#31

RE: Killing me softly

in Fanfictions 26.12.2007 15:05
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

60.

Auf dem Klinikparkplatz herrscht reges Treiben, Leute kommen und gehen, es wirkt wie ein Bienennest. Wir haben Mühe, überhaupt einen Parkplatz zu finden. „Hier ist ja was los“ stellt Bill fest, nachdem er endlich eine freie Lücke erwischt hat. „Das kann man wohl sagen“ nuschele ich leise vor mich hin. Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Es ist ja noch relativ früh am Morgen.
Wie festgewachsen sitze ich jetzt in meinem Sitz. Irgendwie hat sich mein Gefühl innerhalb von wenigen Sekunden gedreht. So sehr ich Bill auch angetrieben hab, schneller zu fahren, keine Pausen zu machen, so wenig mag ich jetzt aussteigen. Ich hab einfach unglaubliche Angst. „Na komm Shirin“ hilft mir Bill schließlich auf die Sprünge und sein Tonfall bewegt mich dazu, endlich die Tür zu öffnen und schwerfällig aufzustehen.

Der Weg zum Eingang erscheint mir gleichzeitig viel zu kurz und doch so lang wie die Unendlichkeit. Nichts um mich herum nehme ich wirklich wahr, nicht die wirklich schöne Umgebung, nicht die Sonne, die mir mitten ins Gesicht scheint als wolle sie mich auslachen. Nichts davon. „Mir ist schlecht“ bringe ich einen halben Meter vor der Eingangstür heraus. „Mir auch“ erwidert Bill und zum ersten Mal, seit wir aus dem Auto gestiegen sind, sehe ich ihn an. Er ist wirklich ein bisschen blass um die Nase geworden. „Wir gehen da jetzt trotzdem rein“ sagt er aber dann, und ich kann spüren, wie er sich zusammenreißt. Okay. Wir sind ja nicht die ganze Nacht unterwegs gewesen, um jetzt so kurz vorm Ziel wieder umzukehren. Und schließlich war das Ganze meine Idee.
„Dann komm“ fordere ich Bill auf und zupfe ihn kurz am Ärmel. „Shirin, ich...“ „Können wir das später klären Bill? Bitte“ unterbreche ich seinen Einwand und er nickt, während er tief ausatmet. Als wir das Gebäude betreten, rollt eine erneute Welle von Übelkeit über mich hinweg. Krampfhaft versuche ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen, niederzukämpfen und steuere direkt auf die Rezeption zu.

„Guten Morgen, was kann ich für Sie tun?“ begrüßt uns die junge Frau hinter dem Tresen. „Wir möchten zu... Herrn Kaulitz, äh... Tom Kaulitz“ stammele ich mir zusammen. Toll Shirin, das sorgt sicher für Respekt, ermahne ich mich im Stillen. Ein amüsiertes Lächeln erscheint auf dem Gesicht der netten Dame, bevor sie sich ihrem Computer zuwendet und irgendwelche Daten eingibt. „Tut mir leid“, meint sie dann bedauernd, „er darf noch gar keinen Besuch empfangen.“ „Aber...“ will ich sofort widersprechen, doch Bill schneidet mir das Wort ab, indem er meinen Arm festhält, mir einen schnellen warnenden Blick zuwirft und dann einfach an meiner Stelle weiterredet. „Das wissen wir. Aber es ist wirklich dringend, eine familiäre Angelegenheit“ sagt Bill souverän. Erstaunt reiße ich die Augen auf. Das hätte ich wirklich nicht von ihm erwartet. Wo ich schon wieder drohe, in die Luft zu gehen oder einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, bleibt er zumindest äußerlich ruhig und cool. Mein Gott. Ich hab ihn wirklich unterschätzt.

„Gehören Sie denn zur Familie?“ fragt die Frau spitz und mustert uns kritisch. „Ich bin sein Zwillingsbruder“ meint Bill betont ruhig. „Und Sie?“ Die Frage war an mich gerichtet. Toll. Was soll ich jetzt sagen? Dass ich Toms Mutter bin, wird sie mir wohl kaum glauben. „Sie ist seine Freundin“ hilft Bill mir aus meiner Verlegenheit. „Aber Sie sind nicht mit ihm verheiratet?“ lässt Frau Neumalklug die nächste Frage auf mich los, immer noch spüre ich ihren bohrenden Blick auf mir und komme mir vor wie in der Schule vor einem besonders verhassten Lehrer. Außerdem ist verheiratet ein furchtbar endgültiges Wort. „Nein, das bin ich nicht“ gebe ich endlich geschlagen von mir. „Dann kann ich leider nichts für Sie machen, tut mir leid“ weist sie mich ab und wendet sich wieder an Bill. „Können Sie sich ausweisen?“ Mein Gott, ist das hier ein Gefängnis? Das kommt mir vor wie ein Verhör. Mir platzt gleich wirklich der Kragen. Einzig und allein Bill, der eine fast unheimliche Ruhe ausstrahlt, hält mich davon ab, auszurasten. Langsam kramt er sein Portemonnaie hervor.
„Sagen Sie uns einfach die Station, den Rest würde ich gern mit dem zuständigen Arzt klären“ sagt Bill mit einem liebenswürdigen Lächeln, während er der Frau seinen Ausweis entgegenhält. Irgendwie wirkt es. Ich kann nicht einschätzen, ob es daran liegt, was Bill sagt oder doch eher, wie er es sagt, aber die furchtbar nette Empfangsdame gibt Bill nach einem kurzen Blick seinen Ausweis zurück und nennt uns ohne weitere Fragen die Station. Mich beachtet sie überhaupt nicht mehr.

„Blöde Ziege“ rege ich mich auf, als wir kurz darauf im Fahrstuhl stehen. „Shirin, die macht auch nur ihren Job“ erwidert Bill zu meinem Erstaunen. „Aber die muss ja nicht gleich pampig werden“ nöle ich ungehalten weiter. „Ist sie doch gar nicht. Hör zu Shirin, wir kriegen das schon hin okay? Mach dir nicht so viele Gedanken“ versucht Bill mich zu beruhigen, aber mein Puls ist mittlerweile auf 180 und ich weiß, dass ich nicht allein wegen dieser Tante so aufgebracht reagiere. „Ich bin aber so furchtbar nervös“ gebe ich zu und würde mir dafür am liebsten auf die Zunge beißen. Obwohl Bill sich wahrscheinlich denken kann, dass ich sogar mehr als nervös bin. „Ich weiß“ sagt er denn auch und drückt kurz meine Hand. Oh Gott, bitte nicht anfassen, das macht alles nur noch schlimmer. Schon hat er mich wieder losgelassen, als hätte er meine Gedanken erraten. „Aber weißt du Shirin, wenn sie bei uns schon so einen Aufstand machen, dann haben sie Eva mit Sicherheit nicht zu ihm gelassen“ stellt Bill fest und insgeheim muss ich ihm Recht geben. Vielleicht sind wir ganz umsonst gekommen. Aber es geht hier um Tom. Und ich muss das jetzt klären, wenn ich auch nicht weiß wie.

„Auf der anderen Seite, wenn Eva zu so was fähig ist wie mit diesen scheiß Getränken, dann weiß ich nicht, was sie noch alles fertig bringt“ überlegt Bill weiter. „Bill, das ist doch jetzt auch völlig unwichtig. Jetzt sind wir hier und jetzt sprechen wir auch mit Tom“ werfe ich ein. Das bringt doch sowieso nichts. Sicherlich ist das keine gute Idee, hier mitten in die Therapie zu platzen, aber... ach ich weiß es doch auch nicht.

Mit einem lauten „Pling“ öffnet sich die Fahrstuhltür und reißt mich aus meinen Gedanken. Vor uns erstreckt sich ein heller freundlicher Flur und ich ahne, warum auch immer, dass die Leute hier ihre Arbeit gut machen.
Ein noch ziemlich jung aussehender Arzt kommt auf uns zu geeilt. „Herr Kaulitz?“ ruft er uns fragend entgegen und gibt uns dann beiden die Hand, als Bill nickt. „Man hat mich sozusagen vorgewarnt, dass Sie hier sind“ erklärt er weiter und ich könnte schon wieder in die Luft gehen. „Wir müssen dringend mit meinem Bruder sprechen“ sagt Bill, ignoriert die Bemerkung des Arztes gekonnt. „Dr. Meier“ heißt das gute Doktorchen, so viel verrät mir sein Namensschild. Was ein einfallsreicher Name. „Sie wissen aber, dass Besuche während der ersten vier Wochen nicht erlaubt sind?“ fragt Dr. Meier weiter und ich merke, wie jetzt auch Bill langsam die Geduld verliert. „Hören Sie, natürlich weiß ich das, aber...“ fängt er an sich zu rechtfertigen, aber der Arzt fällt ihm ins Wort. „Schon gut, schon gut. Beruhigen Sie sich. Ihr Bruder macht hier große Fortschritte und ich denke, wir können ausnahmsweise mal ein Auge zudrücken – sofern sie nicht gerade eine Todesnachricht überbringen müssen.“ Zuerst hat er freundlich gezwinkert, aber bei dem letzten Satz ist er wieder ernst geworden. Todesnachricht... das ist es ja nicht, aber so viel weniger schlimm dann eben auch nicht. Mir wird schon wieder schlecht.
„Nein“ sagt Bill. „Sagen Sie, hat er gestern schon mal Besuch bekommen?“ fügt er dann hinzu. „Nicht dass ich wüsste“ meint Dr. Meier stirnrunzelnd, „aber ich hatte gestern keinen Dienst“. Na toll. Ich will jetzt hier weg. Unauffällig stoße ich Bill meinen Ellenbogen in die Seite, weil ich ihm ansehen kann, dass er da am liebsten noch mal nachhaken würde. „Ihr Bruder bzw. Ihr Freund, wenn ich das richtig verstanden habe“, zum ersten Mal blickt der Arzt mir länger als eine Sekunde in die Augen, „ist unten im Park. Kommen Sie, ich zeige Ihnen den Weg!“ Er eilt voraus zurück zu den Fahrstühlen, zeigt uns unten angekommen den Weg in den Garten. „Alles Gute für Sie“ sagt er abschließend und schüttelt uns beiden die Hand. Irgendwie komme ich mir mittlerweile wieder vor wie in einem chaotischen, verwirrenden Traum. „Danke“ kommt es von Bill und ich versuche verzweifelt, nicht die Fassung zu verlieren.
Und dann sind wir allein. Allein in einer weitläufigen Parkanlage, die durch das Sonnenlicht noch schöner wirkt als sowieso schon. Man kann sogar auf den See blicken. Nur die meterhohe Umzäunung stört in diesem idyllischen Bild. Sind die Leute nicht alle freiwillig hier? Wahrscheinlich nicht.

