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~ 2 ~
Draußen war es grau. Grau in grau, wenn man es genau nahm, und ganz genau so fühlte es sich für Tom auch an, während er gedankenverloren aus dem Fenster starrte und das Geschehen im Fernseher ignorierte, ohne es zu merken. Er hätte es niemals laut zugegeben, aber er vermisste Bill.
Er vermisste die Streitereien, er vermisste den Sex, er vermisste die Gespräche, er vermisste die Gesellschaft. Wahrscheinlich lag das nur an der ungewöhnlich langen Zeit, in der sie sich nicht gesehen hatten. Das war in den ganzen letzten zwei Jahren das erste Mal vorgekommen, dass Bill so lange unterwegs gewesen war – und den Aufenthalt dann auch noch zusätzlich und völlig unerwartet verlängert hatte.
Tom seufzte lautlos. Das musste ein Ende haben, sofort. Und er musste auch sofort aufhören, überhaupt darüber nachzudenken, dass es ihm gewaltig gegen den Strich ging, dass Bill vor ein paar Tagen aus heiterem Himmel angerufen hatte, nur um ihm zu sagen, dass er ein paar zusätzliche Termine eingeschoben hatte, weil es eine solch günstige Gelegenheit so schnell nicht wieder geben würde...
"Schluss jetzt", beschimpfte Tom sich selbst, schaltete genervt den Fernseher aus und griff sich in derselben Bewegung das Telefon vom Tisch.
"Lenk mich ab", befahl er Andy ungeduldig, als dieser nach dem vierten Klingeln endlich abnahm.
"Wovon? Schiebst du etwa Liebeskummer?", kam es halb amüsiert, halb alarmiert zurück. Tom schnaubte und stutzte Andy dann in einem kurzen scharfen Wortgefecht zurecht. Ein paar Minuten später hatte er sich schon seine Jacke geschnappt und befand sich bereits auf dem Weg zu seinem besten Freund. Er brauchte jetzt wirklich dringend Ablenkung.
* * *
"Hast du dich wieder beruhigt?", wurde Tom eher muffig empfangen, aber Tom machte sich nichts weiter daraus. Andy würde sich schon wieder einkriegen, und war außerdem Toms oftmals ruppige Umgangsformen gewöhnt.
„Können wir irgendwas unternehmen?“, ließ er die Frage unbeantwortet, und sah zu, wie Andy unleidlich das Gesicht verzog. Es war Freitag, aber die Werkstatt hatten sie auch am Samstag geöffnet, weshalb Andy meistens nicht besonders scharf darauf war, bis in die frühen Morgenstunden irgendwo zu versacken.
„Aber nicht so lange. Du weißt ganz genau, dass wir morgen arbeiten müssen. Und außerdem halte ich es für keine gute Idee, sich aus Liebeskummer zu betrinken“, sagte Andy genau das, was Tom vermutet hatte, und was ihn gleichzeitig auf die Palme brachte.
„Ich hab keinen Liebeskummer, zum letzten Mal. Wie kommst du nur immer darauf? Und ich weiß, dass wir morgen arbeiten müssen, aber du bist nicht mein Vater oder so was in der Art, verstanden? Und bitte sei nicht immer so spießig, wir sind doch keine Kinder mehr, die um acht ins Bett müssen. Und übrigens, wir werden heute Abend nicht über Bill reden“, stutzte Tom seinen Freund zurecht.
„Ich werde bestimmt nicht über Bill reden. Wann kommt er denn eigentlich wieder?“, widersprach Andy sich innerhalb von zwei Sätzen selbst, und Tom wusste nicht, ob er grinsen oder sauer sein sollte.
„Übermorgen. Und wir wollten doch nicht über ihn reden“, grummelte er schließlich eine Antwort, die ihn nur wieder daran erinnerte, wie viele Stunden es noch bis übermorgen waren.
„Was willst du denn unternehmen?“, lenkte Andy vom Thema ab, und Tom warf ihm einen dankbaren Blick zu.
„Ganz egal. Von mir aus können wir auch Bungee Jumping machen, Hauptsache, wir verschwinden jetzt hier“, hielt er seinem Freund ungeduldig dessen Jacke entgegen.
* * *
Natürlich waren sie versackt. Natürlich hatten sie über Bill geredet. Und natürlich hatte Andy jetzt schlechte Laune und Tom ein schlechtes Gewissen, weil er sich für den Zustand seines Freundes verantwortlich fühlte.
„Ich bin echt wütend auf dich“, lamentierte Andy jetzt schon zum dritten Mal, was nicht gerade dazu beitrug, dass Tom sich besser fühlte. Aber er musste es auch nicht alle fünf Sekunden unter die Nase gerieben bekommen, zumal sie ja jetzt endlich auf dem Heimweg waren.
„Ist gut jetzt“, zischte er ungehalten und gab sich dabei weiterhin alle Mühe, den stolpernden Andy vor einem Sturz auf den Gehweg zu bewahren. Andy gab sich auch tatsächlich die nächsten fünf Sekunden damit zufrieden, dann wollte er offensichtlich erneut wiederholen, wie wütend er auf Tom war, aber der kam ihm zuvor.
