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Mein Körper sagte mir, dass es Zeit war sich etwas für die Nacht zu suchen. Es konnte eigentlich noch nicht spät sein. Die letzten Tage war ich sicherlich viel länger unterwegs gewesen, aber ich hatte mich auch öfter irgendwo aufgehalten. Heute hatte ich fast gar nicht den Boden berührt und war stundenlang einfach so durchgefahren. Ich spürte, dass mein Kräfte nachließen und mein Körper sich danach sehnte eine andere Haltung einzunehmen.
Doch mein Weg hatte mich ins tiefste Dorf geführt, hier gab es nichts als Felder und ab und zu mal ein verlassener Bauernhof. Sicherlich kein guter Ort um ein Bett für meinen nötigen Schlaf zu finden.
Warum zum Teufel hatte sie mich auch einfach vor die Tür setzten müssen, fragte ich mich grade zum xten Mal und gab mir auch genauso oft selbst die Antwort darauf. Ganz einfach weil wir uns längst nicht mehr liebten und sie mich lange genug ertragen hatte. Sie hatte mir vorgeworfen, dass ich nur noch bei ihr war, weil sie es mir bequem machte und…ja, verdammt sie hatte ja recht. Ich wusste es ja selbst.
Aber hatte ich nicht auch alles versucht um das zu tun, was ich tun wollte? Wovon ich träumte mein Leben lang?
Vielleicht hatte ich sie dadurch vernachlässigt…ja…und es ging mir immer nur um mein Leben. Sie wollte immer, dass ich Kompromisse einging und hatte einfach nie verstanden, dass ich keine halben Sachen machen wollte.
Ein scheinbar bewohnter Hof lenkte mich aus meinen Gedanken. Eine junge Frau kam aus der großen Tür und ich musste die Chance nutzen, sie zu fragen, ob man hier irgendwo übernachten konnte. Schnell lenkte ich mein Motorrad nach links, um bis an den Rand des alten Bauernhofes zu fahren und stellte den Motor ab.
Sie kam auf mich zu und ich hatte grade erst den Helm abgenommen, als sie fragte, ob sie mir helfen könne.
„Kannst du mir sagen, wo ich den nächsten Gasthof oder so etwas finde, ich brauche ein Bett zum übernachten.“
„Hier verschlägt es selten jemanden hin und die nächste Kneipe in der man auch ein paare wenige Zimmer mieten kann ist ungefähr 20 Kilometer weiter im nächsten Ort. Ich bin ganz schrecklich schlecht in Wegbeschreibungen, wenn ich dich jetzt dort hinschicke, bist du wahrscheinlich erst in ein paar Stunden am Ziel.“ Lachte sie mich an „Aber stell einfach deine Maschine dort neben das Haus und komm mit nach hinten. Da sind genügend Leute, die dir den Weg erklären können, der auch noch leider etwas kompliziert ist“
Sie war nett und ich zögerte nicht ihr Angebot anzunehmen. Ich stieg von meinem Baby und schob es neben ihr her bis nah an das Haus. „Ich bin übrigens Anna.“ Strahlte mir ihr süßes Lächeln entgegen.
„Ich heiße Theon.“
„Theon? Wie ausgefallen…nicht so langweilig wie Anna.“ Kicherte sie, aber es klang überhaupt nicht albern…Lenas Kichern, war mir gerade in letzter Zeit immer albern vorgekommen, das von Anna klang sympathisch. „Ist das dein richtiger Name?“
„Nein, so nennen mich nur alle…Thorsti.“ Verriet ich ihr knapp.
„Du kommst nicht aus Deutschland, hab ich recht?“
„Finnland“
„Ooooh aus Finnland? Ich wollte schon immer mal nach Finnland.“ Rief sie freudig aus und strahlte mich an, während ihr schulterlanges braunes Haare in ihr Gesicht wehte, als wir um die Ecke bogen.
„Ach, is auch nichts anderes wie hier…ich leb seit zwei Jahren in Berlin…lebte.“ Verbesserte ich mich selbst.
Ich war froh, dass wir hinter dem Haus ankamen… beziehungsweise war es eigentlich neben dem Haus … und sie nicht nachfragte, ich hatte gar keine Lust darauf ihr zu erklären, warum ich von Berlin weg war und schon mehrere Tage durch die Gegend irrte, ohne Ziel. Obwohl, seit gestern hatte ich ein Ziel, ich wollte nach Hamburg.
Wir waren von der großen Haustür, die schon fast einem Tor glich, nur nach rechts gegangen und als wir um die Hausecke bogen, sah ich bereits die vielen Leute, die zum Teil an einem großen Tisch saßen und zum Teil um das Feuer, dass auf einem Steinumrandeten Kreis loderte.
Es war noch taghell und eigentlich auch noch ziemlich warm, doch sofort spürte ich die Gemütlichkeit, die von den knisternden Flammen ausging.
Oh Gott, so viele Leute auf einem Haufen…wenn ich auf einer Bühne stand, konnten nicht genug Menschen davor stehen, doch in so einer Situation wie jetzt, fand ich es einfach ein wenig grausam.
„Setz dich einfach…dort zu Maik, er wird dir gut erklären können wie du zum nächsten Ort kommst.“ Sagte Anna und schob mich zu einem Holzstuhl neben einem dunkelhaarigen Mann, der in etwa in meinem Alter war, vielleicht ein zwei Jahre älter. Er hatte ein markantes Gesicht, das doch irgendwie unheimlich weiche Züge aufwies. Sehr ungewöhnlich und ich war mir nicht sicher, ob er mir sympathisch war…aber ich wollte ja auch nur den Weg von ihm wissen.
„Hi, ich bin Maik.“ Stellte er sich vor und klopfte mir auf die Schulter. „Theon.“ Tat ich es ihm höflich gleich und stellte danach sofort meine Frage „Kannst du mir sagen, wo ich hier ein Zimmer zum Schlafen finden kann?“
Er nickte lächelnd und begann mir ausführlich zu erklären wo ich lang fahren musste und ich konzentrierte mich voll auf seine Beschreibung, um später den Weg rekonstruieren zu können, als irgendwas an meinem Bein zupfte.
Aus dem Zuhören gerissen sah ich zur anderen Seite und blickte in das Gesicht eines etwa drei jährigen Mädchens. „Hallo“ kam es eher scheu von mir, denn mit Kindern hatte ich noch nie wirklich etwas zu tun gehabt und wusste, wenn es so war, nie mit ihnen umzugehen.
Auch eher scheu, aber mit einer Spur Neugierde musterten mich zwei ausdrucksstarke braune Augen, die zu einem schmalen blassen Gesicht gehörten, das umrandet war von unzähligen hellblonden Locken. Sie sagte nichts, aber ihre Augen schienen mir etwas verraten zu wollen. Sie lenkte mich völlig ab und der Weg, den ich wissen wollte verblasste aus meinen Gedanken. Was wollte sie nur? Sicherlich musste sie sprechen können, doch sie sagte nichts, sondern versuchte nur immer wieder an meiner Hose, von der sie auf Grund der Enge mit ihren kleinen Fingern nichts zu fassen bekam, zu zupfen.
Völlig verunsichert und ein wenig peinlich berührt, sah ich auf ihre Finger, die ununterbrochen und immer energischer versuchten etwas von meiner Hose fassen zu können. „Sie möchte wohl, dass du irgendwo mit ihr hingehst.“ Hörte ich plötzlich Maiks Stimme, von der ich gar nicht mitbekommen hatte, dass sie aufgehört hatte den Weg zu beschreiben. „Tu ihr den Gefallen, zum Gasthof kommst du noch früh genug. Wenn du zurückkommst, erklär ich dir den Weg noch einmal von vorne.“ Bot Maik mir an und lächelte, als ich einen Augenblick zu ihm sah.
Ich wollte nicht wirklich mit diesem, mir einfach fremd erscheinenden Mädchen irgendwo hingehen, wozu auch, ich würde mich nur unwohl fühlen, weil ich mich nicht ihr gegenüber zu verhalten wusste. Lieber wollte ich mich von kleinen Kindern fern halten, vor allem wenn ich nicht mit ihnen reden konnte, woher sollte ich wissen, was sie von mir wollte. Ich fand es komisch, dass andere immer wussten, oder ahnten was die Kleinen sagen wollten, obwohl sie noch nicht sprachen…ich konnte doch keine Gedanken lesen….herrje, ich fand es einfach schwer und so süß die Kinder auch manchmal waren, so wie die kleine Blonde hier auch, die fast aussah wie ein kleiner Engel…ich wollte mich nicht mit ihr befassen.
Unsicher sah ich zu Maik, doch der nickte mir nur aufmunternd zu…tolle Hilfe…ja verdammt ich fühlte mich gerade so, als bräuchte ich Hilfe aus dieser Situation und unbewusst schob ich meine Hand zu der Stelle, an der dieses Mädchen noch immer versuchte etwas von meiner Hose zu greifen. Meine Hand wollte sie davon abbringen, doch statt sie von mir abließ, umfassten ihre kleinen Finger meinen Zeige-und Mittelfinger und zogen mit einer Kraft daran, die ich diesem kleinen Wesen gar nicht zugetraut hätte. Es schien ihr wirklich wichtig, dass ich ihrer stillen Aufforderung nachkam.
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass alle umliegenden Blicke auf mich gerichtet waren, obwohl meine Augen auf das kleine Geschöpf neben mir sahen und ich fand ihr jetzt nachgeben zu müssen, bevor ich mich hier noch völlig lächerlich machte. Widerwillig stand ich auf und ließ mich von ihr mitziehen, an all den Leuten vorbei bis zu einem kleinen…also im Verhältnis zu der Wiese kleinen…Stück eingezäuntem Land.
Eigentlich war es ein ziemlich großes Stückchen Fläche, dass mir sofort vorkam wie ein kleiner Zoo.
Auf den ersten Blick erkannte ich ein paar Hasen und Meerschweinchen, die hinter dem Zaun saßen und als die Kleine das Gatter öffnete, kamen sofort drei kleine Ziegen mit ihrer Mutter angelaufen.
Aufdringlich waren es sie jetzt, die mit ihren Nasen an meiner Hose stupsten, doch damit konnte ich schon eher etwas anfangen. Sofort versuchte ich lächelnd sie zu streicheln….Gott waren die niedlich.
Doch es schien nicht das zu sein, was das kleine Mädchen von mir wollte, denn sie ergriff erneut meine Hand und zog mich ein kleines Stück weiter zu einem Miniaturholzhäuschen. Die Ziegen folgten uns und stupsten dabei immer wieder gegen meine Beine.
Die Kleine hob das Dach des Häuschens an und ich sah hinein. Zusammengekauert lagen dort ungefähr sechs oder sieben kleine Häschen, genau konnte man das nicht erkennen.
Sie nahm eines von ihnen auf die Hand und hielt es mir hin. Scheinbar sollte ich es nehmen. Ich war etwas unsicher, ob sie das wirklich meinte und hielt meine Hände, so dass sie eine kleine Mulde bildeten einfach nur zusammen. Da sie nicht sprach und ich nicht genau verstand…ich fand einfach sie solle selbst entscheiden, ob sie den kleinen Hasen in meine Hände legen wollte, oder nicht.
Für eine Sekunde dachte ich ein Lächeln auf ihren Lippen zu erkennen und ich war mir plötzlich sicher genau richtig gehandelt zu haben. Behutsam legte sie mir den Hasen in die Hände, Gott er war so klein und zierlich. Ich hielt ihn nur und tat weiter nichts. Der Hase lag still da, aber nur einen Augenblick sah es so aus, als würde er sich fürchten, dann streckte er den Kopf nach meinen Fingern aus und begann neugierig daran zu schnuppern.
Das Mädchen legte ihre Hände an meine, als würde sie erwarten, dass der Hase zu ihr kommen würde, doch er tat es nicht und schnupperte einfach weiter, bis sie ihn wieder nahm und in das Haus zurücksetzte.
Genauso tat sie es mit den andern jungen Hasen, jeden einzelnen setzte sie mir auf die Hände und schien zu beobachten was sie taten. Tatsächlich verhielt sich jedes der Tiere anders, der eine rollte sich sofort zusammen, der nächste leckte an meiner Handfläche und so weiter. Nur Angst, Angst schien keines der kleinen Wesen vor mir zu haben.
