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So, hier dann auch gell^^
TAGE OHNE FARBEN
~ 1 ~
"Ich muss los."
Tom brummte nur, als Zeichen, dass er die Worte gehört hatte, und drückte seine abgebrannte Zigarette im Aschenbecher auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett aus. Auf den Satz hatte er schon seit mindestens fünf Minuten gewartet. Es überraschte ihn nicht, er hatte gewusst, dass er heute Nacht allein schlafen würde. Müde blinzelnd verfolgte er, wie Bill sich mit den für ihn so typischen raubtierhaften Bewegungen erhob und nackt wie er war aus dem Raum verschwand. Bill war gerne nackt, er hatte kein Problem damit, das hatte er noch nie gehabt. Und es brachte Tom in schöner Regelmäßigkeit zum Grinsen, wenn der Schwarzhaarige unter Umständen sogar auf die Idee kam, den Pizzaboten hüllenlos zu empfangen.
Seufzend angelte Tom nach der Wasserflasche, die dummerweise so weit weg auf dem Fußboden stand, dass er gezwungen war, einen beinah akrobatischen Akt aus der im Grunde simplen Tätigkeit zu veranstalten. Er seufzte noch mal, diesmal allerdings vor Erleichterung, als er sein Ziel erreicht hatte, und dachte nach, während er seinen Durst löschte. Morgen musste er früh aufstehen, also war es wahrscheinlich besser, wenn Bill ihn gleich alleine lassen würde. Es war ganz bestimmt besser, aber es fühlte keineswegs besser an. Solche Gedanken hatte er in letzter Zeit öfter. Aber jetzt schob er sie beiseite und schüttelte den Kopf, als er die Flasche wieder abgestellt hatte – in Reichweite.
Bill erschien wieder im Zimmer, bedachte ihn aber nur mit einem kurzen Blick, bevor er geschäftig herumzuwuseln begann. Tom verfolgte schweigend, wie er seinen gertenschlanken Körper – seinen Luxuskörper, wie Tom es gerne nannte – nach und nach wieder verhüllte, bis er schließlich in Hose und Schuhen, aber ohne T-Shirt vor dem Bett stehen blieb.
"Hast du mein Shirt gesehen?", stellte Bill die rhetorische Frage, auf die Tom ebenfalls schon gewartet hatte. Es war fast wie ein Ritual, das sich in unregelmäßigen Abständen wiederholte. Aber heute würde er nicht die sonst ebenso rituelle Antwort geben.
"Jap. Das behalt ich hier als Andenken", erwiderte er, und wusste, dass ihm der Schalk förmlich aus den Augen sprang. Er liebte es, sich verbal mit Bill zu kabbeln. Meistens folgte darauf irgendwann grandioser Sex, auf den er jetzt allerdings nicht zu hoffen brauchte - hatte er doch gerade eben schon grandiosen Sex gehabt. Von manchen Dingen bekam man vielleicht nie genug, aber die Zeit drängte. Er keuchte erschrocken, als Bill plötzlich und unerwartet auf seinem Schoß thronte und ihn mit diabolisch funkelnden Augen ansah.
"Soll ich etwa halbnackt ins Flugzeug steigen?", folgte die nächste Frage, und Bills Grinsen dabei brachte Tom ebenfalls zum Grinsen.
"Tja... hat doch was... nur Lederjacke und nichts drunter... dann bringst du alle Anwesenden durcheinander... und außerdem stehst du drauf", fand sich das Grinsen auch in Toms Stimme wieder, ohne dass er darauf Einfluss hatte. Die Vorstellung hatte tatsächlich etwas Reizvolles - nur würde er die Reaktionen der anderen Leute leider nicht mit ansehen können.
"Du bist ein Spinner", sagte Bill. Tom nahm das als Kompliment, das keiner weiteren Entgegnung bedurfte. Er packte Bill im Nacken und zog ihn in einem Anfall von Gier zu sich herunter, um ihn erfolgreich mundtot zu machen. Ein kleiner Quickie ließ sich ja eventuell doch noch einschieben...
* * *
"Bis dann", verabschiedete sich Bill atemlos nach einer ausgiebigen Knutscherei, in der er Tom auch noch heimtückisch das geklaute Shirt wieder entwendet hatte. Tom nahm es gelassen, genau wie die Verabschiedung, und rollte sich gemütlich auf seinem Bett zusammen, nachdem die Wohnungstür kurz danach lautstark hinter Bill ins Schloss gefallen war. Sein Körper verlangte dringend nach Schlaf, und er gab dem Verlangen nach, ohne seinen Kopf noch mal einzuschalten, und das war für den Moment gut so.
* * *
"Du siehst müde aus", wurde er am nächsten Morgen begrüßt, als er die Werkstatt betrat. Natürlich sah er müde aus - die Nacht war zu kurz gewesen, die Dusche und der Kaffee heute Morgen hatten nur bedingt geholfen, und seine allgemeine Laune war auch schon mal besser gewesen.