„Komm Shirin, wir gehen ihn suchen“ holt Bill mich in die Realität zurück und lenkt gleichzeitig meine Aufmerksamkeit wieder auf die wirklich wichtigen Dinge. „Okay“ sage ich schwach und setze mich in Bewegung.


61.

Da vorne sitzt er. Keine zehn Meter entfernt sitzt mein Tom mit dem Rücken zu mir auf einer Bank und starrt auf den See. Wenn mein Herz vorher schnell geschlagen hat, dann wird es jetzt jede Sekunde in tausend Einzelteile zerspringen. „Soll ich dich lieber allein lassen?“ flüstert Bill neben mir und so langsam frage ich mich wirklich, ob er Gedanken lesen kann. „Ja, ich glaub das ist besser“ erwidere ich genau so leise.

Ich weiß ja so absolut gar nicht, was mich jetzt erwartet. Und es ist mit Sicherheit von Vorteil, wenn Bill sich im Hintergrund hält. Einen Moment lang sehe ich zu, wie Bill in die andere Richtung davonläuft. Dann hole ich noch einmal tief Luft und mache mich auf den Weg zu Tom. Standhaft ignoriere ich mein Herzrasen, meine feuchten Hände und die Übelkeit, die sich wieder bemerkbar macht und als ich nah genug bin, rufe ich ein leises „Tom!“, um ihn nicht zu erschrecken. Zuerst passiert gar nichts. Keine Reaktion, kein Zucken, kein gar nichts. Als ich schon glaube, er hat mich nicht gehört, dreht er sich wie in Zeitlupe zu mir um. „Shirin?“ Einen Augenblick starrt er mich völlig fassungslos an. Dann springt er unvermittelt auf, stürzt sich förmlich auf mich und drückt mich so fest an sich, dass ich erschrocken nach Luft japse. „Shirin... ich kann`s nicht glauben... gibt’s doch gar nicht... aber du darfst doch gar nicht... was machst du denn bloß hier?“ Tom schiebt mich ein Stück weg, damit er mich ansehen kann. Und ich weiß überhaupt nicht, was ich denken soll. Mit allem hatte ich gerechnet, aber das hier... ist irgendwie so unwirklich, so als würde es jemand anderem passieren und ich stünde nur als Zuschauer daneben. „Gott, ich hab dich so vermisst“ nuschelt Tom mir entgegen und presst mich wieder an seinen Körper. Noch immer hab ich kein Wort gesagt. Was ist das hier? Müsste er nicht eigentlich wie eine Furie auf mich losgehen?

„Ich hab dich auch vermisst“ bringe ich mühsam und kaum verständlich hervor und muss schon jetzt mit den Tränen kämpfen. „Shirin, sag schon... geht’s dir gut? Ist alles okay? Was machst du denn hier auf einmal?“ Wieder stellt er mir tausend Fragen zugleich und ich bin völlig überfordert damit. „Ich..., ja es geht so einigermaßen...?“ stammele ich mir zusammen. „Wie hast du das denn geschafft? Hast du dich hier reingeschmuggelt?“ Jetzt grinst Tom und ich hab gleichzeitig das Gefühl, als würde mir jemand ein Messer ins Herz bohren. „Nein, ich...“ versuche ich zu erklären, breche aber sofort wieder ab. Was genau will ich ihm denn erklären? Müsste er nicht völlig anders reagieren? „Tom?“ Mein ganzer Körper fängt an zu zittern, aber ich muss es jetzt wissen. „War Eva bei dir?“

Toms Augen weiten sich und dann schüttelt er den Kopf. „Nein. Sollte sie?“ fragt er verwirrt und plötzlich geht mir ein Licht auf. Auf einmal ist alles glasklar. DAS ist ihr Plan gewesen, genau das hier. Sie muss gewusst haben, wie ich reagieren würde und sie wollte, dass ich mir hier mein eigenes Grab schaufel. Wahrscheinlich sitzt sie jetzt irgendwo bei Kaffe und Kuchen und freut sich über ihr gelungenes kleines intrigantes Spielchen. Gott, ich bin so naiv...

„Shirin? Was soll diese Frage? Warum sollte Eva hier gewesen sein? Sie hätten sie doch gar nicht reingelassen. Shirin? Ist was passiert? Du zitterst ja!“ reißt Tom mich aus meinen Gedanken. Ich zwinge mich dazu, ihm in die Augen zu schauen und sehe seine Sorge darin. „Nein... ja... also...“ Mehr als zusammenhangloses Stottern bringe ich nicht heraus.
„Shirin, sag mir jetzt bitte was los ist!“ bohrt Tom noch einmal nach und eine erste Träne löst sich aus meinem Augenwinkel. Er wischt sie mit dem Daumen beiseite und drängt mich dann auf die Bank, auf der er bis eben gesessen hat. „Bitte setz dich hin, du bist ja ganz blass. Und nicht weinen“ redet Tom auf mich ein und kraftlos sinke ich auf der kleinen Bank zusammen. „Shirin, mir geht’s gut okay? Du brauchst dir keine Sorgen zu machen oder warum weinst du?“ fragt er weiter, vor meinen Augen verschwimmt alles und ich kann mich nicht länger zusammenreißen. All die Anspannung der letzten Stunden bricht aus mir heraus und ich kann hinterher nicht mehr sagen, wie lange ich dort gesessen und vor mich hingeschluchzt habe. Tom macht nichts weiter als mir beruhigend über den Rücken zu streicheln und einfach abzuwarten. Irgendwann kommen dann keine Tränen mehr und zurück bleibt Wut – Wut auf Eva und vor allem auf mich selbst. Bin ich wirklich so leicht zu manipulieren?

„Sagst du mir jetzt, was los ist Shirin?“ dringt Toms sanfte Stimme an mein Ohr und in diesem Moment beschließe ich, er hat die Wahrheit verdient. Also fange ich an zu erzählen, von den letzten zwei Wochen, von Bill, von Gustav, von Eva, von dem schrecklichen Abend gestern, bis zum heutigen Tag – zuerst stockend, dann finde ich meine Stimme wieder und irgendwann rattere ich alles nur noch herunter. Mit Entsetzen sehe ich zu, wie Toms Augen sich immer mehr weiten und er mich schließlich einfach nur noch ausdruckslos anstarrt. „Und jetzt bin ich hier“ beende ich endlich meinen furchtbaren Monolog.
Stille kehrt ein, Tom starrt mich immer noch an und das ist fast noch schwerer zu ertragen, als wenn er wütend auf mich losgehen würde. „Hat Bill dich hierher gebracht?“ will Tom nach einer Ewigkeit wissen und als ich nicke, wendet er sich von mir ab, blickt auf den See und schweigt wieder einige Minuten. Ich glaube, ich hab mich in meinem ganzen Leben noch nie so einsam und verlassen gefühlt, obwohl ich doch gar nicht allein bin. Es fühlt sich an, als hätte sich ein meterbreiter Graben zwischen uns aufgetan. „Und wo ist er jetzt?“ fragt Tom dann leise und ich werde durch die Kälte in seinem Tonfall aus meinem tranceartigen Zustand herausgerissen. „Ich weiß nicht genau... wir haben gedacht, es ist besser wenn ich allein mit dir rede“ sage ich unwillig und werde mir erst jetzt bewusst, dass ich „wir“ gesagt hab. Scheiße. Muss ich eigentlich immer alles noch schlimmer machen?

„So, habt „ihr“ das beschlossen“ äfft Tom meine Stimme nach und ich zucke zusammen. „Tom...“ will ich einwenden, aber er unterbricht mich mit nur einer einzigen schnellen Handbewegung. „Weißt du Shirin, Drogen hin oder her – und ich glaube dir das mit Eva... aber darum geht es doch gar nicht. Ich hab hier ne Menge gelernt und viel Zeit zum nachdenken gehabt in den letzten zwei Wochen und ich will jetzt nur eins von dir wissen: Bist du da wenn ich nach Hause komme?“ Tom reißt bei seinen Worten den Blick vom See los und sieht mir wieder eindringlich in die Augen. „Natürlich bin ich da“ sage ich mit so fester Stimme, wie ich es fertig bringe. Noch nie war ich mir so sicher bei einer Antwort wie jetzt und hier.

„Suchst du Bill? Ich möchte mit ihm reden“ bittet Tom, ohne auf meine Antwort einzugehen. „Aber...“ protestiere ich, doch schon wieder lässt Tom mich nicht ausreden. „Shirin. Bitte tu`s einfach!“ Seine Stimme duldet keinen Widerspruch und ohne ein weiteres Wort mache ich mich auf die Suche nach Bill.

62.

„Bill?“ rufe ich schon von Weitem, als ich ihn endlich entdeckt habe. Er zuckt merklich zusammen und dreht sich dann zu mir um. Fragende braune Augen blicken mir entgegen. „Tom will mit dir reden“ teile ich Bill leicht atemlos mit. „Okay“ ist alles, was er antwortet, bevor er sich in Bewegung setzt. Als er schon fast aus meinem Blickfeld verschwunden ist, bleibt er noch einmal stehen. Und ich merke erst jetzt, dass ich ihm angestrengt hinterhergestarrt habe. „Alles halbwegs okay Shirin?“ fragt Bill und wirkt ernsthaft besorgt. Es dauert, bis ich realisiere, dass er sich wirklich Sorgen macht. Inzwischen hat er die Augenbrauen verengt und wartet wohl immer noch auf eine Antwort von mir. „Ich weiß es nicht“ bringe ich schließlich wahrheitsgemäß über die Lippen und gleichzeitig fühle ich mich wie betäubt. So als hätte jemand all meine Emotionen einfach auf einen Schlag lahm gelegt. So als könnte ich gar nicht mehr fühlen.