Sieben Stück waren es insgesamt und als sie mir den letzten wieder abnahm, der auch nicht freiwillig zu ihr zurück wollte, stand ich auf und wollte zurückgehen, um jetzt noch einmal nach dem Weg zu fragen. Doch die Kleine hielt mich schon am Gatter wieder fest und zog mich diesmal noch ein Stück weiter um das Haus. Hier befand sich eine Scheune in die sie mich zog und in der viele Katzen herum liefen. Auch hier gab es Junge und ihr Spiel begann von vorn.
Die Kätzchen verhielten sich ganz anders, das eine biss mir sofort spielerisch in die Finger, das nächste stupste mich mit ihren weichen Pfoten an und wollte mich zum Spiel auffordern, wieder ein Neues putzte mir die Hand. Doch auch das fünfte und letzte der Kätzchen, was sie mir auf die Hand setzte, ging nicht zu ihr, ohne dass sie es nahm und jetzt…jetzt lächelte sie mich zum ersten Mal ganz offen an.
Ein Lächeln, das mir voller Wärme entgegen strahlte und mir jetzt erst klar machte, dass ihr Blick unsagbar traurig war. Eine Traurigkeit, die auch bei diesem Lächeln nicht gänzlich verschwand…irgendwie lächelte sie daran vorbei und trotzdem wärmte dieses Lächeln mein Innerstes.
„Gehen wir jetzt zurück?“ fragte ich sie, als sie erneut meine Hand griff und ich gerade noch die letzten Spuren dieses Lächelns mitbekam und sah, wie sie schrecklich zaghaft nickte.
Diesmal war es mir nicht mehr unangenehm und es fühlte sich auch nicht mehr komisch an, behutsam umschlossen meine Finger ihre kleine Hand und ich genoss es fast ihre zarten Finger zu halten.
Kurz bevor wir an dem Lager ankamen, löste sich die Kleine von mir und lief zu Anna, um bei ihr auf den Schoß zu klettern, also war sie wohl scheinbar ihre Tochter, schloss ich daraus.
Meine Augen suchten Maik, als sie ihn nicht auf seinem alten Platz erblickten, doch ich fand ihn nirgends.
„Maik musste noch mal eben weg.“ Erklärte mir Anna, als ich das Mädchen eingeholt hatte und neben den Beiden stand. „Setzt dich doch einfach noch eine Weile, es dauert nicht lange und er kann dir wirklich am Besten den Weg beschreiben.“ Auf Grund der angefangenen Wegbeschreibung von vorhin, glaubte ich ihr das gerne. Ich hatte sie, bis zu dem Punkt an dem die Kleine mich abgelenkt hatte, noch gut in meinem Kopf und das war nicht gewöhnlich für mich, so etwas vergaß ich normal schnell wieder, wenn ich es nicht schon gefahren war.
Ich setzte mich also wieder auf den Stuhl und nahm dankend das Bier, das Anna mir anbot. Eins konnte ich ruhig trinken, dachte ich zumindest.
Plötzlich kletterte die Kleine von Annas Schoß herunter und kam auf mich zu. Ich dachte schon, sie würde mich wieder zu ihren Tieren bringen wollen, doch sie tat etwas, was mich erneut völlig unsicher machte. Sie kletterte auf meinen Schoß und kuschelte sich auch noch an meine Brust. Ich wusste nicht wohin mit meinen Händen, wie sollte ich mich jetzt bloß verhalten?
„Sie mag dich.“ Hörte ich Anna sagen und irgendwie legte ich jetzt doch eine Hand zögerlich auf den Rücken der Kleinen, was bewirkte, dass sie sich noch dichter an mich schob. „Wie heißt sie?“ fragte ich Anna, auch wenn ich es eigentlich etwas ungeschickt fand sie nicht selbst zu fragen…ich wusste ja gar nicht, ob sie nun sprechen konnte, oder nicht.
„Marei“
Anna fragte mich ein paar Dinge über Finnland, wollte wissen, wo ich aufgewachsen war und gelebt hatte, während ich spürte, dass Marei immer ruhiger auf mir wurde. Irgendwann war ich mir sicher, dass sie schlief. Mittlerweile genoss ich ihre kindliche Wärme auf mir und nichts daran fühlte sich mehr komisch an, im Gegenteil. Das hier hatte etwas ganz besonderes und ich fühlte mich irrsinnig wohl. Was allerdings nicht nur an Marei lag.
Auch Anna verhielt sich mir gegenüber, als würde sie mich sehr mögen und irgendwann, als auch immer wieder einer der anderen etwas von mir wissen wollte, oder irgendwas zu erzählen hatte….ich fühlte mich, als würde ich zugehören zu dieser geselligen Runde.
Nur eins machte mich zeitweise etwas nervös, ein schwarzhaariger Typ, der nur ein paar Plätze weiter saß. Er sprach zwar mit mir wie alle anderen, gab mir genauso das Gefühl, dass ich ihm nicht unsympathisch zu sein schien, doch sein Blick hatte etwas, was ich nicht deuten konnte. Sah er zu Marei, oder sah er mich so oft an? Es schien ihm nicht zu gefallen, dass sie auf meinem Schoß war.
Als Marei ihre Position auf mir veränderte und sich auf meinem Schoß drehte, schien Anna bewusst zu werden, dass sie immer noch auf mir schlief, jedenfalls rief sie einer zierlichen Person zu „Janette, kannst du bitte Marei ins Bett bringen?“ Für mich klang es eindeutig wie eine fragende Bitte, doch diese Janette schien es ihrem Blick nach, anders zu empfinden. Sauer sah sie Anna an, so als hätte diese ihr etwas aufgetragen, worüber sie lautstark hätte protestieren können, aber sie ihre Worte mit größter Schwierigkeit hinunter schluckte.
Sie kam auf mich und Marei zu und ich fragte mich, ob ich sie auch als weiblich erkannt hatte, wenn ich nicht ihren Namen gehört hätte.
Wahrscheinlich hätte ich gerätselt, ihre Statur glich eher der eines zarten jungen Mannes und ihre sehr kurzen dunklen Haare machten sie nicht weiblicher.
Man sah ihr an, dass sie Marei am liebsten hart gepackt hätte und sie sich zusammenriss ihren kleinen Körper sanft von meinem zu ziehen. Am liebsten hätte ich ihr vorgeschlagen Marei in ihr Bett zu tragen, doch das stand mir nicht zu und Anna würde schon wissen was sie tat, schließlich ging es um ihre Tochter.
Ich fühlte mich irgendwie kalt, als Mareis Wärme von meinem Schoß verschwand und plötzlich bemerkte ich auch, dass es langsam begann dunkel zu werden. Es wurde jetzt wirklich Zeit weiter zu fahren. Auch wenn es nicht so sehr weit war zum Gasthof, die Dunkelheit würde mein Müdigkeitsgefühl, dass sich in schnellen Schritten zu der Schwere meiner Glieder gesellte, nicht verbessern und das Bier schien auch stärker zu wirken als gewöhnlich.
„Könnte mir nicht auch jemand anders den Weg beschreiben? Ich glaube ich müsste langsam los.“ Wand ich mich an Anna.
„Maik sollte längst wieder hier sein, ich versteh das auch nicht.“ Erwiderte sie und wollte gerade noch etwas sagen, als ihr Handy piepte.
„Er ist aufgehalten worden.“ Erklärte sie mir nach dem Gespräch. „Er sagt er brauch auch noch ne Weile, aber ich wollte dir eben schon vorschlagen die Nacht hier bei uns zu verbringen. Es ist Platz genügend da. Am besten frag ich mal Vivian, ob er dir Merles Zimmer überlässt. Sie kommt eh erst in zwei Wochen wieder.“
Ich wollte gerade ablehnen, auch wenn der Vorschlag verlockend klang, aber es war nicht meine Art fremden Menschen zur Last zu fallen, als Anna Vivian zu uns rief und der dunkelhaarige zu ihr kam, der Marei und mich ständig angesehen hatte.
Die Art, wie er mir bestätigte, dass ich die Nacht gern bei ihm in der Wohnung verbringen könnte, beseitigte alle meine Zweifel. Er ließ absolut gar nichts von den Blicken spüren, die mich ihm gegenüber noch vor nicht langer Zeit verunsichert hatten. Ich hatte sogar das Gefühl er freute sich darüber, dass ich hier bleiben würde.
Ich nahm also das Angebot dankend an, genau wie das zweite Bier, das diesmal Vivian mir in die Hand drückte, der sich auf Maiks Platz gesetzt hatte und auch nicht den Anschein machte wieder davon runter zu gehen.
Auch als Maik nach fast einer Stunde wieder auftauchte, blieb Vivian dort sitzen und ich freute mich darüber das Gespräch mit ihm weiter zu führen, in das wir gemeinsam mit Anna vertieft waren.
Diese Geselligkeit, die hier in der Runde herrschte war mir irgendwie fremd und doch so vertraut…ich fühlte mich unsagbar wohl hier, auch wenn die Atmosphäre etwas hatte, was ich einfach nicht so kannte. Es lag eine Harmonie in der Luft, die auch Spannungen enthielt…Spannungen, die aber scheinbar nichts zerstören konnten.
Ich spürte so eindeutig die Verbindungen, die diese Menschen hier zusammen hielt, auch wenn sie voll war von vielleicht sogar unausgesprochenen Dingen, sie lagen zwar auf ihnen, aber sie störten nicht ihre Zuneigung zueinander.
Ich fragte mich gerade, wieso ich all das spürte und ob ich mir das nicht einfach nur einbildetet, ich kannte schließlich niemanden hier und nichts war wirklich greifbar für mich…konnte es ja auch gar nicht und trotzdem…trotzdem war da was. Als Vivian mir anbietend, aber zögernd einen Joint hinhielt…Drogen? Ja, das passte irgendwie zu der Runde, aber bevor ich mir darüber Gedanken machen konnte, galt es erstmal zu entscheiden, wie ich mich jetzt verhalten sollte. Für einen Augenblick war ich tatsächlich geneigt ihm das Ding aus den Fingern zu nehmen…einfach aus einer Laune heraus, doch dann erinnerte ich mich an meine lange zurück liegenden „Erfahrungen“ mit dem Zeug und ich schüttelte zaghaft den Kopf.
Als wäre es das normalste auf der Welt reichte Vivian die tütenartige Zigarette an Anna weiter und fuhr das Gespräch fort. Ich hörte ihm zu, doch ich war erschreckt über mich selbst…ich hatte tatsächlich gezögert. War alles längst so verblasst in meinem Kopf, oder war es tatsächlich mittlerweile so, dass ich begriffen hatte, dass es damals nicht die Drogen waren, die mir meinen Freund nahmen?
Scheiße ja…ich wusste längst, dass ich es begriffen hatte. Es waren nicht die Joints, sondern einfach der Lauf der Zeit und meine Dummheit gewesen.
Unsere gesamte Kindheit hatten Taito und ich zusammen verbracht, hatten gemeinsam Musik gemacht und plötzlich hatte er sich verändert, er zog mit Leuten rum, mit denen ich so gar nichts anfangen konnte…alles drehte sich nur um Hasch und Partys. Auch für Taito gab es nichts anderes mehr und dann diese blöde Silva, die ständig um ihn herumschwänzelte…Gott ich hasste sie, sie und diese scheiß Drogen entfremdeten mir meinen besten Freund. „Die Musik bekommt eine ganz andere Wirkung.“ Hatte er zu mir gesagt, hatte mich immer wieder aufgefordert es auch zu versuchen, doch ich wollte nichts davon wissen…wollte irgendwann nichts mehr von ihm wissen. Ich war einfach zu sehr verletzt darüber, dass er diese ganzen Spinner mir vorzog.
Unsere Freundschaft zerbrach völlig und wir gingen verschiedenen Wege und bis heute gab ich den Drogen daran Schuld…ich hatte sie immer abgelehnt, auch wenn sie mir des Öfteren noch begegnet waren…man traf überall Menschen, die einen damit in Berührung brachten, doch ich hatte nie gezögert abzulehnen, bis heute.
Was ich allerdings zugeben musste, die Cliquen in denen Drogen konsumiert wurden, hatten mich abgesehen von der in der Taito damals war, durchgehend alle auf eine eigene Art fasziniert. Irgendwie lag immer etwas Besonderes in ihnen und die Menschen hatten eine anziehende Aura für mich, ich wusste, dass das nicht an den Drogen lag und doch war es ein Grund warum ich heute gezögert hatte. Für einen Augenblick hatte ich so sein wollen wie sie…wie alle diese Leute, die so etwas Eigenes an sich hatten und außerdem war ich neugierig darauf…scheiße ja, ich wollte wissen wie es sich anfühlte berauscht zu sein. Das Einzige was ich kannte war der Rausch durch Alkohol, doch dass der ganz anders war, das zeigte ja allein schon das Verhalten, was man dann an den Tag legte.
