~Jan~

„Hi Till“ begrüßte ich strahlend meinen Lieblingsgemüsehändler, nachdem das altmodische „Ding“ beim öffnen der Tür und das „Dong“ beim Schließen erklungen war. „Oh hallo Jan…lange nicht gesehen“ kam es freundlich aus der Ecke und ich ging direkt zu ihm hin, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln.
„Dann werde ich mal zusammensuchen, was ich heute Abend so brauche“, ging ich nach einigen Minuten aus dem Gespräch hinaus, als ich ihm die neuesten Neuigkeiten mitgeteilt hatte. Ja, ja…mir blieb nix, als mich heute Abend in die Küche zu stellen…warum musste ich auch immer wieder mit den Jungs wetten? Ich seufzte tief aus dem Herzen und das war so eine Mischung aus…oh Gott kochen und…wie wundervoll, dass es die Band wieder für uns gab und…ich konnte wieder mit Christian umgehen. Völlig in meinen Gedanken versunken trat ich um die Ecke des Ladens, und lief direkt in eine Gestallt in einem schwarzen, langen Mantel gekleidet, hinein. „Ups…oh Gott…Entschuldigung“ kam es schon über meine Lippen, bevor ich mich selbst am Regal halten konnte, um diesem Menschen nicht noch mehr weh zu tun, oder ihn direkt auf den Boden zu schmeißen.

~ Bill ~

"Autsch...", entfuhr es mir eher erschrocken als wirklich schmerzerfüllt, während ich automatisch einen Schritt zurück taumelte. Für einen Moment wusste ich nicht, ob ich mich lieber über mich selbst ärgern sollte, da ich wie so oft mal wieder mit den Gedanken nicht bei der Sache gewesen war, oder doch lieber über diesen ungeschickten Trampel, der mich einfach so unvorbereitet über den Haufen gerannt hatte. Allerdings war prompt eine Entschuldigung gefolgt, und ich hatte mir ja auch nicht ernsthaft weh getan...
"Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?", zickte ich trotzdem erst mal los, immerhin war da jemand mindestens genau so unaufmerksam gewesen wie ich. Jetzt erst blickte ich mein Gegenüber zum ersten Mal bewusst an.

~Jan~

„Nee, konnt ich gerade nicht…aber du scheinbar auch nicht.“, grinste ich den ziemlich unkenntlich gemachten Menschen an, von dem mir lediglich seine Stimme sagte, dass es ein Kerl war. „Aber sorry, ich hoffe ich hab dir nicht weh getan.“, entschuldigte ich mich noch mal und sah ihm offen ins Gesicht…also in das was ich neben dem Tuch, das seinen Kopf verbarg, erkennen konnte. Irgendwie kam mir irgendwas an ihm bekannt vor. „Kenn ich dich?“, warf ich spontan hinterher.

~ Bill ~

Ich konnte förmlich spüren, wie mein Gesichtsausdruck innerhalb weniger Sekunden mehrmals wechselte. Zuerst hatte ich seine schönen Augen registriert, dann regte ich mich sofort über die Reaktion auf meine unwirsche Frage auf, während er schon wieder eine erneute Entschuldigung brabbelte, was mir ein amüsiertes Schmunzeln aufs Gesicht gezaubert hatte. Doch das fiel jetzt schon wieder schlagartig in sich zusammen. Ich hasste dieses bescheuerte „Kenn ich dich nicht von irgendwo her?“, das mir tagtäglich immer und immer wieder an den Kopf geworfen wurde, und dass von Menschen, die ich selbst noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Und dabei hatte ich mir heute solche Mühe gegeben, damit genau das nicht passierte. Es war einfach zum verrückt werden. Ich wollte jetzt nur noch schnell meine Besorgungen erledigen, deshalb war ich schließlich hier, und dann möglichst zügig wieder verschwinden, bevor das Ganze hier ausartete und ich mir zu Hause womöglich wieder stundenlange Vorträge anhören konnte, weil ich ja doch nie die Klappe über solche Vorfälle halten konnte.
Noch immer starrte ich diesen Typen unverwandt an, und ich fand, dass er noch eine passende Antwort auf seine Frage verdient hatte. „Mich kennt ja offenbar die ganze Welt,“ schnaubte ich wütend, was natürlich nicht die passende Antwort war, aber mein Mund war mal wieder schneller als mein Verstand gewesen. Ich schenkte ihm einen letzten arroganten Blick, bevor ich mich ungeduldig an ihm vorbeidrängelte.