„Andy, hör jetzt auf. Es tut mir leid, okay? Aber ich kann es jetzt auch nicht mehr ändern“, versuchte er nochmals, das Ganze nicht eskalieren zu lassen, aber mit seinem genervten Unterton würde das Vorhaben wohl nicht von Erfolg gekrönt sein.
„Ich hab ne Idee“, nuschelte Andy aber statt dessen, was Tom stehen bleiben ließ, damit er seinen besten Freund besser im Blick hatte. „Lass hören“, forderte er, als Andy ihn nur grinsend anstarrte. Vielleicht hätten sie die letzten paar Bier doch lieber weglassen sollen...
„Du gehst morgen allein arbeiten und ich schlaf mich aus – das wäre nur gerecht“, brachte Andy sein Vorhaben auf den Punkt. „Never“, wehrte sich Tom, der ja mal gar nicht einsah, dass er jetzt ganz alleine dafür büßen sollte, dass sie heute ein bisschen über die Stränge geschlagen hatten. Natürlich war er nicht ganz unschuldig daran, und er hatte alles angeleiert, aber Andy hatte schließlich mitgemacht, ohne sich wirklich ernsthaft dagegen zu wehren. Und er würde sich jetzt nicht die ganze Schuld in die Schuhe schieben lassen.
„Chill dich mal. War doch nur`n Scherz“, beschwichtigte Andy ihn aber auch schon in diesem Moment, und Tom beschloss, ihn jetzt einfach nach Hause zu bringen und es gut sein zu lassen. Vielleicht konnten sie morgen eine Stunde früher Feierabend machen oder so, immerhin hatten sie keine Chefs, die sie bevormunden konnten. Meistens war Tom froh über diese Tatsache, aber er war sich auch bewusst, dass manchmal jemand fehlte, der ihm von Zeit zu Zeit einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpasste. Er neigte wirklich zur Faulheit. Aber Andy übernahm den Job des Treters gerade in den letzten Wochen mit Vergnügen...
„Tom? Was ist jetzt schon wieder? Du bist so still“, unterbrach Andy seine Gedankengänge.
„Nichts. Ich hab nur grad darüber nachgedacht, dass wir froh sein können, selbständig zu sein“, gab Tom zu, und sah erfreut, wie Andys Gesicht sich aufhellte.
„Stimmt. Aber wir haben auch hart dafür gearbeitet. Und außerdem funktioniert so ein Projekt auch nur, wenn man sich blind vertraut. Und so einen besten Freund hat wie dich“, wurde Andy plötzlich sentimental, was wahrscheinlich am Alkoholkonsum lag, aber trotzdem machte es Tom verlegen.
„Hör schon auf, du Theatraliker“, schimpfte er halbherzig und wusste doch ganz genau, dass man ihm anhören konnte, wie gerührt er war. Sie waren aber auch definitiv ein gutes, eingespieltes Team, und Tom war sich sicher, dass es nur mit Andy so laufen konnte, wie es eben lief.
* * *
Tom hatte Andy brav bis vor seine Wohnung begleitet und war nun auf dem kurzen Weg zu sich nach Hause, immerhin wohnten sie nur zwei Querstraßen voneinander entfernt. Jetzt wo er allein und ohne Unterhaltung war, sehnte er sich plötzlich nach seinem weichen, warmen Bett und beschleunigte seine Schritte, um sein Vorhaben schneller in die Tat umsetzen zu können. Tom liebte seine Wohnung heiß und innig. Sie befand sich im obersten Stockwerk eines 6-Familienhauses und war sein ganzer Stolz.
Und mittlerweile schaffte er es sogar, wenigstens in seinem Schlafzimmer das Chaos in Grenzen zu halten... Tom musste unwillkürlich grinsen, aber dann wurde ihm bewusst, dass er irgendwie dabei unweigerlich schon wieder an Bill dachte.
Er bemühte sich, seine Beine noch schneller zu bewegen, damit er endlich nach Hause kam.
Vor seiner Haustür kramte er Ewigkeiten in seinen weiten Hosentaschen nach dem Schlüssel, und schloss dann ungeduldig auf. Den Fahrstuhl sparte er sich heute, er hatte keine Geduld, erst zu warten, bis das fürchterlich langsame Ungetüm nach unten gefahren sein würde. Zu Fuß war er viel schneller, und außerdem abgelenkt, wenn er sich auf die Stufen konzentrierte, die unter seinen Füßen dahinglitten, zumal er darauf verzichtet hatte, das Licht einzuschalten. Er fand den Weg auch ohne die entsetzlich hellen Halogenstrahler, die das Treppenhaus verzierten.
Während er lief, machten sich seine Gedanken schon wieder selbständig. Morgen war Samstag, dann würde er bis Nachmittags arbeiten, und dann wahrscheinlich so müde sein, dass er sich zu Hause erst mal eine Runde hinlegen musste. Abends war er mit Andy und ein paar anderen Leuten in einer Disco verabredet. Und dann war schon Sonntag, den Tag würde er irgendwie auch noch herumkriegen, und am Abend hoffte er, dass Bill sich meldete, so bald er wieder da war... Und schon wieder dachte er an Bill.
Da hatte das ganze Ablenken heute ja wirklich viel genutzt... Tom schnaufte unwillig, bevor er um die Ecke bog, um den letzten Treppenabsatz in Angriff zu nehmen.
