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RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 30.12.2008 01:48von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
Zitat von elodia
aber es is war lars papa heist doch wirklich josef
hihi
... und ich hab mein Kind an Allerheiligen bekommen... lol... das gilt auch, nüch?^^
@Scooter... ich würde dir wirklich raten, die Geschichte nicht zu lesen... ganz einfach. Sie ist einfach nichts für schwache Nerven.
Und bei dem Ende gibt es für mich kein traurig oder schön. Ich finde das Ende schön, hab dabei aber selbst geheult beim Schreiben. Es ist beides gleichzeitig... traurig und schön.



RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 13.01.2009 13:44von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
~ 21. Kapitel ... Teil 1 ~
Tom saß mit geschlossenen Augen auf dem Sofa und spielte Gitarre. Seit Stunden tat er nichts Anderes und schien inzwischen in eine völlig andere Welt abgetaucht zu sein.
Bill und Andi hatten ihn in Ruhe gelassen, doch seit ungefähr einer viertel Stunde lag der Schwarzhaarige, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, auf dem anderen Sofa und betrachtete seinen Zwilling, der ihn gar nicht bemerkte. Andi hatte sich noch mal hingelegt, nachdem er ihm seine Unterarme frisch verbunden hatte und als er jetzt die Wunden an Toms Handgelenken sah, fiel ihm auf, wie viel besser die schon aussahen, als die seines Wahlbruders, obwohl gestern noch gar kein Unterschied zu sehen gewesen war. Er fragte sich, ob in den grässlichen Akten, von denen seine Brüder berichtet hatten, irgendwo eine Erklärung für das große Rätsel um diese außergewöhnliche Wundheilung stand, doch als sein Blick zurück in das Gesicht seines Liebsten fiel, verschwanden alle Gedanken an Akten oder Wunden. Tom sah so friedlich aus, ganz entspannt und weit, weit weg. Bill konnte fühlen, wie er sich in sich selbst zurückgezogen hatte, an einen Ort in seinem Inneren, den nur er allein betreten konnte. Es war ein guter Ort… ein geschützter, kraftvoller Ort, der in der Mitte seines Körpers lag und zu dem er einen Zugang fand, wenn sein Gitarrenspiel ihn nur lange genug begleitete. Seine Finger schienen von ganz allein zu wissen, was sie zu tun hatten, und Bill war sich nicht sicher, ob Tom sich selbst überhaupt noch hörte. Die Klänge, die dem Instrument entsprangen, hüllten den Schwarzhaarigen wie zärtliches Liebesgeflüster ein, entspannten auch ihn zunehmend, und es dauerte noch über eine weitere halbe Stunde, bis sich eine Ruhe im Raum ausbreitete, in der der Zauber der Melodie noch deutlich nachklang.
Die Fingerspitzen seiner linken Hand waren schon ganz taub. Tom fühlte, dass es jetzt erstmal genug war und noch bevor er seine Augen öffnete, spürte er Bills Gegenwart. „Beobachtest du mich schon lange?“ wollte er wissen, als er ihn entdeckte. Er sah wunderschön aus, so wie er da lag, ungeschminkt und blass. Seine Haare fielen glatt auf das Polster, auf dem sein Kopf lag. Nur eine Strähne hatte sich überlegt, auszubrechen, hatte sich in einer leicht geschlungenen Linie kontrastreich über seinen schmalen Hals gewunden und ihr langes Ende glänzend auf den matten, schwarzen Stoff seines T-Shirts gelegt.
„Ja, schon ziemlich lange.“
„Wo ist Andi?“
„Der schläft.“
„Ist mit dir alles okay?“
„Ja. Ich hab dich genossen. Wird das jetzt ein Verhör?“
„Ja.“
Bill lächelte. „Darf ich auch etwas fragen?“
„Nein, dann ist es ja kein Verhör mehr, außerdem war das schon eine Frage.“ Tom hatte seine Unterarme auf seiner Gitarre abgelegt, sah seinem Zwilling in die Augen. Es war so schön, ihn einfach nur zu sehen und diese Verbindung zu spüren. „Gibst du mir deine Nummer, Süßer?“
Ganz zauberhaft warm wurde dem Schwarzhaarigen ums Herz… da war Tom… sein Engel, der ihm gerade zeigte, dass er ins Leben zurückkam, der ihm zeigte, wie stark er eigentlich war. „Wenn du mir deinen Namen verrätst, Schnuckelchen,“ spielte er flirtend mit.
