörigen Portion Schärfe in der Stimme. Irgendwie rüttelt es mich wieder wach. „Vergiss es“ schnappe ich, reiße mich endgültig von ihm los und merke erst jetzt, wie sehr mein Atem fliegt. Ich kann nur hoffen, dass ich wieder einigermaßen runterkomme, bevor wir auf die Bühne müssen.

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#8

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:50
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

8.

„Gute Nacht“ verabschiede ich mich von Gustav und Georg, froh, endlich die Zimmertür hinter mir schließen zu können. Es war einfach anstrengend heute Abend, das kann ich nicht leugnen und ich hoffe, ich bin jetzt müde genug, um schlafen zu können. Obwohl ich nicht wirklich daran glaube, irgendwie zur Ruhe zu kommen. An unser Konzert kann ich mich kaum noch erinnern, nicht ein einziges Gesicht aus den ersten Reihen ist in meinem Kopf hängen geblieben. Und wieder einmal hat mich mein Bruder überrascht. Eigentlich sollte mich diese Tatsache gar nicht mehr wundern.
Auf der Bühne hat er sich verhalten wie immer, so als wäre niemals etwas zwischen uns passiert und ich weiß bis zum jetzigen Augenblick nicht, was ich davon halten soll. Immer noch schwirren seine Worte von vorhin wie ein Mantra durch meinen Kopf. Manchmal scheint es, er würde meine geheimsten Wünsche und Phantasien mühelos erraten. Und dann gibt es wieder Augenblicke, in denen sind wir uns so fremd, dass es mir Angst macht.

Spätestens nach dem Auftritt hatte ich damit gerechnet, dass Bill einen neuen Versuch startet, mit mir reden zu wollen, mich in sein Zimmer zu locken oder dergleichen. Aber statt dessen durfte ich mit offen stehendem Mund bewundern, wie er sich mit der Ausrede, müde zu sein, nach oben verzogen hat. Ob es eine geheime Aufforderung war? Eine Provokation? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich Georgs Vorschlag, noch einen Absacker trinken zu gehen, dankbar angenommen hab. So konnte ich der Leere meines Zimmers noch ein bisschen länger entfliehen. Und vielleicht auch ein bisschen Bills Nähe.
Heute Nacht schlafen wir ausnahmsweise im Hotel. Manchmal freue ich mich darüber, im Moment verursacht es mir eher ein mulmiges Gefühl im Magen.

* * *

Der Mond scheint hell in den tagsüber so freundlich wirkenden Raum und ich beschließe kurzerhand, kein Licht zu machen um Platz zu lassen für dieses diffuse Licht, das fast so unwirklich erscheint wie meine ganze derzeitige Situation. Ich hab das Gefühl, festzustecken, auf der Stelle zu treten und gleichzeitig Angst, mich weiter zu bewegen. Für ein paar Sekunden horche ich angestrengt in die vorherrschende Stille, aber aus dem Zimmer nebenan ist kein Laut zu hören. Ob Bill schon schläft? Oder ob er gar nicht da ist?
Ich werde jetzt nicht rübergehen und nachsehen, aber ich weiß irgendwie, dass ich unbedingt noch mal mit ihm reden muss.

Langsam wische ich mir mit der Hand über die Augen, ich bin todmüde und doch hellwach. Es ist zum verrückt werden. Laut seufzend verschwinde ich schließlich im angrenzenden Bad, um wenigstens so zu tun, als hätte ich eine erholsame Nacht vor mir.

Etwa eine Viertelstunde später finde ich mich auf dem Fensterbrett meines Zimmers wieder. Ich kann nicht schlafen. Obwohl ich hundemüde bin, ist nicht mal an Schlaf zu denken. Meine Gedanken kreisen immer und immer wieder um das selbe Thema. Um mich ein bisschen abzulenken, hab ich mir die Kopfhörer meines MP3-Players in die Ohren gestopft. Die Musik schallt mir in voller Lautstärke entgegen, und von einer Sekunde auf die andere ist sie da – die Trauer, auf die ich schon die ganze Zeit unbewusst gewartet habe. Die Stirn an die kühle Fensterscheibe vor mir gelehnt, blicke ich gedankenverloren auf die hellen Lichter der Stadt, die sich zu meinen Füßen erstreckt und es macht mich unendlich traurig.
Es so tut weh zu wissen, dass der Mensch, den ich am meisten liebe, im Grunde nur durch eine dünne Wand von mir getrennt ist, und sich trotzdem genau so gut am anderen Ende der Welt aufhalten könnte. Die innerliche Entfernung bliebe genau die gleiche.

Wie soll es nur werden, wenn wir erst zu Hause sind? Es ist jetzt schon schwierig, sich aus dem Weg zu gehen, aber bei unserer Mutter wird es fast unmöglich sein. Sie wird sowieso schnell merken, dass etwas nicht stimmt. Dass sich etwas verändert hat. Sie kennt uns beide viel zu gut. Und wir werden ihr nicht lange verheimlichen können, dass... ja was eigentlich?
Die Gedankenflut, die jetzt auf mich einstürzt, überfordert mich absolut. Und zum ersten Mal lasse ich meinen Tränen einfach freien Lauf, während sich die Sehnsucht nach Bill durch jede einzelne Zelle meines Körpers frisst und mein Körper von unterdrückten Schluchzern geschüttelt wird.


* * *


Die nächsten Tage vergehen zäh und rasen irgendwie trotzdem nur so an mir vorbei. Mich einmal gehen zu lassen, war wie eine Befreiung und seitdem kann ich wieder etwas leichter atmen. Verrückterweise hat sich sogar so etwas wie „Normalität“ eingeschlichen, zumindest zwischen Bill und mir. Wir reden fast wie früher miteinander und er ist freundlich, aber niemals aufdringlich. Auch wenn ich immer noch wissen will, was er vor ein paar Tagen kurz vor unserem Auftritt veranstaltet hat, ich frage ihn nicht. Dieses BISSCHEN an Normalität empfinde ich gerade wie einen Schutzpanzer und da bisher weitere Eskapaden von seiner Seite ausgeblieben sind, verschiebe ich sämtliche Gespräche auf zu Hause, wo wir hoffentlich etwas mehr Privatsphäre genießen dürfen. Wenigstens habe ich mir das vorgenommen.


* * *


Wieder einmal sind wir auf dem Weg zu irgendeinem Termin. Ich hab vergessen, ob es nun ein Interview oder Fototermin ist, und wenn ich ehrlich bin, ist es mir auch egal. Nur noch drei Tage trennen mich von zu Hause und ich hab mich immer noch nicht entschieden, ob ich das nun beruhigend oder beängstigend finden soll. Jetzt im Moment sind meine Gedanken aber – wie fast immer – bei Bill.
Von meiner Position aus kann ich ihn gut beobachten, aber anscheinend merkt er das nicht, denn er sieht nachdenklich aus. Meine Sinne haben sich sehr verschärft, was das angeht. Keine Regung entgeht mir in seinem Gesicht, wenn sich mir die seltene Gelegenheit bietet, ihn ungestört betrachten zu können. Und Bill lässt seine Maske nur fallen, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Warum sieht er so nachdenklich aus? Ob er sich Gedanken um uns macht? Oder ist das wieder nur eine Wunschvorstellung, die ich mir in meinem kranken Hirn zurechtspinne?
In solchen Momenten wie diesem ist die Sehnsucht nach Bill am allergrößten. Ihn nur ein paar Meter weiter sitzen zu sehen und ihn nicht berühren, nicht küssen zu dürfen, macht mich fast wahnsinnig. Jetzt schließt er die Augen und lehnt sich entspannt in seinem Sitz zurück. Wie gerne würde ich aufstehen und... „Hey Tom, nach dem Interview gleich haben wir frei – gehst du heute auch Abend mit?“ werde ich abrupt in die Realität zurück katapultiert und sehe verwundert auf. Gustav hat sich in den Sitz neben mir geworfen und wartet auf eine Reaktion von mir. „Wohin geh ich heute Abend mit?“ hake ich nach. Hab ich wieder was nicht mitgeschnitten? Langsam wird es wirklich auffällig, wie oft ich abwesend und verwirrt bin. Doch zu meiner Erleichterung lächelt Gustav nur milde. „Georg, Bill und ich haben gedacht, wir könnten ein bisschen um die Häuser ziehen – morgen müssen wir erst Nachmittags auf der Matte stehen und außerdem haben wir doch eh bald ein paar Tage frei. Saki würde uns sogar fahren...“ klärt er mich auf und kann ein Grinsen bei der Erwähnung unseres Bodyguards nicht verhindern. WER Saki und vor allem WOMIT bestochen hat, will ich gar nicht wissen, es ist fast unmöglich, dass er freiwillig abends den Chauffeur spielt. Aber vielleicht tut es mir ganz gut, mal etwas anderes zu sehen. Auch wenn mein Bruder dabei ist. „Warum nicht“ entgegne ich endlich in neutralem Tonfall und Gustav nickt zufrieden.

„Geht’s dir wieder besser Tom?“ fragt er nach einer kleinen Pause und blickt mir offen ins Gesicht. „Ja, ich bin okay“ versichere ich ihm und irgendwie kommen mir diese Worte heute nicht ganz so schwer über die Lippen wie sonst. „Gut. Dann freu ich mich, dass wir heute Abend mal wieder alle zusammen was unternehmen“ meint Gustav und grinst verschmitzt, während mich schon wieder die verschiedensten Emotionen überrollen. Ob das wirklich so eine gute Idee ist? Aber jetzt hab ich zugesagt, dann muss ich da auch durch. Und außerdem sollen sich Georg und Gustav nicht so viele Gedanken machen, das könnte auch ganz schnell gefährlich werden.


* * *


Unseren Termin bringe ich irgendwie mehr schlecht als recht hinter mich und jetzt sind wir schon auf dem Rückweg, ohne dass ich es so richtig mitbekommen hab. Ich hab heute einfach funktioniert wie ein Roboter. Schon wieder völlig in Gedanken versunken starre ich blicklos aus dem Fenster. Ob ich Bill sagen soll, WARUM ich ausgerechnet diesen Wetteinsatz von ihm gefordert habe? Aber er würde es niemals verstehen... Kurz schließe ich die Augen und versuche krampfhaft, an etwas anderes zu denken. „Ich finds übrigens schön, dass du dich entschieden hast, endlich mal wieder unter die Leute zu gehen“ jagt mich die Stimme meines Bruders nur Sekunden später wieder hoch. Erschrocken reiße ich die Augen auf und sehe ihn direkt neben mir sitzen. Ich hab nicht mal gemerkt, wie er sich angeschlichen hat. Seine Augen blitzen mir entgegen und für einen Sekundenbruchteil verschlägt es mir die Sprache, ihn so plötzlich und so nah vor mir zu haben. Instinktiv weiche ich ein paar Zentimeter zurück. „So, findest du das schön...“ bringe ich schließlich als Erwiderung hervor, nicht sicher, was ich von seiner Ansage halten soll. „Versprichst du mir was?“ übergeht Bill meinen ironischen Tonfall und in mir schrillen sämtliche Alarmglocken auf einmal los. „Was denn?“ will ich argwöhnisch wissen und kassiere einen überheblichen Blick dafür. „Reden wir noch mal über das alles?“ redet er dann aber weiter, offensichtlich ist es ihm ausnahmsweise mal ernst. „Ja“ antworte ich schlicht. „Okay. Und heut Abend haben wir Spaß“ meint Bill dann schon wieder gewohnt unbekümmert. „Du hast doch immer Spaß, Bill“ kann ich mir nicht verkneifen zu sagen. Für eine gefühlte Ewigkeit hängen unsere Blicke ineinander, bis ich glaube, ein listiges Funkeln in seinen Augen zu erkennen. Schnell sehe ich zur Seite.
„Ich geh mal eben Gustav suchen“ durchbricht Bill schließlich das eingetretene Schweigen und ehe ich noch etwas erwidern kann, ist er schon von meinem Nachbarsitz aufgestanden und im Gang verschwunden.


* * *

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#9

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:51
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

9.