"Kann sein", brummelte er seinen Kollegen und Freund an, mit dem er die kleine, aber inzwischen recht gut laufende Werkstatt auf die Beine gestellt hatte. Sie kannten sich seit Kindertagen, und es war früh klar gewesen, dass sie sich auch beruflich nicht trennen würden. Nur mit dem WG-Leben hatte es nicht geklappt, dafür waren sie dann doch zu verschieden... Tom im geordneten Chaos versunken, wie er es gern betitelte, er brauchte nur genügend Zeit, um die Dinge zu suchen, die er für bestimmte Anlässe brauchte, und putzen hielt er meistens für überflüssig. Andy dagegen pünktlich, penibel und vorausgeplant bis an das Ende seiner Tage... es hatte nicht funktioniert, und das hatten sie eingesehen. Außerdem war Andy inzwischen schon lange glücklich vergeben, und Tom hatte die Ruhe seiner eigenen vier Wände zu schätzen gelernt.
"Konntest du wieder nicht genug kriegen?" Andy sah ihn forschend an, und Tom verdrehte innerlich die Augen. Es war nicht so, dass Andy Bill nicht mochte - eigentlich verstanden die beiden sich sogar bestens, aber...
... aber Andy war vollkommen überzeugt davon, das Bill nicht "der Richtige" für Tom war, dass er ihm auf Dauer nicht "gut tun" würde. Wobei Tom gar nicht wollte, dass Bill "der Richtige" für ihn war - für ihn war alles gut so, genau wie es war.
Alles Positive mitnehmen, ohne die negativen Nebenwirkungen einer echten Beziehung, das war der ursprüngliche Plan gewesen, und bisher funktionierte es wunderbar.
"Du kennst doch Bill", erwiderte er lapidar abwinkend, und hörte Andy unzufrieden grummeln. Tom reagierte nicht darauf.
"Und wie lange wird er diesmal weg sein?", ließ Andy sich nicht von seinem offensichtlich geplanten Verhör abbringen. Tom stöhnte unterdrückt weil er solche Gespräche am zu so einer Uhrzeit und auf nüchternen Magen hasste, während er sich eine weitere Tasse Kaffee für heute Morgen aus der Kanne eingoss, die Andy anscheinend schon gekocht hatte.
"Fast zwei Wochen", nuschelte er dann fast unhörbar, aber sein Freund hatte ihn natürlich trotzdem verstanden.
"Das wird auch immer länger... Wenn du mir auch nur einmal die Ohren voll jammerst, wie einsam du bist, flipp ich aus", warnte Andy ihn, und Tom zog eine Augenbraue nach oben, was höchste Alarmstufe bedeutete, allerdings gab es da gewisse Menschen, die diese Tatsache nicht im Geringsten beeindruckte. Einer davon stand gerade vor ihm.
"Hab ich dir jemals die Ohren vollgejammert?", ging Tom also in die Offensive. Er hatte noch nie gejammert, warum auch? Bill war eben ein vielbeschäftigter Mann, und in den letzten Monaten war er eigentlich ein IMMER beschäftigter Mann... aber was machte das schon für einen Unterschied? So war die gemeinsame Zeit noch viel intensiver...
"Nicht verbal, Tom. Aber es ist auch kein schöner Anblick, wenn du wie ein Trauerkloß durch die Gegend schleichst", gab Andy zurück, und schob dann ein "Lass uns endlich anfangen", hinterher, als er Toms entsetzte Miene sah.
Tom beließ es fürs Erste dabei und machte sich an die Arbeit. Er hatte jetzt keine Kraft für tiefschürfende Gespräche.
* * *
"Och nö", maulte Tom, und versuchte, das nervtötende Geräusch zu ignorieren, dass ihn so unbarmherzig aus dem wohlverdienten Schlaf gerissen hatte - keine Chance. Der Anrufer schien wild entschlossen zu sein, ihm seinen letzten Nerv zu rauben.
"Was?", schnauzte er schlecht gelaunt in sein Handy, als er es endlich neben seinem Bett ausfindig gemacht hatte. Verschlafen warf er einen Blick auf die rot leuchtenden Zahlen seines Weckers - und bereute, dass er nicht noch unfreundlicher geklungen hatte.
"Tom... es war so genial heute, das kannst du dir gar nicht vorstellen, und..." "Bill, ich hab so genial geschlafen grade, das kannst du dir gar nicht vorstellen", unterbrach Tom den Redeschwall am anderen Ende der Leitung sarkastisch, und rieb sich genervt über sein Gesicht. Oh Mann... perfektes Timing wie immer.
"Hast du echt schon geschlafen?", kam die schon etwas zurückhaltendere Frage, die Tom jetzt wirklich ungehalten werden ließ. Es war immerhin fast drei Uhr morgens.
"Bill...!" Seine Stimme klang schneidend, und es dauerte, bis eine Reaktion aus dem Hörer zu vernehmen war.