Das Erblicken des Joints hatte mir einen kleinen Teil der Anziehung erklärt, die diese Leute hier auf mich ausübten, weil es einfach immer so war, doch hier gab es eine Stärke, die auch dadurch für mich unerklärlich blieb…insbesondere Marei…noch nie hatte mich ein Kind so in den Bann gezogen und je mehr ich darüber nachdachte, je stärker wurde das Gefühl, sie noch einmal wieder sehen zu wollen…ein Kind, ich verstand mich selbst nicht, doch die Hoffnung allein, ihr vielleicht morgen früh noch einmal zu begegnen, hatte mich stark darin beeinflusst das Schlafplatzangebot anzunehmen.
Ich empfand den Abend als richtig wundervoll und fragte mich, als ich in dem fremden Bett lag, wann ich das letzte Mal soviel Spaß gehabt hatte wie heute…es fiel mir nicht ein und mir wurde bewusst, wie trostlos mein Leben in den letzten Wochen und Monaten verlaufen war…ich jagte etwas nach, von dem ich mir Erfolg erhoffte, doch in dieser ganzen Verbissenheit hatte ich vergessen was es hieß zu leben.



Ungewöhnlich schnell hatte ich gestern Abend in einen traumlosen Schlaf gefunden, was sicherlich an den drei Bieren lag…mit Alkohol im Blut schlief ich immer recht gut ein…zumindest schob ich es am nächsten Morgen darauf, doch bis ich daran denken konnte, passierte noch ungewöhnlicheres.
Kaffeeduft und das Gefühl nicht allein zu sein weckte mich…war Lena etwa schon wach…ach scheiße, eine Lena gab es ja gar nicht mehr in meinem Leben und schon gar nicht in meinem Bett…Moment, ich hatte auch kein Bett. Die Erinnerung daran wo ich war, ließ mich umgehend meine Augen öffnen und ich sah direkt in das Gesicht des Mannes, dem die Wohnung hier gehörte.
„Guten Morgen.“ Lächelte er mich an, mit einem Lächeln, dass mir gestern schon an ihm aufgefallen war…keine Frau konnte so süß lächeln, wie dieser Typ…so frech und lieb zugleich, mit etwas darin, das mich nicht wegsehen ließ und in diesem Moment glaubte ich so ein Lächeln schon mal an jemandem anderes gesehen zu haben, doch ich wusste nicht wo und an wem.
Die Situation ließ auch gar nicht zu, dass ich mir darüber den Kopf zerbrechen konnte, denn zu dem Wohlgefühl, das mich hier auf diesem Hof umgab, gesellte sich in ihr etwas Peinliches. Diesen Kaffee, den er mir jetzt zwar grinsend vor die Nase hielt…ich empfand es nicht als normal, dass mir ein fremder Mann einen Kaffee ans Bett brachte…so nett es auch von ihm gemeint sein mochte, so komisch kam es mir vor.
„Ich…äh…danke.“ Stotterte ich nur und nippte an der dampfenden Flüssigkeit…Himmel war der Kaffee heiß…ich konnte nicht durch trinken den Blick von Vivian abwenden, also konzentrierte ich mich darauf das heiße Getränk kälter zu pusten.
Warum war er hier zu mir gekommen? War die Frage, die mir durch den Kopf ging, natürlich stellte ich sie nicht…eine Antwort bekam ich trotzdem, eine die meine Unruhe darüber etwas abschwächte.
„Entschuldige, dass ich dich hier so einfach überfalle…bitte….ich wollte nur, also…“ er stockte und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ihm die Situation noch unangenehmer war als mir.
„Is schon gut.“ Beruhigte ich ihn, zog aber trotzdem die Decke wieder ein Stück höher, die von meiner Brust gerutscht war, weil ich den Eindruck hatte, er würde genau auf meine nackte Haut starren. Da konnte ich mir noch so oft sagen, dass es Blödsinn war, das Gefühl war einfach vorhanden und vielleicht stand er ja auf Männer, ich wusste schließlich nichts über ihn…na und wenn schon…ich schüttelte leicht meinen Kopf, um in die Situation zurückzufinden.
„Du hast was auf dem Herzen, hab ich recht?“ schoss ich einfach mal aus der Hüfte, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, was jemand von mir wollen könnte, der mich nicht einmal kannte und das direkt noch vor dem Aufstehen.
„Ich wollte unbedingt kurz mit dir allein sprechen…ich bin mir sicher, dass gleich entweder Anna oder Marei kommen, um dich zum Frühstück zu holen und ich weiß ja nicht, wann du wieder gehst…also ich…du…ich meine Marei war gestern mit dir bei ihren Tieren, stimmts.“ Fragte er und es klang völlig unsicher.
Warum wollte er das wissen und was machte ihn so unsicher?
Jetzt war es mir überhaupt nicht mehr peinlich oder unangenehm hier mit ihm zusammen zu sein, es tat mir einfach nur Leid zu sehen, wie ihn scheinbar irgendetwas bedrückte, aber was hatte das mit Marei und den Tieren zu tun?
Ich bekam immer mehr das Gefühl alles über diesen Hof und seine Menschen erfahren zu wollen und ich bedauerte etwas, hier wahrscheinlich nie jemanden wieder zusehen.
„Stimmt“ sagte ich nur, weil ich dem einfach nichts hinzuzufügen wusste, was sollte ich weiter sagen?
„Magst du mir erzählen wie das abgelaufen ist?“
„Ja, klar“ war ich bereit dazu und tat es auch gleich, erzählte ihm alles, was am Vorabend mit Marei und den Hasen und kleinen Katzen geschehen war.
„Ich möchte zu gern wissen, was ihr Vertrauen erweckt hat, aber das gibt mir jetzt auch nicht wirklich Aufschluss, was hast du getan, da muss doch etwas gewesen sein?“ Sagte Vivian verständnislos und ich spürte die Verzweiflung darin.
Das war es also, er wollte irgendwie Mareis Vertrauen auch für sich gewinnen, deswegen wohl auch die Blicke gestern Abend…ob er wohl in Anna verliebt war? Wahrscheinlich war es so, klang für mich plausibel und ließ mich etwas verstehen.
„Nein, es war weiter nichts, aber vielleicht war es das Verhalten der Tiere…ich mag Tiere, weißt du und vielleicht wollte sie sehen, ob die Jungen Angst vor mir hatten.“
„Aber…“
In diesem Moment klopfte es an der Wohnungstür und Vivian stand seufzend vom Bett auf. Warf mir noch einen undeutbaren Blick zu und verschwand aus der Zimmertür, an der es nach wenigen Minuten klopfte und ich Anna leise „Theon?“ rufen hörte. „Komm rein“ rief ich zurück, ich hatte die Zeit genutzt, um mich schnell anzuziehen und war gerade dabei meine Tasche wieder zu schließen. „Magst du mit uns frühstücken?“
„Gern, ich müsste nur noch schnell ins Bad.“
„Komm einfach rüber, wenn du soweit bist.“ Sagte sie und drehte dann den Kopf zu Vivian, der wohl hinter ihr stand, sehen konnte ich ihn nicht. „Und du kommst auch mit Viv.“ Ihre Stimme hörte sich an, als duldete sie den Widerstand nicht, den sie erwartete.
Doch von Vivian kam nur „Ja, ja, mach ich.“
Ich nahm die Tasche, die ich fürs Bad brauchte und ging ein Stück hinter Anna her und während sie die Wohnung verließ, verschwand ich hinter der Badezimmertür.
„Und du hast wirklich nicht irgendetwas getan, irgendwas, was sie dich so schnell mögen lässt?“ überfiel mich der dunkelhaarige erneut, als ich zurückkam.
„Nein, jedenfalls nichts, was ich irgendwie beeinflusst hätte, nichts Greifbares…ich weiß es nicht…echt nicht.“ Beteuerte ich und hätte ihm eigentlich gern etwas anderes gesagt, etwas, was ihm helfen konnte, doch es war ja nun einmal so.
Er seufzte tief und ich hatte fast das Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen, als er traurig sagte „Na dann, lass uns rüber gehen.“
Marei begrüßte mich mit ihrem wundervollen Lächeln und sie ging sogar noch einen Schritt weiter, sie stand dicht an meinen Beinen und reckte die Arme zu mir hoch…ganz deutlich wollte sie, dass ich sie hochnahm.
Eine Art schlechtes Gewissen nagte in diesem Moment an mir, geprägt von dem vergangenen Gespräch…ich sollte vielleicht…doch dann sah ich dieses lächelnde Kind, das sich scheinbar wünschte auf meinen Arm zu kommen und ich entschied mich…für sie.
Behutsam zog ich ihren leichten Körper an meinem hoch und trug sie in die Wohnung.
„Du warst schon Brötchen holen?“ hörte ich Vivians Stimme hinter mir, als ich Marei wieder auf den Boden setzte.
„Nein, die hat Maik vorbeigebracht, als Entschädigung für Theon, weil er gestern einfach so weg war und ihm den Weg nicht weiter beschrieben hat. Er sagte im Gasthof hätte er ja auch ein ausgiebiges Frühstück bekommen. Ich glaube er hat ein leicht schlechtes Gewissen.“
„Blödsinn“ warf ich sofort ein „Ich hätte es doch nicht besser haben können, ich war tatsächlich irgendwie froh nicht weiterfahren zu müssen, wer weiß, ob ich den Weg gestern Abend mit seiner Beschreibung gefunden hätte.“
„Och, er kann sich ruhig gern mal ein paar Gedanken machen, das tut ihm sicher gut und außerdem…“ grinste Anna „Haben wir so, frische Brötchen. Setz dich.“
Während wir zu viert frühstückten unterhielten wir uns über ziemlich belanglose Dinge und trotzdem empfand ich es als ein besonderes Frühstück, vielleicht lag es daran, dass ich schon Ewigkeiten keine nette Gesellschaft mehr während eines Essens hatte. Es schien sogar, als schmeckte hier alles deutlich besser und ich aß mehr als gewöhnlich.
„Wohin wird dich dein Weg jetzt führen?“ fragte Anna mich, ihre Augen waren dabei aber auf Marei gerichtet, die die meiste Zeit mich ansah, während sie ihre Marmelade mehr in ihrem Gesicht verteilte, als in ihrem Mund. Süß sah es aus, wie sie rot beschmiert in ihr Brötchen biss.
Ich hatte gestern Abend davon erzählt, dass ich schon Tagelang unterwegs war und auch das Thema Lena hatte ich kurz angeschnitten.
„Ich will nach Hamburg.“ Erklärte ich ihr „Vor ein paar Monaten hab ich bei einem Auftritt jemanden von dort kennen gelernt und er gab mir seine Adresse mit den Worten, ich solle ihn doch mal besuchen und das werde ich jetzt einfach mal tun, vielleicht kann er mir weiter helfen.“
Während ich Anna antwortete, beobachtete ich, wie Vivian versuchte Marei mit einer Serviette den Mund zu säubern, nachdem sie das Brötchen aufgegessen hatte. Marei drehte den Kopf weg und ihr Körper wirkte fast wie versteinert, auch als Vivian nun ihr das weiße Tuch vor die Finger hielt, damit sie es selbst machen könnte, reagierte sie einfach nicht.
„Ich hab noch was zu erledigen.“ Stand er daraufhin auf und ging ohne weitere Worte aus dem Raum, deutlich war ihm anzusehen, dass Mareis Verhalten ihn verletzt hatte.
Als Vivian verschwunden war, stand Marei von ihrem Platz auf und hielt mir das weiße Tuch hin, während sie auffordernd ihr Gesicht in meine Richtung drehte und ganz still hielt. Ich fühlte mich zwar äußerst komisch, doch ich kam ihrer Aufforderung nach und wischte ihr behutsam dem Mund ab, während ich hörte, dass Annas Mund ein verzweifelt klingendes Seufzen entwich.
Oh man, hier schien tatsächlich etwas ganz schief zu laufen.
„Was machst du denn…also ich meine….du sagtest eben etwas von einem Auftritt?“ knüpfte Anna jetzt an meine Aussage von vorhin an und Marei verließ hüpfend den Raum.
„Ich singe in einer Band…also ich hab…bis vor kurzem, es hat alles nicht so geklappt wie es sollte und es gab zum Schluss nur noch Stress und letztendlich sind wir dann auseinander gegangen.“
Anna sah mich mit aufgerissenen Augen an, als hätte ich ihr gerade unerwartet einen großen Wunsch erfüllt, doch bevor ich ihr Gesicht realisieren konnte, platzte jetzt wo Marei weg war die Frage aus mir heraus, die schon seit gestern in mir nagend nach einer Antwort suchte.