Oh Gott. Oh mein Gott. Ich sollte mir wirklich verdammt gut überlegen, ob ich da jetzt mitfahre. Denn ich hab absolut keinen Schimmer, wie ich diesen Anblick den ganzen Abend lang aushalten soll.
Bill scheint es wirklich drauf angelegt zu haben, dass mir jetzt das Wasser im Mund zusammenläuft und er hat sich wieder einmal mehr selbst damit übertroffen. Seine Jeans sitzt so tief auf seinen Hüften, dass es mir fast den Atem raubt und wird an seinem Bauch von einer reichlich verzierten Gürtelschnalle betont. Bei der kleinsten Bewegung gibt sein knappes rotes T-Shirt unter der schwarzen dünnen Jacke ein aufregendes Stückchen nackter Haut frei. Allein davon wird mir schon schwindelig, aber zur Krönung ist er schon wieder kaum geschminkt, hat außer zwei Ringen an seinen schmalen Fingern keinen Schmuck an und zu allem Überfluss sind auch noch seine Haare so, wie ich sie am liebsten an ihm mag. Seidig glatt schlängeln sie sich an seinem schlanken Hals hinab und erneut ist es die schwarze Mütze, die mich ihn jetzt anstarren lässt wie ein hypnotisiertes Kaninchen. Es ist heute eindeutig zu viel des Guten.

Aber das ist ja nicht das schlimmste – viel fataler ist die Tatsache, dass er sich seiner Ausstrahlung wie immer vollkommen bewusst ist und sie gekonnt einzusetzen weiß. Er ist wirklich Teufel und Engel in einer Person.

Und so groß die Trauer um seinen Verlust auch sein mag, in meinem Kopf beginnen sich schon wieder Phantasien zu formen, wie er und ich... „Ähm Tom...hallo… das da ist dein Bruder und keine geile Schnitte“ erklärt Georg mir, als sei ich ein kleiner dummer Schuljunge. Er fuhrwerkt mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum und endlich erwache ich aus meiner Trance. „Haha ja... guter... Witz“ stottere ich unbeholfen, sehe aus den Augenwinkeln, wie Bill amüsiert grinst und wende mich dann wieder blitzschnell Georg zu. „Dann starr ihn nicht an und beweg dich endlich“ fordert Georg mich auf, und grinst jetzt ebenfalls. Ich glaube, wenn er wüsste, was die letzten Monate so alles zwischen Bill und mir gelaufen ist, dann könnten wir ihn einweisen lassen.

„Kinder, wenn ihr jetzt nicht sofort Gewehr bei Fuß steht, dann könnt ihr euch einen anderen Dummen suchen, der sich wegen euch die ganze Nacht um die Ohren schlägt“ mischt sich jetzt auch Saki ein, der uns grimmig einen nach dem anderen mustert. Ich kann ihn verstehen, ich wäre auch genervt, wenn ich uns Bagage irgendwo hin kutschieren müsste und nicht zu meinem wohlverdienten Schlaf käme. „Na denn los Leute“ ruft Bill enthusiastisch und klatscht in die Hände. Kurz zwinkert er mir zu und läuft dann eilig hinter unserem Bodyguard her. Kopfschüttelnd setze ich mich etwas langsamer in Bewegung. Das kann ja heiter werden heute, ich seh es schon kommen. Merkt er denn nicht, wie sehr mir sein Verhalten zu schaffen macht?

* * *


Grelle Discolichter geistern durch den ansonsten düsteren Club, in dem wir ein kleines Eckchen für uns haben. Der Bass dröhnt in meinen Ohren und es ist unerträglich heiß hier drin. Nichtsdestotrotz bin ich aber mittlerweile ganz gut drauf. Ich habe beschlossen, Bill heute Abend weitestgehend zu ignorieren und bisher klappt das sogar außerordentlich gut. Es klappt viel zu gut. Aber das ist mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal annährend bewusst.

„Kommst du mit tanzen?“ säuselt mir mein Bruder knapp eine Stunde später ins Ohr. Ich bin gerade in ein äußerst unterhaltsames Gespräch mit Georg vertieft, damit ich nicht sehen muss, wie Bill zufrieden an einem Cocktail nuckelt, der schillernder aussieht als er selbst. „Nein – und lass gefälligst diese scheiß Spielchen“ zische ich ungehalten zurück. Meine Nerven sind eh schon bis zum Zerreißen gespannt und ich bin nicht gewillt, sie noch mehr strapazieren zu lassen, nur weil er schon den mindestens fünften Cocktail schlürft und dadurch anscheinend seine Hormone überschäumen. „Dann geh ich halt allein“ nuschelt mein Zwilling gelangweilt und rutscht von seinem Stuhl. Ich spare mir jegliche Äußerung dazu. Wie um Himmels Willen kommt er bloß auf die Idee, dass ich mit ihm tanze? Das würde schon unter normalen Umständen nicht in Frage kommen – jetzt erst recht nicht mehr. Ich wende mich wieder Georg zu und zwinge mich, nicht auf die Tanzfläche zu sehen.

„Du bist aber nicht böse, wenn ich gleich mal kurz verschwinde?“ fragt Georg mich nach einigen Minuten und lacht über meinen folgenden Gesichtsausdruck. „Ich hab da nämlich eben so ein Mädel gesehen, das...“ „Erspar es mir Georg, ist schon okay“ unterbreche ich ihn schnell. Gustav ist ja auch noch da, obwohl der sich gerade mit irgendwelchen Leuten unterhält. Und außerdem habe ich genau in dieser Sekunde beschlossen, heute auch mal ein bisschen über den Durst zu trinken, ich kann es brauchen. Und was Bill kann, kann ich besser, auch wenn das kindisch sein mag. Georg grinst mir zu und steht dann langsam auf. „Gut, dann amüsiert euch mal.... oh Gott, Tom, guck dir Bill an“ ruft er plötzlich und ich kann nicht anders, als seinem ausgestreckten Zeigefinger mit den Augen zu folgen. Das hätte ich besser nicht getan.

Ich schaue so schnell wieder weg, als hätte mir jemand einen ordentlichen Stromschlag verpasst. Bill, der sich mit geschlossenen Augen selbstvergessen im Rhythmus der Musik räkelt, ist eindeutig ein Anblick, den ich nicht verkrafte. Das Ganze wird aber noch dadurch übertrumpft, dass er alles andere als allein tanzt, sondern sich lasziv an einen wie ich zugeben muss, hübschen jungen Kerl schmiegt. In mir kocht wieder mal die Wut hoch und gleichzeitig muss ich schlucken. „Lass ihn doch“ keife ich schließlich Georg an, der mir nur einen verwunderten Blick schenkt und dann vor sich hin murmelnd in der Menge verschwindet. Er kann ja am allerwenigsten dafür...
Und ich brauche dringend Ablenkung. Am besten sofort und auf der Stelle. Oder ich geh Saki suchen, damit er mich nach Hause fährt... was ist das nur, was mir so einen unangenehmen Stich in der Magengrube versetzt?

* * *


Ihr Lachen ist viel zu laut, zu aufdringlich und eine Spur zu hysterisch für meinen Geschmack, ihr Make-Up leicht verschmiert und ihre schwarzen Haare nicht mal annährend so glänzend wie die meines Bruders. Dennoch erfüllt dieses Mädchen ihren Zweck. Sie hat immerhin das Potenzial mich abzulenken, auch wenn sie eigentlich nur vollkommen meschugge an meinen Lippen hängt. Aber jetzt kann ich endlich mal wieder meinem Ruf gerecht werden, seit Monaten gab es keine Schlagzeilen mehr in der Art über mich – es wird doch wieder mal Zeit. Und da kommt sie mir gerade recht. Ihren Namen hab ich vergessen, aber der ist auch unwichtig. Heute will ich selbst mal Arschloch sein und nicht immer nur wie eines behandelt werden. Und nach ungezählten Drinks fällt mir das mittlerweile auch nicht mehr wirklich schwer. Immerhin lalle ich noch nicht.

„Hast du Lust, nachher noch mit ins Hotel zu kommen?“ gehe ich irgendwann aufs Ganze und sehe fast angewidert zu, wie sich ihre Pupillen überrascht weiten. „Du willst, dass ich mitkomme? Ich meine, ins Hotel? Ich? Mit dir? Meinst du das ernst? Wirklich?“ quietscht sie in einer Tonlage, die mir Kopfschmerzen bereitet. „Ja, wirklich“ sage ich mit leicht ironischem Unterton, während ich innerlich die Augen verdrehe. Wie bekloppt und naiv sind diese Weiber eigentlich?

Bill hab ich jetzt schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Eine Weile konnte ich ihm noch hin und wieder verstohlene Blicke zuwerfen. Sein widerliches Geflirte war wirklich kaum zum aushalten, aber irgendwann ist er mitsamt seinem Anhang von der Tanzfläche verschwunden und ich war hier zu sehr von meinem geistreichen Gespräch abgelenkt, um weiter zu verfolgen, was er treibt.
Und mir vorzustellen, was er gerade veranstaltet, verursacht mir immer noch erhebliche Bauchschmerzen.

„Das ist ja total cool“ schwärmt das Mädchen neben mir ausgelassen weiter, strahlt mich an und lenkt damit meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ich weiß zwar nicht, was daran cool sein soll, aber wenn sie meint... am besten hält sie bald ganz den Mund. „Wir feiern dann in etwas privaterem Rahmen weiter“ verspreche ich ihr mit unwiderstehlichem Augenaufschlag und sehe, wie sie schon jetzt dahinschmilzt. Außerordentlich langweilig. Ein paar Mal versuche ich noch, wenigstens ansatzweise Konversation zu machen, aber es hat keinen Zweck. Ein absolut sinnfreies Unterfangen. Ich hasse Leute, die mir uneingeschränkt nach dem Mund reden. Und dieses Exemplar von Frau hier gehört eindeutig dazu. Irgendwann kann ich nur noch mit Mühe ein Gähnen unterdrücken und finde, es ist langsam an der Zeit, Saki suchen zu gehen, um dieses Geplänkel hier zu beenden.

„Würdest du kurz warten, ich geh mal eben...“ Ich kann meinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn eine zarte Hand legt sich von hinten auf meine Schulter und ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu wissen, zu wem sie gehört. Die Gänsehaut, die Bill mit seiner minimalen Berührung auslöst, kriecht unaufhaltsam an meinem Körper empor. „Amüsierst du dich gut?“ flüstert er mir ins Ohr, sein Atem streift meine Wange und ich erstarre in der Bewegung, kann nichts erwidern und nur zusehen, wie er sich geschmeidig und mit extra viel Körperkontakt an mir vorbeidrängelt, um sich Nachschub an der Bar zu bestellen. Miststück. Muss er eigentlich immer zum falschen Zeitpunkt auftauchen? Oder „erscheinen“ wäre eindeutig das bessere Wort. Er hat wirklich ein Gespür dafür entwickelt, wann es besonders unpassend ist.

„Willst du mich nicht deinem Bruder vorstellen, Tom?“ quäkt das Weib neben mir auf einmal los und ich muss mich zusammenreißen, um sie nicht anzuschreien. Was will sie bitteschön von meinem Bruder? Eben hat sie noch hingerissen jedes Wort von mir aufgesaugt, mich schon fast mit ihren Blicken ausgezogen – und jetzt das.

Bevor ich noch irgendetwas antworten oder reagieren kann, dreht Bill sich wieder zu uns um, wirft mir einen undeutbaren Blick zu und wendet sich dann an das Mädchen neben mir. Wieder hat er einen bunten Cocktail in der Hand, baut sich damit direkt vor ihr auf und plötzlich liegt ein diabolisches Grinsen auf seinem Gesicht. In mir beginnt eine böse Ahnung zu erwachen, aber ich bin nicht schnell genug, um noch etwas zu verhindern. Ich kann nur fassungslos dabei zusehen, wie Bill sich ein Stück vorbeugt, um dann in aller Seelenruhe und mit sichtlichem Genuss den Inhalt seines Glases in den Ausschnitt des namenlosen Mädchens zu schütten. „Ohh, das tut mir jetzt aber leid, war ein Versehen... ich bin übrigens Bill, das wolltest du doch wissen?“ erdreistet er sich dann mit seinem liebenswürdigsten Unschuldslächeln zu sagen. In mir gefriert alles zu Eis.
Die Kleine starrt ihn einige Sekundenbruchteile lang entsetzt an, springt dann auf und fängt an zu kreischen, fast wie auf einem unserer Konzerte. „Hast du ne Macke, du bekloppter...“ beginnt sie zu motzen, wird sich aber dann wohl bewusst, mit WEM sie redet und verstummt schlagartig, um meinen Zwilling aus weit aufgerissenen Augen anzustarren.

Jetzt endlich kann ich reagieren. „Entschuldigst du uns kurz?“ frage ich meine Begleitung der letzten Stunden mehr pro Forma, denn ich warte keine Entgegnung mehr ab, sondern schnappe mir Bill am Arm und schleife ihn an dem wie ein begossener Pudel dastehenden Mädchen vorbei rücksichtslos hinter mir her, ohne sie noch eines weiteren Blickes zu würdigen.