"Sorry, Tom. Ich hab nicht auf die Uhr geguckt, und ich bin grad erst rein", entschuldigte Bill sich schließlich, was Tom nur ein Schnauben entlockte. Aber jetzt war er eh schon wach, was brachte es noch, sich darüber aufzuregen. So war Bill nun mal - oftmals unkontrolliert und nicht über das nachdenkend, was er tat oder von sich gab.
"TomTom", schnurrte es jetzt aus dem Hörer, was Tom ungewollt grinsen ließ, und er war froh, dass Bill das jetzt nicht sehen konnte. Er hasste und liebte es gleichermaßen, wenn Bill ihn so nannte, und fast immer bekam er ihn mit diesem "Kosenamen", gepaart mit dem richtigen Tonfall, weichgekocht. Und genau so fühlte Tom sich auch jetzt wieder: Weichgekocht. Er konnte froh sein, dass Bill nicht hier war, dann würde er ihn auch noch mit dem entsprechenden Blick dazu drangsalieren.
"War`s erfolgreich?", fragte Tom jetzt schon wesentlich wacher und interessierter, und ertrug gähnend den folgenden enthusiastischen Vortrag über den vergangenen Abend. Dass es bei Bill am anderen Ende der Welt noch nicht mitten in der Nacht war, wurde irgendwann bedeutungslos, viel zu sehr ließ er sich von der Euphorie des Schwarzhaarigen mitreißen, bis es ihm schließlich zu langweilig wurde. Er interessierte sich nur bedingt für Promis und ihre Starallüren.
Bill dagegen schien unter keinerlei Jet lag zu leiden oder etwas in der Art, aber er war ja auch noch nicht wirklich zur Ruhe gekommen seit er unterwegs war, und wirkte inzwischen völlig überdreht.
Tom ließ ihn reden und gleichzeitig seine Gedanken abschweifen. Wenn Bill über seinen Job philosophierte, brauchte Tom meistens nicht mehr als ein gelegentliches „Hm“ oder „Toll“ zum Gespräch beizutragen, und konnte währenddessen über ganz andere Dinge nachdenken.
„Nächstes Mal kommst du mit“, beschloss Bill plötzlich überschwänglich, was Tom umgehend wieder in die Gegenwart katapultierte. Irgendwie war dieser Satz ausnahmsweise nicht in Schall und Rauch an ihm vorbeigezogen, sondern durchaus bis zu seinen kleinen grauen Zellen durchgedrungen.
„Bill, hör auf damit“, wehrte er sich auch gleich entschieden, was Bill aber mal wieder nicht im Geringsten beeindrucken konnte.
„Ach, papperlapapp. Du könntest ruhig mal mehr Interesse zeigen“, klang der Schwarzhaarige jetzt eine Spur verschnupft, aber Tom würde sich in diesem Punkt niemals auf irgendwelche Kompromisse einlassen, das hatte er sich geschworen.
„Nein. Ich will mit diesem Schickimicki-Kram nichts zu tun haben, das weißt du ganz genau. Und außerdem sind wir nicht verheiratet oder so was in der Art, okay? Du hast doch genug Leute um dich rum, die dir die Füße küssen, da muss ich nicht auch noch um dich rumscharwenzeln und irgendwelches TamTam veranstalten!“ Tom regte sich auf, und mittlerweile saß er senkrecht im Bett und atmete schwer. Warum musste er Diskussionen dieser Art immer wieder führen? Konnte nicht einfach mal akzeptiert werden, dass er bestimmte Sachen einfach nicht mochte?
„Ist ja schon gut“, lenkte Bill jetzt ein, klang aber so eingeschnappt dabei, dass Tom schon wieder lächeln musste.
„Jetzt sei nicht beleidigt, du Diva“, zog er Bill auf.
„Weißt du was, Tom? Ich leg mich jetzt gleich in meine riesige Luxusbadewanne. Und dann lass ich mir Champagner bringen. Darauf verzichtest du ja freiwillig“, ließ Bill sich nicht von seinem Tonfall abbringen.
„Absolut“, gab Tom ohne Ironie in der Stimme zu. Luxusbadewannen und Champagner waren keine Dinge, auf die er besonders viel Wert legte.
„Pfft“, kam es von Bill zurück, dem offensichtlich langsam die Argumente ausgingen.
„Wir benehmen uns grade wie ein altes Ehepaar“, fiel Tom auf, der keine Lust hatte, auf diesem Niveau weiter zu diskutieren. Er hoffte, dass Bill jetzt endlich ein Einsehen hatte und ihn vielleicht weiter schlafen lassen würde.
„Schlaf gut“, schaltete Bill tastsächlich den Zicken-Modus aus, und Tom hörte sich selbst erleichtert aufatmen. Mit Bill zu streiten war zwar eine seiner Lieblingsbeschäftigungen, aber nicht, wenn er so weit weg war und er ihn nur am Telefon nerven konnte. Er war jetzt einfach froh, dass die Fronten fürs Erste wieder geklärt waren.
„Du auch“, gab Tom zurück und keine Viertelstunde später war er wieder zufrieden unter seiner Decke eingemummelt eingeschlafen.
* * *



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