"Oh Scheiße", war das Nächste, das ihm vor lauter Schreck lauthals entfuhr. Da saß jemand, auf den Stufen vor seiner Wohnung saß eine dunkle Gestalt, die sich jetzt langsam erhob und auf ihn zukam.
"Bill?!"fragte Tom ungläubig in die Stille, als er zu erkennen glaubte, wer sich da mitten in der Nacht irgendwie ins Treppenhaus vor seine Wohnung geschlichen hatte. Aber das konnte doch nicht möglich sein, oder? Dass er keine Antwort bekam verunsicherte Tom noch mehr, und die Verwirrung zusammen mit der Verunsicherung und dem Überschuss an Adrenalin in seinem Körper ließ sein Herz unkontrolliert vor sich hinrasen. Was, wenn es sich nun um einen armen Irren handelte, der gleich mit einem Messer auf ihn losgehen würde wie in einem von diesen schlechten amerikanischen Filmen?
"Ich hab dich vermisst", erlöste ihn in diesem Moment eine Stimme, bevor er in ernsthafte Panik verfallen konnte. Eine Stimme, die er kannte. Die er sehr gut kannte.
* * *

Manchmal finde ich Cliffhanger einfach doof. Jetzt ist es endlich soweit, dass Bill auftaucht... da ist das Kapitel zu Ende *grmpf*. Ich hätte jetzt zu gern weitergelesen *mich trotzdem gefreut habe, dass es überhaupt etwas zu lesen gab* ... nur ist es mir heute einfach zu kurz^^
Wie ist denn dein Urlaub, schäfchenschatz? Du hast dir ja definitiv das richtige Wetter dafür ausgesucht.


Nich grummeln^^
mein Urlaub ist tollig, das Wetter bombastisch und wir haben jetzt unseren Hund seit einer Woche, der macht sich auch echt gut. Alles in allem bin ich sehr zufrieden im Moment (das wird sich ab Mai = Arbeit wieder ändern befürchte ich)
Und Scooter, nicht jedem liegen Vampire, damit hab ich so übrhaupt kein Problem

Zitat von schäfchen
wir haben jetzt unseren Hund seit einer Woche
Wie heißt er/sie denn? Und wie alt ist es^^?
Und ich weiß nun nicht, wie ich mein entsetztes "OH MEIN GOTT... ihr habt es tatsächlich getan" irgendwie anders formuliert bekomme ... oh, jetzt fällt mir doch noch etwas ein... ihr habt sie echt nicht mehr alle
Ich hab dich lieb, du Bekloppte^^



~ 3 ~
Tom grinste zufrieden vor sich hin, während er gedankenverloren seine Wohnzimmerdecke anstarrte. Er sah bestimmt gerade ein bisschen bescheuert bis grenzdebil aus, aber das war ihm so was von egal...
Seinen aktuellen Zustand hatte er jedenfalls Bill und dessen Überrumpelungsaktion vorhin zu verdanken, und das war auch gut und richtig so. Egal, ob er morgen noch verschlafener sein würde, egal, dass es ihm erst recht deutlich machte, wie sehr er Bill vermisst hatte, alles war ihm im Augenblick egal.
Bill hatte ihn auch vermisst, das waren die einzigen wenigen geflüsterten Worte gewesen, die er ihm zugeraunt hatte, bevor er hemmungslos über ihn hergefallen war. Einfach so. In der Dunkelheit. Mitten im Treppenhaus. Und Tom hatte nicht mal eine einzige müde Sekunde lang darüber nachgedacht, dass vielleicht seine überneugierige Nachbarin etwas von dem Tumult mitbekommen könnte... das war ihm erst wieder siedend heiß eingefallen, als Bill plötzlich wie zufällig auf den Lichtschalter gedrückt hatte, während er genüsslich schmatzend dafür gesorgt hatte, dass Tom einsatzbereit war. Und selbst da hatte es Tom nicht dazu bewegen können, Bill zum Aufhören zu bringen...
"Was grinst du denn so dämlich?", unterbrach die amüsierte Stimme von Bill in diesem Moment seinen Gedankenfluss. Tom richtete den Blick auf seinen persönlichen Teufel und begegnete einem vergnügten Funkeln in den dunklen Augen. Wie viel Zeit Bill im Bad verbracht hatte, war für ihn gerade unmöglich zu sagen. Es konnten drei Minuten oder auch drei Stunden gewesen sein, er hatte momentan so absolut gar kein Zeitgefühl mehr, aber auch das war ihm gerade egal. Er wollte einfach noch ein bisschen auf seiner Wolke schweben, auf die Bill ihn befördert hatte.
"Was machst du schon hier?", stellte Tom schließlich eine Gegenfrage, die er viel wichtiger zu beantworten fand. Denn warum er so blöd grinste, wusste Bill ganz genau und bedurfte wohl nicht erst einer eingehenden Diskussion.
"Ich hab es vor Sehnsucht nicht mehr ausgehalten", säuselte Bill liebreizend und mit einem so betörenden Augenaufschlag, dass Tom es ihm beinahe abgekauft hätte.
Aber er war ja nicht blöd. Auch wenn er noch so blöd grinste.