* * *

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#10

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:52
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

10.

Ohne nachzudenken oder gar meinen Griff zu lockern, zerre ich Bill grob hinter mir her, bis wir draußen in der Kälte vor dem Club stehen. Er hat nicht mal den Versuch unternommen, sich zu wehren. „Hast du deinen gottverdammten Verstand verloren?“ brülle ich ihn an, während ich gleichzeitig seinen zierlichen Körper hart gegen die eisigkalte Betonwand hinter ihm presse. Bill sagt nichts, sieht mir nur unergründlich in die Augen und das macht mich noch rasender. Ich hasse es, wenn ich ihn nicht durchschauen kann. „Kann ich nicht ein einziges Mal Spaß haben, ohne dass du mir dazwischenfunkst? Hält das dein Ego nicht aus oder was ist der Grund? Was verflucht noch mal sollte diese Aktion da drin?“ tobe ich weiter. „Diese Aktion da drin hat schon ihren Zweck erfüllt“ erwidert er jetzt endlich in ruhigem Tonfall, sein Atem zaubert dabei kleine Wölkchen in die kühle Luft. „Was?“ frage ich verständnislos.

„Ich hab schon längst erreicht, was ich wollte“ wird er deutlicher, aber ich verstehe immer noch nicht, worauf er eigentlich hinaus will. „Bill, ich warne dich. Hör jetzt sofort auf mit diesen Mätzchen oder ich flipp aus“ drohe ich, noch immer in voller Lautstärke und mit allem, was meine Lungen hergeben. Noch nie hat er mich so in Rage gebracht wie heute Abend, nicht mal an dem Tag, als wir uns geprügelt haben und ich mache mir absolut keine Gedanken darüber, ob uns jemand hören könnte.
„Das tust du doch schon“ stellt er nüchtern fest und das bringt das Fass jetzt endgültig zum Überlaufen. „Bill!“ quetsche ich durch die Zähne, drücke mich mit meinem ganzen Körpergewicht gegen ihn und höre, wie er überrascht keucht. „Ist ja gut, du musst mich nicht gleich umbringen. Die Kleine kannst du jedenfalls vergessen“ rückt er mit der Sprache raus und sein Gesicht nimmt einen immer zufriedeneren Ausdruck an, je länger er beobachtet, wie die Erkenntnis bis zu mir durchsickert. Schlagartig lasse ich ihn los und weiche einen Schritt zurück.

„Also nur noch mal zum besseren Verständnis: Du darfst diverse Typen fast auf der Tanzfläche vernaschen, aber ich kann mich nicht mal unterhalten, ohne dass du durchdrehst, versteh ich das richtig?“ finde ich irgendwann meine Sprache wieder und kann es noch immer nicht so richtig glauben. „Du wolltest dich nicht unterhalten, du wolltest sie flachlegen“ korrigiert Bill mich. „Und wenn schon. Das geht dich nichts mehr an“ knurre ich, aber meine Wut hat sich schon wieder halbiert. Jetzt mache ich mir eher Gedanken, WARUM Bill so einen Scheiß abzieht. „Das geht mich sehr wohl was an. Ich bin dein Bruder“ meint Bill, als sei das Erklärung genug. „Genau. Mein Bruder. Nicht mehr und nicht weniger“ brumme ich vor mich hin. Ich verstehe ihn einfach nicht, ich verstehe ihn schon lange nicht mehr. „Aber Tommy, die hat doch so gar nicht zu dir gepasst“ mokiert er sich gespielt. „Bill, lass diesen Scheiß! Außerdem hat dieser Typ auch nicht zu dir gepasst“ lasse ich mich hinreißen zu sagen. Damit begebe ich mich zwar auf das gleiche niedrige Niveau wie er, aber in diesem Moment ist es mir einfach egal. „Eifersüchtig?“ fragt er mit unwiderstehlichem Augenaufschlag. „Das hättest du wohl gerne“ zische ich böse. `Lüge, Lüge, Lüge` schallt es in meinem Kopf. Natürlich bin ich eifersüchtig. Doch niemals würde ich das zugeben.
„Vielleicht“ flüstert Bill. Ich bin sprachlos. Was will er mir denn damit wieder sagen? Reicht es nicht, dass er agiert wie eine Giftschlange, die ihr Opfer so lange mit ihrem Blick hypnotisiert, bis sie dann im passenden Augenblick zuschlägt? Es fühlt sich genau so an. Als hätte er mich gebissen und jetzt verteilt sich sein Gift unaufhaltsam in meiner Blutbahn. Er hat mich vergiftet, langsam aber stetig. Und vor allem nachhaltig.

„Von mir aus kannst du machen, was du willst, das hast du doch eh schon immer getan“ versuche ich ein letztes Mal, die Oberhand zu behalten und ihn aus der Reserve zu locken. „Schön. Dann kann ich ja jetzt wieder reingehen. Ich werd sicherlich schon vermisst“ erwidert Bill und grinst so unverschämt, dass ich mich nicht entscheiden kann, ob ich ihn ermorden oder doch lieber losheulen soll. „Ich hasse dich“ schleudere ich ihm schließlich emotionsgeladen entgegen und ich rechne mit jeder Reaktion, aber nicht mit der, die folgt.

Bills Gesicht wird von einer auf die andere Sekunde unglaublich wütend. „Nein Tom. Wenn, dann hasse ICH DICH. Dafür, dass du mich so überrumpelt hast mit deinem Wetteinsatz. Und dafür, dass du auch noch gewonnen hast mit ganz niederen billigen Tricks. Und nicht zu vergessen dafür, dass du mich jetzt hier blöd von der Seite anmachst, nur weil ich mir einen kleinen Scherz erlaubt hab“ knurrt er und ich kann nicht mehr tun, als ihn fassungslos anzustarren. Das muss ich doch gerade geträumt haben, das kann er unmöglich laut ausgesprochen haben.

„Hat`s dir jetzt die Sprache verschlagen?“ fordert er mich frech nach einem nicht enden wollenden Blickduell heraus. „Du bist echt das Letzte“ ist alles, was mir noch dazu einfällt, meine eigene Stimme klingt fremd in meinen Ohren. Er ist offenbar noch viel gefühlloser, als ich es jemals wahrhaben wollte. Kalt wie ein Eisblock. „Wieso bin ich das Letzte Tom? Wer macht denn immer dicht? Egal wie oft ich es versuche, ich komm doch gar nicht wirklich an dich ran, schon lange nicht mehr. Glaubst du ernsthaft, du bist der einzige, der sich Gedanken macht?“ Wild gestikulierend macht Bill seiner Empörung Luft, während ich immer noch überzeugt bin, mitten in einem Alptraum festzustecken. Es muss mich nur jemand kneifen, dann wache ich auf. Ganz sicher.

„Worüber machst du dir schon Gedanken Bill? Wo du schnellstens den nächsten Fick herbekommst? Oder ob es heute ein männlicher oder weiblicher Bettgefährte sein soll?“ Denn etwas anderes kann es nicht sein, an das Bill seine Gedanken verschwendet. „Wenn du das glaubst, dann kennst du mich nicht Tom“ antwortet er etwas ruhiger, aber seine Augen sprühen nur so vor unterdrücktem Zorn und seine Worte kommen wie eine Drohung bei mir an. „Nein Bill, ich kenne dich schon seit Monaten nicht mehr“ gebe ich unumwunden zu. „Manchmal ist es eben einfacher, zu lügen“ nuschelt er, für mich in absoluten Rätseln und ich halte ihn nicht auf, als er sich jetzt von der Wand abdrückt, mich einfach stehen lässt und mit schnellen Schritten wieder im Inneren des Gebäudes verschwindet.

Ich merke erst jetzt, wie kalt es hier draußen ist.


* * *


Es ist in den frühen Morgenstunden, als ich aus meinem sowieso schon sehr unruhigen Schlaf gerissen werde. Müde angele ich nach meinem Handy, um zu sehen, wie spät es ist. 04:49 leuchtet es mir vom Display entgegen. Ich fühle mich, als hätte ich nur Minuten geschlafen. Gleich nach dem Zwischenfall mit Bill bin ich Saki suchen gegangen und hab mich zurückfahren lassen. Die anderen wollten noch lange nicht heim, Gustav hat mich kaum wahrgenommen, so vertieft war er in seinem Gespräch mit einer hübschen Blondine. Es sei ihm gegönnt. Georg hab ich gar nicht erst gefunden und nach Bill hab ich nicht gesucht. Saki hat mich nur ansehen brauchen, und hat sich nicht einmal beklagt, dass er wegen mir zweimal fahren musste. Allen neugierigen Fragen bin ich ausgewichen, so wie immer in der letzten Zeit.

`Du siehst schlecht aus, Tom. Du schläfst zu wenig, Tom. Das ist nur der Stress, Tom. Bald habt ihr Urlaub, Tom.` Immer die gleichen schnöden Sätze von ein und denselben Leuten, bis zum erbrechen. Ich kann es nicht mehr hören.

Schnaufend pfeffere ich das Handy zurück auf den Nachttisch, lasse mich wieder zurück ins Kissen sinken und lausche einen Moment angestrengt in die Stille des Hotelzimmers. Und da ist es wieder – das Geräusch, das mich geweckt hat.


* * *

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#11

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:53
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

11.

Sofort sitze ich senkrecht und hellwach im Bett. Anscheinend ist Bill dann auch endlich mal „nach Hause“ gekommen – und an einer anderen Art zu kommen arbeitet er offensichtlich gerade mit Feuereifer.
Ich kann einfach nicht glauben, dass ich mir das wirklich mit anhören muss... unterdrücktes Stöhnen, Keuchen, leise Seufzer und Worte, die ich nicht verstehen kann – und auch gar nicht verstehen will. Das alles dringt durch die wohl ziemlich dünne Wand des Nachbarzimmers – Bills Zimmer.
Auf einmal liegt ein zentnerschwerer Stein in meinem Magen. Wenn ich mir jetzt nicht augenblicklich Luft mache, dann platze ich und eine Sekunde später hab ich auch schon keine Kontrolle mehr über mein Handeln.
„Verdammte Scheiße, ich muss gleich kotzen!“ schreie ich meinen ganzen Frust und vor allem die Enttäuschung aus mir heraus, dresche dabei mit den Fäusten auf die unschuldig weiße Wand neben mir ein, bis meine Handgelenke schmerzen. Die gewünschte Erleichterung bringt es jedoch nicht wirklich, dafür ist es nebenan schlagartig still geworden.

Ein paar Momente sitze ich noch schwer atmend im Bett, dann rappele ich mich mühselig hoch. An Schlaf brauche ich jetzt nicht mal mehr im Ansatz denken, mein Inneres ist total in Aufruhr und ich beginne hastig nach meinen Zigaretten zu suchen. Minuten später stehe ich immer noch völlig außer mir am weit geöffneten Fenster und puste mit gezwungen langsamen Atemzügen den Rauch in die kalte Nachtluft, aber es beruhigt mich kein bisschen.
Was um Himmels Willen denkt er sich nur dabei? Hat er sich so dermaßen abgeschossen mit seinen verfluchten Cocktails, dass er jetzt eben nicht mehr denken kann oder war wieder alles gut durchdacht und Absicht? Oder war es wegen unserem Streit? Will er mir nur eins auswischen? Mir weh tun? Das hat er definitiv geschafft. Wenn ich ihn doch nur einmal einschätzen könnte, wissen würde, was er denkt und warum er so handelt, wie er es tut. Es ist einfach zum verrückt werden, dass ich ihn nicht durchschauen kann. Ein tiefes Seufzen verlässt meine Lippen, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen kann.


* * *


Ich ahne schon, dass Bill mein Zimmer betreten hat, noch ehe ich die Tür leise klacken höre. Seine Anwesenheit spüre ich immer augenblicklich. Woher er sich die zweite Chipcard besorgt hat, kann ich mir schon denken, aber ich werde ihn nicht danach fragen. Ich werde generell nicht mit ihm reden oder überhaupt auf ihn reagieren. Er soll einfach nur wieder verschwinden und mich in Ruhe lassen. Mit einem schnellen Fingerschnippen werfe ich die Kippe aus dem Fenster, drehe mich aber nicht zu meinem Bruder um.
Meine Ahnung wird zur Gewissheit, als Bill von hinten die Arme um meinen Bauch schlingt. Sofort versteife ich mich in seinen Armen. Ich muss ganz tief durchatmen, um mich nicht schon wieder aufzuregen und vor allem, um dem Drang zu widerstehen, ihn wütend von mir zu stoßen. Doch tief einatmen ist genau das falsche Rezept, denn seinen verschwitzten Geruch einzuatmen bringt unweigerlich Erinnerungen mit sich, an die ich nicht mehr denken will. Ich sollte das atmen lassen in seiner Gegenwart. Und ich sollte mir außerdem verbieten, solche Gedanken zuzulassen, es ist ja fast pervers, dass ich mich trotz allem bei ihm geborgen fühle. Definiert man das als Liebe? Oder doch eher als krankhaft?