„Sie spricht tatsächlich kein Wort, oder…ich mein…also…“
Gott Theon, du bist so taktvoll…klopfte ich mir innerlich gegen die Stirn und als Annas Gesicht auf meine ungeschickt formulierte Frage hin in tiefste Traurigkeit wechselte, hätte meine Hand am liebsten noch ganz andere Sachen mit mir gemacht…moah ich war echt ein Trampel.
Entschuldigend sah ich sie an, doch sie schien es gar nicht wahr zu nehmen…mich gar nicht mehr wahr zu nehmen…ihre Augen blickten leer auf den Tisch, aber ihr Mund begann zu sprechen.
„Nein, sie spricht kein Wort. Aber das war nicht immer so, bis kurz vor ihrem dritten Geburtstag hat sie geplappert was das Zeug hält. Für eine Dreijährige hatte sie einen ungewöhnlichen Wortschatz…doch dann geschah es. Weißt du, sie hat ihre Mutter geliebt, wie kein anderes Kind…also was ich sagen will, sie liebte niemanden anders…zumindest kam es einem immer so vor…die beiden waren. Gott sie waren…“
Anna schluckte immer wieder und schien nach passenden Worten zu suchen und ich traute mich nichts zu sagen…sie war also nicht ihre Mutter, aber was war mit ihrer Mutter passiert und in welchem Verhältnis stand Anna zu ihr? Tausend Fragen fuhren durch meinen Kopf, doch es war nicht der Zeitpunkt, um sie zu stellen…soviel Takt besaß ich dann doch.
„Alina, meine Schwester…sie hat sich mit dem Auto überschlagen, sie wollte einem Hund ausweichen, der plötzlich über die Fahrbahn lief. Vivian fuhr hinter ihr…er hat versucht…er hat alles gesehen…oh Gott du verstehst bestimmt kein Wort…entschuldige Theon, aber es fällt mir noch immer so schwer darüber zu reden, auch wenn es jetzt schon fast ein halbes Jahr her ist, dass meine Schwester gestorben ist.“
Ich strich ihr beruhigend über den Rücken „Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen…und wenn du nicht drüber reden magst, dann ist das natürlich okay. Ich meine, wir kennen uns ja auch fast gar nicht.“
„Doch, es tut gut mal drüber zu reden, auch wenn es schwer ist…hier ist das ja irgendwie ein Tabuthema…ich mag dich Theon und du hast einen ganz besonderen Draht zu der Kleinen…Gott für sie ist es doch am schlimmsten…wo ihre geliebte Mama nie wieder kommt.“ Sie sprach leise, aber ich konnte sie trotzdem gut verstehen „Marei war hier bei mir. Damals wohnte ich in der Wohnung, in der jetzt Vivian lebt und ich bin hier rüber zu Marei um ein paar Stunden auf sie aufzupassen. Alina hatte gerade ein neues Auto gekauft und war mit Vivian losgefahren um es abzuholen…auf dem Weg zurück, lief ihr wie gesagt ein Hund vor das Auto, sie wich aus und verlor die Kontrolle. Ich spielte gerade mit Marei Karten, als Vivian….voller Blut…Alinas Blut, hier rein kam. Ich werde niemals seinen versteinerten Blick vergessen, als er mir sagte, dass Alina tot sei.“
Sie machte eine kurze Pause und trank von ihrem Kaffee „Marei lief weinend in ihr Zimmer, sie hatte es ja gehört…oh Gott ich hätte Viv in dem Moment umbringen können…doch ich musste doch Marei nach…ich wusste nicht einmal was passiert war…ich konnte ihr nichts sagen. Irgendwann nahm ich das Telefon und rief alle Bewohner hier an, einige kamen hier her und versuchten mir mit Marei zu helfen, andere versuchten zu Vivian zu kommen, der sich in der Wohnung drüben eingeschlossen hatte, doch er ließ niemanden an sich heran. Tagelang blieb er dort, kam nicht mit zu Alinas Beerdigung und kümmerte sich nicht um sein Kind.“
„Vivian ist Mareis Vater?“ musste ich sie jetzt einfach unterbrechen…oh Gott. Mich erschütterte ihre Erzählung schon zutiefst, aber dass Vivian Mareis Vater war, machte die Situation von heute Morgen…einfach nur schrecklich für mich.
„Ja und er hat Alina mehr geliebt als sein Leben, sie war sein ein und alles…so lange ich denken kann, waren die beiden zusammen…eigentlich war es schon in frühester Kindheit klar, dass die Beiden einmal heiraten würden. Nur mit Marei…er kam nie ganz mit der Bindung klar, die Alina und Marei bildeten, es war offensichtlich, dass er sich manchmal sehr neben dran fühlte…na ja jedenfalls hat er irgendwann begriffen, dass Marei das einzige ist, was ihm von ihr geblieben ist, etwas sehr, sehr wertvolles. Ein eigenes lebendiges Wesen, das seine Tochter ist, die er lieben und beschützen sollte…doch es war zu spät…Marei lehnt ihn ab…manchmal hab ich das Gefühl, sie fürchtet sich vor ihm.“
„Und sie spricht seit dem nicht mehr?“
„Kein Wort, genau von dem Moment an, als Vivian hier hereinkam. Ich war schon bei den verschiedensten Ärzten, doch Marei redet auch dort kein Wort, sie haben mir gesagt ich solle abwarten…wir gehen regelmäßig zu verschiedene Therapien, doch bis jetzt hat ihr nichts geholfen…du bist der erste, bei dem sie seit Alinas Tod so, ich sag mal, zutraulich ist…sie geht allen Menschen aus dem Weg und vor allem Vivian.“
Unser Gespräch wurde unterbrochen, als Marei wieder hereinkam, doch es entstand keine bedrückende Stille, Anna knüpfte sofort an ein anders Thema an. „Du fährst also direkt nach Hamburg und willst dort bei deinem Bekannten wohnen? Bist du denn sicher, dass er dich aufnimmt…ich meine, wenn er vielleicht gar nicht zuhause ist…was ich sagen will, das Zimmer in dem du heute Nacht geschlafen hast, es steht dir noch zwei Wochen zur Verfügung wenn du magst. Von hier nach Hamburg ist es nicht sehr weit, Christian fährt jeden Tag zwischen und…ich denke er könnte dich sogar mitnehmen, also ich weiß ja nicht, was du dort vorhast.“
„Zuerst mal muss ich mir irgendwie einen Job suchen, ich bin mit meinen letzten Reserven unterwegs und es ist leider nicht viel…um genau zu sagen, wird es langsam Zeit, dass ich irgendwie ein wenig verdienen kann, ansonsten muss ich mich irgendwo in die Einkaufsstrasse stellen und betteln.“ Lachte ich, obwohl es gar nicht so witzig war, sondern traurig ernst den Tatsachen entsprach. „Ich hoff einfach mal darauf, dass Sven mich aufnimmt und mir vielleicht sogar bei der Jobsuche helfen kann. Wissen tu ich es aber nicht, ich hab lediglich seine Adresse und keine Telefonnummer, die war auch nicht herauszubekommen so auf die Schnelle und ich hab mich entschlossen ihn einfach auf blauen Dunst aufzusuchen. Ich…“
„Pass auf, ich mach dir einen Vorschlag und denk nicht, dass ich dir einen Gefallen tun will. Ich merke, dass du Marei gut tust und sie dich sicherlich gern um sich hätte.“ Sie sah zu Marei, die wie eine Antwort auf meine Beine kletterte und ihre Arme um mich legte. „Merle kommt erst in zwei Wochen wieder und auch dann nur für eine Nacht. Es wird nicht mehr lange dauern und sie geht ganz zu ihrem Freund, sie nimmt jetzt schon jedes Mal Sachen mit, die beiden haben bereits eine gemeinsame Wohnung gefunden, die aber erst in den nächsten Wochen frei wird. Wie dem auch sei, du kannst hier wohnen, dann sparst du dir erstmal die Wohnungssuche und kannst dich auf einen Job konzentrieren…sowieso bekommst du den ja eh nur, wenn du einen Wohnsitz vorzeigen kannst, du kannst dich hier anmelden.“ Schlug sie mir vor.
„Du könntest morgens mit Christian in die Stadt fahren, dich um einen Job bemühen und dann abends wieder mit ihm zurück. Solange du nichts hast, brauchst du hier auch nichts zahlen und wenn du etwas gefunden hast sehen wir weiter, entweder nimmst du dir dann woanders eine Wohnung, oder du übernimmst solange du willst Merles Zimmer. Ich gebe zu, dass mein Gedanke nicht uneigennützig ist, als Gegenzug könntest du den einen oder anderen Abend bei Marei bleiben, dann könnte ich mal wieder ein paar Freunde besuchen.“ Sagte sie und als Marei erneut aus dem Zimmer lief, fügte sie leise hinzu „Versteh das bitte nicht falsch, ich liebe Marei mittlerweile wie meine eigene Tochter, aber manchmal vermiss ich es sehr zumindest ein wenig unabhängig sein zu können und bei Vivian oder Janette bleibt sie nur sehr ungern.“
„Das klingt ja sehr verlockend.“ Gab ich zu „Aber was sagen Vivian und Christian dazu?“
„Ich bin mir sicher, dass beide einverstanden sind, aber wenn du nichts dagegen hast, dann hol ich sie schnell und wir fragen sie.“
„Einverstanden“ lächelte ich Anna an und es kam mir irgendwie vor, als hätte mich der Himmel hier her geschickt und ich wünschte mir komischer Weise hier in diesem Moment nichts sehnlicher, als auf diesem Hof zu bleiben.
Als Anna hinausging, dauerte es nur einen kurzen Augenblick, bis Christian das Zimmer betrat. „Hi“ begrüßte er mich freundlich und bediente sich hungrig erscheinend an dem Frühstück.
„Moah Viv, jetzt reiß dich doch mal zusammen. Wie soll das denn bitte weiter gehen, jetzt denk verdammt noch mal an deine Tochter.“ Hörte ich Anna auf dem Flur schimpfen und bekam sofort das Gefühl, dass Vivian nicht einverstanden damit war, dass ich hier bleiben wollte. Dass Anna ihn grob am Pullover in den Raum zog machte es nicht besser und ich hatte bereits auf den Lippen, dass ich umgehend nach Hamburg fahren würde.
Doch Anna kam mir zuvor „Also Leute, Theon wird zumindest vorerst bei uns bleiben und in Merles Zimmer wohnen…“ sie sah einen Wimpernschlag lang streng in Vivians Gesicht „Er wird tagsüber in Hamburg nach Arbeit suchen, du kannst ihn mitnehmen Christian und wenn er einen Job hat entscheidet er, ob er das Zimmer übernimmt, oder woanders hingeht.“ Stellte sie die Männer vor vollendete Tatsachen und handelte damit so gar nicht nach meinem Sinne, was sich auch in meinem entsetzten Gesicht ausdrücken musste, das sich allerdings schlagartig in Erstaunen wandelte, als Vivian mich strahlend ansah…da war es wieder dieses Lächeln und jetzt war mehr als klar, wo ich es schon einmal gesehen hatte. Das Lächeln der kleinen Marei funkelte mir aus seinem Gesicht entgegen, nur dass es von ihm, einem erwachsenen Mann eine ganz andere Wirkung hatte.
„Du bleibst?“ fragte er mich und die Freunde darin konnte nicht deutlicher sein, aber….war er ein so guter Schauspieler? Eben noch erschien es mir doch so, als wenn ihm gar nicht passte dass ich blieb, oder warum hatte er sich Anna gegenüber so gesträubt?
„Äh…ja, also…wenn ihr nichts dagegen habt…ich meine…“ stotterte ich unsicher.
„Quatsch“ warf Vivian dazwischen „Mir geht es eh auf den Keks so allein in der Wohnung zu sein…ich finde es toll.“
„Joah, ich auch.“ Sagte Christian „Und dich mitzunehmen ist auch überhaupt gar kein Problem, denn hab ich endlich jemanden, der verhindern kann, dass mir morgens die Augen zu fallen. Im Moment stell ich die Musik so laut, dass ich alle Leute in den Häusern wecken muss…is irgendwie nicht so prickelnd.“ grinste er mich an.
Und jetzt endlich konnte auch ich das Grinsen nicht mehr aufhalten, verdammt ich freute mich total auf diesem Hof bleiben zu können.