~Jan~

Dieser Satz kam mir so unendlich bekannt vor...keine Ahnung wie oft ich ihn damals gesagt hatte. Und ich hatte ganz genau in seinen Augen diese Ironie erkennen können, die auch mich vor Jahren hat solche Sätze sagen lassen. Nur...dieser arrogante Blick, der mir innerlich sehr gefallen hat...ja, ja ich gab es ja zu...irgendetwas lag auf dem, das mir das Ausmaß in unendliche Bahnen erschienen lies...
Aber wie dem auch sei, ich könnte jetzt natürlich ewig darüber nachdenken und später tagelang damit kämpfen, dass ich diesen Augenblick hatte tatenlos verstreifen lassen...doch so etwas würde mir so schnell nicht wieder passieren. Schließlich hatte mich das Leben gelehrt, dass ich darauf hören sollte, wenn mir irgendetwas von innen heraus sagt...der Mensch hat etwas. Und das dieser junge Mann etwas hatte...japp, das war ja mal klar.
Wenn mir nur einfallen würde wo zum Teufel ich diese Augen schon einmal gesehen hatte, aber bevor ich darüber nachdenken konnte, musste ich jetzt erstmal handeln. Mit ein paar Schritten lief ich ihm nach und hielt ihm dann lächelnd die Hand entgegen. "Ich bin nicht die ganze Welt, sondern Jan Plewka und woher ich dich auch immer kenne...ich würde gern einen Kaffee mit dir trinken."

~ Bill ~

Verwirrt schaute ich auf die hingehaltene Hand, ignorierte sie aber dann und blickte ihm stattdessen wieder ins Gesicht. Jan also. Er hatte ein nettes Lächeln, aber das war es nicht, was mich diesmal anders reagieren ließ als normalerweise. Hartnäckigkeit machte mich meistens gereizt, und hartnäckig war er ganz bestimmt. Es war eher die Art und Weise, wie er mit mir gesprochen hatte, die mich irgendwie berührte und ein bisschen aus dem Konzept brachte. Das schaffte eigentlich niemand so leicht. Woher er mich glaubte zu kennen, würde ich ihm jetzt mit Sicherheit nicht auf die Nase binden, und ich war noch nie der Typ gewesen, der sich mal eben so im Vorbeigehen auf einen Kaffee einladen ließ. Und jetzt war das völlig unmöglich geworden.
Irgendwie war ich gerade überfordert und konnte nicht mehr tun, als stumm den Kopf zu schütteln.

~Jan~

Ich wusste nicht so recht, was ich von dieser Reaktion halten sollte. Das war keine Abfuhr auf meine klassische Anmache, die ja eigentlich auch gar keine sein sollte und ich denke, dass sie auch gar nicht so rüberkam. Doch selbst wenn, da war irgendetwas in diesem stillen Kopfschütteln...darin lag so eine tiefe Traurigkeit, die sofort mein Herz berühren wollte. Was sollte ich jetzt tun? Ich stand ziemlich ratlos vor ihm und spürte, dass ich mich mit einem Einfall beeilen sollte...die Situation schien wie Sand zwischen meinen Fingern hindurch zu rieseln und mir blieb nicht viel Zeit um irgendwie zu retten was auch immer zu retten sein sollte. Ich konnte mich einfach nicht umdrehen und weggehen. Noch immer war dieses Gefühl da, etwas halten zu müssen.
Hm...das war immerhin ein Versuch wert...ich musste doch irgendwo noch...ich wühlte in meinen Hosentaschen...ah, da war ja eine von diesen blöden Kärtchen, die Malte meinte für mich anfertigen lassen zu müssen. Ich hatte das für völligen Blödsinn gefunden, aber jetzt...ich würde ihn dafür mal drücken müssen.
"Hier", hielt ich dem dunklen Wesen eine Karte mit meiner Handynummer hin. "Ruf mich einfach an, wenn du es dir anders überlegen solltest."