„Es tut mir leid, Tom“ nuschelt Bill mir plötzlich gegen die Haare und unterbricht damit meine sinnlose Gedankenflut. Er hört sich nicht mal halb so betrunken an, wie ich es vermutet hatte. „Was genau tut dir denn leid? Glaubst du ernsthaft, ich will mir solche Dinge wie das gerade geben?“ frage ich mit geschlossenen Augen. Meine Stimme klingt kratzig und nach ungeweinten Tränen. Und unglücklicherweise habe ich mit dieser Frage schon wieder all meine guten Vorsätze über Bord geworfen, denn ich wollte doch eigentlich gar nicht mehr mit ihm reden... Und tatsächlich braucht es nur einen lächerlichen einzigen Satz, um mich vergessen zu lassen, was ich mir so fest vorgenommen habe.

„Ich wollte dich nicht verletzen“ sagt er so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann. „Bill, du verletzt mich mit jeder Sekunde, in der du mir gegenüberstehst. Und in jeder Sekunde, die du mir nicht gegenüberstehst, auch“ krächze ich fast ebenso leise wie er und ich weiß, dass er mein bitteres Lächeln spürt, auch wenn er es nicht sehen kann. Wenn ich noch vernünftig denken könnte, würde ich ihn auf der Stelle rausschmeißen. Aber ich kann keinen Muskel bewegen, kann ihn nicht von mir weisen, genieße und hasse zur gleichen Zeit seine Nähe.

„Bekomm ich auch ne Zigarette?“ fragt Bill, ohne auf meine Erwiderung einzugehen, lässt mich los und automatisch öffne ich die Augen, um ihn anzusehen. Und für einen Augenblick ist es wieder da – das Gefühl, ihn ohne Worte verstehen zu können. Er hat seine Frage durchaus ernst gemeint und so verwundert ich auch über ihn sein mag, meine Hände greifen trotzdem mechanisch nach der Kippenschachtel und bieten ihm stumm an, was er will. Fasziniert bleibt mein Blick an seinen geschmeidigen Bewegungen hängen, als er sich elegant eine Zigarette nimmt und anzündet. Ich registriere erst jetzt, dass er nur in T-Shirt und Boxershorts vor mir steht. Seine Haare sind total zerstrubbelt und würde mir dieser Anblick nicht so weh tun, hätte er leichtes Spiel mit mir.

Bill sieht schweigend aus dem Fenster, während er dabei so göttlich verrucht aussieht, dass mir einfach die Spucke wegbleibt. „Willst du nicht wieder zu deinem Typen gehen?“ frage ich nach einer gefühlten Ewigkeit, nur um überhaupt irgendwas zu sagen. Ich weiß immer noch nicht, was ich von seinem Auftritt hier halten soll. „Nein“ antwortet er, ohne mich anzusehen. „Ich hab ihn weggeschickt“ fügt er dann noch als Erklärung hinzu.
Aha. Er hat ihn also weggeschickt. „Warum?“ will ich wissen. Endlich reißt Bill seinen Blick vom Himmel los, an dem schon langsam die Sonne hervorkriecht. Irgendwie macht mich das traurig.
„Tom, glaubst du, wir können irgendwann wieder normal miteinander umgehen?“ übergeht er meine Frage. Jetzt mischt sich Verwirrung unter meine Traurigkeit. Und außerdem habe ich keine Antwort darauf. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich das will. So krank es auch sein mag, ich sehne mich noch immer nach ihm.

„Ich weiß es nicht“ gebe ich ehrlich zu. „Tom, ich will das aber gar nicht“ meint Bill, entledigt sich behände seiner Zigarette und wendet sich dann mir zu. „Bill...“ fange ich an, doch er unterbricht mich sofort wieder. „Warte Tom. Sag mir doch einfach nur den wahren Grund und speis mich nicht immer mit hohlen Phrasen à la `Ich kann das nicht mehr` ab – ich will es nur verstehen“ fordert er und irgendwie hat er ja ein bisschen Recht. Ich hab es ihm nie erklärt, also wirklich erklärt. Aber ich kann ihm nicht die Wahrheit sagen. Niemals.
Seine Augen scheinen sich durch mich durchbrennen zu wollen, während ich verzweifelt nach den richtigen Worten suche. Was soll ich ihm denn antworten? Es ist doch ganz egal, was ich sage, entweder wird er mich nicht verstehen oder auslachen.

„Bill, deine ganzen Spielchen und Provokationen machen mich wahnsinnig, machen mich fertig und ich kann damit nicht umgehen. Wenn ich es nicht beendet hätte, wäre ich früher oder später daran kaputt gegangen – eher früher“ platzt es schließlich aus mir heraus, aber dann schlage ich mir erschrocken die Hand vor den Mund. Was, wenn ich damit schon zu viel verraten hab? Wenn er mit Leichtigkeit durchschaut, was in Wahrheit dahintersteckt?
„Du lügst“ stellt Bill fest. Er sagt es ernst, nicht ironisch und ich weiche unbewusst seinem Blick aus. „Tom!“ sagt er eindringlicher, als ich nicht reagiere. „Warum lügst du mich an?“ bohrt er weiter und endlich schaffe ich es, ihm wieder ins Gesicht zu sehen. „Ich lüge nicht“ protestiere ich, aber meine Stimme versagt fast dabei. „Aber du verschweigst mir was. Und das ist genau so schlimm“ kontert Bill ruhig. „Gerade auf die Spielchen hast du doch immer gestanden“ sagt er dann unbeirrt und sieht kurz verträumt aus dem Fenster, als würde ein Film an Erinnerungen an seinem inneren Auge vorbeilaufen. „Aber solche Sachen wie eben Bill, die verletzen mich. Kapierst du das nicht? Scheiße!“ fluche ich etwas unbeherrscht. Sind wir schon wieder mitten drin im nächsten Spiel und er kann einfach nur nicht akzeptieren, dass es vorbei ist?

„Ist okay Tom. Das kommt nicht wieder vor, versprochen“ reißt Bill mich aus meinen Gedanken. Verwirrt suche ich in seinem Gesicht nach irgendeinem Anzeichen, das mir verraten könnte, was hinter seiner hübschen Stirn vor sich geht. „Willst du eigentlich gar nicht wissen, was ich mir gewünscht hätte?“ wechselt er dann ohne Vorwarnung das Thema und macht damit das Chaos in mir perfekt. „Wovon redet du Bill?“ „Von unserer Wette. Du hast gesagt, wenn ich gewinne, hab ich einen Wunsch frei“ klärt er mich auf, das Glitzern, dass dabei in seinen Augen zu leuchten beginnt, ist mir direkt unheimlich. „Ich weiß nicht, ob ich das wissen will“ sage ich nicht sehr souverän. Denn insgeheim hat er damit meine Neugier geweckt.
Bill macht einen Schritt auf mich zu und ich bin zu erstarrt, um vor ihm zurückzuweichen. „Ich verrat`s dir trotzdem“ flüstert er, während ich versuche, meinen verdammten Körper zu ignorieren, der schon wieder nicht so auf ihn reagiert, wie es angemessen wäre.

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#12

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:54
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

12.

Auf einmal wird mir bewusst, wie angreifbar mich das Ganze schon wieder macht. Meine Entscheidung fällt innerhalb von Sekundenbruchteilen. Ich weiß nicht, woher ich plötzlich die Kraft nehme, aber fest entschlossen presse ich Bill die Hand vor den Mund, den er gerade zum sprechen geöffnet hat. „Ich will es nicht wissen!“ sage ich mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. So kenne ich mich gar nicht. Bill scheint es ähnlich zu gehen. Vor Überraschung weiten sich seine Pupillen, aber er hat sich erstaunlich schnell wieder unter Kontrolle. Trotzdem hat er mir verraten, dass er nicht mit meiner Reaktion gerechnet hat.
Er versucht ein undeutliches Gemurmel durch meine Hand hindurch und schiebt sie dann vorsichtig beiseite, als er begreift, dass es nichts bringt. Die kurze aber intensive Berührung lässt mich erschaudern. „Bist du sicher?“ fragt er mich mit einer Mischung aus Unglauben und Berechnung. Ich gehe ihm doch nicht tatsächlich schon wieder auf den Leim? „Todsicher“ antworte ich trotzdem energisch und schiebe gleich ein „... und jetzt lass mich allein“ hinterher, damit er nicht noch auf dumme Gedanken kommt.

Inzwischen sitzt Bills Maske wieder perfekt und ich hab wie so oft keine Ahnung, was er vorhat. Ob er überhaupt etwas vorhat... „Gut. Ganz wie du meinst, Tom. Wenn dich die Neugier auffrisst, weißt du ja, wo du mich finden kannst“ holt mich sein süffisanter Tonfall in die Wirklichkeit zurück. Und prompt werde ich wieder wütend. „Du bist so ein Arsch, Bill. Warum machst du das?“ kann ich mir nicht verkneifen.
„Das willst du nicht wissen“ verabschiedet er sich, während er barfuss Richtung Tür tapst. Ich spare mir eine Antwort, es hat doch sowieso keinen Sinn. Aufgebracht und nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung war, zünde ich mir gleich die nächste Zigarette an. Mein ganzes Zimmer riecht nach Bill – zumindest bilde ich mir das ein.

* * *

Keine Sekunde habe ich mehr geschlafen, nicht eine einzige kleine Millisekunde. Statt dessen geistert immer und immer wieder diese eine bestimmte Frage durch meinen Kopf, während das Hotel langsam zum Leben erwacht, die Geräusche nach und nach immer mehr zunehmen, Schritte auf dem Gang wechseln sich ab mit vorübergehender Stille und irgendwann beschließe ich, mich anzuziehen und meine Sachen zu packen. Damit bin ich nun fertig, es ist eigentlich immer noch viel zu früh, aber es hat mich wenigstens ein bisschen abgelenkt. Als es jetzt ganz leise an meiner Tür klopft, schrecke ich dennoch zusammen.
Ob das Bill ist? Nebenan hat die ganze Zeit eine gespenstische Ruhe geherrscht, ich hab keine Ahnung, ob er sich noch mal hingelegt hat, sehr wahrscheinlich kann er im Gegensatz zu mir friedlich schlafen wie ein neugeborenes Baby.

Vorsichtig schleiche ich zur Tür und öffne sie nur einen Spalt breit, um sie bei Bedarf gleich wieder zuschlagen zu können. Doch es ist nur Georg, der ein bisschen verschlafen aussieht. „Was gibt’s?“ frage ich möglichst unbekümmert. Eigentlich ist doch Gustav der Frühaufsteher unter uns. „Morgen Tom. Lässt du mich kurz rein?“ will er wissen und bereitwillig trete ich ein Stück zur Seite. „Du hast ja schon gepackt“ stellt er überrascht mit einem Blick auf meinen Koffer fest. „Ich konnte nicht schlafen“ begründe ich mein so völlig untypisches Verhalten. Ein verwirrter Blick von ihm folgt.
„Und was wolltest du nun?“ frage ich leicht ungeduldig. Er macht mich nervös mit seinen forschenden Blicken. „Ich wollte nur fragen, ob alles in Ordnung ist“ murmelt er leise. „Klar“ lüge ich. „Das hat sich vor ein paar Stunden aber anders angehört, Tom. Bill war ganz schön laut – und du auch“ redet er zu meinem Entsetzen weiter. Er hat uns gehört? Oh Gott. Ich merke förmlich, wie ich blass werde. „Äh... Bill hat... mich... einfach nur.... aufgeregt“ stottere ich drauflos. Toll. Das hab ich ja wieder gut hinbekommen. Nachher klopfe ich mir selbst auf die Schulter für mein gar nicht auffälliges dümmliches Gestammel.
„Er regt dich ganz schön oft auf in der letzten Zeit, findest du nicht?“ „Kann schon sein“ gebe ich halbherzig zu, sehe Georg aber dabei nicht an. „Aber er war doch schon immer so – und früher hat es dich auch nicht aufgeregt“ findet Georg. Ja. Früher hab ich Bill auch wie einen Bruder geliebt. Früher. Früher hört sich Lichtjahre entfernt an, dabei sind es nur ein paar Monate. Ich schweife schon wieder ab. „Bill hat mich wach gemacht“ verteidige ich meinen Standpunkt. „Aha“ macht Georg. Er glaubt mir kein Wort, ich kann es ihm ansehen. „Habt ihr wieder gewettet?“ fragt er wie erwartet. Ich verdrehe die Augen. „Mann Georg, ich hab dir doch gesagt, dass es keine Wetten mehr gibt“ erwidere ich genervter als nötig. „Okay Tom. Ich hoffe schwer, dass ihr das zu Hause irgendwie in den Griff kriegt. Ich kann es nicht leiden, wenn ständig Krieg herrscht. Und außerdem mach ich mir Sorgen. Und du kannst froh sein, dass David von der Sache noch keinen Wind bekommen hat“ rattert Georg runter. „Du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde mit Bill reden, wenn wir zu Hause sind. Ein paar Tage Entspannung tun uns bestimmt gut“ schwafele ich mir zusammen, hoffentlich ein bisschen glaubwürdiger als eben. „Aber wenn doch noch etwas anderes ist...“ „...kann ich jederzeit zu dir kommen – ich weiß Georg. Danke“ beende ich seinen Satz. Es ist ja auch wirklich lieb gemeint, dass er sich so viele Gedanken macht, leider kann er mir aber auch nicht helfen.