"Okay. Und was ist wirklich passiert?", hakte er also interessiert nach, und betrachtete dabei ungeniert Bills Körper, den nichts weiter als ein enges schwarzes Tank Top verhüllte. Welches Bill sich gerade auch noch in aller Seelenruhe über den Kopf zog. Tom schluckte trocken und dachte für einen Moment an die ganzen Schuhe und Klamotten, die draußen vor seiner Wohnungstür verstreut lagen...
Er sollte das Chaos so schnell wie möglich beseitigen, sonst wäre er morgen wieder das Nummer-Eins-Gesprächsthema bei seinen Nachbarn. Andererseits war er das sowieso schon und...
"Der Termin mit Karl Lagerfeld ist ausgefallen und ich konnte auf einen früheren Flug umbuchen. Also warum soll ich dann meinen göttlichen Hintern nicht spontan ein bisschen schneller wieder hierher bewegen? Oder komm ich etwa irgendwie ungelegen?" Bill blickte sich suchend in der Wohnung um, als erwarte er was auch immer zu finden, während er gleichzeitig unauffällig neben Tom auf die Couch rutschte.
"Quatsch. Ich hatte jetzt nur nicht mit dir gerechnet. Und ich muss morgen arbeiten", erwiderte Tom, und schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln. Bill würde es nicht weiter stören, dass er morgen früh raus musste, er war egoistisch genug, um seine Bedürfnisse einzufordern und auch durchzusetzen.
"Und?", kam es provokativ zurück. Tom antwortete absichtlich nicht. Innerlich hatte er sich schon fast damit abgefunden, dass Bill sich wohl kaum mit dem kurzen Intermezzo vor der Tür zufrieden geben würde, schon gar nicht, nachdem sie sich so lange Zeit nicht gesehen hatten. Und er würde Bills weiteren Annährungsversuchen wahrscheinlich nicht lange stand halten. Aber das musste er ihm ja nicht gleich in aller Deutlichkeit auf die Nase binden.
"Ich weiß, dass du morgen arbeiten musst. Wir können jetzt auch gerne ins Bett gehen", hörte er Bill neben sich belustigt glucksen, und Tom warf ihm einen genervten Blick zu. Er fand das gar nicht witzig, er dachte schon ein paar Stunden weiter, und wie es ihm dann gehen würde, und die nächste Auseinandersetzung mit Andy würde dann bestimmt auch wieder nicht lange auf sich warten lassen... Oh Mann, es war einfach immer dasselbe.
"Na komm schon, Tom. Du musst auch gar nichts machen. Nur entspannt zurücklehnen und genießen..." Bill hatte inzwischen in den `Ich-Verführ-Dich-Sowieso-Ob-Du-Willst-Oder-Nicht-Modus` geschaltet, trippelte gemütlich mit den Fingerspitzen auf Toms Brust herum und rückte noch ein Stück näher an ihn heran.
Tom zog es vor, erneut keine Antwort zu geben, und bemühte sich, Bills Gesäusel und seinen stetig forscher werdenden Fingern keine großartige Beachtung zu schenken. Davon ließ sich Bill allerdings wie erwartet nur wenig bis gar nicht beeindrucken.
"Du solltest dich wenigstens ausziehen, wenn du ins Bett willst", erinnerte Bill ihn statt dessen daran, dass er vorhin der Einfachheit halber seine Hose wieder hochgezogen hatte, damit er laufen konnte und nicht wie ein Idiot herumstolperte. Alle anderen Klamotten hatte er sowieso noch an, Bill hatte vorhin wahrlich keine Zeit vergeudet... bei der Erinnerung an den kleinen unverhofften, aber dafür um so schärferen Quickie eben, begann es Tom schon wieder heiß zu werden. Wenig hilfreich für seinen eigentlich geplanten Widerstand.
"TomTom", schnurrte es zu allem Überfluss jetzt auch noch leise an seinem Hals, er konnte spüren, wie Bill sich seitlich an ihn presste und feuchte Küsse entlang seiner Halsschlagader verteilte. Sein Blut begann schneller zu pulsieren, seine Nackenhärchen stellten sich auf, und er biss sich angestrengt auf die Unterlippe, um jedes verräterische Geräusch zu unterdrücken.
Er sollte jetzt eigentlich schlafen. Und das möglichst nicht mit Bill.
"Bekommst du denn nie genug?", probierte Tom es mit einer rhetorischen Frage, die ihm nur eine hochgezogene Augenbraue einbrachte sowie den Kommentar, dass er selbst ja nicht besser sei, womit Bill sicherlich Recht hatte... aber gerade fühlte Tom sich noch so befriedrigt, und beflügelt, und außerdem würde er spätestens morgen Früh geköpft werden, wenn er jetzt nicht bald eine Mütze Schlaf abbekam.
„Hattest du einen guten Heimflug?“, versuchte Tom plötzlich sozusagen als letzten Versuch ein bisschen kurzatmig einen absoluten Themenwechsel, und kam sich genau so lächerlich dabei vor, wie er sich anhörte.
„Kann man sagen“, stieg Bill allerdings zu Toms Verwunderung darauf ein, als würden sie sich gerade nur über das Wetter unterhalten, unterbrach dabei aber seine Küsserei an Toms Hals keineswegs.