~ Bill ~

"Danke," sagte ich völlig unüberlegt, meine leichte Überforderung hatte schon wieder Platz gemacht für... ja für was eigentlich genau? Ich wusste es nicht, aber es war mir auch egal. Mir war durchaus bewusst, dass ich hier gerade anders reagierte als sonst. Alleine dass ich noch hier an ein und demselben Fleck stand, war schon anders als sonst. Jeden anderen hätte ich entweder komplett ignoriert oder gleich in der Luft zerrissen, aber etwas hielt mich diesmal davon ab. Vielleicht die Tatsache, dass er offenbar kein Interesse daran hatte, nochmals nachzuhaken, wem er hier gegenüberstand, obwohl ich mir sicher war, dass er neugierig war. Und meine eigene Neugier hatte ich so gut wie nie unter Kontrolle. Irgendwie imponierte mir sein Verhalten.
Schließlich nahm ich ihm kurzentschlossen die kleine Karte ab, steckte sie ohne weiter hinzusehen in meine Manteltasche und drehte mich dann endgültig um, nicht ohne ihm noch ein kleines Lächeln zu schenken.

~Jan~

Eigentlich hatte ich fast erwartet, dass er die Karte nicht nehmen würde und als er es dann letztendlich doch tat und mich auch noch so herzlich anlächelte, machte mein Herz direkt einen kleinen Sprung...Hallo Jan, gehts noch????...Ich fand mich innerlich schon wieder ziemlich albern...als wenn ich nicht andere Dinge zu tun hatte, als wildfremde Kerle anzusprechen...tz. Aber, irgendetwas kam mir an diesem Menschen ja so schrecklich bekannt vor...Ob es mir noch einfallen würde? Ich versuchte mich auf meinen Einkauf zu konzentrieren, doch es gelang mir mehr schlecht als recht...wenn sich das nicht bald wieder ändern würde, dann würden die Jungs wohl heute Abend auf ihr Essen verzichen müssen.

~ Bill ~

Gedankenverloren rührte ich im Kochtopf mit der Soße. Im Prinzip war das Essen fertig – die Nudeln al dente, die Soße perfekt, schon fast zu perfekt – aber ich musste gerade wieder daran denken, was das heute für ein merkwürdiger Tag gewesen war. Statt dessen sollte ich mich lieber auf den so selten gewordenen ruhigen Abend konzentrieren... nur Tom und ich, und ich hatte mich schon so darauf gefreut. Nur deshalb hatte ich heute auch diesen kleinen Ausflug unternommen – ich wollte unbedingt die frischesten Tomaten haben, die es gab. Und jetzt ließ ich sie gerade verkochen.
„Sagst du mir jetzt, was passiert ist?“, riss mich die Stimme meines Bruder plötzlich aus meinen Gedanken. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er die Küche betreten hatte. Und ich konnte nicht verhindern, dass mir ein leises gefrustetes Schnauben entfuhr. Leider vergaß ich ab und zu, dass ich einen Zwilling hatte. Und einen sehr aufmerksamen noch dazu, es hätte mir klar sein müssen, dass er bemerken würde, dass mich etwas beschäftigte.

~Jan~

Der Abend mit den anderen Bandmitgliedern verlief noch lustiger und schöner, als ich es erwartet hatte. Unsere Zusammengehörigkeit schien nie weg gewesen zu sein und wahrscheinlich war sie das auch gar nicht. Einmal kurz hatte ich daran gedacht mit ihnen über die Begegnung am Nachmittag zu sprechen...doch ich hatte es gleich wieder verworfen. Ich hätte gar nicht gewusst, wie ich das hätte erklären können und dass es keine "normale" Begegnung gewesen war, hätte zumindest einer mit Sicherheit gespürt und nachgefragt.
Doch jetzt, als ich wieder alleine war, ärgerte ich mich irgendwie darüber den Mund gehalten zu haben. Noch immer beschäftigte es mich wer hinter diesem Tuch und unter dem Mantel gesteckt hatte...ja es quälte mich regelrecht, denn man glaubte es kaum...Ich räumte auf.

~ Bill ~

Der Abend war mittlerweile zum mehr als späten Abend geworden. Tom und ich lümmelten inzwischen gemütlich auf der Couch, aber vom flimmernden Fernsehbild bekam ich nicht all zu viel mit. Ich hatte Tom natürlich auf sein Drängen hin die kleine Geschichte erzählt, dir mir heute passiert war. Zuerst hatte er mich wie erwartet für bescheuert erklärt, und dass ich das lieber gleich wieder vergessen solle, doch er war recht schnell dahinter gestiegen, dass mich das Ganze nicht in Ruhe ließ. Nicht beim Essen, nicht beim Reden über andere Gesprächsthemen, und erst Recht nicht jetzt vor dem Fernseher, wo mich der Film alles andere als fesselte. Ich seufzte lautlos, es ließ sich ja doch nicht ändern.
"Bill, ganz ehrlich - selbst wenn es nicht so kompliziert wäre... willst du dich jetzt jeden Tag in diesen Gemüseladen stellen oder was?" Ich wandte den Kopf und sah mich mit Toms aufmerksamem Blick konfrontiert. Sollte ich es ihm sagen? Ja, entschied ich innerhalb von Sekundenbruchteilen.
"Ich hab seine Nummer," verriet ich das kleine aber feine Detail, das ich bis jetzt verschwiegen hatte. Tom stöhnte genervt und ich wusste seine Antwort schon, bevor er sie aussprach. Aber sollte ich das wirklich tun?