Bill läuft die paar Schritte die uns trennen zurück und drückt mich unvermittelt an sich. Erschrocken japse ich nach Luft. „Shirin, ich kenne Tom. Er liebt dich. Und nur das ist wichtig“ flüstert Bill mir ins Ohr, lässt mich auch schon wieder los und ist so schnell weg, dass ich gar keine Gelegenheit habe, etwas zu erwidern.
Ich kann es einfach nicht glauben. Das ist überhaupt nicht der Bill, den ich kennen gelernt habe. Er hat so gar nichts mehr von einem arroganten Schnösel. Kopfschüttelnd lasse ich mich auf die nächstbeste Bank fallen, immerhin stehen genug davon hier rum. Im Moment kann ich nichts anderes tun als warten. Und doch würde ich gern wissen, was die beiden da jetzt reden. So viel steht im Raum, nur spricht es keiner wirklich aus. Und so langsam kommen die Selbstzweifel. Ob es richtig war, Tom ausgerechnet jetzt davon zu erzählen? Es scheint ihm ja ausgesprochen gut zu gehen, wenn ich dem netten Dr. Meier glauben darf. Vielleicht macht das hier jetzt alles kaputt und er wird fünf Schritte zurückgeworfen, wo er doch erst drei nach vorne gemacht hat. Aber jetzt ist es zu spät und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr drehe ich mich im Kreis. Gedankenverloren lasse ich meinen Blick wandern, über den Park, das Wasser, das sich glitzernd in der Sonne spiegelt und schließlich bleibe ich am Horizont hängen. So wie jetzt hab ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt, so zerrissen und gleichzeitig froh, eine Last los zu sein, aber eben auch das Bewusstsein, dass jetzt wieder alles ungewiss ist. Einfach zum verrückt werden.

Irgendwann lässt sich Bill neben mich auf das harte Holz der kleinen schmalen Bank plumpsen. Ungeduldig warte ich darauf, dass er anfängt zu reden, aber er schaut nur geradeaus auf den See. „Nun sag doch endlich was“ platze ich heraus, als er sich immer noch keinen Millimeter bewegt. Das ist ja nicht zum aushalten. „Wir müssen so langsam fahren. Und du solltest dich verabschieden. Ich warte im Auto“ sagt Bill merkwürdig ruhig und irgendwie emotionslos, wirft mir einen kurzen Seitenblick zu und springt dann auf. „Was ist das denn für ne Ansage? Was hast du mit Tom besprochen?“ Aufgebracht fuchtele ich mit den Armen in der Luft herum. Er kann mich doch nicht einfach so hier sitzen lassen! „Ich mag nicht drüber reden“ meint Bill und sieht dabei auf einmal unglaublich verletzt aus. Gut. Das muss ich dann wohl akzeptieren. Jetzt wendet er sich zum Gehen. „Bill?“ halte ich ihn auf. Ich hab das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen und ich weiß nicht mal genau wofür. Bill hält inne und sieht mich an. „Es tut mir leid“ bringe ich mit brüchiger Stimme heraus. Der Ausdruck in seinen Augen wandelt sich, aber ich kann ihn nicht richtig zuordnen. „Nein. Mir tut es leid“ erwidert er nach scheinbar endlosen Sekunden, unterbricht den Blickkontakt und läuft jetzt endgültig über den gepflegten Rasen davon. Verdammte Scheiße. Mal wieder weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

`Du solltest dich verabschieden.` Der Satz hallt in meinem Kopf nach und ohne richtig darüber nachzudenken bin ich schon wieder auf dem Weg zu Tom. Als ich bei ihm ankomme, bietet sich das gleiche Bild wie vorhin, er sitzt mit dem Rücken zu mir und starrt vor sich hin. Ich hab nicht die leiseste Ahnung, was ich sagen soll. Irgendwie ist doch alles falsch, was ich sagen kann und Worte kommen mir so unangebracht vor wie noch niemals zuvor. Mit wackeligen Beinen gehe ich langsam auf ihn zu, atme noch einmal tief ein und lege ihm schließlich einfach nur sanft meine Hand auf die Schulter. Er zuckt nicht mal zusammen. Aber er zeigt auch sonst keine Reaktion, als würde er schlafen. Oder stumm weinen. Oder grinsen. Oder was weiß ich was.

Gerade als ich denke, ich halte es nicht mehr aus, ich muss schreien, wenn nicht endlich etwas passiert, legt er seine Hand in meine und verhakt unsere Finger miteinander. Und dann seufzt er langgezogen, was mich das Schweigen brechen lässt. „Tom?“ Leise, fast flüsternd kommt sein Name aus meinem Mund. “Ihr solltet jetzt fahren” sagt Tom, während er mit dem Daumen über meinen Handrücken streichelt. „Tom, er kann nichts dafür“ rede ich weiter, als hätte ich ihn gar nicht gehört. Ich kann doch nicht fahren. Einfach so. „Shirin, fahr jetzt bitte“ wiederholt Tom in festem Tonfall und im krassen Gegensatz dazu küsst er anschließend zart meine Hand. Das ist jetzt fast zu viel für mich.
„Okay... ich bin da, hörst du?“ versichere ich ihm noch einmal mit tränenerstickter Stimme und sehe, wie er nickt.

Dann ist es wohl jetzt Zeit, zu gehen.




* * *

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#32

RE: Killing me softly

in Fanfictions 26.12.2007 15:05
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

63.

Die Stille raubt mir den Verstand. Ich halte sie nicht mehr lange aus. Die Stille ist noch schlechter zu ertragen als alles andere. So erdrückend. Und ich hab alles versucht. Ich versuche seit Stunden, Bill nicht anzusprechen, ihn lieber in Ruhe zu lassen, weil ich sehen kann, wie bedrückt er ist. Also hab ich das Radio angeschaltet, was mich nach zwei Minuten so sehr gestört hat, dass ich es wieder ausmachen musste. Dann hab ich versucht zu schlafen, den Kopf an die eiskalte Fensterscheibe gelehnt, was natürlich völlig undenkbar war und immer noch ist. Wie könnte ich schlafen?

Und jetzt ist es so schlimm, das Schweigen so nervenzerrend, dass ich drohe, den inneren Kampf zu verlieren. Bill hat nicht ein einziges Wort gesagt, seit wir zusammen im Auto sitzen, er starrt verbissen auf die Fahrbahn und überlässt mich meinen verwirrenden Gedanken. Ganz allein. Verdammt noch mal.

Ich platze. „Bill?“ Meine Stimme klingt fordernd und lässt ihn aufschrecken. Er wirft mir einen kurzen irritierten Seitenblick zu und konzentriert sich dann gleich wieder auf die Autobahn. Aber ich bin jetzt diesen Schritt gegangen, ich hab mich aus dem Fenster gelehnt, jetzt kann ich nicht mehr zurück. Jetzt muss ich die Frage stellen, die mich beschäftigt, seit ich Tom allein gelassen hab. Allein auf dieser scheiß blöden Bank.

„Werdet ihr noch Kontakt haben wenn Tom wiederkommt?“ frage ich also, nicht sicher, ob ich die Antwort überhaupt hören will. „Shirin!“ kommt es abwehrend von der Seite. „Wollt ihr beiden Sturköpfe denn wirklich, dass Eva erreicht was sie geplant hat? Moah“ gifte ich drauflos, obwohl ich eigentlich nicht in der Position bin, mich hier künstlich aufzuregen. „Shirin. Ich sag dir jetzt mal was. Diesen ganzen Mist hab ich schon einmal durch und Tom und ich sind beide fast daran kaputt gegangen. Als ich dich kennen gelernt hab, fand ich dich faszinierend. Bis zu dem Zeitpunkt als ich wusste, wessen Freundin du bist. Dann bin ich etwas ausgerastet, was normalerweise gar nicht meine Art ist. Und du hattest keine Schuld daran, aber trotzdem hat es mir Spaß gemacht, dich und Tom aus der Fassung zu bringen“ redet Bill ohne Punkt und Komma, wechselt jetzt auf die linke Spur und tritt aufs Gas. Trotzdem reicht mir das hier noch nicht. „Das ist dir ja auch gelungen. Und dann?“ bohre ich weiter, ignoriere, wie sich mein Puls beschleunigt, je schneller der Wagen wird. „Mein Gott Shirin, was willst du denn von mir hören?“ motzt Bill aufgebracht, startet ein wildes Hupkonzert, weil ein anderes Auto nicht schnell genug Platz macht und heizt damit die Stimmung unbewusst noch weiter an. „Ich will nur wissen, ob ihr noch Kontakt haben werdet“ sage ich noch einmal, kralle mich dabei ins Leder meines Sitzes fest und hoffe, dass ich nicht zu weit gegangen bin. „Das liegt ganz allein an ihm“ gibt Bill betont ruhig zurück, verlangsamt endlich dieses halsbrecherische Tempo und fädelt sich wieder vernünftig in den Verkehr ein. Ich atme laut aus. „Willst du mir nicht sagen worüber ihr geredet habt?“ frage ich einfach weiter. „Du gibst wohl niemals auf“ knurrt Bill gefährlich leise. „Nein“ erwidere ich trocken. Jetzt ist es zu spät fürs Bereuen, es ist zu spät, umzukehren. Ich kann die Dinge nicht ungeschehen machen, aber ich will jetzt wissen was Sache ist.

„Okay Shirin, pass auf. Eigentlich geht das nur Tom und mich was an. Aber so viel kann ich dir sagen: Ich bin bereit, Gefühle zu ignorieren, die ich nicht haben darf, für dich, für Tom und ich kann nur hoffen, dass es für ihn ausreicht, um mich nicht komplett aus seinem Leben auszuschließen“ nuschelt Bill so leise, dass ich ihn gerade eben noch verstehen kann. Ich sage nichts mehr, sinke still auf meinem Sitz zusammen und wünsche mich woanders hin.