„Schnuckelchen?“ Tom zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe.
„Okay… ich nehm Schätzchen,“ grinste Bill neckisch.
Der Blonde ging darauf allerdings gar nicht mehr ein. „Gehst du mit mir ins Studio, um unsere Stücke einzusingen?“ führte er einfach sein Verhör weiter.
„Jetzt?“ fragte Bill verdutzt.
„Das war schon wieder eine Frage. Ich stelle hier die Fragen,“ stellte der Blonde klar. „Deine Antwort fehlt noch.“
„Ja, natürlich. Ich war übrigens noch nie in einem richtigen Tonstudio.“ Er freute sich. „Das ist eine wundervolle Idee.“ Er schwang seine langen Beine vom Sofa und erhob sich.
Tom verfolgte jede Bewegung seines Bruders und legte seine Gitarre blind beiseite, als dieser näher kam. Wie einzigartig er war, zeigte sich in jeder Regung, in jedem Blick, in Allem, was er ausstrahlte. „Ich werde dich richtig schön abmischen, Engel,“ sagte er, als Bill sich, mit den Knien zuerst, zu ihm aufs Sofa begab.
„Das klingt irgendwie schmutzig,“ schmunzelte der Schwarzhaarige. „Misch mich ab, Baby,“ raunte er mit passender Mimik und entlockte seinem Zwilling damit das erste Lächeln seit Tagen, auch wenn es nur kurz war. Es war wie der erste, seelenerhellende Sonnenstrahl, der sich nach einem schlimmen Unwetter durch die noch dichte, graue Wolkendecke schummelte.
Irgendwie konnte Tom es immer noch nicht so ganz fassen, dass sein Wesen, das ihm durch all seine schweren Zeiten geholfen hatte, ein echter Mensch war und nun in Wirklichkeit vor ihm saß. Er fühlte die Kraft, spürte das Leben, mit dem sein Gegenüber ihn durch dieses einzigartige, unsichtbare Band versorgte, doch am Deutlichsten fühlte er diese tiefe, unzerstörbare Liebe. Sie war für ihn wie eine Nabelschnur für ein ungeborenes Kind… sie versorgte ihn mit allem, was er brauchte. Zart, fast scheu fuhren seine Fingerspitzen über die schmale Wange seines Zwillings, als wollte er testen, ob dieses Wesen nur in seiner Phantasie existierte oder wahrhaftig vorhanden war. „Ich fühl mich so sicher, wenn du bei mir bist,“ sagte er leise, bevor seine Lippen zärtlich mit denen seines Bruders spielten.
Bill nahm diese liebevollen Berührungen voller Sehnsucht entgegen. Endlich küsste Tom ihn… oh endlich. Darauf hatte er seit dem Moment gewartet, als er ihn in befreit hatte, und ein Seufzen drang aus seinem Herzen und bahnte sich erleichtert einen Weg aus seiner Kehle. Die Gegenwart war so wertvoll, so zauberhaft…
… es gab nur ihn und Bill, keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur das Hier und Jetzt, das für einen wundervollen Augenblick perfekt und frei von jeglichem Schmerz war. „Ich liebe dich über alles,“ flüsterte er in diesen Augenblick hinein.