~Jan~

Nur eine Weile lenkte mich diese völlig untypische, abendliche Aufräumaktion von dem schwarzen Unbekannten ab. Eigentlich konnte man sagen, dass sie, in dem Moment als mir ihr Sinn in den Kopf kam, völlig wirkungslos wurde. Es war spät und ich sollte schlafen gehen, doch vorher ging ich ins Bad und duschte ausgiebig, vielleicht würde mir das helfen an etwas anders zu denken.
Nein, tat es natürlich nicht, auch während mir das heiße Wasser über den Körper lief überlegte ich, was es gewesen war, dass mir diese Begegnung so tief ging...dass ich immer daran denken musste und soviel fühlte...so komisch. Ich war in meinem Leben schon viel herumgekommen, war vielen Menschen begegnet...vieles davon war einzigartig, aber dies hier...
Es war noch einzigartiger als alles was mir vorher über den Weg gelaufen war und doch hatte ich noch immer das Gefühl dieser Einzigartigkeit schon einmal begegnet zu sein.
Irgendwann war ich fertig und beschloss nun endgültig in mein Bett zu gehen. Heute anders als sonst...ich nahm mein Handy mit.

~ Bill ~

`Ruf ihn halt an` hatte Tom gesagt, nach einigem Hin und Her war es bei diesem Satz hängen geblieben. Und jetzt lag ich im Bett, wiederholte diesen einen Satz immer und immer wieder in meinem Kopf und konnte mich doch nicht überwinden. Warum sollte ich ihn auch anrufen? Ich rief niemals Leute an, die mir einfach so ihre Telefonnummer gaben. Und das passierte schließlich nicht gerade selten.
Nachdenklich betrachtete ich die kleine Karte in meiner Hand. Jan. Wie alt er wohl war? Was er wohl machte, so im Allgemeinen und im Besonderen? Ob er auf meinen Anruf wartete? Und wenn schon. Ich würde ihn nicht anrufen. Außerdem war es jetzt eh schon viel zu spät, mitten in der Nacht. Und was sollte ich denn sagen? Missmutig warf ich das Telefon ans Fußende meines Bettes, nur um es ein paar Augenblicke später schon wieder in der Hand zu halten und blind die Nummer einzutippen, die ich inzwischen schon auswendig kannte, so lange hatte ich mich nicht entscheiden können. Und je länger es klingelte, desto mehr bekam ich Angst vor meiner eigenen Courage. Ich musste geistig umnachtet sein, um diese Uhrzeit da anzurufen, doch gerade als ich auflegen wollte, meldete er sich, und er klang so verschlafen, dass es mir umgehend ein kleines Schmunzeln aufs Gesicht legte.
"Hallo... hier ist der, den du heute umgerannt hast", sagte ich, plötzlich wieder selbstbewusst wie immer.

~Jan~

Ich glaube ich war noch nie in meinem Leben so schnell wach...an das klingelnde Handy war ich eher noch mit dem Schlaf in meinem Kopf gegangen, der sich irgendwann eingeschlichen hatte...als ich diese Stimme hörte war er wie weggeblasen...so wie ich es überhaupt nicht von mir kannte und ich war hellwach...absolut hellwach. "Wow", entfuhr es mir trotzdem was ich eigentlich nur denken hatte wollen und in der halben Sekunde, die mir zum Denken blieb entschloss ich mich zur völligen Offenheit und Ehrlichkeit. "Ich habe kein Stück damit gerechnet, dass du mich tatsächlich anrufen würdest, auch wenn ich es ganz doll gehofft habe. Ich bin sehr erstaunt und... freu mich aber sehr. Sagst du mir vielleicht jetzt auch deinen Namen?", bat ich fast liebevoll.