* * *

Wir sind auf dem Weg nach Hause und ich bin furchtbar hibbelig. Meine Gedanken hopsen von einem Thema zum nächsten, ohne Sinn und Verstand. Und die Stimmung ist angespannt, wobei das noch untertrieben ausgedrückt ist. Mittlerweile bin ich der festen Überzeugung, dass auch Gustav uns gehört haben muss, obwohl kein Wort in diese Richtung gefallen ist. Eigentlich ist generell kaum ein Wort gefallen, am allerwenigsten zwischen Bill und mir. Ich habe ihm ganz brav und anständig guten Morgen gesagt und das wars dann auch schon. Ignoranz ist doch was tolles. Nur leider wird sie in unseren eigenen vier Wänden absolut gar nicht mehr funktionieren.

Ungefähr eine Stunde später haben wir uns von Georg und Gustav verabschiedet und jetzt wird es langsam ernst. Das mulmige Gefühl in meinem Magen verstärkt sich um ein vielfaches. „Sei einfach so normal wie möglich“ zischt mir Bill entgegen, kurz bevor wir aussteigen müssen. Haha. Selten so gelacht. Am liebsten würde ich ihn anspringen. Und das nicht im positiven Sinne. Letztendlich strafe ich ihn lediglich mit einem bösen Blick. Den muss ich aber auch noch üben, es scheint so überhaupt keinen Eindruck auf ihn zu machen.
Mit pochendem Herzen sehe ich dann zu, wie Bill sich geschmeidig von seinem Sitz gleiten lässt und nur wenige Schritte weiter unserer Mutter um den Hals fällt. Ich freue mich wirklich, sie zu sehen, aber im Moment überwiegt noch die Angst in mir, dass sie irgendwas merken könnte. „Hey Mum“ begrüße ich sie schließlich, nachdem Bill Platz für mich gemacht hat. „Du hast abgenommen Tom“ ist das erste, was sie zu mir sagt, aber es klingt nicht vorwurfsvoll, es ist eher eine Feststellung. „Wir hatten viel Stress...“ sage ich lächelnd und wie unbeteiligt, „...aber jetzt sind wir ja hier.“
Ja. jetzt sind wir hier. Und dass mein Lächeln erzwungen ist, muss ich ja niemandem erzählen.

* * *

Der restliche Tag zieht einfach so an mir vorüber. Ich funktioniere, weil es so von mir erwartet wird. Zuerst müssen wir natürlich Bericht erstatten, aber Mum hat ziemlich schnell ein Einsehen und lässt uns in Ruhe. Erleichtert atme ich auf, als ich die Tür meines Zimmers hinter mir schließen kann. Bis jetzt scheint sie keinen Verdacht geschöpft zu haben. Vielleicht hab ich mir doch zu viele Gedanken gemacht. Mein Koffer fliegt in eine Ecke und ich schmeiße mich in derselben Bewegung aufs Bett.
Mein Bett. Ein bisschen Geborgenheit in all dem Chaos in mir und um mich herum. Das tut wirklich gut.
Doch was ich nicht bedacht hab – mit der Ruhe kehrt nicht nur die bleiernde Müdigkeit zurück, die in allen meinen Gliedern sitzt wie eine chronische Krankheit, sondern auch die drängende Frage. Die Frage, die ich krampfhaft versuche zu ignorieren und die doch immer wieder in meinem Kopf aufblinkt wie ein Alarmlämpchen. Es ist so gemein von Bill, wieder mit diesen alten Geschichten anzufangen. Ich hatte es vergessen. Vergessen, dass ich ihm versprochen hab, er darf sich etwas wünschen, wenn er gewinnt. Weil ich in dem Moment nicht mal im entferntesten daran gedacht habe, dass er gewinnen könnte. Ich hatte doch ganz andere Sorgen, als einen Gedanken daran zu verschwenden.
Warum kann er es nicht einfach dabei belassen? Will er mich unbedingt leiden sehen?

Mein Verstand sagt mir, ich sollte ihn niemals danach fragen. Vielleicht ist es besser so, wenn ich es nicht weiß. Doch mein Herz ist schwach und flüstert mir immer eindringlicher zu, dass es vielleicht etwas ändern würde, vielleicht gefällt mir ja sein Wunsch, vielleicht ist es auch mein Wunsch?
Der Fernseher kann mein Herz nicht übertönen, das Telefon kann es nicht und bevor ich endgültig durchdrehe, stürze ich aus meinem Zimmer und gerade als ich bei Bill anklopfen will, reißt er schwungvoll von innen die Tür auf. „Oh, Tom. Ich wollte grade zu Andi. Kommst du mit?“ Ich verstehe den Sinn seiner Worte gar nicht, schüttele mechanisch den Kopf und schiebe ihn zurück in sein Zimmer. „Tom?“ Bill sieht mich irritiert an, als ich der Tür einen Fußtritt gebe. „Ich muss dich was fragen“ fange ich an, verstumme aber sofort wieder. Vielleicht sollte ich doch lieber wieder gehen? „Was denn?“ Bills Blick kann ich nicht deuten, aber seine Stimme hat einen lauernden Unterton angenommen. Aus meiner Kehle kommt kein Laut, plötzlich ist sie wie zugeschnürt und ich kann ihn nur anstarren.
„Tom? Was wolltest du denn fragen?“ hilft Bill mir auf die Sprünge. Ich hatte Recht. Sein Unterton ist nicht nur lauernd, sein Gesicht zeigt für einen kurzen Moment alle Facetten freudiger Erwartung. Mistkröte. Er wusste ganz genau, dass ich meine Neugier nicht lange zügeln kann.

„Ich will wissen, was du dir gewünscht hättest“ würge ich schließlich hervor. „Ach, hat die Neugier doch gesiegt? Wer hätte das gedacht? Weißt du Tom, tut mir leid, aber ich bin eh schon zu spät, Andi wartet. Ich hab jetzt gar keine Zeit“ sagt er bedauernd, macht eine wegwerfende Handbewegung und geht an mir vorbei. „Warte. Du sagst es mir entweder jetzt oder nie“ halte ich ihn am Arm zurück. Ein bisschen fest ist mein Griff in Anbetracht der Tatsache, dass ich irgendwie mit seiner Nähe umzugehen versuche, aber Bill lässt sich nichts anmerken. „Tom ich sagte doch gerade...“ „Was hättest du dir gewünscht verdammt noch mal?“ reißt mir endgültig der Geduldsfaden.

„Du willst es also wirklich wissen?“ Bill genießt in vollen Zügen mein hektisches Nicken, lässt sich noch einen extra Augenblick Zeit und holt dann Luft. Ich hab das Gefühl, um mich herum findet eine Explosion statt. Das Blut rauscht in meinen Ohren und mein Herz schlägt unangenehm bis in den Hals.

"Ich hätte mir gewünscht, dass ich dir einen deiner geheimsten Träume erfüllen darf" beginnt er langsam und deutlich in Worte zu fassen, was schon die ganze Zeit wie eine dunkle Wolke über meinem Bewusstsein geschwebt hat. Ich öffne den Mund, um Einspruch zu erheben, um mich zu retten, um es nicht hören zu müssen, aber ein Blick in Bills Augen genügt, damit kein Laut meine Lippen verlässt.
Er wird es mir sagen, so oder so, und plötzlich wird es egal. Es gibt kein Entkommen mehr und ich hab es selber so gewollt. "Hast du dich jemals gefragt Tom, wie es sich anfühlt? Ja, das hast du, ich weiß es. Du hast es mir selbst verraten, und du musstest dafür nicht ein einziges Wort sagen..." Bills Stimme scheint leiser und leiser zu werden, doch das bilde ich mir ein, wahrscheinlich, damit ich es besser ertragen kann.
Ich weiß haargenau, auf welche Situation er anspielt. Ich hätte es wissen müssen. Dieses eine Mal, als ich für einen kurzen Moment Macht über ihn hatte und es so sehr genossen hab, und dann sein Blick, der mich so unglaublich tief getroffen hat und ich wusste schon damals, dass er meine Gedanken mühelos erraten hatte. "Du willst, dass ich dich...?" versuche ich mich fassungslos zu artikulieren, aber ich bringe den Satz nicht zu Ende. Mein Körper wird von Adrenalin überschwemmt.
"Sprich es aus, Tom" fordert Bill leise und ich zwinge mich, in seine Augen zu sehen. Sie sind dunkel wie überreife Brombeeren. Wann ist er mir denn schon wieder so unverschämt nah gekommen? Oh Gott, ich halte das nicht aus, ich spüre jetzt schon, wie meine Knie beginnen, langsam unter dem untragbaren Gewicht nachzugeben. Das kann er nicht wirklich wollen. Seine Hände greifen sanft nach meinen Schultern und halten mich aufrecht. Er wartet. Wartet geduldig wie eine Katze vor dem Mauseloch.

"Du willst, dass ich dich... dass ich dich...ficke?" krächze ich mit einer Stimme, die nicht mehr zu mir zu gehören scheint. Über Bills Gesicht huscht ein kleines Lächeln. "Das hätte ich jetzt nicht schöner ausdrücken können, Schatz" raunt er mir ins Ohr. Nein. Nein, das kann er einfach nicht machen. Geschlagen schließe ich die Augen. Wenn er mich jetzt loslässt, dann falle ich.
"Du wolltest es wissen Tom... aber ich hab die Wette verloren, es ändert nichts mehr, weißt du? Und jetzt muss ich mich wirklich beeilen" flüstert Bill, während ich vergesse zu atmen. Dann lässt er meine Schultern los und ich höre, wie er seine Tür öffnet und schnellen Schrittes die Treppe nach unten stürmt. Natürlich falle ich nicht. Ich stehe immer noch hier mit geschlossenen Augen und registriere nur im Unterbewusstsein, wie statt mir die Haustür geräuschvoll ins Schloss fällt.

Es ändert nichts? Es ändert alles.

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#13

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:56
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

13.

In dieser Nacht habe ich einen seltsamen Traum. Die Matratze gibt irgendwann neben mir nach und der betörende Duft von Bill steigt mir in die Nase. Jetzt im Schlaf wehre ich mich nicht dagegen, genieße ohne Reue seine Nähe, nach der ich mich insgeheim so sehr sehne. Und ich zucke nicht mal zurück, als seine Fingerspitzen ganz sanft die Konturen meines Gesichts nachzeichnen, sondern strecke mich noch der Berührung entgegen. Es fühlt sich so richtig, so echt an... und ich wünschte, es könnte in Wirklichkeit auch so sein. Doch merkwürdigerweise bin ich mir vollkommen bewusst, dass ich träume.
Eine Ewigkeit genieße ich die ungewohnt zärtlichen Streicheleinheiten, aber plötzlich hören sie auf. „Ich kann nicht bleiben“ höre ich Bill flüstern. „Ich weiß“ seufze ich genau so leise zurück.
Ein kleiner zarter Kuss wird mir auf den Mundwinkel gehaucht und dann ist das leichte Gewicht neben mir verschwunden.