Ich will das alles nicht. Ich will doch einfach nur glücklich sein. Ich, ich, ich. Ich denke nur an mich. Wie muss es Bill gehen und erst recht Tom? In diesem Moment frage ich mich ernsthaft, ob ich jemals wieder unbeschwert lachen kann. Das scheint so unmöglich zu sein, so unreal, so verrückt.
„Bitte nicht weinen Shirin“ reißt Bill mich aus meinen Gedanken. Ich muss die Zähne fest zusammenbeißen, um nicht hysterisch zu kichern. „Ich bin zu traurig zum weinen Bill“ kommt es nach ein paar Sekunden über meine Lippen und ganz plötzlich hab ich nicht mehr das Gefühl, lachen zu müssen. Ich bin einfach leer.

***

Die nächsten drei Wochen vegetiere ich so dahin. Bill hat mir angeboten, bei Gustav und ihm im Gästezimmer einzuziehen, aber das würde mir wie Verrat vorkommen. Ich habe mich völlig in mich zurückgezogen, schlafe kaum, esse so gut wie nichts mehr und starre den ganzen Tag aus dem Fenster, als gäbe es dort auf der Straße die Lösung für alles. Vielleicht muss ich einmal richtig am Boden gelegen haben, um das schätzen zu lernen, was ich hab. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das auch die ganz persönliche Strafe von Tom für mich. Und für Bill. Denn ich fürchte, es geht ihm nicht viel besser als mir.

***

Mal wieder sitze ich vor dem Fernseher, sehe aber durch ihn hindurch und wenn mich jemand fragen würde, was ich mir ansehe, könnte ich ihm keine Antwort geben. Die ganze Zeit denke ich an Tom. An Tom, wie er auf der Bank gesessen hat und wie verletzt er war. Ich weiß nicht, was er jetzt macht, wie es ihm geht, was er fühlt, denkt. Oh Gott. Ich werde noch wahnsinnig. Das plötzliche Schrillen der Türklingel lässt mich erschrocken quieken, zu schrill und unerwartet ist dieser Ton in meiner selbst erschaffenen Stille. Genervt rappele ich mich schließlich auf und schlurfe lahm zur Tür. Gustav sieht mir besorgt entgegen. Seit dem verhängnisvollen Tag hab ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. „Was willst du?“ pflaume ich ihn an, aber er ist das ja schon gewohnt von mir und lässt sich gar nicht erst beirren. „Mal sehen ob du noch lebst“ sagt er unbeeindruckt und drängt sich an mir vorbei in die Wohnung. „Wie du siehst, lebe ich noch“ motze ich weiter. Dass dieser unverschämte Mensch sich aber auch immer einmischen muss. „Naja, ehrlich gesagt hast du schon besser ausgesehen“ stellt er nach einer kritischen Musterung fest und ignoriert gekonnt mein entnervtes Schnauben. „Shirin, ihr könnt euch doch nicht so hängen lassen. Bill hat mir alles erzählt und erst hat er zu Hause randaliert und nun sitzt er den ganzen Tag vor dem Fernseher. So ähnlich wie du“ meint er, deutet auf das eingeschaltete Gerät und sieht mich dann wieder an. „Moah Gustav, das geht dich doch gar nichts an. Lass mich doch einfach in Ruhe“ nöle ich ihn voll. „Nix da. Wie sieht`s hier überhaupt aus?“ Nach einem Blick in die verlodderte Küche rümpft er die Nase. „Mir egal“ sage ich apathisch. Es ist mir wirklich scheiß egal. „Also so geht das nicht. Wir räumen jetzt auf. Und dann gehst du duschen. Was soll Tom denn denken wenn er nach Hause kommt?“ Mit diesem Satz hat Gustav, was er will: Meine volle Aufmerksamkeit. „Nun sieh mich nicht so an. Tom kommt heute Abend nach Hause“ sagt Gustav ernst. Wie bitte? „Woher weißt du das?“ frage ich scharf. „Von Bill natürlich“ meint Gustav fast unbekümmert und ich frage mich so langsam, ob er wirklich so naiv ist wie er tut. „Kannst du mir das bitte alles mal auf Deutsch erklären?“ fordere ich ihn genervt auf und spüre doch, wie mein Herz aufgeregt zu hüpfen beginnt. Tom...

„Okay, weil du es bist. Mädchen, ich mag dich echt, sonst wäre ich gar nicht hier. Tom hat sich bei Bill gemeldet und frag jetzt nicht, warum nicht bei dir. Er wird seine Gründe haben, aber die kenn ich nicht und ich will sie ehrlich gesagt auch gar nicht wissen. So. Und Bill hat sich Gedanken gemacht, wollte aber nicht selbst hier auftauchen, was ich auch irgendwie verstehen kann. Also hat er mich geschickt. Und die gute Seele tut ja alles. Übrigens versteh ich mich mit Bill wieder prima falls dich das interessiert“ plappert Gustav, während er anfängt, meine dreckigen Teller in die Spüle zu räumen, das heiße Wasser anstellt und mir ein Geschirrtuch in die Hand drückt, damit ich abtrocknen kann. Ähm. Völlig verwirrt stehe ich da, starre ihn an und kann nicht begreifen, was er mir da eben gesagt hat.
„Aber...“ sage ich dann langsam, werde aber sofort unterbrochen. „Shirin, hör auf mich zu löchern. Mehr weiß ich nicht. Ich bin nur froh, dass Bill endlich wieder der Alte ist und hoffe, ihr kriegt das alle geregelt irgendwie“ grummelt Gustav mich an und ein ganz leichtes Grinsen legt sich auf mein Gesicht.

64.

„Alles okay mit dir Shirin?“ reißt Gustav mich aus meinen Gedanken. „Jaja“ sage ich schnell und greife zum nächsten Teller. Ich weiß gar nicht, wie lange ich jetzt hier gestanden und vor mich hingestarrt hab, jedenfalls hat Gustav schon eine ganze Menge abgewaschen und findet langsam keine freie Ecke mehr für das saubere Geschirr. Doch mir jagen tausend Dinge auf einmal durch den Kopf und ich hab es gar nicht mitbekommen, erst jetzt, als er mich angesprochen hat. „Dann mach mal schneller hier, ich hab keinen Platz mehr“ zwitschert er weiter und sieht mich erwartungsvoll an. „Gustav? Das ist wirklich lieb von dir“ sage ich leise, während ich endlich weitermache. „Schon gut“ kommt es zurück und einige Minuten hört man nur das klappernde Geschirr. „Was meinst du eigentlich damit, Bill ist wieder der Alte?“ will ich dann wissen. Gustav stellt den letzten Teller zum Abtropfen hin und stemmt dann die Hände in die Seiten. „Vielleicht hab ich ein bisschen übertrieben. Aber seit Tom sich gemeldet hat, ist er wieder relativ normal geworden“ gibt Gustav zu. „Und was meinst du damit, dass ihr euch wieder gut versteht? Ihr habt euch doch nie schlecht verstanden“ hake ich weiter nach. „Naja, nach der Sache mit Eva... also ich bin ja schon ziemlich naiv gewesen“ meint Gustav achselzuckend. „Ja, Bill aber auch“ gebe ich zu bedenken. Gustav nickt. „Heißt das, ihr geht zusammen ins Bett?“ frage ich und senke im nächsten Moment den Blick. Ich bin wieder ganz schön indiskret heute und selbst wenn, ginge mich das nichts an. „Quatsch“ empört sich Gustav auch sofort und funkelt mich böse an. „Entschuldige“ sage ich kleinlaut. „Ist okay Shirin. Aber das ist doch Vergangenheit. Ich will nur, dass er glücklich ist“ schnauft Gustav und irgendwie tut er mir leid. „Ihr werdet schon jemanden finden ihr beide“ nuschele ich vor mich hin, schon wieder ein Satz, den ich bereue, gerade dass er ausgesprochen ist. Ich bin aber auch wirklich ein Trampel. „Wie meinst du das Shirin? Ich denke, zwischen euch ist doch irgendwas!“ Gustav blickt mir offen ins Gesicht und ich weiß nicht so richtig, was ich sagen soll. „Gustav ich bin jetzt mal ganz ehrlich zu dir okay? Bill ist faszinierend, sehr anziehend und undurchschaubar, ja, das geb ich zu. Aber das funktioniert nicht. Ich liebe Tom, weißt du, ich liebe ihn wirklich, wir kennen uns schon eine Ewigkeit und ich vermisse ihn unglaublich. Ich hab noch nie jemanden so vermisst wie ihn jetzt grade. Und er ist am wichtigsten für mich“ bringe ich hervor, und die ganze Zeit halte ich Gustavs Blick stand. Eine ganze Zeit lang sagt Gustav nichts, das Schweigen wird schon fast unangenehm zwischen uns.

„Vielleicht ist es am besten so. Dreierkonstellationen gehen niemals gut“ sagt er endlich und ich atme einmal tief durch. „Da hast du wohl Recht“ stimme ich ihm zu, stelle den letzten Teller in den Schrank und hänge das Handtuch über den nächstbesten Küchenstuhl. „Aber Shirin, kann man Gefühle einfach ignorieren?“ fragt mich Gustav dann und ich schaue auf. „Das weißt du doch am besten“ sage ich trocken und er nickt. „Irgendwann wird es aufhören“ versuche ich mehr mich selbst als ihn zu überzeugen. „Hm“ kommentiert Gustav, aber so richtig glauben tut er es nicht, das kann ich ihm ansehen. „Ich werde mal verschwinden“ murmelt er schließlich, und läuft aus der Küche. „Danke Gustav. Und drück Bill von mir hast du gehört?“ „Besser nicht“ wehrt Gustav ab und wieder tut er mir leid.

***

Zwanzig Minuten später stehe ich unter der warmen Dusche und lasse meine Gedanken schweifen. Ich hab mich zusammengerissen und noch ein bisschen aufgeräumt und jetzt stehe ich hier und merke, wie mich das Wasser trotz meines Herzrasens entspannt. Aber immer noch bin ich unruhig, weiß nicht, was mich erwartet und ich weiß auch nicht, was ich von Gustav und vor allem Bill halten soll. Warum macht er das? Schickt Gustav hier vorbei, damit er mich praktisch vorwarnt. Und warum hat Tom sich bei Bill gemeldet, aber nicht bei mir? Ich werde keine Antworten auf diese Fragen finden, auch wenn ich sie mir noch hundertmal stelle, ich weiß das und trotzdem lässt es mich nicht los.
Seufzend wühle ich irgendwann in meinem Schrank herum. Alles ist durcheinander, ein einziges Chaos und ich finde nichts mehr wieder. Genervt steige ich endlich in irgendeine Jeans und atme dann auf, als ich doch noch meinen gestreiften Lieblingspulli entdecke. Immerhin kann ich mich jetzt in meinen Klamotten wohlfühlen. Mittlerweile ist es draußen fast dunkel und meine Nervosität steigt mit jeder Minute an. Ob er wirklich kommt? Und wann? Und was wird er mir dann sagen? Oder geht er erst mal zu Bill? Oh Gott, wenn ich jetzt nicht sofort damit aufhöre, werde ich wahnsinnig.