Wenn er noch ein paar Sekunden so weitermachte, würde Tom die Beherrschung verlieren. Verzweifelt versuchte er sich auf etwas anderes zu konzentrieren, aber das Vorhaben war nur von wenig Erfolg gekrönt.
„Das ist schön“, hielt Tom trotzdem an seiner Strategie fest, er wollte zumindest austesten, wie lange er durchhalten würde.
„Hmhm... noch schöner war allerdings, wie du es mir eben besorgt hast“, fand Bill und rückte ein Stück von Tom ab, damit er ihn auch noch zusätzlich mit Blicken malträtieren konnte. „Und ich hätte jetzt wirklich Lust auf ne Wiederholung“, schob Bill noch hinterher, was Tom zum Erbeben brachte. Wenn Bill ihn so intensiv ansah und deutlich sagte, was er wollte, wobei er das noch wesentlich deutlicher draufhatte, konnte Tom wiederum an nichts anderes mehr denken, als die verheißungsvollen Worte in die Tat umzusetzen. Nicht, dass Bill das geplant hätte...
„Du bist ein – “, begann Tom mühevoll einen Satz, den er allerdings unbeendet ließ, als er Bills Finger in diesem Moment dreist unter seinen Hosenbund schlüpfen fühlte. Das war jetzt eindeutig zu viel für ihn und seinen willensschwachen Körper und er begriff erst, dass er Bill grob im Nacken zu sich gezerrt und ihm ungestüm seine Lippen aufgepresst hatte, als er den Schwarzhaarigen leise und genussvoll seufzen hörte.
Tom vertiefte den Kuss, ohne weiter darüber nachzudenken, was er hier tat, und wunderte sich auch nicht darüber, wie eingespielt sie mittlerweile aufeinander waren.
Irgendwann saß Bill nackt wie er war auf seinem Schoß, und Tom konnte es auf einmal gar nicht mehr schnell genug gehen. Nicht einen Gedanken verschwendete er an später oder morgen oder wann auch immer – er konnte gerade sehr gut im Hier und Jetzt leben.
Er genoss in vollen Zügen Bills hingebungsvollen Küsse, er genoss die Gänsehaut, die ihn von Kopf bis Fuß überzogen hatte, und vor allem genoss er die warme Hand, die endlich den Weg unter seine Shorts gefunden hatte und in diesem Augenblick ihr Ziel erreichte. Tom stöhnte unterdrückt und wünschte sich nichts mehr, als dass es ewig so weitergehen möge.
Doch als hätte Bill seine Gedanken erraten, beendete er plötzlich und ziemlich abrupt jeglichen Körperkontakt und kletterte von Toms Schoß, ehe der ihn auch nur ansatzweise aufhalten konnte.
„Was wird das jetzt?“, fragte Tom verständnislos und mit einer gehörigen Portion Empörung in der Stimme, was Bills Augen umgehend zum Glitzern brachte.
„Ich geh schlafen“, verkündete Bill, grinste Tom frech ins Gesicht und drehte sich einfach um und ließ ihn sitzen, wo er war.
„In meinem Bett?“, rief Tom ihm hinterher, nicht wissend, ob er jetzt lachen oder weinen sollte.
„In deinem Bett“, schallte es bestätigend aus dem Flur, nur eine Sekunde später klappte Toms Schlafzimmertür.
Tom fluchte, aber er gab sich Mühe, nicht zu laut zu werden, den Triumph wollte er dem schwarzhaarigen Miststück nicht auch noch gönnen. Es reichte schon, dass Bill sich offenbar mal wieder besser unter Kontrolle hatte als er selbst.
„Rache kommt... aber jetzt bist du erst mal dran – du kleines, unmögliches, unberechenbares, provokatives Biest“, nuschelte Tom vor sich hin, er konnte nicht glauben, dass er es Bill immer wieder so einfach machte und immer wieder auf solche Spielchen hereinfiel, als sei er ein Kindergartenkind, dem man nur ein Stück Schokolade hinhalten brauchte, damit es durchdrehte.
Manchmal konnte er Situationen dieser Art lustig finden, manchmal machten sie ihn wütend, wobei er dann meistens nicht wusste, ob er jetzt auf sich selbst oder auf Bill wütend war, und manchmal verursachte es eine brodelnde Mischung aus allen möglichen Emotionen in seinem Inneren, so wie jetzt.
Schwerfällig erhob sich Tom, entledigte sich in aller Ruhe seiner Klamotten, und spürte dennoch, dass ihn etwas wie ein Magnet in Richtung seines Schlafzimmers zog, ob er nun wollte oder nicht. Es war so ungerecht, manchmal fühlte er sich fast ein bisschen ausgeliefert, und je mehr er runter kommen wollte, desto weniger gelang es ihm.
Statt dessen hatte ihn bereits jetzt schon wieder die Vorfreude voll im Griff, allein die Vorstellung von einem nackten Bill in seinem Bett ließ ihn schließlich fast hektisch werden.