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Marcello war aufgeregt, als er die Treppen heraufstieg. Es war das erste Mal, dass Bill ihn in sein Reich ließ, und er war gespannt darauf, wie seine Diva lebte. Die Nacht hatte er bei Vicky verbracht, seiner vertrautesten Freundin, die er bereits seit der Grundschulzeit kannte. Sie hatte ihn auch eben hier abgesetzt. Er hatte ihr alles erzählt, sich alles von der Seele geredet und hatte lange in ihren Armen geweint. Dann war er eingeschlafen und erst zehn Stunden später wieder aufgewacht. Seitdem ging es ihm besser, doch als er entdeckt hatte, dass in seiner Jacke noch die Brieftasche des Toten lag, hatte er schleunigst bei Bill angerufen und nun ja… nun war er hier. Der Schwarzhaarige erwartete ihn an der Wohnungstür und überraschte ihn damit, dass er ihn zur Begrüßung in eine Umarmung zog, in der er so eine von Herzen kommende Zuneigung spürte, dass es in seinem Herzen sofort ganz warm wurde und er feuchte Augen bekam. Das hier war für ihn mehr als nur eine Umarmung. Es war die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches. Bill hatte ihn durch diese unsichtbare Mauer gezogen, die ihn immer umgab, und ihn so eine wahnsinnige Unnahbarkeit ausstrahlen ließ. Sie hatten gemeinsam etwas erlebt, was sie näher zusammengebracht hatte. Marcello räusperte sich, als seine Diva ihn wieder los ließ, um seine Rührung zu überspielen. Er war ganz sprachlos, doch als Bill ihn in sein Wohnzimmer führte, konnte sein Mund nicht mehr still bleiben. „Wooooow,“ entfuhr es ihm lang gezogen, während seine Augen von dem riesigen Raum in den Bann gezogen wurden. „Das sieht hier aus wie in einem Märchen. Also damit hätte ich jetzt ganz bestimmt nicht gerechnet,“ wurde er von dem Staunen gepackt, das jeden zu fassen bekam, der zum ersten Mal diesen Dschungel betrat, und übersah dabei direkt erstmal Tom und Andi, die sich auf einem der Sofas lümmelten und dabei zusahen, wie der Raum ihn eindrucksvoll eroberte.
„Schade, dass man das Zimmer hier nicht vergisst, wenn man wieder raus geht, sonst würde ich jetzt immer wieder durch die Tür gehen… ununterbrochen raus und wieder rein... und den Rest meines Lebens mit Staunen verbringen,“ sagte Andi leise zu Tom, ohne den Blick von Marcello zu nehmen. Wirklich echtes Staunen gehörte definitiv zu seinen Lieblingsgefühlen, wenn es nicht sogar das ultimative Lieblingsgefühl für ihn war. Er liebte es, sowohl selbst zu staunen, als auch andere dabei zu beobachten, und Marcello sah einfach herrlich dabei aus. Er hatte diesen tuntigen Touch, der das alles noch etwas übertriebener wirken ließ und dazu führte, dass tatsächlich zwischendurch eine Hand vor den geöffneten Mund gehalten wurde oder ein entzücktes Quietschen seiner Kehle entsprang. Genau so einen Anblick brauchte der Weißhaarige gerade. Es ging ihm ziemlich schlecht heute… keine Stelle an seinem Körper, die nicht irgendwie schmerzte und dieses dumpfe Gefühl in seinem Kopf, das ihn die ganze Zeit daran erinnerte, womit er nicht klar kam. Er wusste nicht, wie er liegen sollte, und zu gern hätte er ein Mittel gegen diese endlos kreisenden, herunterziehenden Gedanken gefunden, die ihm seine Kraft raubten. Marcello, den er seit gestern auf eine ganz besondere Weise in sein Herz geschlossen hatte, war gerade eine zauberhafte, wenn auch nur kurze Ablenkung von all dem. „Hi, Marcello,“ schaffte er ein Lächeln, als der Angesprochene sie entdeckte.