Eine Stunde später bin ich fast ein nervliches Wrack, zumindest fühle ich mich so. Langsam glaube ich, Bill hat gelogen und wollte nur wissen, ob bei mir alles in Ordnung ist. Die Unlogik an dieser Sache fällt mir gar nicht auf, so verwirrt bin ich inzwischen. Das ist wieder einer der Augenblicke, wo ich traurig und wütend werde, dass ich nur Tom hab und sonst niemanden. Ich wollte niemals von jemandem abhängig sein und irgendwie ist es doch passiert, ohne dass ich es gemerkt hab. Außerdem macht sich so langsam bemerkbar, dass ich wochenlang kaum geschlafen hab, ich kann trotz der tausend lähmenden Gedanken in meinem Kopf kaum noch die Augen offen halten.
Seufzend setze ich mich vor die immer noch laufende Flimmerkiste, vielleicht lenkt mich das ein wenig ab. Dass ich keine fünf Minuten später einfach weggedämmert bin, bemerke ich nicht mal mehr.

* * *

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#33

RE: Killing me softly

in Fanfictions 26.12.2007 15:29
von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge

Danke für deine Arbeit, schäfchen

Dann kann ich ja jetzt meine Kommis vom msn wieder hier her verlegen^^

oh man... ich will, dass Tom jetzt zu Shirin kommt... ich finde das gerade so irre spannend *auf meinen Fingernägeln rumbeiß*

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#34

RE: Killing me softly

in Fanfictions 26.12.2007 15:36
von Gosu • Besucher | 2.584 Beiträge

Hach schön schaefchen, daas du noch was gepostest hast. Aber zufriedener bin ich immer noch nicht. Erst tut mir Tom Leid, jetzt tut mir wieder Bill Leid *wieder nicht weiß, was ich denken soll*.
Ich weiß jetzt echt nicht, wie das Ende ausehen könnte. Vertragen sich alle wieder oder ist das illusorisch? Und schießt irgendwer diese Eva zum Mond?^^

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#35

RE: Killing me softly

in Fanfictions 26.12.2007 23:59
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

65.

„Shirin?“ Jemand flüstert meinen Namen, streicht mir vorsichtig eine Haarsträhne aus dem Gesicht und rüttelt mich dann sanft an der Schulter. Mit einem Schlag bin ich hellwach und sofort beginnt mein Herz wie verrückt zu rasen. „Tom“ sage ich tonlos, versuche angestrengt, in seinem Gesichtsausdruck zu lesen, was er denkt. Völlig unmöglich. Ich sehe nur äußerliche Dinge, dass er neben mir sitzt, dass er nicht rasiert ist, dass er dunkle Ringe unter den Augen hat und unglaublich müde wirkt. Aber ich sehe nicht, was er fühlt. „Entschuldige den Überfall, das sollte eine Überraschung werden und wecken wollte ich dich eigentlich auch nicht“ beginnt er zu reden und mit jedem Wort reiße ich die Augen weiter auf. Hat er sich gerade bei mir entschuldigt? „Hallo erst mal“ sagt er jetzt und seine Stimme klingt sanft. Ich kann nichts erwidern, meine Emotionen überschlagen sich und verwirrt bin ich auch von seinem Verhalten. Aber ich will ihn doch so viel fragen...

„Du hast dein Versprechen gehalten“ stellt Tom lächelnd fest und irritiert mich damit noch mehr. „Mein Versprechen?“ krächze ich unbeholfen. „Ja – du bist da“ sagt er einfach und lächelt immer noch. Was ist hier los? Stumm nicke ich, verstehe langsam, welches Versprechen er meint.
„Du hast abgenommen“ lenkt Tom dann ab und ich weiß, dass er mir eigentlich damit sagen will, dass ich scheiße aussehe. „Kann sein“ nuschele ich leise. Müssen wir nicht über wichtigere Dinge sprechen? Immer noch suche ich in seinen Augen nach irgendeinem Zeichen, aber ich finde nichts als Zuneigung darin. „Sollten wir nicht…“ fange ich endlich an, doch Tom legt mir seinen Zeigefinger auf den Mund. „Darf ich zuerst?“ fragt er, und als ich nicke, zieht er seinen Finger zurück und sieht mir fest in die Augen.

Irgendeine Veränderung ist in ihm vorgegangen, das spüre ich ganz deutlich. Ich kann nur noch nicht einschätzen, ob das jetzt gut oder schlecht ist. „Also schön. Es gibt eine Menge, was ich dir sagen will. Ja, es hat mich unglaublich verletzt, aber es war besser für mich, dass ich jetzt Abstand hatte und lange Zeit, darüber nachzudenken. Und letztendlich kann ich dir nur sagen, dass ich euch beide nicht verlieren will. Meinen Bruder nicht und dich erst recht nicht. Ich war vorhin bei Bill und wir haben lange geredet und irgendwie ist es okay. Frag mich nicht warum und weshalb, es ist einfach so. Ich überlege sogar ernsthaft, ob ich sein Jobangebot annehmen werde – aber dazu will ich erst deine Meinung hören.“ Tom unterbricht seinen Wortschwall und der Ausdruck in seinen Augen wechselt zu erwartungsvoll. „Meine Meinung?“ wiederhole ich erstaunt. „Ja sicher. Ist das okay für dich? Ich meine, ich werde dann viel Zeit mit ihm verbringen und oft nicht zu Hause sein… aber wir müssten diese Scheiße nicht mehr machen“ sagt Tom und ich frage mich, ob er über Nacht vernünftig geworden ist. „Ich hab nichts dagegen“ erwidere ich ernst. „Gut“ meint Tom, als wäre das damit beschlossene Sache. Aber mir brennt noch viel mehr auf der Seele. „Und was ist jetzt mit Bill?“ frage ich also weiter. „Shirin… ich hab Bill geliebt, ich hab ihn gehasst – und mittlerweile will ich einfach nur, dass er mein Bruder ist“ erklärt Tom und ich muss schlucken. Nimmt er sich das nur vor oder ist das wirklich sein Wunsch? „Aber wir, ich meine ihr…“ stammele ich mir zusammen, ich kann einfach nicht die richtigen Worte finden für das, was ich sagen will.

„Das funktioniert nicht. Und im Grunde wissen wir das doch auch alle oder? Ich kann nun mal auch nichts dafür, dass du die Frau bist, mit der ich leben will“ flüstert Tom und ein Schauer jagt mir über den Rücken. „Ist das dein Ernst?“ wispere ich schließlich zurück, als könnte eine lautere Stimme uns beide aus einem Traum aufwecken.
Als Antwort drückt Tom mich einfach fest an sich und ich kann nichts anderes tun als mich fallen zu lassen, es ist einfach viel zu schön, ihn wieder bei mir zu haben, ihn zu spüren und zu riechen. Mein Gott. Mir wird erst jetzt so richtig bewusst, wie sehr ich ihn vermisst hab, wie unglaublich alleine ich war.

Und trotzdem fühlt sich das alles auch ein bisschen fremd an, ich hab immer noch Angst, dass er gleich aufspringt und mich anschreit, ob ich wirklich glaube, dass es so einfach ist. Aber es passiert nichts dergleichen. Mit geschlossenen Augen sitze ich da und genieße seine Umarmung. Irgendwann komme ich wieder halbwegs zu mir und dann fällt mir etwas ganz Entscheidendes ein. „Tom, wie war denn jetzt eigentlich die Therapie?“ will ich wissen und er rückt ein Stückchen von mir ab, damit er mich wieder ansehen kann. „Ganz gut denke ich. Also ich meine, in so einer isolierten Umgebung fällt es sicherlich immer leichter, Versuchungen aus dem Weg zu gehen, dass muss sich hier jetzt erst mal zeigen... aber generell hab ich ein gutes Gefühl – sonst hätten sie mich auch nicht nach Hause gelassen“ sagt Tom, wirkt auf einmal leicht nachdenklich. Ich gebe mich erst einmal damit zufrieden. So langsam hab ich auch keine Kraft mehr, über das alles nachzudenken. Hauptsache, Tom geht es gut und er ist hier.

„Gehen wir schlafen? Ich bin total erledigt“ reißt mich Tom auch prompt aus meinen Gedanken und ich kann nur lächelnd nicken. Ich begreife immer noch nicht so richtig, dass dies hier alles gerade real ist. Es fühlt sich nicht nur etwas fremd sondern auch so unwirklich an. Und ich ahne, dass wir noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns haben. Ich werde wieder in meinen Gedankengängen unterbrochen, als Tom mich, ohne ein weiteres unnötiges Wort zu verlieren, an der Hand hinter sich her ins Schlafzimmer zieht.

Später liegen wir zusammengekuschelt im Bett und ich merke erst als ich liege, wie erschöpft ich bin. Innerhalb von wenigen Minuten bin ich einfach so eingeschlafen. Dass wir uns nicht einmal geküsst haben, kommt mir gar nicht in den Sinn.


***


Jetzt kommen nur noch 2 Kapitel...

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#36

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 00:14
von Gosu • Besucher | 2.584 Beiträge

Hmmm schön....

Aber nur 1 Kapitel? *nach den restlichen 2 Kapiteln lechze*

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#37

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 00:16
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

Ich wollte die aufteilen... das kommt besser^^ oder so

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#38

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 01:01
von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge

*gelesen hab* ... ich weiß gerade nicht, was ich sagen soll

ein Kuss wäre toll gewesen^^

noch zwei Kapitel ... du hast noch zwei Kapitel auf Vorrat? oder ist die FF dann auch zu Ende? *mal nachfragen muss*

ich freu mich jedenfalls, dass Tom wieder "zu Hause" ist

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#39

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 10:05
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

ja, "eigentlich" ist es dann zu Ende. Es gab aber damals ein paar schlaue Leute, die mich zu einer Fortsetzung überredet haben, die ich allerdings mittendrin nicht weiter geschrieben hab. Ich hab keine Ahnung, ob ihr das dann auch noch lesen wollt...