Tom bemühte sich trotzdem und gerade deshalb um langsame Schritte, setzte ganz bewusst einen Fuß vor den anderen, um seine Grenzen auszuloten, und um sich vielleicht ein einziges Mal besser im Griff zu haben als Bill, obwohl das so gut wie ausgeschlossen war, das hatte er einfach schon zu oft erfahren.
Im Flur blieb Tom kurz stehen, um sich zu sammeln, aber alles was er damit erreichte war, dass er jetzt erst recht spürte, wie erregt er schon wieder war. Verdammt. Eine solche sexuelle Anziehungskraft wie bei ihm und Bill hatte er noch nie vorher erlebt. Alles in ihm schrie danach, seinen so lächerlichen Hinhalteversuch abzubrechen und sich gleich auf die Hauptmahlzeit zu stürzen. Wozu diese Zurückhaltung, die ihm sowieso nicht abgekauft wurde?
Als er Bill dann auch noch unerwartet laut durch die geschlossene Tür stöhnen hörte, war es mit seiner Beherrschung endgültig vorbei. Unbeherrscht stürmte er vorwärts, konnte den Türgriff gar nicht schnell genug erreichen.
Er wusste, noch bevor er überhaupt einen Blick ins Zimmer geworfen hatte, was ihn erwartete.
* * *



~ 4 ~
„Oh. Mein. Gott.“
Da war es. Das war das Todesurteil für den heutigen Tag, der eh schon so katastrophal begonnen hatte. Tom griff sich mit einer theatralischen Geste an die Stirn und kniff gepeinigt die Augen zu.
Eigentlich sollte er gleich wieder umkehren und nach Hause gehen. Beziehungsweise schlurfen, mehr bekam er gerade sowieso nicht hin. Eigentlich. Uneigentlich würde er um diesen Tag wohl nicht herumkommen.
„Was in aller Welt hast du bloß getrieben?“, schallte es auch schon erbarmungslos weiterhin auf ihn ein, und er konnte ein entnervtes Stöhnen nicht länger unterdrücken.
„Getrieben trifft es ganz gut“, maulte er verstimmt seinen Freund an, der ihn daraufhin nur verständnislos musterte. Tom ließ sich geschafft auf den nächstbesten Stuhl plumpsen.
Seine Euphorie, seine gute Laune, alles war dahin, und obwohl heute zur Abwechslung draußen die Sonne von einem strahlend blauen Himmel schien, fühlte es sich trotzdem an wie ein grauer Tag, mit tief hängenden Wolken, die auf die Stimmung drückten und jeden Moment drohten, einen sintflutartigen Regen niederzulassen.
Natürlich hatte er letzte Nacht kaum geschlafen, und die Nachwirkungen seines exzessiven Verhaltens der vergangenen Stunden bekam er jetzt in aller Deutlichkeit zu spüren. Aber das war nicht alles.
Das war noch längst nicht alles.
„Tom? Klärst du mich vielleicht mal auf? Ich versteh grad echt nur Bahnhof“, verlangte Andy jetzt nachdrücklich, und er hatte ja nicht mal Unrecht. Tom hob müde den Blick, er hatte das Gefühl, als würden Bleigewichte an seinen Lidern hängen, die seine Augen immer wieder zufallen ließen, und am liebsten würde diesem Verlangen einfach nachgeben, ohne weiter darüber nachzudenken.
„Bill“, murmelte Tom schließlich mit schwerer Zunge, als sei allein der Name seiner Affäre Erklärung genug für all seine Nöte. Und manchmal war das auch so.
„Was ist mit Bill?“, fragte Andy aber unbarmherzig weiter, und warf nebenbei einen verstohlenen Blick auf die Uhr. Wenn sie nicht langsam mal in die Puschen kamen, würden sie noch bis heute Abend hier sitzen, er sah es schon kommen. Andererseits interessierte es ihn brennend, warum in aller Welt Tom heute so abstand.
Tom riss sich zusammen und berichtete stockend eine Kurzversion der vergangenen Nacht und vor allem des frühen Morgens, ohne zu viele Details zu verraten. Er konnte in Andys Gesicht ablesen, wie er langsam zu verstehen begann, aber er ersparte Tom ausnahmsweise einen lehrerhaften Vortrag, als Tom am Ende seiner Erzählung angelangt war und wie ein nasser Sack auf seinem Stuhl zusammensank.
„Okay. Ich hol dir jetzt einen starken Kaffee und dann erwarte ich, dass wir den Tag trotzdem durchziehen“, sagte Andy schließlich mit einer Mischung aus Strenge und Verständnis in der Stimme, die Tom unwillentlich zum Lächeln brachte. Wenn es drauf ankam, konnte er sich auf seinen Freund verlassen, das hatte Andy schon mehr als einmal in der Vergangenheit unter Beweis gestellt. Und er war ihm mehr als dankbar dafür, dass ihr Gespräch jetzt nicht in eine sinnfreie Diskussion ausartete.
* * *
Fast verbissen und mit ganzem Körpereinsatz drehte Tom die letzte Schraube fest. Irgendwie hatte er schon den halben Tag überstanden. Andys Kaffee hatte wahre Wunder bewirkt, und sie hatten gemeinsam fast das komplette Arbeitspensum geschafft, das zu bewältigen war. Gähnend erhob sich Tom aus seiner halb hockenden, halb knienden Position und wischte sich anschließend den Schweiß von der Stirn. Seine Beine fühlten sich immer noch an wie Pudding, aber wenigstens war sein Kopf wieder einigermaßen klar.