* * *

Als ich erwache, fühle ich mich seit unbestimmter Zeit mal wieder so richtig ausgeruht. Lang strecke ich mich in meinem Bett aus und dann fällt mein Blick auf die große Uhr an der Wand. Es ist bereits Nachmittag. Anscheinend hat mein Körper beschlossen, den Tribut für den wenigen Schlaf der letzten Nächte endlich einzufordern.
Und auf einmal fällt mir Bill ein – Bill, der mich gestern derart aus der Fassung gebracht hat, dass ich mich nicht mal mehr erinnern kann, wie ich es überhaupt noch in mein Zimmer und bis in mein Bett geschafft habe.

Einige Minuten liege ich nur so da und starre an die Decke. Ich will nicht darüber nachdenken und jetzt mit etwas mehr Abstand und bei nüchterner Betrachtung bin ich mir fast sicher, dass er es nur gesagt hat, um mich aus der Reserve zu locken, um mich zu provozieren und das hat er wieder einmal mühelos geschafft. Er hatte ja auch lange genug Zeit, seinen Wunsch tausendmal zu überdenken. Es war nur wieder eins seiner gut geplanten Spielchen. Zugegeben, ein makaberes Spiel, aber ist es nicht typisch für ihn?
Mein Handy reißt mich aus meinen Gedanken. Es klingelt in voller Lautstärke vor sich hin und ich bin nicht sonderlich überrascht über den Anrufer. „Hey Andi“ begrüße ich ihn gähnend. „Oh, hab ich dich geweckt? Sorry... wo warst du gestern Tom? Ich hab dich vermisst“ brabbelt er drauflos und entlockt mir damit ein kleines Grinsen. „Ich war zu müde, um noch raus zu gehen“ entschuldige ich mich und überlege gleichzeitig, ob es mir nicht gut tun würde, mit jemandem über meine verfahrene Situation zu reden.
„Was hältst du davon, wenn ich euch nachher besuchen komme?“ fragt Andi am anderen Ende der Leitung und ich nicke, bis mir einfällt, dass er das ja schlecht sehen kann. „Ja, das wäre toll“ antworte ich schließlich. Obwohl ich eigentlich keine Lust darauf habe, den restlichen Tag mit Bill zu verbringen. Aber Andi ist immerhin unser beider Freund. „Dann bin ich so in ner Stunde da“ wird mir mitgeteilt und nach einer schnellen Verabschiedung stehe ich langsam auf. Ich muss duschen und ich hab sogar Hunger. Mein Magen knurrt vernehmlich.

Eine Viertelstunde später bin ich auf dem Weg nach unten. Es ist ungewöhnlich still im Haus. Ob Bill noch schläft? Ich weiß nicht, ob ich die Kraft aufbringe, ihm jetzt, womöglich noch im Beisein unserer Mutter, gegenüberzutreten. Aber natürlich ist er da, als ich die Küche betrete und meine kleine Hoffnung fällt in sich zusammen. Was habe ich auch erwartet? Für einen winzigen Moment halte ich inne. Er ist allein und sitzt in Jogginghose und grauem T-Shirt mit angezogenen Beinen auf einem Küchenstuhl. Verträumt starrt er auf seine Kaffeetasse und noch hat er mich nicht bemerkt. Wieder einmal rufe ich mir ins Gedächtnis, dass er trotz dieses Aufzugs wundervoll aussieht. Seine Sachen passen farblich nicht zusammen, aber wahrscheinlich könnte er einen Müllsack anziehen und ich würde ihn immer noch anhimmeln. Wie töricht ich doch bin.
Wieder wirkt sein Gesicht so unschuldig und offensichtlich spielt er seine Rolle sogar unbewusst perfekt. Wie könnte er sonst unschuldig aussehen? Er ist der personifizierte Teufel, er beweist es mir doch jeden Tag aufs Neue.

Ich reiße mich zusammen und laufe endlich los, in Richtung Kaffeemaschine. Bill sieht hoch, aber ich lasse mich nicht zu einer Begrüßung hinreißen und weiche seinem Blick sofort aus. Stumm nehme ich mir eine Tasse aus dem Schrank, fülle Kaffee hinein und kann mich dann nicht entschließen, mich zu ihm an den Tisch zu setzen. „Hast du gut geschlafen?“ durchbricht Bill schließlich das unangenehme Schweigen. Ich glaub, ich träume schon wieder. „Als ob dich das interessiert“ schnaube ich verächtlich und kassiere einen verletzten Blick dafür. „Natürlich interessiert mich das“ widerspricht er. Ich bleibe ihm eine Antwort schuldig. „Andi kommt gleich“ sage ich statt dessen beiläufig. „Dann grüß ihn von mir. Ich geh mich noch mal hinlegen, hab schlecht geschlafen“ meint Bill und steht auf. Will er jetzt mein Mitleid oder so? Irgendwie macht sich Erleichterung in mir breit und ich bin froh, dass ich Andi mal für mich allein hab. Und noch beruhigender ist der Gedanke, Bill damit aus dem Weg gehen zu können. „Wo ist Mum?“ übergehe ich seine Bemerkung. „Einkaufen“ bekomme ich als knappe Erwiderung, während Bill auf mich zu geht. Panik kriecht in mir hoch, weil ich ihn schon wieder nicht einschätzen kann, aber letztendlich stellt er nur seine Tasse neben mir in die Spüle. „Vielleicht komm ich später noch rüber – wenn ich darf“ nuschelt er vor sich hin und ich begreife erst bei seinen letzten Worten, dass er mit mir redet und nicht mit sich selbst. „Ich kann`s dir ja schlecht verbieten, Andi ist auch dein Freund“ motze ich und trete einen Schritt beiseite.
„Aber es ist dein Zimmer“ wirft er als nächstes ein. „Bill, ich hab echt keine Lust auf dieses sinnfreie Gequatsche okay? Entweder kommst du später rüber oder du lässt es eben bleiben, das ist mir total egal“ sage ich ihm ins Gesicht. Es ist mir alles andere als egal und das wissen wir beide, aber ich befürchte, meine Nerven halten eine weitere Konfrontation nicht aus. Und ich bete inständig, dass mich irgendjemand erhört.
„Okay. Dann verkrümel ich mich jetzt wieder in mein Bett. Gute Nacht“ murmelt Bill und verlässt die Küche. Verstört sehe ich ihm hinterher. Hat er jetzt wirklich einfach das Feld geräumt? Kaum zu glauben.

* * *

„... das war lustig“ beende ich eine kleine Anekdote unseres Touralltags und genehmige mir erneut einen Schluck aus meiner Bierflasche. „Und warum lachst du dann nicht?“ Andi sieht mich stirnrunzelnd an. „Was?“ Etwas weniger dümmliches kommt leider nicht aus meinem Mund. Aber ich hab die Frage nicht verstanden. Warum sollte ich lachen? Gut, Andi ist hier, ich hab inzwischen einen vernünftigen Alkoholpegel im Blut und mein Bruder hat sich anscheinend entschlossen, heute nicht mehr von den Toten aufzuerstehen. Das alles wäre schon Grund genug, über die Szene die ich eben erzählt hab, zu lachen.
Vielleicht liegt es an der Chipstüte, deren Inhalt zu meinem Entsetzen unter Andis Händen rücksichtslos in sich zusammenschmilzt. Und das innerhalb kürzester Zeit. „Tom, sei mir nicht böse, aber früher hättest du dich gekugelt“ stellt Andi ernst fest. „Ich kugel mich doch“ verteidige ich mich und liefere die erbärmlichste Vorstellung einer Lachsalve in meinem ganzen Leben. Gott, ich bin so jämmerlich.
„Hast du dich mit Bill gestritten?“ Wie kommt er denn auf die absonderliche Idee? „Nein“ antworte ich emotionslos. Plötzlich wird es still in meinem Zimmer und irgendwie hab ich grade das Gefühl, mit voller Wucht auf den Boden der Tatsachen zu prallen.

„Tom, darf ich ehrlich sein?“ Andis Stimme klingt warm und ich kann nur nicken. Das Lachen ist mir eh schon im Hals stecken geblieben, statt dessen macht sich wieder mal der altbekannte Kloß darin bemerkbar. Scheiß Alkohol.
„Ich hatte schon die letzten Male am Telefon ein komisches Gefühl. Ihr wart beide so anders. Und dann hab ich mich so gefreut, euch endlich wiederzusehen, doch Bill kommt allein. Und benimmt sich äußerst merkwürdig und ich hatte gestern schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Aber dein Auftritt hier Tom, der toppt echt alles...“ sprudelt es aus Andi heraus, während meine Augen groß und größer werden. Er kennt uns einfach zu gut, verdammt. Ich hatte ja die Befürchtung, dass unsere Mum schneller etwas merkt, als mir lieb sein kann, aber Andi hatte ich völlig außen vor gelassen.
„Wie meinst du das, Bill war komisch?“ hake ich nach. Bill ist doch immer die Coolness in Person, die Ruhe selbst, warum sollte er komisch gewesen sein? „Ich weiß nicht, er hat nur rumgedruckst, als ich nach dir gefragt hab und mir irgendwas von Wetten erzählt, wegen denen ihr euch verkracht habt“ erklärt Andi mir wild gestikulierend. Das scheint ihn ja ganz schön aufzuregen. „Hmmm“ mache ich langgezogen, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Verkracht... das ist ja noch reichlich untertrieben ausgedrückt.

„Tom, sag mir doch, was los ist, ich blick gar nicht mehr durch bei euch“ bittet Andi und irgendetwas in seinem Gesichtsausdruck lässt mich für einen kurzen Moment jegliche Vernunft beiseite schieben. „Ich liebe Bill.“ Ich hab es laut ausgesprochen. Es klingt unreal, diese Worte aus meinem eigenen Mund zu hören. Gedacht hab ich sie schon so oft, aber niemals ausgesprochen. Diese drei Worte, die meinem Bruder tagtäglich von hunderten wildgewordenen Mädchen entgegen geschrieen werden, obwohl sie ihn gar nicht kennen. Ich dagegen kenne ihn – doch das macht es nicht besser.

„Natürlich liebst du ihn, er ist dein Bruder.“ Andis irritierter Tonfall lenkt meine Aufmerksamkeit zurück auf ihn. „Nein, du verstehst nicht... ich LIEBE ihn!“ Ich hab es schon wieder gesagt.
Andi entgleisen sämtliche Gesichtszüge und er schnappt laut nach Luft. Anscheinend hat er endlich begriffen, was ich ihm deutlich machen will. Ich muss verrückt geworden sein, es jemandem zu erzählen. Für einen langen Augenblick herrscht Stille und mein Zimmer scheint sich merklich abzukühlen. Ich kann dabei zusehen, wie sich Andi nach und nach wieder beruhigt und wäre es nicht so bitterernst, würde ich es amüsant finden. Sein Gesicht ist wirklich ulkig...
„Aber...“ fängt er schließlich an zu stottern, doch ich unterbreche ihn sofort. „Ist schon gut Andi. Es ist jetzt sowieso egal, ich hab es ja beendet.“ „Beendet? Was denn um Gottes Willen beendet?“ fragt Andi entsetzt.
Oh Gott. Jetzt habe ich ihm gleich den nächsten Schock verpasst, ohne vorher über meine Worte nachzudenken. Aber schlimmer kann es ja eh nicht mehr werden. „Unsere Affäre“ erwidere ich tonlos und schließe die Augen, damit ich nicht in sein Gesicht sehen muss.

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#14

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:57
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

14.

Andi schweigt. Ich höre ihn nur heftig atmen, aber er sagt kein einziges Wort. Die Anspannung, die von mir Besitz ergriffen hat, breitet sich immer weiter in meinem Körper aus, bis sie wie ein schweres Gewicht auf mir liegt. Andi schweigt immer noch. „Herrgott noch mal, jetzt sag mal doch was!“ platze ich schließlich heraus, während ich gleichzeitig die Augen wieder aufreiße. Andi ist blass geworden und starrt mehr durch mich hindurch, als mich an.
Es war bestimmt nicht gerade einfühlsam von mir, ihn dermaßen mit dem Ganzen zu überfahren. Und geschickt war es schon mal überhaupt nicht. Ich fühle mich, als hätte ich mir gerade mein eigenes Grab geschaufelt. Jetzt muss ich nur noch beerdigt werden... aber darauf werde ich wahrscheinlich auch nicht mehr lange warten müssen.