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#40

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 10:16
von Gosu • Besucher | 2.584 Beiträge

Zitat von schäfchen
ja, "eigentlich" ist es dann zu Ende. Es gab aber damals ein paar schlaue Leute, die mich zu einer Fortsetzung überredet haben, die ich allerdings mittendrin nicht weiter geschrieben hab. Ich hab keine Ahnung, ob ihr das dann auch noch lesen wollt...



Ist dein Ende denn so, dass man unbedingt ne Fortsetzung wünscht?^^ Immerhin war es dein gewähltes Ende und das mit den Fortsetzungen ist immer so ne Sache....obwohl ich paar Stories kenne (die von Saliva, müsstest du auch kennen :D) da sind die Fortsetzungen wirklich gelungen und wirken auch nicht, wie noch angestückelt.

Gibt uns erstmal die letzten 2 Kapitel *drängel*...

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#41

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 10:25
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

Ja, ich kenn die von Saliva und ich kenn auch noch einige andere, bei denen es sich gelohnt hat sozusagen. Ich finde es bei mir jetzt nicht angestückelt, aber es war auch nicht unbedingt notwendig. Ihr könnt das ja selbst entscheiden dann. Hier ist erst mal das vorletzte Kapitel, den Rest gibts heute Abend oder morgen gell



66.

Nachdenklich stehe ich am Küchenfenster und sehe zu, wie Tom und Bill ins Auto steigen. Gleichzeitig schauen sie hoch, winken mir zu und ich winke mechanisch zurück, wende mich dann aber schnell ab und schlurfe zurück ins Wohnzimmer. Wenn Tom wiederkommt, liege ich schon in den tiefsten Träumen oder ich tue zumindest so, damit er nicht merkt, dass ich wachliege. Ist das jetzt also unser Leben? Gut, es hätte schlimmer kommen können, aber warum verdammt mach ich mir dann so viele Gedanken? Es ist ja eigentlich alles ganz in Ordnung, soweit man das in unserer Situation überhaupt sagen kann. Tom wollte unbedingt diesen Job bei seinem Bruder annehmen, und es war zu schön, ihn so euphorisch zu sehen, als dass ich etwas dagegen sagen konnte. Also ist er jetzt „Mädchen für alles“ wie man es so nett ausdrückt. Und er scheint damit zufrieden zu sein, jedenfalls schwärmt er mir davon vor, wenn er denn mal da ist.

Seufzend lasse ich mich rücklings auf die Couch plumpsen. Das ist nämlich der nächste Punkt. Bill nimmt ihn ganz schön in Beschlag. Am Anfang dachte ich, er macht das absichtlich, um Tom weitestgehend von mir fernzuhalten, aber mittlerweile glaub ich das nicht mehr. Es gibt einfach viele Kleinigkeiten zu tun, für die jetzt eben Tom zuständig ist. Und er macht es offensichtlich so gerne, dass ich mich halt mit meinen eigenen Sachen zurücknehme. Wieder verlässt ein Seufzen meinen Mund.

Das ist jetzt schon die fünfte Woche, in der ich Tom kaum sehe und ja, er hat mich gefragt, ob ich damit klarkomme aber ich hab es mir letztendlich doch anders vorgestellt irgendwie. Ein bisschen tut es weh, dass er so sehr darin aufgeht und dass Bill ihn öfter um sich hat als ich.
Und ich bin ja auch froh, dass sich Tom und Bill wohl wieder zusammengerauft haben. Ich hab nie wirklich erfahren, was die beiden miteinander geredet haben, aber solange es so läuft wie es jetzt im Moment läuft... hab ich eigentlich keinen Grund zum meckern.

Ich selber bin immer noch reichlich angespannt, wenn Bill in meiner Nähe ist, aber so oft kommt das auch nicht vor und wenn, verhalten wir uns ganz normal. Doch wirklich geredet hab ich nicht noch einmal mit ihm. Und wieder seufze ich laut.
Dann gibt’s da natürlich noch Gustav und er tut mir am allermeisten leid. Obwohl er seit ungefähr zwei Wochen sehr geheimnisvoll tut, und meint, er habe „da jemanden kennen gelernt...“ mich würde es für ihn freuen, denn ich mag ihn mittlerweile wirklich richtig gerne. Ich weiß, dass er das alles nur für Bill getan hat.

Also alles in allem könnte ich ganz zufrieden sein. Wir haben keine finanziellen Probleme mehr, Tom hat sich gut im Griff wie es scheint, er hat mir sozusagen die „Verwaltung“ unseres Geldes überlassen. Es gibt aber ein ganz gewaltiges anderes Problem. Tom.

Tom, der mir zwar gesagt hat, dass ich die Frau sei mit der er leben wolle, sich aber ganz und gar nicht so verhält. Zuerst hab ich gedacht, es braucht einfach Zeit, er braucht Zeit und wir können nicht so weitermachen als wäre nichts geschehen. Aber mittlerweile schmerzt es jeden Tag mehr, wir leben eher wie Bruder und Schwester nebeneinander her, reden ganz normal miteinander aber etwas entscheidendes fehlt. Wenn er mich küsst, fühlt sich das freundschaftlich an und in den ganzen Wochen haben wir nicht ein einziges Mal miteinander geschlafen. Sooft ich auch versuche, mit ihm darüber zu reden, er blockt jedes Mal aufs Neue wieder ab, redet sich raus, er habe Stress, er sei müde und ausgelaugt und so weiter und so fort. Und ich solle mir keine Sorgen machen. Leider hab ich aber den ganzen Tag Zeit, mir Sorgen zu machen... und inzwischen tut es weh.

* * *

Heute Abend bin ich früh ins Bett gegangen, aber wie immer liege ich wach, wälze mich von einer Seite zur anderen und finde keine Ruhe. Will er mich bestrafen damit? Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte. Irgendwann höre ich, wie die Wohnungstür klappt und ein paar Minuten später legt Tom sich zu mir ins Bett. Und dass er da ist, macht es noch schlimmer. Ihn zu riechen, zu wissen, dass er ein paar Zentimeter neben mir liegt und doch so weit entfernt ist, macht mir meine Sehnsucht wieder einmal mehr schmerzhaft bewusst. Ohne ein Wort zu sagen, schmiege ich mich eng an ihn heran und vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Tom seufzt zufrieden, hält mich fest und möchte wohl am liebsten jetzt so einschlafen. Da hat er die Rechnung aber ohne mich gemacht. Ich sage immer noch nichts, beginne zärtlich seinen Hals zu küssen und arbeite mich langsam aber sicher bis zu seinem Mund vor. Tom erwidert den Kuss, aber nur kurz und ohne so etwas wie Leidenschaft hineinzulegen. Dann schiebt er mich ein Stück von sich runter, ignoriert mein enttäuschtes Seufzen mit einem „Sorry, ich bin müde“ und dreht sich um. Toll. Ganz klasse. „Tom?“ nöle ich leise in die Dunkelheit des Zimmers, ich hab jetzt das Bedürfnis, das auszudiskutieren. „Bitte lass mich schlafen Shirin, es war ein anstrengender Tag okay?“ erwidert Tom, klingt dabei auch schon leicht genervt und ich lasse es gut sein. Erst als seine Atemzüge ruhig und regelmäßig werden merke ich, wie wütend ich bin und was noch viel schlimmer ist, wie weh diese Zurückweisung tut und ich bin froh, dass Tom meine einsame Träne nicht bemerken kann. Irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf, träume wirres Zeug und muss mich immer wieder vergewissern, dass Tom noch neben mir liegt.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, liege ich allein im Bett und das Gefühl der Einsamkeit wird noch stärker als zuvor. Außerdem fühle ich mich wie zerschlagen, weil ich schon wieder seit Wochen mehr grübele als nachts Schlaf zu finden. Lahm rappele ich mich aus dem zerwühlten Bett und tapse in die Küche. Ich brauch jetzt Kaffee, um einen klaren Kopf zu bekommen. Tom sitzt am Tisch, hat eine Tasse in der Hand und nuschelt mir ein teilnahmsloses „Morgen“ entgegen. „Morgen!“ keife ich zurück, kann meine Wut und Enttäuschung nicht verbergen, so sehr ich mir auch Mühe gebe. „Setzt du dich noch einen Moment zu mir? Ich muss gleich los“ sagt Tom als wäre nichts gewesen und trotzdem klingt es in meinen Ohren so, als hätten wir eine geschäftliche Beziehung oder so was. „Legst du überhaupt Wert auf meine Anwesenheit?“ frage ich spitz, während ich mir Kaffee eingieße. „Shirin. Was soll denn diese Frage?“ Toms Tonfall klingt leicht genervt, aber da muss er jetzt durch. „Tom, ich muss dringend mit dir reden. So kann das doch nicht weitergehen“ fange ich an, versuche nicht zu vorwurfsvoll, aber auch nicht gelangweilt zu klingen. „Was kann so nicht weitergehen? Es läuft doch alles gut und...“ Er sieht an mir vorbei, während er diese Worte herunterleiert und für mich hört es sich fast auswendig gelernt an.

„Tom! Du weißt genau wovon ich rede“ unterbreche ich ihn unwirsch und jetzt hab ich endlich seine Aufmerksamkeit. „Es tut mir leid Shirin. Ich kann halt nicht von heute auf Morgen so tun, als wäre nichts gewesen“ erklärt er mir, während er aufsteht und die Küche verlässt. „Tom, ich verstehe das ja. Aber das geht jetzt schon seit Wochen so und ich halt das langsam nicht mehr aus. Wir leben ja wie zwei Fremde nebeneinander her. Verstehst du nicht, dass ich mich nach dir sehne?“ Aufgebracht laufe ich hinter ihm her in den Flur und ich sehe jetzt schon, dass er in eine Abwehrhaltung übergegangen ist. „Lass mir einfach Zeit okay? Bitte Shirin“ sagt Tom und versucht nicht mal zu verbergen, dass er irgendwie wütend auf mich ist. Und das wiederum bringt mich jetzt wirklich auf die Palme. Man kann eine Bitte auch wie einen Vorwurf formulieren und genau das hat er gerade getan. Und mir fällt wieder etwas ein, was mich schon die ganze Zeit aufregt.
„Weißt du Tom, ich lass dir ja Zeit, ich hab wirklich Verständnis für dich! Aber was ist mit Bill? Mit ihm machst du auf dicken Freund und mich schaust du nicht mal richtig an. Warum kannst du Bill verzeihen und mir nicht?“ bricht es aus mir heraus, ich kann mich nicht mehr länger zurückhalten. Tom, der mittlerweile seine Jacke angezogen hat, verengt die Augenbrauen und funkelt mich böse an. „Weil ich mit Bill keine Beziehung führen muss!“ zischt er mir zu und im nächsten Moment knallt die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss.