Erschrocken zuckte Marcello kurz zusammen. Er war so abgelenkt gewesen, dass er außer Bill gar kein weiteres Lebewesen mehr in diesem Raum vermutet hatte. „Oh… äh, hallo,“ begrüßte er die Zwei, während seine Hand an sein klopfendes Herz fasste. „Ich hatte euch gar nicht bemerkt.“ Dem Schreck entgegenwirken wollend, atmete er ein Mal geräuschvoll aus. Er setzte sich auf das Sofa, auf dem Bill ihm einen Platz anbot und war ganz selig darüber, dass der Schwarzhaarige sich direkt neben ihn setzte. „Wie geht es euch?“ fragte er etwas scheu in die Runde. Er wollte es gern wissen, war sich aber nicht sicher, ob die Frage überhaupt in Ordnung war. Sein Blick blieb auf Andi haften, wahrscheinlich, weil es ihn bei ihm gerade am Meisten interessierte.
„Grauenvoll,“ antwortete Andi mit einem einzigen Wort, doch das traf es auf den Punkt. Mehr gab es dazu gar nicht zu sagen. „Und dir?“
„Ähm… also den Umständen entsprechend erstaunlich gut, ehrlich gesagt.“ Er selbst konnte es sich nicht erklären, warum er nicht ein reines Nervenbündel war. Entweder stand er immer noch unter Schock oder irgendetwas hatte ihn auf wundersame Weise viel stärker gemacht, als er eigentlich war… anders konnte er sich das nicht erklären. „Ich weiß ganz genau, dass ich keinen Finger am Abzug hatte, Bill. Da bin ich mir sicher,“ wandte er sich an den Schwarzhaarigen, weil er diesen Punkt, der ihn sehr beschäftigte, unbedingt noch mal äußern musste. Er war das in seiner Erinnerung immer und immer wieder durchgegangen. Er hatte sich die ganze Zeit nicht ein einziges Mal getraut, seinen Finger auch nur in die Nähe des Abzugs zu legen. „Ich kann mir nicht erklären, wie das passiert ist.“
„Ja… ich weiß, Marcello. Es war ein Unfall. Ein Unfall, den er verursacht hat… nicht du.“ Auch wenn Bill es nicht direkt gesehen hatte... er hatte Marcello von Anfang an geglaubt, dass er ihn nicht erschossen hatte und so war in seinen Worten auch seine Überzeugung zu hören.
„Unfall würde ich das nicht nennen. Das war ein Glücksfall,“ platzte es aus Tom heraus. „Sorry, Marcello. Du hast sehr viel auf dich genommen gestern und musstest sicherlich über deine Kräfte gehen… aber dieser Unfall, wie Bill es nennt, ist für mich das einzig wirklich Gute an dem Ganzen. Wenn ich gerade einen schönen Gedanken brauche… dann denke ich momentan daran.“ Ihm war klar, dass Marcello ihn nicht verstehen konnte, aber irgendwie musste er ihm das gerade so erklären.
Marcello verstand viel mehr, als Tom sich denken konnte. Er hatte Bills Hass erlebt, hatte Andi ins Krankenhaus begleitet und war dabei gewesen, als dieser Mann seinen Mund nicht halten konnte, als sie durch das unterirdische Gebäude gelaufen waren. Er hatte in diesen wenigen Minuten aus dem Mund dieses Mannes mehr über Bills und Toms Vergangenheit erfahren, als er begreifen konnte, doch eines war für ihn ganz klar geworden… dieser Mann hatte aus Boshaftigkeit Unverzeihliches getan, und der niedere, sexuelle Aspekt darin war unverkennbar gewesen, ebenso das nichtvorhandene Schuldgefühl und der Spaß am Leid Anderer. Dieses Ekelpaket hatte nur ein paar Worte gebraucht, um Marcellos Verachtung für ihn komplett hervorzurufen. So einem Menschen war er zuvor nie begegnet, und die Bruchstücke, die er über ihn zu wissen bekommen hatte, reichten aus, um selber kein wirkliches Mitgefühl für dessen Tod zu haben, was ihm bei der Verarbeitung der Geschehnisse sehr half. Er wusste nicht, was er zu Toms Worten sagen sollte, aber er nickte ihm verständnisvoll zu, bevor er die Brieftasche aus seiner Jacke zog. Am Telefon hatte er Bill nicht sagen wollen, weshalb er vorbeikommen wollte, deshalb kam er jetzt schnell zu dem, weshalb er hier war. „Ich hab das hier noch,“ richtete er sich wieder an Bill. „Und ich weiß nicht, was ich damit machen soll.“
„Gib es mir,“ nahm der Schwarzhaarige das Portmonee an sich. „Micha hat mir heute Mittag auch schon die Schlüssel gebracht. Ich werde zusehen, dass die Sachen verschwinden.“
„Ist das das Portmonee von dem, den ich denke?“ wollte Andi wissen.