Andi räuspert sich, dann wird es wieder still. Diese Stille kann ich gerade absolut nicht aushalten. Also stehe ich geistesgegenwärtig auf und schmeiße die Musikanlage an. Schon besser. Leider ist Andi immer noch bleich wie die Wand hinter ihm. Irgendwie tut er mir leid. „Andi, ich wollte dich nicht so schocken, entschuldige. Aber es gibt absolut niemanden, mit dem ich sonst darüber reden könnte, verstehst du? Und ich werde wahnsinnig, wenn ich mich nicht jemandem anvertrauen kann“ versuche ich ihm händeringend zu erklären. Woher ich auf einmal die Ruhe dafür nehme, ist mir selbst schleierhaft.
Irgendwie zeigt es schon jetzt Wirkung, dass ich es einfach nur ausgesprochen hab. Und endlich scheine ich bis zu Andi durchzudringen, er sieht mich wieder richtig an und nicht mehr so apathisch wie eben.

„Liebt Bill dich auch?“ Die Frage kommt leise über seine Lippen, als würde er sich kaum trauen, sie zu stellen. Und als hätte er noch mehr Angst vor der Antwort.
Ich kann nicht anders, ich lache laut los, auch wenn es ein klein wenig wie bei einem unserer hysterischen Fans klingt. Aber das tut ja nichts zur Sache. „Bill... Bill liebt nur... sein eigenes Spiegelbild“ antworte ich schließlich immer noch prustend. Auf verrückte Art und Weise finde ich das alles plötzlich urkomisch, so unwirklich wie in einem Theaterstück. „Aber du BIST sein Spiegelbild, Tom“, holt Andi mich gnadenlos wieder runter und genau so plötzlich, wie ich eben losgelacht hab, verstumme ich jetzt. Schwerfällig lasse ich mich vor meinem besten Freund auf den Boden plumpsen. „Andi, du kennst doch Bill. Für ihn war es immer nur Sex. Von Anfang an. Ein netter Zeitvertreib zwischen all den anderen. Und ein bisschen Nervenkitzel, wenn wir wieder mal um irgendwas gewettet haben. Nichts weiter. Und ich bin fast daran kaputtgegangen, ohne dass er es auch nur ansatzweise gemerkt hat“, erkläre ich, und trotz meiner Aufregung ist meine Stimme fest. Es fühlt sich komisch an, mal nicht selbst der Überfahrene zu sein, sondern statt dessen am Steuer zu sitzen.

„Sex...“, wiederholt Andi tonlos. Der Arme. Jetzt kann er wegen mir die ganze Nacht nicht schlafen. Aber ich traue mich nicht, ihn in den Arm zu nehmen oder so. „Redest du jetzt überhaupt noch mit mir?“ will ich vorsichtig wissen. „Ach Tom... natürlich rede ich noch mit dir. Aber... ihr seid Brüder – Zwillinge... ähm. Also... lässt du mich ne Nacht drüber schlafen?“ Er sieht mich bittend an. „Auch zwei“, versichere ich schnell. Das ist mehr, als ich erwarten kann angesichts dieser nicht gerade alltäglichen Situation. „Okay. Ich glaube, ich muss das erst mal ein bisschen sacken lassen. Wir reden auf jeden Fall noch mal in Ruhe darüber, ja?“ Ich nicke dankbar. Wenn er mich jetzt angeschrieen oder mir Vorwürfe gemacht hätte, wäre ich gestorben. Während ich noch fieberhaft überlege, was ich nun angemessenes sagen könnte, klopft es an meiner Tür.

Nein – bitte nicht jetzt. Ich kann im Moment weder meine Mutter und noch viel weniger Bill ertragen. Aber eben dieser schiebt jetzt ungefragt seinen Kopf ins Zimmer. Wie immer perfektes Timing.
Und dass mir sofort mein Herz in die Hose rutscht, versuche ich zu ignorieren. „Darf ich reinkommen? Andi? Geht’s dir nicht gut? Alles in Ordnung?“ Bill erfasst die Stimmung auf Anhieb und Andi erwacht in Sekundenschnelle aus seiner Lethargie. Ehe ich etwas einwenden kann, springt er auf seine Füße. „Ich muss dann mal... dringend los... und so... ähm ja“, nuschelt er völlig überfordert und läuft hektisch aus dem Zimmer, ohne Bill auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. „Bis morgen“, rufe ich hinterher, um die Situation irgendwie zu retten. Aber ich fürchte, ich hab es nur noch schlimmer gemacht.


* * *


„Was genau war das denn bitte?“ fragt Bill auch prompt, und sieht ungläubig unserem Freund hinterher, bevor er kopfschüttelnd die Tür schließt und sich dann wieder mir zuwendet. „Nichts, Andi hatte es nur ein bisschen eilig“, sage ich hastig und stehe ebenfalls auf, nur langsamer als Andi. „So, so. Er hatte es also ein bisschen eilig. Genau so sah es auch aus“, brummelt Bill und seine Augen verengen sich gefährlich dabei. „Du kannst dir deinen Sarkasmus sparen, Bill. Und jetzt verschwinde, ich will ins Bett“, fordere ich ihn auf und bemerke erst jetzt, dass er direkt aus dem Bad kommen muss. Seine Haare glänzen noch leicht feucht und der Geruch seines Duschgels umhüllt ihn wie eine Wolke. Das macht das Denken jetzt wesentlich einfacher.

„Vergiss es, Tom. Erst erzählst du mir, was hier los war.“ Bill funkelt mich an, als hätte er schon eine Ahnung, was sich eben hier abgespielt hat. „Ich erzähle dir gar nichts, das geht dich nämlich nichts an. Und jetzt raus“, halte ich dagegen und zeige mit dem Finger auf die Tür. Mein Arm zittert leicht, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. „Tom, wenn du rein zufällig über uns geredet hast, geht mich das sehr wohl was an“, beharrt Bill und kommt einen Schritt auf mich zu. „Es gibt kein UNS mehr, schon vergessen?“ Mist. Das hätte ich jetzt nicht sagen dürfen. Das war ja schon ein halbes Geständnis. Mutlos lasse ich meinen Arm wieder sinken. „Also hast du ihm tatsächlich was gesteckt?“ Bills Stimme klingt drohend und er verringert weiterhin den Abstand zwischen uns. Aber heute lasse ich mich nicht einschüchtern. Heute nicht. In mir erwacht auf einmal ein ungeahnter Kampfgeist.

„Ja Bill, das hab ich, ganz langsam und genüsslich. Ich hab ihm gesagt, wo du mich schon überall flachgelegt hast... zum Beispiel damals, auf dieser Kinopremiere, weißt du noch?“ schocke ich ihn und anscheinend hab ich heute Talent dafür, denn diesen Gesichtsausdruck hab ich wirklich noch nie an Bill gesehen. „Bist du verrückt geworden?“ donnert er dann nach einigen Augenblicken der Stille, die nur von der leisen Musik im Hintergrund unterbrochen wird, los. „Ja, das bin ich. Herzlichen Glückwunsch Bill, denn das ist allein dein Verdienst. Morgen werd ich dir ne Medaille basteln“, entgegne ich ruhig. So kenne ich mich gar nicht. Aber es herrscht ja auch Ausnahmezustand.

Und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit erlebe ich meinen Bruder mal wieder sprachlos. Er scheint weder zu wissen, was er denken, noch wie er reagieren soll. Ein merkwürdiger Hochgenuss für mich, aber der tiefe Fall kommt, ich weiß es.

„Das kannst du doch nicht machen“, findet er schließlich nach endlos langen Sekunden Worte, die seinem Entsetzen Ausdruck verleihen, die mich aber gleichzeitig immer noch weiter in meinem Hochgefühl schweben lassen. „Was denn? Dir ne Medaille basteln? Aber selbstverständlich kann ich das, du musst mir nur ein bisschen Zeit geben“, knalle ich ihm vor die Füße. Ich wachse gerade über mich selbst hinaus und es fühlt sich großartig an. Irgendwie.
„Tom, das ist nicht witzig“, motzt Bill weiter. „Sieht du mich lachen?“ kontere ich und sehe ihn ernst an. Zum Lachen ist das hier wirklich nicht. „Sag mal, hast du was genommen? Nein, du bist einfach nur übergeschnappt! Wie kannst du es eigentlich wagen, einfach mit Andi darüber zu reden ohne das vorher mit mir abzusprechen? Hast du mal an die möglichen Konsequenzen gedacht? Tom? Hast du dir Gedanken gemacht? Oder bist du von allen guten Geistern verlassen? Ich glaub`s einfach nicht!“ Bill tobt, schüttelt mich an den Schultern und redet sich offensichtlich gerade so richtig schön in Rage. Nur finde ich das alles andere als schön.

„Es geht aber nicht immer nur darum, was DU willst, Bill. Die Welt dreht sich nicht einzig und allein um dich, kapiert? Und das war ganz allein meine Entscheidung“, antworte ich heftig. So langsam bringt er auch mich in Rage. „Es war eben nicht nur deine verdammte Entscheidung!“ schreit Bill mich an. Meine Schultern hat er immer noch nicht losgelassen und seine Fingernägel bohren sich inzwischen unangenehm durch den Stoff meines Shirts. „Manchmal wünschte ich, du wärst nicht mein Bruder“, sage ich emotionslos und es ist die reine Wahrheit. „Dito“, kommt es zurück und plötzlich legt sich ein Schalter in meinem Kopf um. Wie von allein umfassen meine Hände sein Gesicht und ohne nachzudenken presse ich meine Lippen auf seine. Er scheint nicht im Mindesten überrascht, sondern kommt mir sofort entgegen. Überwältigt lasse ich nicht nur meine Augen zu fallen, sondern auch mich selbst, dränge fordernd meine Zunge in seinen Mund und wehre mich auch nicht, als er mich jetzt mit sanfter Gewalt rückwärts schiebt, bis ich Widerstand an meinen Oberschenkeln spüre. Mein Schreibtisch. Mit einem tiefen Seufzen lasse ich mich darauf sinken und bin froh, dass mich meine wackligen Beine nicht mehr länger tragen müssen.
Unseren Kuss unterbreche ich nur, um Bill unwirsch sein T-Shirt vom Körper zu zerren. Er lässt es einfach geschehen und sieht mich dann mit einem undeutbaren Blick an. Doch ich will gar nicht wissen, was er denkt, und bereuen kann ich morgen immer noch. Jetzt will ich ihn wieder küssen. Gott, wie hab ich das vermisst...
Bill beugt sich vor und es fehlt nur noch ein Millimeter, um ihn wieder schmecken zu können.

„Tom? Bill? Warum schreit ihr denn so?“ Die Stimme unserer Mutter reißt mich abrupt in die Realität zurück und erschrocken schubse ich Bill von mir weg. „Scheiße“, entfährt es mir leise, während Bill zumindest äußerlich ruhig bleibt. „Wie kannst du darauf verzichten wollen?“ flüstert er mir heiser zu, bevor er sein T-Shirt aufhebt und es sich wieder überzieht, während er mit schnellen Schritten zur Tür läuft.

* * *

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#15

RE: Hold me thrill me kiss me kill me

in Fanfictions 24.12.2007 22:59
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

15.

Die nächsten Minuten verbringe ich wie festgeklebt auf meinem Schreibtisch und verfolge immer noch ein wenig atemlos, wie Bill in monotoner Stimmlage versucht, unsere Mutter zu beruhigen. Er erzählt ihr etwas von einem eskalierten Streit, aber letztendlich könnten wir uns doch gar nicht lange streiten und es sei schon wieder alles in Ordnung. Ich höre das alles nur wie durch Watte.
Mum sieht mich zweifelnd an und ich schaffe es, eilig zu nicken. „SO habt ihr euch aber noch nie angeschrieen“, wirft sie, immer noch skeptisch, ein. Wieder trifft mich ein verwirrter Blick. „Mum hör mal, wir hatten einfach nur ein bisschen viel Stress in letzter Zeit und vielleicht sind wir uns etwas zu sehr auf die Pelle gerückt. Ist schon okay, wirklich“, sagt Bill sanft und endlich verschont sie mich mit ihren schrecklichen Blicken. Ich hab das Gefühl, man muss mich nur ansehen und weiß, was wir eben gemacht haben. Auf die Pelle rücken, Bill hat schon Recht...

Bill lächelt sein Strahlelächeln und Mum zieht endlich ein beruhigteres Gesicht. Wie macht er das nur immer? Er lächelt einmal lieb und alle liegen ihm zu Füßen. Mich eingeschlossen.
„Meinetwegen, dann geh ich jetzt wieder runter“, meint Mum, ein letztes Mal streift mich ihr Blick und ich reiße mich für ein paar Sekunden zusammen. „Schlaf gut“, kommt es fast von allein aus meinem Mund. Seit wann schläft sie denn unten? „Eigentlich hab ich fern gesehen“, murmelt sie leise. Täusche ich mich, oder glaubt sie uns doch nicht so wirklich? Wobei das bei meiner verwirrten Vorstellung auch kein Wunder wäre. Bill scheint das Gleiche zu denken wie ich, denn er drückt ihr einen kurzen Kuss auf die Wange und nuschelt ihr irgendwas ins Ohr. Automatisch wandern meine Gedanken ein paar Minuten zurück, und es fehlt nicht viel, damit ich fasziniert meine Lippen befühle. Gott, ich sollte endlich damit aufhören...