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#42

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 10:39
von Gosu • Besucher | 2.584 Beiträge

O__O

Jetzt bin ich noch mehr gespannt auf das Ende *unruhig auf meinem Stuhl hin und her rutsche*

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#43

RE: Killing me softly

in Fanfictions 27.12.2007 15:56
von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge

Oh man... wochenlanges Aneinandervorbeileben... *seufz*

Mir geht es wie Gosu... ich bin mächtig gespannt auf das Ende.

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#44

RE: Killing me softly

in Fanfictions 28.12.2007 09:33
von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge

Letztes Kapitel



"Shirin kommst du jetzt endlich?" quengelt Tom jetzt zum dritten Mal und entlockt mir damit nur noch ein genervtes Stöhnen. Ich lasse meine Haare Haare sein und verzichte auch auf den letzten Blick in den Spiegel. Ist ja eh egal, ich hab im Grunde sowieso keine Lust auf diesen blöden Geburtstag. Drei weitere Wochen sind vergangen, in denen sich nichts geändert hat und ich bin mittlerweile kurz davor, einfach zu gehen. Meine Sachen zu packen und zu gehen. In manchen Momenten hört sich ein Leben ohne Tom, ohne Bill, ohne Gustav, ohne Chaos sehr verlockend für mich an. Aber eben nur in manchen. Und irgendwo ganz tief in mir drin hab ich immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass sich vielleicht doch noch alles ändert.

Ohne ein Wort zu sagen trete ich in den Flur und nehme meine Jacke vom Haken. "Ich bin gespannt auf Gustavs Freundin" plappert Tom auf dem Weg ins Treppenhaus, aber ich höre gar nicht wirklich hin. Ich bin nicht gespannt. Für mich ist das so unwichtig, auch wenn ich es Gustav gönne.
"Er hat gemeint, es sei nichts ernstes, aber ich glaub ihm nicht" höre ich Tom weiterreden. Ich reagiere nicht darauf, trete in die eiskalte Luft und sehe meinem Atem zu, wie er weiße Wölkchen in die Luft malt. "Shirin? Was ist los?" fragt Tom und hält mich am Jackenärmel fest. "Nichts, nichts" sage ich schnell, viel zu schnell und ich weiß, dass mich das verrät. "Lass uns gehen, wir sind schon spät dran und das Taxi wartet auch schon" schiebe ich noch hinterher. Ich mag nicht mehr diskutieren. Ich hab kapituliert. Tom sieht mich einen Moment lang stirnrunzelnd an, erwidert aber nichts mehr, und schließlich sitzen wir schweigend im Taxi, jeder schaut aus seiner Seite des Fensters und die Fahrt erscheint mir unerträglich lang, die Stille drückend.
Es wird kein Vergnügen werden, den ganzen Abend mit Bill zu verbringen und das zieht meine Laune noch mehr in den Keller. Ich geh nur Tom zuliebe mit. Obwohl ich mir manchmal nicht sicher bin, ob er überhaupt zur Kenntnis nimmt, dass ich da bin. Dass es mich gibt. Dass ich existiere.

***

"Hey ihr Süßen, kommt rein" werden wir von Gustav an der Haustür begrüßt, er wirkt hektisch, aufgedreht, hibbelig. "Herzlichen Glückwunsch" sage ich knapp, aber lächelnd, drücke ihn kurz an mich und ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Er grinst. Was Tom sagt, geht an mir vorbei und ehe ich mich versehe, sitze ich neben ihm auf der Couch im riesigen Wohnzimmer von Bill und Gustav. Es fühlt sich so falsch an, als hätte mich jemand aus einer Kinoleinwand ausgeschnitten und in den falschen Film eingefügt.

„Ich geh mal Bill suchen“ meint Tom keine zwei Sekunden später und erhebt sich schon wieder, kaum dass er gesessen hat. Ich brumme nur zustimmend und sehe ihm hinterher, wie er aus dem Zimmer läuft. Und schon schweifen meine Gedanken ab. Warum sollte ich mitgehen wenn er mich jetzt im wahrsten Sinne des Wortes hier sitzen lässt? Ich verstehe ihn absolut gar nicht mehr. „Shirin? Komm mal, ich möchte dir jemanden vorstellen“ höre ich plötzlich Gustav von der Seite rufen. Schnell erhebe ich mich und setze das freundlichste Lächeln auf, was ich in dieser Situation zustande bringe. „Hallo, ich bin Ava“ spricht die blonde Schönheit mit den blauen Kulleraugen, reicht mir die Hand und lächelt mich aufrichtig an. Wow. Nett.
„Shirin“ sage ich und muss bei Gustavs Gesichtsausdruck grinsen. Von wegen, nichts ernstes, das kann er mir aber auch nicht erzählen. Wir betreiben einige Minuten Small Talk, etwas dass ich normalerweise hasse, aber heute lenkt es mich ab und ich finde Ava wirklich ausgesprochen sympathisch. Und irgendwie passt sie zu Gustav, wobei ich das auch nicht näher erklären könnte. Das ist auch eigentlich unwichtig, Hauptsache die beiden verstehen sich und das ist offensichtlich der Fall.
In diesem Moment betritt Tom mit seinem Bruder wieder das Zimmer und ich kann den Blick nicht von den beiden abwenden. Sie wirken so vertraut miteinander und ich weiß, dass mich das freuen sollte, aber das Gegenteil ist der Fall. Bill entdeckt mich und kommt ohne Umschweife auf mich zugelaufen. „Na Shirin? Nervt Gustav schon wieder?“ meint er grinsend und ich bin ihm dankbar, dass er nicht mit irgendeiner Floskel daherkommt. „Ich kanns gerade noch aushalten“ gebe ich zurück und muss bei Gustavs empörtem Schnaufen dann doch grinsen, obwohl mir immer noch nicht wohl in Bills Gegenwart ist.

„Du wirkst bedrückt“ sagt Bill so leise, dass nur ich ihn verstehen kann. „Schon okay“ erwidere ich genau so leise und ich kann Bill ansehen, dass er mir nicht glaubt. „Wenn du reden willst...“ bietet er an und ich muss an mich halten, um nicht hysterisch zu kichern. „Bill, ich glaube du bist der falscheste Mensch, den ich mir für so ein Gespräch aussuchen könnte, aber danke trotzdem“ bringe ich schließlich mühsam beherrscht heraus. „Entschuldige“ sagt Bill sofort und ich zucke mit den Schultern. „Ich muss kurz mit Tom was besprechen, aber du hast ihn gleich zurück ja?“ teilt er mir dann mit und sieht mich abwartend an. „Jaja, schon gut“ nuschele ich und ich weiß, dass man die Frustration aus meiner Stimme heraushören kann. Aber Bill tut mir den Gefallen, äußert sich nicht weiter dazu, sondern geht langsam zu Tom zurück, der schon ungeduldig mit den Füßen Kreise auf den Boden zeichnet.

Ich sehe zu, wie die beiden Richtung Küche verschwinden und merke gleichzeitig, wie sich ein großer Kloß in meinem Hals festsetzt. „Ich geh mir mal was zu trinken holen“ sage ich an Gustav gewandt und steuere die provisorische Bar am anderen Ende des Zimmers an. Das erste Glas Wein leere ich in einem Zug, vom zweiten nehme ich drei große Schlucke und dann wandere ich auf den Balkon, um eine zu rauchen. Wenn ich genügend Alkohol in mich reinkippe, werde ich den Abend wohl überstehen. „Hast du mal Feuer?“ fragt es plötzlich neben mir und erstaunt sehe ich in Gustavs Gesicht. „Weißt du eigentlich, dass ich damals genau dasselbe zu dir gesagt hab in der Bar?“ fällt mir ein und unweigerlich muss ich an diesen Abend zurückdenken. Wo wären wir heute, wenn ich Gustav nicht angesprochen hätte oder er gar nicht da gewesen wäre? „Das war Absicht“ klärt Gustav mich auf, zündet sich eine Zigarette an, was ich noch nie gesehen hab und mustert mich eindringlich. „Wo hast du denn Ava gelassen?“ versuche ich abzulenken. „Die quasselt mit ihrer Freundin!“ Gustav deutet mitten hinein in die etwa 20 fröhlichen Menschen, die sich im Wohnzimmer versammelt haben. Alles Menschen, die ich nicht kenne. „Shirin, was ist denn los?“ bohrt er jetzt nach und schiebt ein „Wegen Tom?“ hinterher, als ich nicht antworte. Ich brauche die halbe Zigarette und zwei weitere große Schlucke aus meinem Weinglas, bis ich in der Lage bin, etwas zu erwidern. „Ach Gustav, weißt du, ich freu mich ja, dass die beiden sich wieder verstehen, aber dafür entfernt sich Tom immer weiter von mir, zumal wir uns sowieso kaum noch sehen. Und sogar hier, in seiner Freizeit, redet er lieber mit Bill als mit mir“ sprudelt es dann aus mir heraus.