herrlich
vivian tut mir schon leid so von seiner eigenen tochter gemieden zu werden is sicher der horror. .
will nur wissen was genau die kleine so gegn ihn hat. .
denkt sie etwa das viv an dem tod ihrer mutter schuld ist. .??
und wieso hängt sie sich so an theon und wieso freut sich viv so über theons bleiben, ,
hach so viele fragen kreisen in meinen kopf. .
schnell weiter

euch
„Ach und Viv, bevor ich es vergesse.“ Grinste Anna plötzlich in Vivians Gesicht „Theon hat in einer Band gesungen.“
„Du singst?“ sahen mich die Augen an, die mich jetzt plötzlich ganz stark an die von Marei erinnerten und als ich nickte, hatte ich fast das Gefühl als sei er hin und her gerissen, doch ich verstand absolut nicht warum. Erst sah es so aus, als wolle er mir seine Hand hinhalten, doch dann zog er sie doch an seinen Körper zurück und verschwand einfach aus dem Raum.
Anna sah ihm nach und sie erschien mir völlig erstaunt, erstrecht, als sie jetzt Christian ansah und fragte „Wenn er das jetzt wirklich tut, was ich denke, das er tut…Oh Gott Christian, ich glaube Theon wurde uns direkt aus dem Himmel geschickt.“ Und als Vivian schon ein paar Sekunden später mit einer Gitarre wieder in den Raum kam, flüsterte Christian leise. „Ja, jetzt glaube ich das auch.“
Ich verstand nur Bahnhof, doch immerhin verstand ich, was Vivian von mir wollte, als er sich jetzt neben mich setzte und zu spielen begann…okay, der Song gefiel mir sogar und ich setzte natürlich genau richtig ein, auch ohne Aufforderung zum Vorsingen. Ich wusste zwar nicht was genau er von mir wollte, doch dass er mich hören wollte, war ja mehr als klar.
Ein anerkennender Blick traf mich, als das Stück endete, doch ohne ein Wort kam das Nächste…ich kannte es auch. Nach meinem Text spielte Vivian weiter und ich beobachtete ihn dabei, er schien völlig in eine andere Welt entrückt. Ich wusste wie das war. Wenn ich sang, dann war ich nicht ich, irgendwie und doch war ich es dann mehr, als zu jeder anderen Zeit. Er sah unheimlich glücklich aus in diesem Moment und ich konnte meinen Blick erst von ihm wenden, als seine Hand von der Gitarre ließ.
Erneut verschwand Vivian und ich sah zum ersten Mal, seit er mit der Gitarre in das Zimmer gekommen war, wieder zu Anna.
Ihre Augen schimmerten feucht und auch die Bewegung ihres Armes, der mit dem Stoff ihres Ärmels über ihre Wange fuhr, deutete darauf hin, dass sie geweint hatte. Warum?
„Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass diese Räume hier noch einmal in den Genuss seiner Musik kommen.“ Flüsterte sie und Christian sah man es auch deutlich an, dass er voller Emotionen steckte. „Wenn du wüsstest Theon, wie gut du diesem Haus und uns tust…ich bin so froh, dass du bleibst.“
Ich verstand noch immer nicht wirklich etwas, aber es war gut zu fühlen, dass ich hier genauso willkommen war, wie ich mich hier wohl fühlte. Ich war erst seit ein paar Stunden hier und ich war mir jetzt schon sicher, dass ich solange hier bleiben würde, wie es ging.
„Diese Wohnung hier hat seine Gitarre seit Alinas Unfall nicht gesehen, sowieso vermeidet er es tunlichst hier her zu kommen. Ich kann es ja verstehen, ich hab nicht viel verändert, alles hier erinnert an Alina…er hat hier mit ihr gelebt. Aber Marei braucht doch ihr Zuhause…was hätte ich denn tun sollen?“ seufzte sie „Oh Gott, was für ein Wunder…ich dachte wirklich er würde dich mit rüber nehmen und dann…oh Gott“ jetzt liefen ihr deutlich Tränen die Wangen hinab und ich wollte sie gerade tröstend in den Arm nehmen, als Vivian wieder vor mir stand, mit seinem Handy am Ohr, in das er aufgeregt sprach und einem Helm in der Hand.
Er griff an den Ärmel meines Shirts und zog mich vom Stuhl hoch, während er mit dem Menschen am anderen Ende seines Telefons sprach. „Ja, ja…mach zu, dass du hinkommst. Er ist gut….er ist wirklich gut…bis gleich.“
Er war schon wieder dabei eine neue Nummer zu wählen, als er mich ansah und einfach nur „Komm“ sagte und sich telefonierend aus dem Raum begab. Verwirrt wusste ich überhaupt nicht, was hier gerade abging und ich blieb vorerst stehen und sah ihm hinterher.
Anna schmunzelte mich an, obwohl noch die nassen Spuren der Tränen auf ihrer Haut schimmerten. „Deine Stimme hat ihn überzeugt…geh und fahr mit ihm in den Proberaum. Die Band ist gut….sehr gut sogar, ihnen fehlt nur ein passender Sänger…geh schon.“
Eine Band? Vivian spielte in einer Band und…während der Gedanken, die sich in meinem Kopf überschlugen, stand ich noch einen Augenblick verdattert da, doch dann setzte sich mein Körper irgendwie in Bewegung und ich verließ die Wohnung und auch die große Halle durch die torartige Tür.
Vivian stand bereits mit dem Helm auf dem Kopf neben meinem Baby und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere.
Na denn, ich hatte zwar keine Ahnung wohin ich fahren sollte und schon gar keine worauf ich mich hier gerade einließ, aber ich stieg auf und wartete, bis sein Körper sich hinter meinem platziert hatte.
„Wohin?“ schrie ich neben dem Motorengeräusch und drehte meinen Kopf nach hinten und als Vivian nach rechts deutete, fuhr ich eben einfach in die Richtung. Lange war es her, dass ich jemanden mitgenommen hatte und ich tat es eigentlich auch nicht gern. Das Motorrad verhielt sich einfach fremd, wenn jemand hinter mir saß und die meisten Mitfahrer waren für mich einfach ein Hindernis. Vivian war es nicht, das spürte ich schon bei der ersten Kurve, sein Körper schien mit meinem im Einklang zu sein, es war lediglich sein Leib an meinem, den ich dicht spürte und seine Hände, die an meinen Hüften lagen…kein Gegengewicht…aber trotzdem ließ mich etwas nervös werden, von dem ich nicht wusste was es war.
Gleichzeitig froh und doch irgendwie nicht, war ich als wir an einem anderen Hof ankamen, zu dem Vivian mich gelenkt hatte, sein Arm auf meinem, war es, der mir den Weg beschrieb.
Von hier an ging irgendwie alles noch viel schneller, als es in meinem Leben, seit gestern sowieso schon vor sich ging. Erst nach einigen Stunden verließen wir den Hof wieder und…ich hatte nicht nur drei neue Leute kennen gelernt, Max, Jonah und Paul, sonder auch einen neue Band gefunden.
Erstaunt realisierte ich erst, als wir zurück auf unserem Hof ankamen, wie lange wir überhaupt weg gewesen waren…auf unserem Hof, die drei Worte hörten sich fremd an in meinem Kopf und doch schön….ich hatte ein neues Zuhause…und was für eins. Anna und die anderen saßen wie am Abend zuvor hinter dem Haus, und sofort als wir uns zu ihnen setzten überkam mich das Gefühl einer netten Geselligkeit.
Diesmal waren es nur die Bewohner, nur die Leute, die hier auch lebten und ich nutzte die ersten Stunden des Abends um sie ein wenig näher kennen zulernen. Dort gab es zuerst mal Janette, die junge Frau, die gestern Marei in ihr Bett gebracht hatte. Sie schien die einzige zu sein, die eine kleine Wohnung ganz für sich allein hatte. Dann gab es Hannah und Martin, die ein Paar zu sein schienen. Steffen, Harry und Nico, die eine Männer-WG bildeten und Christian und Johann, die…ja wie ich an diesem Abend beobachten konnte, wohl nicht nur eine Wohngemeinschaft bildeten, sondern auch ein Paar waren. Zumindest schien ihre Beziehung ziemlich innig.
Vivian wich den ganzen Abend nicht von meiner Seite, immer wieder fiel ihm etwas ein, dass er mir zu erzählen hatte. Zum größten Teil ging es um die Band und auch ich hatte hier und dort immer wieder ein paar Fragen, so dass es sich irgendwann so ergab, dass wir beide allein am Feuer saßen und uns etwas von den anderen distanzierten.
Nur um sich immer mal wieder den Joint zu holen, der bei den anderen kreiste, stand Vivian von Zeit zu Zeit auf und jedes Mal erkannte ich einen merkwürdigen Blick von Janette. Fast wie Vivian am Vortag lag etwas darin, von dem ich erkannte, dass ihr nicht gefiel was hier passierte.
War sie eifersüchtig? Aber worauf nur? Ich machte mir nicht weiter Gedanken darum, ignorierte es und mied es sie anzusehen.
Stattdessen fiel mein Blick immer wieder auf Vivians Hand, die den Joint hielt und an seinen Mund führte. Er bot ihn mir nicht an, sicherlich aus dem Grunde, weil ich es gestern abgelehnt hatte. In mir drinnen war ein Zwiespalt…würde ich ihn nehmen, wenn er ihn mir anbot? Warum eigentlich nicht…warum sollte ich es nicht auch mal probieren…was war dabei? Alle taten es doch. Und doch war ich irgendwie froh, dass er es mir nicht anbot. Nahm er mir doch so irgendwie ab eine Entscheidung zu treffen. Meine inneren Kämpfe dazu brauchte ich nicht wirklich ausführen, denn es kam ja nicht dazu.
Doch Vivian schein meinem Blick zu folgen, schien zu merken, dass ich mit mir selbst kämpfte…oder was auch immer, jedenfalls hielt er mir dann doch irgendwann die Zigarette hin, die die Droge enthielt, dessen Wirkung ich aus Neugierde gern einmal kennen gelernt hätte.
Jetzt, oder nie…ich nahm meinen Mut zusammen…oh Gott, tat ich das hier wirklich? Zaghaft nahm ich ihm das Ding ab und zog daran, inhalierte den fremdartig schmeckenden Rauch und gab es ihm schnell wieder zurück.
Gespannt wartete ich darauf, was jetzt passieren würde, doch irgendwie geschah überhaupt nichts, auch nachdem ich später noch einmal einen Zug nahm, fühlte ich mich wie immer.
Selbst in der Nacht in meinem Bett wartete ich noch darauf, mich in irgendeiner Form anders zu fühlen und ich war fast ein wenig enttäuscht, dass die Droge bei mir nicht zu wirken schien. Nun ja, aber eigentlich konnte ich ja auch froh sein, ich hatte mich schließlich Jahrelang davon fern gehalten und Hasch immer als meinen Feind angesehen….es hatte mir meinen Taito genommen. Jawohl, also war es auch gut, dass es bei mir nicht zu wirken schien, dachte ich trotzig und merkte gar nicht, wie meine Gedanken in meine Jugend zurückwanderten und ich mit Taito in meinem Kopf einschlief.
Irgendetwas warmes berührte mich und ich öffnete erschreckt die Augen. Im Mondlicht, das zum Fenster herein schien, weil ich nicht an das Schließen der Vorhänge gedacht hatte, bevor ich mich ins Bett gelegt hatte, erkannte ich ein Augenpaar, das unzweifelhaft zu Marei gehörte. „Was machst du denn hier?“ fragte ich sie mit kratzig verschlafener Stimme. Doch natürlich gab sie mir keine Antwort, stattdessen kuschelte sie sich dicht an mich und schob dabei ihren Körper unter meinen Arm.
Vielleicht sollte ich sie zurückschicken, nicht, dass Anna sie suchte und sich sorgte, der Gedanke kam mir kurz, doch ich war viel zu müde um mich darum jetzt zu kümmern. Auch hatte ich einen Augenblick lang Angst, dass mein Arm viel zu schwer für ihren kleinen Körper war, aber auch der Gedanke ließ sich nicht durch irgendeine Ausführung vertreiben, sonder ging von selbst durch den Schlaf, der mich innerhalb von Sekunden wieder zu sich holte.