„Ja… na ja… zumindest fast,“ antwortete Bill, dem gerade auffiel, dass in ihren Gesprächen die Tatsache, dass vermeintlicher Roland Fischer gar nicht Roland Fischer war, noch gar nicht zur Sprache gekommen war. „Er hieß in echt Wolfgang… äh Bobrich,“ sah er schnell noch mal nach dem Namen und klärte das nun für seine Brüder auf. „Steht zumindest in seinem Ausweis.“
Andi fand die Information frustrierend. Dann war er ja die ganze Zeit einem Gespenst hinterhergelaufen. „Na toll. Dann heißen alle Anderen bestimmt auch in Wirklichkeit anders,“ schlussfolgerte er. „Wie soll ich dann überhaupt weiterforschen?“
„Gar nicht, Andi. Dass du überhaupt noch daran denkst…“ ließ Tom den Satz offen und sah seinen Freund verständnislos an. Weiterforschen… daran war ja wohl überhaupt nichts mehr zu machen… und das war definitiv auch besser so. Es wunderte ihn irgendwie gar nicht, dass Roland Fischer Wolfgang Bobrich hieß… ihn würde wahrscheinlich gar keine neue Erkenntnis mehr wundern.
„Alle Anderen?“ hinkte Marcello dem Gespräch einen Schritt hinterher. „Soll das heißen, es gibt noch mehr von der Sorte?“ fragte er ungläubig und schluckte. Was sollte das bedeuten… alle Anderen?
„Ja, es gibt noch mehr… allerdings nicht von der Sorte. Äh… ich weiß nicht, wie ich dir das jetzt so schnell erklären soll,“ suchte Bill nach Worten. Es war ja klar, dass Marcello kaum etwas begreifen konnte. Wie auch? Er selbst begriff es ja nicht, doch er verstand, dass es nicht fair war, Marcello nicht in ihre Vergangenheit einzuweihen… zumindest so, dass auch für ihn verständlich wurde, warum passiert war, was er miterlebt hatte.
„Doch… es gibt noch einen von der Sorte,“ widersprach Tom seinem Zwilling. „Zumindest fast.“ Er dachte dabei an den angeblichen Arzt. Er war nicht so stark präsent gewesen wie das Oberarschloch. Ihn hatten sie wirklich ausschließlich in diesem kalten Untersuchungszimmer gesehen und er hatte sie auch nicht sexuell belästigt, doch die Brutalität und Gnadenlosigkeit, mit der er vorgegangen war, stand dem Tyrannen in nichts nach. In Toms Augen war er genau so ein böser Mensch… aber gänzlich namenlos. Er war nur froh, dass Andi den nicht auch noch hatte kennen lernen müssen.
„Ja, okay… stimmt,“ gab Bill zu. Natürlich wusste er sofort, wen Tom meinte. „Aber die Anderen waren eher so eine Art Handlanger… oder wie ich das nennen soll,“ wandte er sich wieder an Marcello und sah das große Fragezeichen in dessen Gesicht. „Na gut. Ich sollte irgendwie ungefähr beim Anfang beginnen… puh.“ Er atmete tief ein und wieder aus. Ein wenig Anlauf brauchte er doch, um Marcello von dem erzählen zu können, über das er für gewöhnlich nicht so sprach… sein Leben… und damit auch Toms Leben. Er fand irgendwie einen Anfang und hangelte sich dann an einem Gerüst entlang, das genug preisgab, damit Marcello die Wahrheit erfuhr, während er dabei an Details sparte und bei den ganz schlimmen Sachen höchstens eine versteckte Andeutung machte, und auch nur dann, wenn es für das Verstehen der Gesamtsituation wichtig war. Es dauerte gar nicht so lange, bis er alles zusammengefasst hatte.