„Wir sind so gut wie durch“, freute sich Andy in diesem Moment und stand so plötzlich neben Tom, dass dieser leicht zusammenzuckte.
„Jap“, schnaufte Tom kurz und knapp, und gönnte sich einen kurzen Augenblick, um einmal tief durchzuatmen. Er spürte körperlich, dass Andy ihn ansah, und erwiderte irgendwann halbherzig dessen Blick.
„Du willst gleich bestimmt erst mal ne Runde Schlaf nachholen?“, stellte Andy schließlich mehr fest, als dass er wirklich fragte. Tom nickte nur. Schlaf brauchte er tatsächlich ziemlich dringend, und auf ausschweifende Antworten verspürte er noch immer keine große Lust.
„Kommst du denn trotzdem heute Abend mit?“, bohrte Andy vorsichtig weiter.
„Klar. Haben wir doch schon vor ein paar Tagen ausgemacht“, erwiderte Tom nun doch leicht verwundert. Sie waren heute Abend mit einigen Freunden verabredet, er war schon ewig nicht mehr in der Disco gewesen, und hatte sich die ganze Woche darauf gefreut, mal etwas anderes zu sehen. Außerdem konnte er morgen ausschlafen.
„Ich dachte nur... du kannst Bill auch gerne mitbringen“, kam Andy langsam zum Punkt, was in Tom umgehend ein mulmiges Bauchgefühl auslöste. Das wollte er sich aber nicht unbedingt anmerken lassen.
„Vielleicht will ich ihn gar nicht mitbringen“, nuschelte er leise, aber er war sich sicher, dass Andy seine Worte trotzdem verstanden hatte.
„Ich wollte damit nur ausdrücken, dass ich kein Problem mit Bill hab“, bestätigte sich Toms Annahme. Tom brachte ein gequältes Lächeln zustande, aber er war jetzt nicht in der Lage, über Bill zu sprechen.
„Und jetzt lass ich dich damit in Ruhe. Du kannst ruhig schon nach Haus abhauen, den Rest schaff ich locker allein. Und ich hab heut Abend echt keine Lust auf schlechte Laune, nur weil du nicht genug geschlafen hast“, schien dies auch Andy nicht verborgen geblieben zu sein, und Tom war für einen Moment hin und her gerissen, ob er das Angebot annehmen sollte oder nicht. Sich jetzt schon in sein Bett zu legen, war eine extrem verlockende Vorstellung... aber wahrscheinlich würde er sowieso nicht schlafen können, weil er sich lieber den Kopf über nicht änderbare Dinge zerbrach.
„Steh hier nicht dumm rum, geh nach Hause, Tom. Ich hab das eben ernst gemeint“, machte Andy nochmals in aller Deutlichkeit seinen Standpunkt klar, und Tom gab sich geschlagen.
„Schon gut, ich verschwinde ja schon. Holst du mich nachher ab?“, fragte er mehr pro forma, und dann stand er schneller vor der Tür seiner eigenen Werkstatt, als der „Danke“ sagen konnte. Andy schien ihn plötzlich gar nicht schnell genug los werden zu können.
* * *
Als Tom seine Wohnung betrat, hielt er für einen Augenblick die Luft an und lauschte angestrengt in die Stille. Ob Bill noch da war? Immerhin hatte er ihn nach ihrem Streit heute Morgen einfach türenknallend in seinem Schlafzimmer zurückgelassen. Doch Tom hörte rein gar nichts, und für ein paar Sekunden konnte er sich nicht entscheiden, ob er jetzt enttäuscht oder erleichtert sein sollte.
Er hatte einerseits jetzt keine Muße, sich mit dem Schwarzhaarigen auseinander zu setzen, und dennoch fehlte er hier, wenn er nicht da war. So wie meistens. Andererseits führten sie nun mal keine Beziehung im klassischen Sinn, und bisher war Tom das auch nur Recht so gewesen. Was war nur im Moment los mit ihm? Am Anfang war alles so leicht und unbeschwert gewesen, und jetzt war es kompliziert und anstrengend. Allerdings nicht für Bill, der schien das Ganze immer noch locker zu sehen, aber er hatte auch die entsprechende Abwechslung in seinem Leben, bereiste die ganze Welt und lernte jede Menge neuer Leute kennen. Und trotzdem verschlug es ihn doch immer wieder hierher.
„Gott“, motzte Tom genervt von sich und seinen verqueren Gedanken lautstark vor sich hin. Er hörte seine eigene Stimme unangenehm von den Wänden widerhallen, und wollte gerade in Form von lauter Musik etwas dagegen unternehmen, als sein Telefon zu klingeln begann.
„Nein“, wehrte er sich schon mal entschieden, obwohl er die Identität des Anrufers noch gar nicht kannte. Aber Vorsicht war besser als Nachsicht...