Es war stockdunkel und ich erkannte die Gestalt nur durch den hellen Schein einer Fackel, die in der Erde neben ihr steckte. Eindeutig war es Vivian und in seinem Arm lag eine Frau…eine Frau, die ich nicht kannte. Ich hatte sie noch nie in meinem Leben gesehen, einzig die blonden Locken erinnerten mich an Marei…seine Tochter Marei…Wer war die Frau? Ich wollte aus meinem Versteck, Vivian begrüßen. Vielleicht würde er mir die Unbekannte vorstellen, doch…die Büsche schienen mich festzuhalten und während ich dabei war mich befreien zu wollen und einen Moment lang nicht zu den Beiden sah, durchdrang ein erschütternder Schrei die Stille der Nacht und lenkte meinen Blick sofort wieder zu Vivian.
Doch Vivian war weg und die Frau lag in den Armen eines wolfartigen Wesens, das seine riesigen Krallen in den Leib dieser Frau drückte. Ihre Augen waren entsetzt aufgerissen, das Blut spritzte in alle Richtungen und schon bald wich alles Leben aus ihr und ihr Körper hing schlaf in den Armen des Wesens, ihre Augen leer und ihr Körper voller Blut. Ich war wie gelähmt, nicht fähig etwas zu tun und gefangen in den Büschen, sah ich wie sich die Gestalt verwandelte und der schlaffe Frauenkörper in den Armen Vivians lag. Vivian, der weinte und seine Kleidung war voller Blut.
Mein eigener Schrei weckte mich und ich fuhr hoch…oh Gott was für ein bescheuerter Traum. Mein Herz klopfte wild, als ich auf den kleinen noch schlafenden Körper Mareis schaute und ich brauchte eine Weile, um mich von den Bildern dieses Traums zu erholen.
Vorsichtig stand ich auf, um Marei nicht zu wecken und wischte mir den Schweiß von der Stirn, um dann zu spüren, dass mein Shirt und meine Shorts klatschnass an meinem Gliedern klebten. Eine Dusche war wohl mehr als fällig, doch zuerst musste ich Anna informieren, dass Marei in meinem Bett schlief. Oh Gott, hoffentlich suchte sie nicht schon im ganzen Haus.
So leise wie möglich öffnete ich meine Tür und schlüpfte hindurch, gar nicht ins Wohnzimmer schauend, schloss ich sie wieder und ließ die Klinke dabei nur ganz langsam los, irgendwie wollte ich Marei auf keinen Fall wecken. Sie hatte so entspannt ausgesehen.
„Guten Morgen Theon, hast du schlafende Mäuse in deinem Zimmer, oder wieso bist du so leise?“ hörte ich plötzlich eine Stimme dicht an meinem Ohr und mein Körper zuckte vor Schreck zusammen.
„Gott hast du mich erschreckt.“ Sprach ich ganz leise, im Gegensatz zu ihm. „Ja, kann man so sagen, Marei ist heute Nacht in mein Bett geschlichen.“ Erklärte ich ihm und es passte mir gerade gut, dass Vivian bereits wach war.
„Kannst du Anna vielleicht bescheid sagen? Ich muss unbedingt unter die Dusche.“ Sah ich selbst an mir herab, um dann hochzusehen und einen kurzen Moment ein Zögern in Vivians Gesicht zu erkennen, doch dann nickte er und lächelte, während ich spürte, dass seine Augen sich an meinem verschwitzten Shirt fest zuhängen schienen.
Was er wohl dachte…doch ich wollte ihm nichts erklären, wollte ganz bestimmt diesen Traum nicht erwähnen und ich ließ ihn mit einem „Danke“ einfach stehen und ging ins Bad.
Das Wasser tat gut und es spülte auch die Gedanken an den Traum weg, nachdem ich mich noch kurz fragte, warum ich plötzlich träumte, ich hatte schon ewig keinen Traum mehr gehabt, an den ich mich am Morgen erinnern konnte.
Statt an den Traum dachte ich jetzt daran, wie es sich wohl für Vivian anfühlen musste, dass Marei an seiner Zimmertür vorbei gegangen war und stattdessen die Nähe eines doch eigentlich Fremden gesucht hatte. Ich seufzt und fühlte mich irgendwie dafür Verantwortlich, doch anders herum wusste ich auch genau, dass es nicht meine Schuld war…ich konnte doch auch nichts dafür und schon gar nichts dagegen tun.
Hätte ich irgendeine Möglichkeit gewusst Vivian Marei näher zu bringen, dann hätte ich das getan, soviel war mal klar, selbst wenn es bedeutet hätte von hier weg zu gehen….bei diesem Gedanken wurde mir erst so richtig klar, wie tief ich meine Fäden bereits hier verankert hatte.
Einen Tag und zwei Nächte und ich war hier Zuhause…so hatte ich nicht einmal gefühlt, als ich mit Lena zusammengezogen war, obwohl das damals mein größter Wunsch gewesen war…hierher hatte mich der Zufall geführt.
Als ich aus dem Bad kam, erzählte mir Vivian, dass Anna sich nicht gesorgt hatte. Sie hatte geglaubt, dass die Kleine ins Heu gegangen war zum Schlafen. Scheinbar war es nicht ungewöhnlich, dass sie nachts ihr Bett verließ. Ich war erleichtert, denn mein Gewissen hatte mich doch ziemlich geplagt.
„Willst du sie hier schlafen lassen?“ fragte Vivian und ich kam mir direkt wieder komisch vor…sollte ich das entscheiden? War es nicht eher an ihm?
Erst als Vivian die Frage stellte, wurde mir bewusst, dass wir ja gleich los wollten. Wir hatten gemeinsam mit der Band entschlossen den Sonntag zu nutzen, um den ganzen Tag proben zu können.
„Ich glaub, ich trag sie lieber rüber. Oder, was meinst du? Ist sicherlich nicht schön, wenn sie allein hier aufwacht.“ Wollte ich ihn zumindest ein wenig mit in die Entscheidung einbeziehen und…keine Ahnung, ob deswegen, aber ich erntete ein warmes Lächeln von meinem Gegenüber, das mehr sagte, als sein scheinbar unbeteiligtes Schulterzucken.
Leise schlich ich zurück in das Zimmer…mein Zimmer. Einen Augenblick beobachtete ich diesen kleinen schlafenden Engel. Eine hellblonde, gelockte, weiche Haarsträhne hatte sich von allen anderen gelöst und fiel wellig über ihre kleine Nase. Unsagbar süß kräuselte sie diese, die Haare schienen sie zu kitzeln und ich strich sie behutsam zur Seite.
Ich wollte sie nicht wecken und zog schnell die Hand zurück, doch als mich dann ihre verschlafenen braunen Augen voller Zuneigung ansahen, war ich froh darüber. Ich konnte es mir nicht erklären, aber ich wollte nie wieder auf die Nähe dieses kleinen Mädchens verzichten.
Ich hatte mich verliebt…nicht so wie in Lena…natürlich nicht…aber es schien da noch eine andere Verliebtheit zu geben…ich fühlte mich ihr so nah und in diesem Moment wünschte ich mir, sie wäre meine Tochter.
Als ich sie hochheben wollte, während ich ihr leise erklärte, dass ich sie rüber zu Anna bringen würde, weil ich gleich mit Vivian zum Proberaum fahren müsse, hob sie ihren Arm und ich dachte im ersten Moment, dass sie sich dagegen wehren wollte. Vielleicht wollte sie lieber selber laufen…doch sie griff an das Lederband um meinen Hals, das für gewöhnlich unter meinem Shirt versteckt war, sich aber irgendwie darüber geschummelt hatte, was manchmal passierte.
Als wenn sie sich daran festhalte wollte, umschloss ihre zierliche Hand den keltischen Anhänger und ließ ihn auch nicht mehr los.
Erst, als ich sie sanft in ihr eigenes Bett plumpsen ließ, lösten sich ihre Finger davon und sie lächelte, bevor sie sich umdrehte und eingemurmelt in der Decke, sofort weiter zu schlafen schien.
Ich steckte den Anhänger zurück unters Tshirt und beeilte mich, nach einem kurzen Plausch mit Anna, zurück zu Vivian zu kommen.
Vivian drückte mir einen Becher Kaffee in die Hand und wie auch eben zu Anna, sagte ich ihm, dass ich kein Frühstück wolle, als er mich danach fragte. Schien ihm ganz recht zu sein, er wirkte als hätte er es eilig und tatsächlich saßen wir auch nach wenigen Minuten bereits auf meinem Motorrad.
Den gesamten Tag verbrachten wir als Band…oh Gott es machte mich so glücklich…locker versuchten wir dies und das. Die Jungs zeigten mir Stücke von sich, brachten mir den Text bei und ich empfand alles so, als würde es wunderbar zu mir passen. Auch das, was von mir kam…Stücke, die ich mit meiner alten Band gespielt hatte…Texte, die ich gemeinsam mit Taito zustande gebracht hatte…es schien den Jungs zu gefallen.
Ein wenig fremd war mir die Art, wie sie miteinander umgingen…so liebevoll und voller Zärtlichkeit…das hatte ich bis jetzt noch nie so erlebt, aber…es hatte was.
Noch nie erlebt? Ich belog mich gerade selbst…verdammt genau diese Gefühle, die die Zusammengehörigkeit dieser Band hier in mir auslöste…ich hatte genau dies mit Taito gehabt und…wenn ich ehrlich war noch ein Stückchen mehr…doch scheiße, ich wollte nicht ehrlich sein.
Schnell verdrängte ich die Gedanken an meinen Jugendfreund und konzentrierte mich wieder auf die Menschen der Gegenwart. Ich war hier und ich war jetzt…ich sollte und wollte das hier genießen und nicht zurückdenken an vergangene Zeiten…der Geschmack war viel zu bitter, um es hiermit zu vergleichen.
Immer wieder beobachtete ich Berührungen zwischen den Männern, zufällige, geplante, gewollte…eins hatten sie alle gemeinsam, sie zeigten mir unheimlich deutlich, wie sehr ich dies…ja was eigentlich? Ich konnte es nicht benennen….aber ich vermisste es…für mich selbst.
Berührungen, Zärtlichkeit…zwischenmenschliche Dinge, die eine Zuneigung aussprachen. Meine ganze letzte Zeit, die letzten Wochen, Monate…oder waren es bereits Jahre…sie kamen mir plötzlich unsagbar kalt und allein vor.
Einsam unter Menschen…das drückte es ganz gut aus.
Wann hatte mir das letzte Mal jemand voller Gefühl über das Arm gestrichen? Wann jemand zart meine Wange berührt? Konnte ich mich überhaupt noch daran erinnern?
Meine Augen nahmen jede Geste auf und als Vivian Max sogar kurz auf den Mund küsste, musste ich mich zwingen nicht neidisch weiter zu starren…es war schwer die Augen von ihnen zu nehmen. Ich hatte plötzlich so eine schreckliche Sehnsucht in mir, die mir so sehr das Herz schwer machte, dass tiefe Seufzer aus meinem innersten den Weg über meine Lippen suchten.
Doch ich hatte keine Zeit mehr, die kleine Pause, die meine Grübeleien ungehindert durch meinen Kopf hatte fließen lassen wurde von Jonah beendet, der darauf drängte weiter zu spielen.
Vivian ging völlig aus sich heraus und in diesem Song, den ich gerade erst gelernt hatte und zum ersten Mal komplett mit Begleitung der Jungs sang, schien er völlig aufzugehen. Seine Show lenkte mich fast ab und als er mich mehrfach anrockte…mir unheimlich nah kam und ich seine Zärtlichkeit im Spiel und auch mir gegenüber spürte, hatte ich wahre Mühe mich auf meinen Part zu konzentrieren. Wow…diese Art gefiel mir wirklich…warum auch immer…ich hatte keine Ahnung was es nun wirklich genau war, aber ich fühlte mich immer mehr eins mit dieser Band….mit den Menschen, mit der Musik und sogar mit ihren Instrumenten.
Ich war glücklich…oh Gott ich war so wahnsinnig glücklich.
Schwer, aber in der letzten Sekunde, konnte ich mir ein „Jetzt schon?“ verkneifen, als die Jungs beschlossen für heute Schluss zu machen. Ich war so drin…so verwurzelt mit dem was hier geschah, dass nur mein Körper spürte, dass der Tag bereits zu Ende war und ich eigentlich hätte direkt ins Bett fallen können, dass es mir wirklich schwer fiel dem zuzustimmen.
Selbst als ich mit Vivian zusammen auf meinem Baby saß, fühlte ich mich noch so glücklich, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn mein Motorrad sich in eine Wolke verwandelt hätte, die uns sanft warm und kuschelig zum Hof getragen hätte.
Vom scharfen Wind, der uns trotz Helm und schützender Klamotten bis auf die Haut traf, spürte ich nichts.