Marcello war sich nicht sicher, ob er Bill die Story geglaubt hätte, wenn er sie ihm früher erzählt hätte. Das, was er gesagt hatte, klang so unwirklich, wie eine schlechte Geschichte. So was konnte doch gar nicht passiert sein, erst recht nicht mitten im zivilisierten Deutschland, wo die Würde des Menschen an erster Stelle des Gesetzes verankert war, doch er hatte einen winzig kleinen Teil dieser unbegreiflichen Realität hautnah mitbekommen und das reichte aus, um in jedem Wort die bittere Wahrheit zu erkennen. Fassungslosigkeit und Mitgefühl waren die hervorstechendsten Empfindungen, die Marcello jetzt bewegten, und immer mehr Fragen türmten sich in ihm auf, doch eine stand über allen. „Oh mein Gott. Warum haben sie das gemacht?“ schwappte sie entsetzt aus ihm heraus und wie die ganze Zeit schon, wischten seine Hände sich die immer wieder nachkommenden Tränen aus seinen Augen.
Die Frage traf bei Tom einen offenen Nerv, und er presste seine Lippen fest aufeinander, um der spontanen, patzigen Bemerkung, die seinen Mund verlassen wollte, Einhalt zu gebieten. Schnaubend richtete er sich etwas auf und griff nach den Zigaretten, von denen er gleich zwei anzündete. Eine davon reichte er Andi rüber. „Wir wissen es nicht,“ hörte er Bills Stimme, und der Inhalt seiner Worte rieb wie eine Stahlbürste an seinem wunden Nerv entlang. Es war schon vorher schwierig gewesen, nicht zu wissen, wer sie waren, warum sie diese komische Kindheit hatten, wo ihre Wurzeln lagen, doch für den Blonden war es jetzt, nachdem sie auf Wahrheiten gestoßen waren, die seine Wunden wieder aufgerissen, und sie doch kein Stück weitergebracht hatten, um ein Vielfaches schwerer, daran zu denken. Sein Drang nach Antworten hatte sie alle verletzt und sogar Menschen mit hineingezogen, die vorher gänzlich unbeteiligt waren, und derjenige, der wahrscheinlich am Meisten von der Wahrheit wusste, war tot… zum Glück… aber irgendwie… ach… Tom sehnte sich ganz tief drinnen immer noch nach Aufklärung und verabscheute sich für diesen Wunsch. Hätte er sich nicht auf die Suche nach Antworten begeben, dann wären sie jetzt immer noch freier, dann hätten sie nicht gewusst, dass sie überall beobachtet wurden. Überall fand er Punkte, die seine Schuld an dem Dilemma zeigten. Wie auch immer Andi und Bill darüber dachten… für ihn war es Fakt, dass das ohne seine Sturheit alles nicht passiert wäre. Hektisch rauchte er seine Zigarette. Erst als die Türklingel ihn aus seinen Gedanken riss, merkte er, dass er aus seiner Umgebung völlig ausgestiegen war. „Erwartest du jemanden?“ wollte er von Bill wissen, und ein weiteres, ungutes Gefühl beschlich ihn, als dieser verneinte.
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„Hi, Schatz. Jetlag ist keine Ausrede, um nicht feiern zu gehen. Mach auf,“ trällerte Lilith gut gelaunt in die Sprechanlage, nachdem sie Bills „Ja?“ vernommen hatte und drückte gegen die Tür, als der Summer ertönte. Leichtfüßig erklomm sie die Stufen nach oben. Sie hatte die Zwillinge seit fast einer Woche nicht mehr gesehen und wollte sie mit ins Icon schleifen… schließlich war heute Freitag… und wenn sie Glück hatte, war Andi auch da. Sie hatte ihn telefonisch nicht erreicht die letzten Tage, doch als sie Bill an der Tür warten sah, konnte sie ihm schon ansehen, dass etwas nicht stimmte. „Stimmt was nicht?“ kam es auch gleich aus ihr heraus.