Betont langsam schlenderte Tom dann durch den Flur, bis er das Telefon in der Hand hielt und tatsächlich Bills Nummer auf dem Display leuchten sah. Einige zähe Sekunden vergingen, in denen Tom mit sich haderte, was wohl das kleinere Übel sein würde – jetzt mit Bill zu sprechen und sich eventuell gleich wieder in die Haare zu bekommen oder sich später doppelt und dreifach zu ärgern, weil er erstens sowieso jetzt keinen Schlaf finden würde und zweitens Bill nicht der Typ war, der so schnell aufgab. Das hatte Tom schon gleich bei ihrer ersten Begegnung eindrucksvoll erfahren dürfen.
"Was willst du?", blaffte er endlich in den Hörer, nachdem er sich schneller, als es wahrscheinlich gut für ihn war, daür entschieden hatte, den Anruf anzunehmen.
"Nicht so behandelt werden", schoss Bill zurück, was Tom die Augen verdrehen ließ. Wenn Bill in den Diven-Modus schaltete, suchte man besser schnell das Weite. Das war gerade allerdings eine denkbar schlechte Idee.
"Bill, hör auf mich zu nerven. Ich hab jetzt keine Geduld, mich mit dir zu streiten", warnte Tom seinen Gesprächspartner, und wanderte mit dem Telefon in der Hand in die Küche, um sich etwas zu Trinken zu suchen.
"Ich hab nicht vor, mich zu streiten", entgegnete Bill, aber es hörte sich nur halbwegs ehrlich an.
"Was willst du?", fragte Tom noch mal eine Etage freundlicher als eben, während er seine Nase in den Kühlschrank steckte. Irgendwo war doch hier noch eine Cola gewesen...
"Ich will den Abend mit dir verbringen", sagte Bill laut und deutlich, und machte damit unmissverständlich klar, wie er sich den kommenden Abend und die Nacht vorstellte. Tom hatte seine Cola gefunden, knallte die Kühlschranktür zu, und gab sich Mühe, nicht vorschnell zu antworten. Denn dann würden sich sich garantiert munter weiter streiten.
"Meinst du nicht, es reicht, wenn du mir eine Nacht lang meinen Schlaf raubst? Muss es die nächste dann gleich auch noch sein?", versuchte Tom nach einigen Atemzügen, sich seine Wut nicht allzu direkt anmerken zu lassen. Aber Bill war nicht auf den Kopf gefallen.
"Tom, was soll das? Ich bin nur noch heute hier. Also willst du mich nun sehen oder nicht?", schallte es allerdings höchst verärgert durch den Hörer, und Tom starrte verdutzt die Wand an. Keine zweideutigen Sprüche? Keine Anmache? Und das bei der schönen Vorlage... ihm fehlten glatt die Worte, es gab kaum eine Gelegenheit, die Bill nicht für diverse Anzüglichkeiten nutzte. Aber darauf würde er ihn jetzt bestimmt nicht hinweisen.
"Na schön. Du weißt ja, wo wir heute Abend sind", sagte Tom schließlich wenig begeistert, zumal ihn Bill nun auch wieder daran erinnert hatte, dass er nicht wie erwartet einige Tage in seiner Heimatstadt verbringen würde, sondern schon morgen wieder ins nächste Flugzeug stieg. Wohin auch immer, das hatte Tom inzwischen erfolgreich verdrängt. Sie hatten sich ja auch lieber in aller Ausgiebigkeit über den Sinn oder Unsinn von Bills immer häufigeren und immer ausschweifenderen Geschäftsterminen gestritten.
"Ich hab dir heute Morgen schon gesagt, dass ich dir gerne einen Flug mit buche", schien Bill das Gespräch immer noch nicht beenden zu wollen, und Tom zog es vor, sich mit seiner Zigarettenschachtel auf den Balkon zu verkrümeln, bevor er darauf antwortete, sonst würde er vermutlich explodieren.
"Bill. Noch mal zum Mitschreiben. Ich bin selbständig. Sagt dir das was?", echauffierte er sich, nachdem er den ersten tiefen Zug genommen hatte.
"Ja. Kein Urlaub, wenn man Bock drauf hat, schon klar. Aber Andy hätte dafür Verständnis." Wollte Bill das nicht verstehen, oder konnte er nicht? Tom hielt sich nur mit einiger Beherrschung davon ab, ins Telefon zu schreien. "Ich werde Andy aber nicht mit der ganzen Arbeit allein lassen", erwiderte er statt dessen. Und außerdem hatte er keinen Bock auf Schicki Micki, das hatte er Bill von Anfang an klar gemacht. Denn auch Tom hatte seine Prinzipien, und er konnte mit Bills Umfeld nun mal wenig bis gar nichts anfangen.
"Okay. Dann bis nachher." Aufgelegt.
Entgeistert lauschte Tom dem Tuten an seinem Ohr, und fragte sich einige wahnwitzige Augenblicke lang, ob es vielleicht ein guter Einfall wäre, einfach Anlauf zu nehmen und sich vom Balkon zu stürzen. Aber das wäre ziemlich unspektakulär. Und feige. Und gemein für die Menschen, die ihn dann irgendwann finden würden.
"Der Kerl treibt mich noch in den Wahnsinn", murmelte Tom resigniert eine Tatsache vor sich hin, die er sich schon mehr als einmal vorgebetet hatte.
Aber es änderte leider auch nichts daran, dass Bill ihn wie ein Magnet anzog.
* * *


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