Es war tatsächlich schon so spät, dass niemand mehr wach war. Fast gespenstig leise wirkte der Hof, als wir die große Tür öffneten und ich war froh gestern schon alles mit Christian besprochen zu haben und genau zu wissen, wann es morgen früh los ging.
Gespannt darauf was mir der neue Tag bringen würde, fiel ich ins Bett und spürte sofort eine mächtige Müdigkeit, die mich sehr schnell einschlafen ließ.

Doch wieder war es ein kleiner Mädchenkörper, der irgendwann meinen Schlaf störte. Nur diesmal konnte ich mich ruhig wieder völlig entspannen, ich wusste ja, dass Anna sich keine Sorgen machen würde und mein Arm hatte Marei in der letzten Nacht auch nichts ausgemacht. Sollte sie ruhig hier bei mir schlafen, es störte mich nicht…im Gegenteil…ich genoss ihre Nähe.
Was für ein hübscher Hund, der dort an dem Feld entlang lief. Er hatte sehr kurzes Fell in einem so tiefen Schwarz, wie ich glaubte es noch nie gesehen zu haben. Elegant und anmutig setzte er eine Pfote vor die andere, langsam und irgendwie bedacht…so als wäre jeder Schritt geplant.
Doch plötzlich, als ich ihn auf mich aufmerksam machen wollte, sprang er einfach los und lief über die Fahrbahn…ein Auto wich aus und ein ungehöriger Krach durchbrach die Stille der Natur. Sehen konnte ich nicht was geschehen war, ein paar Bäume versperrten mir den Blick…nur den Hund sah ich noch einmal den Teil der Strasse entlanglaufen,, den ich einsehen konnte.
Ich lief los, mit dem Wissen, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, doch ich kam nicht an…
Hier an dieser Stelle wachte ich auf.
Schon wieder ein Traum, diesmal konnte ich zumindest rekonstruieren, dass mein Unterbewusstsein scheinbar mit Alinas Unfall beschäftigt war…der blutbeschmierte Vivian aus meinem Traum von letzter Nacht, passte ja auch dazu….doch verstehen konnte ich es nicht.
Und was ich am allerwenigsten verstand war, dass ich erneut geträumt hatte und mich so klar daran erinnern konnte. Alles war so deutlich in meinem Kopf, dass es mir fast Angst machte.
Ein Blick auf die Uhr bestätigte mein Gefühl, dass es sich nicht mehr lohnen würde die Augen zu schließen. Ein halbe Stunde war noch Zeit, bis ich unter die Dusche musste, um pünktlich in der großen Halle zu sein, wo ich mich mit Christian zum Aufbruch treffen wollte und wenn ich jetzt noch mal einschlief, würde ich danach nur noch müder sein.
Vorsichtig stand ich auf und entschloss mich dazu jetzt schon duschen zu gehen.
„Du bist schon wach?“ begrüßte ich Vivian, der auf dem Sofa saß und durch die Fernsehkanäle zappte.
„Ja, ich konnte nicht schlafen…ist Marei wieder bei dir?“
„Ja“ antwortete ich ihm nur knapp, denn eigentlich war mir noch gar nicht recht nach sprechen zu mute…ich musste erstmal unter die Dusche, um den Traum abzuwaschen, der mich zwar diesmal nicht durchgeschwitzt hatte aufwachen lassen, aber das Bedürfnis nach Wasser war trotzdem groß.
Ich verschwand im Bad und ließ mir richtig Zeit dabei, durch das frühe aufwachen hatte ich sie schließlich, also konnte ich sie auch durch eine ausgiebige, wach machende Dusche und was alles so dazugehörte nutzen.
Sauber und fertig angezogen öffnete ich leise meine Zimmertür. Vivian war ich nicht wieder begegnet, obwohl ich ihm gern bescheid gesagt hätte, dass ich Marei in meinem Zimmer schlafen ließ, aber ich würde einfach gleich an seiner Tür klopfen und es ihm noch mitteilen. Überlegte ich gerade, als mein Blick auf das Bett fiel, dass ich jetzt bereits zwei Nächte mit der Kleinen geteilt hatte. Dieser Anblick, der sich mir jetzt bot, als ich in den Raum sah, ließ mich vorsichtig in Türrahmen stehen bleiben.
Der Dunkelhaarige hockte auf dem Boden, seine Hände lagen auf der Matratze und sein Blick ruhte sanft auf dem schlafenden Kind.
Die Augen Vivians schienen voller größter Liebe, aber den Schatten, den seine Angst deutlich darin hinterließ, den erkannte ich auch. Wie klar es war, dass er sie gern berührt hätte…wie sehr seine Hände sich danach sehnten, ihre blonden Locken oder die kindliche weiche Haut zu berühren. Nur einmal über ihre Wange streichen…es war so deutlich zu erkennen für mich, dass es mir einen Stich versetzte.
Mitgefühl? Nein…das konnte niemand nachfühlen…das hier war etwas, wo ich keine Ahnung von hatte. Aber allein, dass Wissen, dass ich nur ein Bruchteil davon empfinden konnte von dem, was Vivian und Marei ertragen mussten, machte mich das Herz so schwer, wie es noch nie in meinem Leben gewesen war. Was hatte ich schon erlebt…ich hatte gar keinen Grund über irgendetwas traurig zu sein….nicht im Vergleich zu dem, was tiefste Schatten über dieses Haus warf.
Wie gern hätte ich etwas getan, wie sehr war der Wunsch in mir seine Hand zu nehmen und ihr mit meiner Führung zu geben, wonach sie sich so sehnte….wonach sich Vivians Herz so sehr sehnte…doch, ich wusste es wäre ein Fehler. Marei wollte es nicht, ließ es nicht von alleine zu und eigentlich zeichnetet es ihren Vater hoch aus, dass er ihren und nicht seinem Wunsch nachgab.
Wenn ich nur wüsste was in Marei vor sich ging. Ich verstand es einfach nicht, was hatte sie so das Vertrauen zu ihren Vater verlieren lassen? Ach wenn sie doch nur darüber sprechen würde…ich war mir so sicher, dass es etwas war, was man durch Offenheit aufklären könnte, denn selbst in ihrer Ablehnung Vivian gegenüber konnte ich spüren, dass sie ihn liebte. Ein tiefer Seufzer kam ungezügelt über meine Lippen, weil ich ihn einfach nicht vorhergesehen hatte und somit auch nicht stoppen konnte…ein Geräusch, dass den Mann an Mareis Seite zu mir aufschauen ließ.
Einen Hauch eines Momentes erkannte ich eine Anspannung in seinem Körper, so als fühlte er sich ertappt, doch dann schon lächelte er mich einfach nur an.
„Sie ist so wunderschön, wie ihre Mutter.“ Flüsterte er mir zu und gab mir damit den Anlass nah an ihn heran zu treten und meine Hand sanft auf seine Schulter zu legen.
Zu sagen wusste ich nichts…wie auch, ich hatte Alina nie gesehen und auch, wenn ich überzeugt davon war, dass Alina zumindest für ihn die schönste Frau der Welt gewesen war, ich fand einfach keine Worte. Doch in mir kam plötzlich der Wunsch auf ein Foto Alinas zu sehen. Vivian wollte ich nicht danach fragen, doch sobald sich die Möglichkeit dazu ergab, nahm ich mir vor, würde ich Anna darauf ansprechen.
„Ich hab alles falsch gemacht, viel zu sehr an mich gedacht. Wie konnte ich Marei nur vergessen? Ich hätte für sie da sein müssen…was hab ich nur getan?“ Tränen seines Schmerzes lösten sich aus seinen warmen Augen und kullerten die Haut seiner Wangen hinab, sammelten sich am Ende und tropften vom Kinn auf sein Shirt, wo sie dicke nasse Spuren hinterließen.
Hilflos stand ich eine Weile untätig neben ihm….seine Tränen waren es, die mich einen Augenblick überforderten. Womit sollte ich trösten? Ich war nicht gut darin…noch nie gewesen. Selbst wenn Lena geweint hatte, hatte ich nie gewusst, wie ich mich verhalten sollte außer sie in meine Arme zu nehmen.
Aber sollte ich das mit Vivian tun? Ich fühlte mich komisch dabei, irgendetwas ließ mich stoppen in der Bewegung, die ich bereits ausführen wollte. Stattdessen erhöhte ich nur den Druck meiner Hand und sagte leise „Es wird alles gut, hörst du….alles wird gut werden. Du musst euch nur etwas Zeit geben.“
Ich selbst war in diesem Moment so überzeugt davon, dass ich zu wissen glaubte, dass hier auf diesem Hof alles gut ausgehen würde.
Warum auch immer, aber ich glaubte fest daran, dass die Liebe, die hier neben all dem Kummer für mich so nah zu spüren war…sie würde irgendwann siegen…es musste einfach so sein.
Eine ganze Zeit verweilten wir noch in unserer Position, meine Hand blieb auf seiner Schulter, nur unsere beider Blicke gingen zu Marei über, schaute auf das friedlich schlafende Mädchen und Vivians Tränen versiegten bald.
Mir wurde irgendwann bewusst, dass es an der Zeit war in die Halle zu kommen und ich wagte es zu fragen, ob ich Marei in meinem Bett liegen lassen könne.
„Ich sag Anna bescheid, wenn ich losfahre, sie wird dann schon wach sein und kann hier rüber kommen.“ Antwortet er mir sanft und ich strich behutsam über seinen Arm, bevor ich meine Hand von ihm löste und mit einem „Bis später.“ Nach meiner Tasche griff und hinausging.
Es fiel mir gar nicht schwer Christian die gesamte Fahrt über zu unterhalten…kurz gesagt, ich sabbelte ihn förmlich in Grund und Boden, auch wenn es mich selbst wunderte. Für gewöhnlich war ich zum großartigen Reden schwingen erst nach ein paar Stunden wach genug, doch heute war es anders. Immer wieder fiel mir etwas ein, von dem ich ihm erzählen könnte, allerdings hätte ich nach unserer Ankunft in der Stadt nicht mehr sagen können, was es alles gewesen war.
Christina kam auf seinem Weg ziemlich genau an dem Ortsteil vorbei, in dem die Adresse lag, die Sven mir genannt hatte und er fuhr noch einen kleinen Umweg, so dass ich nur ein paar Meter zu laufen hatte.
„Du musst einfach nur die Strasse entlang, am Ende muss es dann irgendwo sein.“ Erklärte er mir, als er an einer kleinen Parkbucht hielt, um mich hinaus zu lassen.
„Okay, ich dank dir.“
„Dafür nicht, ich meld mich bei dir, bevor ich Feierabend hab, dann sehen wir, wo ich dich am Besten wieder einsammle.“
Wir verabschiedeten uns und ich machte mich voller Zuversicht auf den Weg, mit der Hoffnung, dass Sven mir tatsächlich bei der Jobsuche helfen konnte. Ich wusste, dass er selbst in einem Tonstudio arbeitete und dort auch einen gewissen Einfluss hatte, irgendwie konnte er mich sicherlich an einen kleinen Job bringen und wenn es nur Kaffeekochen war. Ich war so ziemlich für alles bereit, wenn ich nur ein wenig Geld verdiente und in meinem neuen Zuhause bleiben könnte…alles andere erschien mir plötzlich ziemlich unwichtig.
Ich hoffte einfach, dass er noch zu Hause war, denn wo sich das Studio befand wusste ich leider nicht…doch ich würde mich zur Not in der Nachbarschaft durchfragen, irgendwer dort würde mir schon etwas sagen können.
Schnell hatte ich die richtige Hausnummer gefunden, doch Svens Namen fand ich nirgendwo. Es gab nur einen Klingelknopf, an dem kein Namenschild war und ich betätigte ihn in der Hoffnung, es könnte die richtige Wohnung sein. Doch ein wenig betrübt fühlte ich mich schon, der Glaube daran hier etwas zu werden verschwand mit jeder Sekunde mehr.
Stieg aber wieder an, als der Summer ertönte und ich mit leichtem Druck gegen die Tür Eintritt zum Hausflur bekam.
Allerdings sank er auf den Nullpunkt, als ich an der zu der Klingel gehörenden Haustür kam und sah, dass eine alte Dame dahinter stand.
„Guten Morgen. Ich suche einen Sven Hausschild, er gab mir diese Adresse…können sie mir vielleicht weiter helfen?“ fragte ich höflich.
„Der junge Mann hat hier vor mir gewohnt, ist aber schon ein paar Monate her.“ Erklärte sie mir freundlich.