Wie angestochen fahre ich plötzlich hoch und zwinge mich dann, mit langsamen Schritten zur Tür zu gehen. „Sorry Mum, ich hab chronischen Schlafmangel und wir haben uns doch schon wieder vertragen“, brabbele ich, als ich nah genug bin. Bill sieht mich merkwürdig von der Seite an. „Schlafmangel, hm? Wir sollten uns morgen mal unterhalten denk ich. Dann kurier deinen Schlafmangel mal aus“, erwidert Mum und tritt nach einem letzten Blick in die Runde den Rückzug an. „Mann, Tom“, flüstert Bill, kaum dass sie nicht mehr auf der Treppe zu sehen ist. Was hat er denn nun schon wieder? Ich will jetzt nicht reden. Und ich will mir auch keine Gedanken darüber machen, warum ich mir eben schon wieder selbst untreu geworden bin. Und warum es mich seltsam kalt lässt, dass unsere Mutter uns fast erwischt hätte. Ich bin verwirrt.

„Was denn?“ zische ich aufgebracht. „Wenn du weiterhin so verstört bist und rumläufst wie ein nervöses Hemd, dann wird sie noch was merken“, redet er weiter. Entweder er verschwindet jetzt sofort in sein Zimmer, oder ich kann für nichts mehr garantieren. Er regt mich schon wieder auf und gleichzeitig möchte ich ihn...
„Ich bin nicht verstört. Und jetzt geh in dein Zimmer, sonst nehm ich dich mit in meins!“ Hab ich das jetzt wirklich laut gesagt? „Liebend gern, aber ich glaub, das sollten wir besser lassen. Du bist immer viel zu laut, Tom“, grinst Bill, dreht sich um und lässt mich stehen. Super. Ich weiß genau, auf was er wieder anspielt.
Ein paar Momente stehe ich noch wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend rum, dann beschließe ich, ihm jetzt NICHT hinterher zu laufen. Wäre ja noch schöner. Allerdings sind wir jetzt immer noch keinen Schritt weiter. Zumindest ich nicht.


* * *


Und natürlich kann ich nicht schlafen. Mittlerweile hab ich vor lauter Frust den Fernseher angestellt, aber meine Gedanken machen trotzdem, was sie wollen. Was wäre passiert, wenn Mum uns nicht gestört hätte? Was war überhaupt auf einmal in mich gefahren? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Hat Bill nur mitgemacht, weil er notorisch geil ist? „Ahhhhh!“ brülle ich, aber ich brülle in mein Kissen, damit mich niemand hört.

Es hilft ein wenig und ich kann mich wieder halbwegs auf die dusselige Talkshow im Fernsehen konzentrieren. Es ist schon überaus spannend, dass die Tochter der Cousine und deren Enkelsohn unter einer Decke stecken. Nur bei was, das wird mir nicht so wirklich klar. Komische Familienverhältnisse. Womit ich wieder beim Thema bin. Ich stecke auch mit meinem Bruder unter einer Decke. Dieser Gedanke entlockt mir ein hysterisches Kichern. Und Andi weiß dank mir nun auch noch Bescheid. Entweder besaufe ich mich jetzt sinnlos, oder ich springe aus dem Fenster. Letztendlich entscheide ich mich erneut für schlafen. Allein. Nicht etwa mit Bill. Obwohl der ja nur ein paar Meter weiter liegt... Nein. Geduldig drehe ich mich auf die andere Seite und zähle ein paar Stunden Schäfchen. Soll ja bekanntlich sehr beruhigend wirken. Besonders, wenn die Gedanken so rasen wie meine. Das wird schon langsam zur Gewohnheit.


* * *


Mitten in der Nacht werde ich wach. Ich bin noch immer vollständig angezogen. Irgendwas läuft ganz gewaltig schief in meinem Leben. Meine Bettdecke hab ich auf den Boden gestrampelt und Durst hab ich auch. Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße. Warum muss ich so einen Bruder haben? Man kann doch gar nicht anders, als sich in ihn zu verlieben. Völlig egal, ob das nun von der Natur so vorgesehen ist oder nicht. Was kann ich denn für meinen schwachen Körper? Und für mein noch viel schwächeres Herz?
Schnaufend stehe ich auf und suche die Wasserflasche. Unter dem Bett werde ich fündig. Ob ich mal rüber gehen soll? So verwirrt wie heute war ich echt schon lange nicht mehr. Bill ist Schuld. Bill ist Schuld an allem. Und das werde ich ihm jetzt sagen gehen.

Entschlossen hechte ich zur Tür, komme aber noch rechtzeitig zur Besinnung und öffne sie leise wie ein Einbrecher. Wenn ich schon wieder solchen Krach veranstalte, dann lyncht mich meine Mutter am Ende noch. Also schleiche ich auf Zehenspitzen über den dunklen Flur. Bills Tür ist nicht abgeschlossen und ich gehe ohne nachzudenken in sein Zimmer und schließe leise die Tür hinter mir. Er hat die Rolläden nicht runtergelassen, der Mond scheint ungehindert in sein Zimmer und sprachlos bleibe ich vor seinem Bett stehen. Er schläft. Was habe ich auch erwartet mitten in der Nacht? Irgendjemand hat mir mein Gehirn geklaut.

Selbst im Schlaf übt Bill eine unglaubliche Anziehungskraft auf mich aus. Sein Gesicht ist völlig entspannt, er ist nur halb zugedeckt und in mir kochen augenblicklich die Emotionen hoch. Am liebsten würde ich mich auf ihn stürzen und ihn nie wieder loslassen. Kurz schließe ich die Augen, weil ich glaube, es nicht ertragen zu können. „Was machst du hier?“ reißt mich Bills Stimme aus meinen absurden Gedanken. Ein erschrockenes Quieken kann ich grad noch so unterdrücken. Schließlich bin ich kein Mädchen. Bill setzt sich langsam im Bett auf und sieht mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung an. „Ich… ich… ich wollte mit dir reden“, stammele ich unbeholfen. „Reden. Hast du mal auf die Uhr gesehen?“ Jetzt grinst Bill. Sein teuflisches Grinsen. Ich hätte nicht hierher kommen dürfen. „Ich kann nicht schlafen“, rechtfertige ich mich. „Ach. Ich dachte, du leidest unter chronischem Schlafmangel?“ Sein Tonfall ist leicht ironisch. Aber nur ganz leicht. „Du schläfst ja selber nicht“, stelle ich fest. „Bis eben gerade schon. Und außerdem leide ich auch nicht unter Schlafmangel“, kommentiert Bill. Mein Gott, will der mich in Grund und Boden reden? „Natürlich tust du das“, widerspreche ich energisch. „Tom, was soll das hier eigentlich werden? Ein kleines Frage- und Antwort-Spiel? Willst du nicht lieber mit unter meine Decke kommen, dir ist doch bestimmt kalt?“ Da haben wir`s ja wieder – die Decke. Ich schnappe langsam über. Und ich übersehe jetzt mal das Glitzern in seinen Augen. Und übrigens ist mir wirklich kalt. Zumindest an den Füßen.

Mein Körper macht sowieso was er will und handelt schon wieder eigenmächtig. Ich weiß gar nicht wie, aber es ist Tatsache, dass ich unter die einladend hochgehaltene Bettdecke krabbele. „Tom, was war das eigentlich vorhin?“ will Bill wissen, kaum dass ich liege und er mich zugedeckt hat. „Bitte frag mich das nicht, Bill“, seufze ich, während ich die Augen schließe, um ihn nicht ansehen zu müssen. Gott, riecht das herrlich in diesem Zimmer… „Ich will aber wissen, worauf ich mich in Zukunft einstellen muss.“ Bill ist unerbittlich. Aber wie soll ich ihm eine Frage beantworten, auf die ich selber keine Antwort kenne? Außerdem war ich vorhin noch stocksauer auf ihn. Bevor ich über ihn hergefallen bin.
„Ich hab meine Entscheidung nicht geändert“, bringe ich es schließlich auf den Punkt. Und das stimmt ja auch. „Dennoch bist du hier“, kommt es leise zurück. „Ja, aber ich will jetzt nicht reden“, sage ich kläglich. „Eben hast du genau das Gegenteil behauptet“, korrigiert mich Bill. Gleich schreie ich.

„Ich wollte dich nicht so überfallen“, gebe ich endlich nach längerem Schweigen zu Protokoll. Wem will ich eigentlich was beweisen? „Mir hat dein Überfall aber gefallen“, gesteht Bill und macht es mir damit nicht gerade leichter. Außerdem glaube ich ihm das ungesehen. Und ich könnte glatt schon wieder...

„Tom? Tom, sieh mich mal an“, fordert Bill, als ich beharrlich schweige. Warum mache ich das? Ich liege hier, hier, wo ich eigentlich gar nicht hingehöre und liefere so ein lächerliches Schauspiel. Das ist doch total bescheuert. Aber Verliebte benehmen sich eben total bescheuert. Jedenfalls habe ich das bisher immer so empfunden. Und ich bin offensichtlich selbst nicht besser. Mein Handeln widerspricht meinen Äußerungen und auch jetzt gebe ich nach und sehe Bill an. „Du hast mir immer noch nicht wirklich gesagt, warum du nicht mehr willst“, erinnert er mich, aber es fehlt die sonst übliche Provokation in seiner Stimme. Das verunsichert mich jetzt.
„Weil ich dich nicht mit anderen teilen will“, sprudelt es wie von allein aus meinem Mund. Scheiße. Ich sollte gehen. Schnellstmöglich. Sonst rede ich mich noch um Kopf und Kragen. Schnell schwinge ich meine Beine aus dem Bett, aber Bill hält mich am Arm zurück. Ein Blick in seine Augen verrät mir Unsicherheit.
Moment mal, UNSICHERHEIT? Nein. Der Ausdruck ist schon wieder verschwunden, ehe er richtig in mein Bewusstsein gelangt ist.

„Und du glaubst, jetzt muss du mich nicht mehr mit anderen teilen?“
Da, ich sag es doch. Alles andere als Unsicherheit. Kälte schlägt mir statt dessen entgegen. Kälte und Berechnung. „Bill, vergiss es einfach, okay?“ wehre ich ab und will mich losreißen, aber sein Griff ist fest und er tut mir weh, je mehr ich zerre. „Ich will es aber nicht vergessen, Tom“, sagt er und lässt mich los. Ich stehe schon an der Tür, als mich erneut seine Stimme zurückhält.
„Tom, ich hab mir Gedanken gemacht.“ Oh nein, bitte nicht schon wieder. Ich weiß doch nur zu gut, um was Bill sich Gedanken macht. Und meine Wenigkeit kommt bestimmt nicht darin vor. „Wie schön für dich“, motze ich los, wieder mal die einzige Möglichkeit, um mich zu wehren. „Vielleicht auch schön für dich...“
„Oh bitte Bill, hör auf mit deinen ewigen Andeutungen okay? Rede Klartext mit mir oder lass es bleiben!“ „Du solltest nicht so schreien, sonst steht Mum gleich wieder auf der Matte“, warnt er mich ruhig und ich muss einmal tief Luft holen, um nicht in dieselbige zu gehen. Einzig und allein der Gedanke, Mum könnte einen Nervenzusammenbruch erleiden, hält mich davon ab.

„Gott Bill, was willst du denn?” motze ich schließlich halblaut, aber immer noch laut genug. Fasziniert beobachte ich meinen Bruder, der wie ein Wesen aus einer anderen Welt aus seinem Bett steigt und mit wenigen Schritten vor mir steht. Warum muss er eigentlich immer atemberaubend aussehen, selbst wenn er verschlafen ist? Nein, gerade wenn er verschlafen ist, sieht er zum anbeißen aus.
Ich sollte flüchten. Und mir nie wieder die Finger an ihm verbrennen. Das tut mir nicht gut. Und ich hatte es doch schon fast geschafft, bis zu meinem Aussetzer vorhin, als ich ihn einfach geküsst...

„Ich will dich“, fährt Bill mitten hinein in meine verwirrten, rasenden Gedanken. Ich spüre erst jetzt, wie sehr mein Herz gegen meine Brust hämmert.

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