„Ich glaub da geht’s nur um einen neuen Auftrag oder so“ wiegelt Gustav ab, aber ich glaube, er versteht mich trotzdem. Und als ich nur genervt und schon wieder den Tränen nah schnaufe, nimmt er mich kurz in den Arm. „Das wird schon wieder Shirin“ tröstet Gustav mich und irgendwie tut es gut, mal mit jemandem zu reden. „Und jetzt gehen wir rein und feiern. Immerhin ist heute mein Geburtstag!“ Gustav nimmt mir die Zigarette aus der Hand, schnippt sie einfach über den Balkon und zieht mich wieder mit rein ins Getümmel. Ich bin so perplex, dass ich mich gar nicht wehren kann und als ich neben ihm und Ava auf der Couch sitze, finde ich das auch gar nicht mehr so schlimm. Sollen sie doch alle machen, was sie wollen. Ich werde jetzt trinken und mich unterhalten und mal für ein paar Stunden alles vergessen.

***

„Ich komm gleich wieder“ sage ich mindestens zwei Stunden später schon leicht lallend zu Gustav, der wirklich alles getan hat, um mich aufzumuntern. Und er hat mich auch davon abgehalten, alles sinnlos in mich reinzuschütten, was mir in die Finger gekommen ist. Also bin ich noch halbwegs bei Verstand. Tom war zwischendrin auch kurz hier, hat sich sehr nett mit Ava unterhalten und mich immerhin zur Kenntnis genommen. Aber jetzt ist er schon wieder seit geraumer Zeit verschwunden und ich weiß nicht wohin. „Ist gut“ meint Gustav und widmet sich wieder seiner neuen Flamme. Schwerfällig erhebe ich mich und fange leicht schwankend an, Tom zu suchen. Im Flur ist Fehlanzeige, aber die Küchentür ist nur angelehnt und ich höre Gemurmel aus dem Raum. Ich bleibe stehen und lausche angestrengt. „Er ist toll, ja... das kann man so sagen... hihi“ kichert jemand, eindeutig die Stimme von Bill. Er ist toll?
Für mich wird dieser Mensch wohl immer in Rätseln sprechen. „Das freut mich für dich“ erwidert eine weitere Stimme, und das ist die von Tom. Vorsichtig schiebe ich die Tür ein kleines Stück weiter auf, sehe Bill auf der Arbeitsplatte sitzen und Tom gleich nebendran. Beide haben sie eine Flasche Bier in der Hand und lassen die Beine baumeln. „Mein Leben bleibt halt nicht stehen, Tom. Und du musst das auch endlich mal einsehen“ redet Bill jetzt weiter und mir stockt der Atem. Eigentlich müsste ich mich jetzt umdrehen und gehen, aber ich stehe wie versteinert auf meinem Platz. Ich höre Tom schnaufen, aber er antwortet nicht. „Tom, wenn du so weitermachst, verlierst du sie. Ist dir das eigentlich klar?“ kommt es jetzt von Bill und plötzlich werden beide ernst. Das reicht mir. Ich glaub nicht, dass ich die Antwort von Tom ertragen kann. So schnell wie möglich drehe ich mich um und laufe weiter ins Bad. Nach einigen Spritzern eiskaltes Wasser in mein erhitztes Gesicht geht es mir wieder einigermaßen, aber die Leere in mir bleibt. Dass es einmal so weit kommt, dass ausgerechnet Bill so etwas seinem Bruder sagt – ich hätte es nicht gedacht.

Als ich wieder ins Wohnzimmer trete, sitzen Tom und Bill bei Gustav und Ava auf der Couch. Tom springt auf, als er mich erblickt. „Wollen wir fahren Shirin? Ich bin müde“ meint er und nimmt das Handy entgegen, das Bill ihm hinhält, damit er ein Taxi rufen kann. „Von mir aus“ murmele ich gleichgültig. Tom lässt sich das nicht zweimal sagen und geht ein paar Schritte zur Seite, um in Ruhe zu telefonieren. Ich fange einen Blick von Bill auf und als er auf den jetzt freien Platz neben sich zeigt, kann ich nicht widerstehen und setze mich. „Du bist ganz blass Shirin. Geht’s dir nicht gut?“ fragt Bill und in seiner Stimme schwingt ein Unterton mit, den ich noch nie bei ihm gehört hab. „Ich hab nur zu viel getrunken“ wehre ich ab. „Dafür klingst du aber ziemlich nüchtern“ kommentiert Bill, lässt mich dann aber nach einem tödlichen Seitenblick in Ruhe. Am liebsten würde ich ihm ins Gesicht sagen, was mich so schlagartig ernüchtert hat. Doch bevor ich diese Dummheit begehen kann, steht Tom auf einmal wieder vor mir. „Die sind in zwei Minuten hier. Wollen wir draußen warten?“ Ich nicke stumm. Irgendwie ist mir plötzlich alles egal geworden. Die Verabschiedung bringe ich irgendwie hinter mich, ignoriere die Blicke von Bill und Gustav und schließlich stehen wir draußen vor dem Haus und schweigen uns an.

Und auch die Rückfahrt im Auto verläuft still, ich starre gedankenverloren aus dem Fenster und wünsche mich woanders hin. Zu Hause angekommen, will ich gleich im Bad verschwinden, aber Tom hält mich am Arm fest. „Shirin, ich muss mal mit dir reden“ meint er und irgendwie platzt mir in diesem Moment der Kragen. „Ach so, musst du das. Den ganzen Abend ignorierst du mich und jetzt musst du auf einmal reden. Ich bin müde Tom, lass mich los“ gifte ich ihn an und habe Mühe, meine Wut zu verbergen. „Das ist aber schon längst überfällig“ fängt Tom wieder an, hält immer noch meinen Arm gefangen und sieht mich bittend an. „Geh doch zu Bill, mit dem kannst du doch eh besser reden als mit mir“ rutscht mir raus, ich kann förmlich sehen, wie Tom ein Licht aufgeht und sich dann in Sekundenschnelle seine Miene verdüstert.
„Meinst du was bestimmtes damit? Hast du etwa gelauscht?“ fragt er scharf, während gleichzeitig sein Griff fester wird. „Selbst schuld, wenn ihr die Tür offen lasst“ motze ich ungehalten weiter. „Hast du`s dir wenigstens bis zum Ende angehört?“ will er wissen und ich schüttele den Kopf. „Ich hätte bestimmt sonst kotzen müssen“ werfe ich ihm hin und endlich gibt er meinen Arm frei.

„Das ist so typisch für dich“ brüllt er mich dann auf einmal an, so dass ich erschrocken zusammenzucke. „Ich glaubs echt nicht“ schreie ich aufgebracht zurück und will schon türenknallend im Bad verschwinden, als Tom wieder meinen Arm packt. Mit einem einzigen schnellen Schritt hat er mich gegen die Wand im Flur gepresst. „Du läufst jetzt nicht weg Shirin“ flüstert er ganz nah an meinem Ohr und ich kann nicht verhindern, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Innerhalb von einer Sekunde hat sich die Stimmung verändert. „Ach nein?“ entweicht es provozierend meinem Mund, auch wenn ich gar nicht in der Lage bin, mich zu befreien. Irgendwie verwirrt mich das Ganze hier gerade so sehr, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann. „Du hörst dir jetzt an, was ich zu sagen hab.“ Tom sieht mir offen in die Augen. „Mein Kopf hat es schon lange verziehen. Das Problem war mein Herz Shirin. Ich wollte nicht, dass du leidest und trotzdem hab ich es zugelassen die ganze Zeit. Aber irgendwie hast du gerade einen Schalter bei mir umgelegt“ raunt er mir zu und ich suche angestrengt nach irgendeinem Zeichen in seinen Augen, dass seine Worte Lügen straft. Aber ich finde keins. Nur Aufrichtigkeit. Und noch etwas anderes. Etwas, dass ich so lange nicht mehr in Toms Augen gesehen hab, dass ich jetzt kaum glauben kann, dass es da ist.

„Sag mir, was du vermisst hast Shirin“ fordert er mich mit rauer Stimme auf und ich kann immer noch nicht fassen, dass das hier gerade wirklich passiert. „Dich“ flüstere ich atemlos. „So so“ wispert Tom mir gegen den Mund, „und sonst nichts?“ Immer noch sehen wir uns in die Augen, und ich hab mich gerade aufs Neue in das Glitzern darin verliebt. „Tom quäl mich nicht so“ flehe ich schon leicht verzweifelt. „Ist es das hier, was du noch vermisst hast?“ Tom geht gar nicht auf mein Flehen ein, macht alles nur noch schlimmer, indem er anfängt, meinen Hals zu küssen. Was verdammt noch mal ist hier eigentlich los? Ein unkontrolliertes, unterdrücktes Keuchen entflieht meinem Mund und ich sehe sein Grinsen vor mir, obwohl er seinen Kopf immer noch in meiner Halsbeuge vergraben hat. „Tom“ wimmere ich ihm entgegen und endlich, endlich sieht er mich wieder an.

Ist das hier das Ende oder der Anfang? Ich sehe die Antwort in seinen Augen, sehe wie sich sein Gesicht meinem eigenen nähert, atme seinen Geruch tief ein und bin schon fast gestorben, noch bevor sich unsere Lippen berühren.

***

Mitten in der Nacht werde ich wach und bemerke erstaunt, dass ich an Toms nackte Brust geschmiegt liege. Schlagartig fällt mir alles wieder ein und zum ersten Mal seit Wochen hab ich nicht das Gefühl, eingeschnürt zu sein und keine Luft mehr zu bekommen. „Schlaf weiter“ murmelt mir Tom schlaftrunken zu, presst mich noch enger an sich, aber ich denke gar nicht daran. Wie könnte ich eine solche Nacht verschlafen?



ENDE

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#45

RE: Killing me softly

in Fanfictions 29.12.2007 03:03
von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge

also... ähm... äh...

> Aber irgendwie hast du gerade einen Schalter bei mir umgelegt“ raunt er mir zu
Dein Stil ist wundervoll und lässt sich superschön lesen ... richtig große Klasse für meinen Geschmack

Du hast ja erzählt, dass du noch weitergeschrieben hast und ich bin einerseits neugierig darauf und andererseits... du wirst das, was du weitergeschrieben hast, nicht zu Ende schreiben, stimmts? *mich nicht entscheiden kann, ob ich meine Neugier auf das Weitere kundtun soll oder ob ich es lieber bleiben lassen soll, wenn es dann eh irgendwo abbricht und nicht vollendet wird*

Ich danke dir für dieses herrliche Chaos in dieser Geschichte und dafür, dass du das so zauberhaft geschrieben hast.

Ich hab dich lieb, schäfchen

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