„Sie wissen nicht vielleicht, wo sich das Studio befindet, in dem er arbeitet?“ versuchte ich mein Glück.
„Nein Jungchen, aber dort wirst du ihn auch nicht finden, soviel ich weiß, ist er nach München oder zumindest in die Richtung gezogen…seine Arbeit hat es wohl erfordert…irgend so was hat er glaube ich gesagt, als ich mir die Wohnung hier angesehen habe. Danach ging ja alles über den Vermieter…ein freundlicher Mann…mehr kann ich dir auch nicht sagen. Tut mir leid.“
„Verdammter Mist!“ rutschte es mir verzweifelt heraus…alle meine Hoffnungen waren dahin und scheinbar war es mir anzusehen.
„Gott Jungchen, was ist denn passiert? Kann ich dir vielleicht irgendwie weiter helfen?“ fragte sie mich ein wenig bemutternd und strich über meinen Arm.
„Nein, ich glaube nicht. Ich hatte gehofft Sven würde mir zu einem Job verhelfen…jetzt könnte es deutlich komplizierter werden.“ Ich seufzte und setzte noch schnell ein: „Aber danke….ich werde dann mal wieder gehen. Entschuldigen sie, dass ich sie so früh gestört habe.“
„Ach so ein Quatsch, mich stört so schnell niemand und jetzt komm rein und trink einen Kaffee mit mir. Ich freu mich, wenn sich jemand mit mir unterhält. Meistens höre ich nur den Tratsch aus der Nachbarschaft und du musst wissen, mich interessiert so überhaupt gar nicht, wer wann Besuch hatte und wer den Müll falsch sortiert hat.“ Sie verdrehte genervt die Augen und zog danach lächeln an meinem Arm.
Kaffee klang irgendwie gut und die Art der Frau, dessen blaue Augen mich fast bittend ansahen, gab mir das Gefühl ihr Angebot nicht ausschlagen zu können.
„Nun komm schon, drinnen unterhält es sich besser.“ Sagte sie noch mal und als sie jetzt einfach hineinging, folgte ich ihr leicht zögernd.
Die Wohnungseinrichtung überraschte mich, auf Grund ihres Alters hatte ich etwas anderes erwartet, als das was meinen Augen geboten wurde. Alle Türen an denen ich vorbeikam standen offen und jeder Raum war modern und in unterschiedlichen Farben eingerichtet. Es wirkte schlicht und elegant, mit einer kleinen verspielten Note. Überall gab es kleine Dekorationen, die den Räumen etwas Besonderes schenkten. Es gab ein Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer und so etwas wie einen Leseraum, jedenfalls waren die Regale voller Bücher und nur ein Schreibtisch und ein Schaukelstuhl waren als Möbelstücke vorhanden. Die Räume an sich waren relativ klein und trotzdem kam mir die Wohnung irgendwie riesig vor für eine einzelne Person.
Wie es hier wohl bei Sven ausgesehen hatte? Ich musste grinsen, als er hier gewohnt hatte, hatten die Räume mit Sicherheit anders gewirkt.
Die Küche, die ich nun betrat, wirkte sofort urgemütlich und ich nahm gern den Platz an, den die grauhaarige Frau mir anbot. Ich fragte mich, wie sie wohl früher ausgesehen haben mochte. Irgendwie schloss ich aus dem hellen Grau ihres langen Pferdeschwanzes und den hellen blauen Augen, dass sie vor Jahren einmal blond gewesen war. Ihr Alter hätte ich niemals schätzen können, aber hübsch war sie auf eine ganz besondere Weise auch noch jetzt…sicherlich waren ihr alle Männer nachgelaufen…
Gott, was machte ich mir hier bloß für Gedanken?
Ich wusste selbst nicht, wie es dazu kam, doch Helli, die mir mit dem Kaffee, den sie mir vor die Nase stellte das Du anbot, wusste schon nach einer Stunde wie und warum ich hier her gekommen war, was mich auf dem Hof hielt und warum Lena mich vor die Tür gesetzt hatte.
Hier im Norden Deutschlands mussten die Menschen eine besondere Gabe dazu haben mein Vertrauen zu erwecken, anders konnte ich mir nicht erklären, warum ich so offen über mein Leben plauderte, vor allem schon so schnell.
„Engelchen, versuch es nachher mal an der Tankstelle in der nächsten Strasse. Die haben schon oft Leute gesucht und übermorgen kommst du wieder, holst dir einen Kaffee ab und sagst mir, was du dort geworden bist.“ Befahl sie fast und wenn ich ehrlich war, konnte ich mir gut vorstellen sie nochmals zu besuchen…irgendwie war sie eine tolle Frau…so eine Oma hätte ich mir gewünscht.
Nach fast zwei Stunden verließ ich Oma Helli, wie ich sie in Gedanken nannte und musste feststellen, dass ich tatsächlich durch ihre positive Art wieder neuen Mut gefasst hatte und mit genau dem auf meiner Seele, betrat ich die Tankstelle, um die junge Frau hinter dem Verkaufstresen nach einem möglichen Job zu fragen. Dass auch sie mich auf den übernächsten Tag vertröstete, da der Chef zwei Tage nicht anwesend war, schlug meine Laune nicht wieder zurück, ich fand es irgendwie passend…perfekt zu dem erneuten Besuch Oma Hellis.
Und jetzt? Ich entschied mich dafür mit der U-Bahn in die Innenstadt zu fahren und die Einkaufsstrassen abzulaufen, vielleicht würde ich irgendwo ein Schild in den Fenstern finden…okay, Klamotten wollte ich nun nicht wirklich verkaufen und hinter einem Bäckertresen auch nicht unbedingt stehen, aber etwas anderes fiel mir in diesem Moment einfach nicht ein und…na ja es gab ja sicherlich auch noch andere Räumlichkeiten dort. Was sollte ich auch sonst jetzt machen. Vom Himmel fallen würde eine Arbeit jedenfalls nicht und mir einfach so zufliegen wohl auch nicht.
Dafür flog mir etwas anderes zu, direkt als ich aus dem Bahnhof trat…nämlich zwei Arme um meinen Hals. „Theon, was bitte machst du hier…haaaach ist das schön dich zu sehen. Was machst du in Hamburg und wo ist Lena?“ tönte die schrille Stimme Sabrinas in mein Ohr und ich glaubte für einen Augenblick ersticken zu müssen, oder zumindest stocktaub zu werden, bis ich sie endlich mühsam ein wenig von mir wegdrücken konnte und einen erträglichen Sicherheitsabstand erstellen konnte.
Sie war echt eine hübsche Erscheinung, aber nur solange sie einem nicht allzu nah kam und am besten auch noch den Mund hielt. Schon immer hatte ich Lenas Freundin für zu anhänglich gehalten und wenn sie erstmal in Fahrt kam, redete sie jeden mit ihrer schrecklichen Stimme in Grund und Boden.
Zugegeben, ihre Art war eigentlich ganz nett, eben nur ein wenig anstrengend und ich willigte jetzt, nachdem ihr Körper mir nicht mehr so nah war und sie mich fragte was passiert sei, sogar ein, es ihr bei einem Kaffee zu erklären.
„Oh Gott…oh Gott, ich glaub ich habe mich zu lange nicht mehr bei Lena gemeldet. Niemals hätte ich gedacht, dass sie dir mal den Laufpass gibt.“ Sagte sie sichtlich erstaunt, nachdem ich ihr, ihr gegenübersitzend in dem Cafe, die Lage erklärt hatte.
„Und jetzt brauchst du also einen Job?“ fragte sie, als wir bereits im Begriff waren aufzustehen, weil Sabrina keine Zeit mehr hatte und ich ja auch noch weiter wollte.
„Ja“
„Komm morgen zu mir, vielleicht kann ich dir helfen.“ Hauchte sie, wobei ihre Stimme nicht mehr ganz so schlimm in meinen Ohren klang und reichte mir eine Karte, auf der ihre Adresse und Telefonnummer stand. „Aber…eine Hand wäscht die andere.“ Zwinkerte sie mir grinsend zu, bevor sie sich dann umdrehte und aus dem Cafe ging.
Ömpf…ich sah ihr nach und war froh, dass sie das Entsetzen in meinem Gesicht nicht mehr sah.
Hatte ich das jetzt richtig verstanden? Sie wollte, dass ich für einen Job mit ihr in die Kiste sprang? Ich mein…mir war schon klar, dass sie schon immer heiß auf mich war und auch, dass sie ein ziemliches Miststück sein konnte…doch das hätte ich ihr eigentlich nicht zugetraut.
Ziemlich von der Rolle machte auch ich mich auf den Weg, aber nicht nur, weil mich ihr Angebot entsetzt hatte, auch…weil ich es für einen Augenblick tatsächlich in Erwägung gezogen hatte…ich brauchte einen Job. Aber so nötig? Verdammt…ja, irgendwie schon. Ich wollte mein Zimmer bezahlen…
Irgendwo von musste ich leben und mein Geld würde nicht mehr lange reichen…ja, sicherlich würden weder Anne noch Vivian mich vor die Tür setzten und ich wusste auch, dass sie mich so weit sie konnten finanziell unterstützen würden, doch wenn ich etwas auf keinen Fall wollte, dann war es das.
Was war schon dabei? Sabrina hatte ein tollen Körper und es war nur Sex, wie viele Menschen hatten einfach nur so Sex und selbst mir war so etwas schon wieder fahren, doch war es nie um damit etwas zu erkaufen.
Nein, diese Möglichkeit konnte nicht in Frage kommen…schließlich hatte meine Suche erst begonnen. Ich sollte nicht den Mut verlieren, dazu war es noch viel zu früh. Irgendwann musste ich vielleicht einmal lernen mich in Geduld zu üben. Leider war es damit nicht so weit her, wenn ich etwas wollte oder brauchte, dann musste es am Besten bereits da sein. Warten war einfach nicht meine Stärke.
Natürlich brachte mein ausgiebiger Spatziergang in der Hamburger Innenstadt nichts, zumindest nichts in Sachen Jobsuche. Einzig und allein die Eindrücke dieser Stadt, die ich irgendwie mochte, beeindruckten mich und meine Augen suchten irgendwann nicht mehr gezielt irgendwelche Zettel in den Schaufenstern, die ich eh nicht fand, sondern konzentrierten sich auf die Menschen und die Umgebung.
Ich lief solange hin und her, bis meine Füße anfingen zu schmerzen und jetzt endlich besann ich mich darauf, wieder dazu überzugehen etwas gegen meine Lage zu unternehmen.
Ein Stand mit Zeitschriften bot mir eine große Auswahl und ich kaufte mir alle Zeitungen, in denen ich Jobangebote im Raum Hamburg finden konnte. Damit bewaffnet suchte ich mir einen Bäckershop, in dem es Sitzgelegenheiten gab und während ich meinen Hunger stillte, ging ich alle Anzeigen durch.
Tatsächlich hatte ich einige Inserate gefunden, die in Frage kommen konnten, als mein Handy klingelte und ich meldete mich mit erneutem Mut.
Schnell hatten Christian und ich einen Treffpunkt ausgemacht, zu dem ich mich sofort aufmachte und ehrlich gesagt, war ich froh, als ich bei ihm im Auto saß und mein neues Zuhause immer näher rückte.
Ich sehnte mich danach Entspannung zu finden und mit denen mir so ans Herz gewachsenen Menschen den Abend ausklingen zu lassen.
An einen Job wollte ich heute ganz bestimmt nicht mehr denken.
Natürlich berichtete ich Christian auf der Fahrt von meinem Tag und den unvorhergesehenen Ereignissen und auch später im Garten erzählte ich den anderen davon, was der Tag mir gebracht hatte….nur Sabrina, die ließ ich komplett aus dem Spiel.
Irgendwie kam es mir hier und jetzt auf dem Hof in der Gesellschaft dieser wundervollen Menschen überhaupt nicht mehr so schlimm vor, dass Arbeit und Geld noch in weiter Ferne lagen und ich genoss es einfach nur, dass mich eine ruhige Entspannung überkam und Marei, die wieder einmal angekuschelt an meiner Brust lag, tat nicht unerhebliches zu meinem Wohlgefühl dazu.

Bill und Tom hätte ich hier auch gar nicht erwartet *erstmal sag*
Deine Geschichte fängt irgendwie so an, dass ich nichts dazu zu sagen weiß.
Ich bin gespannt, was letztlich dabei rauskommen wird, wenn Mareis Ablehnung gegen Vivian aufgelöst wird... und mir gefällt das Pairing, dass du ausgewählt hast


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