„Komm erstmal rein,“ ließ der Schwarzhaarige sie vorbei und küsste sie flüchtig zur Begrüßung.
Liliths gute Laune wurde von Besorgnis abgelöst, erst recht, als sie das Wohnzimmer betrat. Die bedrückende Stimmung in diesem Raum war sofort spürbar. Andis Lächeln, als er sie sah, wirkte komisch, Marcello mit verweinten Augen auf Bills Couch war ein ziemlich überraschender Anblick, und Toms Augen lagen nur für einen sehr kurzen Augenblick auf ihr, bevor er wieder nach unten sah. „Was ist passiert?“ war die Frage, die sie beschäftigte und direkt näher kommen ließ.
Tom stöhnte überlastet auf. Oh nein. Nicht die ganze Geschichte noch mal. Reichte es nicht schon, wenn seine eigenen Gedanken ihn damit nicht in Ruhe ließen? Er musste weg hier, raus aus der Situation, stand auf, schnappte sich seine Zigaretten und verzog sich wortlos ins Schlafzimmer.
Verwirrt sah Lilith ihm und auch Bill, der ihm folgte, hinterher. „Geht der jetzt wegen mir?“ wandte sie sich an Andi, die Reaktion jetzt nicht begreifend.
„Nein… komm, setz dich zu mir,“ lotste der Weißhaarige sie zu sich. „Aber nicht zu nah. Ich hab ein paar gebrochene Rippen,“ sagte er sicherheitshalber, damit sie ihm nicht versehentlich wehtat.
„Ein paar gebrochene Rippen?“ war sie erschrocken über die Mehrzahl in seiner Aussage. „Oh Scheiße. Andi… was ist denn passiert?“ konnte sie ihre Frage nur besorgt wiederholen, als sie sich vorsichtig zu ihm auf das Sofa setzte und dabei auch noch die Verbände um seine Handgelenke bemerkte. Sie hätte ihn am Liebsten sofort in ihre Arme gezogen. Etwas Schreckliches lag in der Luft, und bange wartete sie auf eine Antwort.
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„Du musst nicht nach mir sehen, Engel. Ich brauch nur etwas Ruhe,“ reagierte der Blonde erklärend, als sein Zwilling direkt nach ihm das Schlafzimmer betrat. Er ließ sich auf der Bettkante nieder und zog sich erneut eine Zigarette aus der Schachtel.
„Ich weiß,“ sagte Bill ruhig, setzte sich neben ihn, nahm ihm die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug aus der Hand, holte sich eine Zigarette heraus und zündete sie an, bevor er Tom die Sachen wiedergab. Mit dem Rücken ließ er sich auf die Matratze sinken und sah in den dunklen Himmel des Bettes, während er den Rauch tief inhalierte und wieder auspustete.
Einen Augenblick war Tom irritiert, dass Bill das Zimmer nicht gleich wieder verließ, doch dann spürte er, dass sein Bruder aus dem gleichen Grund wie er selbst hier gelandet war. Er entzündete jetzt auch seine Zigarette, schnappte sich den Aschenbecher und wollte sich ebenso entspannt zurücklegen… gedankenlos, wie er feststellen musste, weil er sich dabei auf seine Wunden legte. Zischend zog er die Luft ein, als der Schmerz ihn sofort ruckartig wieder nach oben zog. „Meinst du, es ist okay, dass wir Andi da jetzt ganz allein in Erklärungsnot lassen?“ In seiner Stimme klang noch sein Schmerz mit und er positionierte seinen Körper jetzt seitlich, so dass er auch liegen konnte, und legte seinen Kopf auf seinem angewinkelten Arm ab.
„Mmh… ich denke schon. Er wird Lilith sicherlich erstmal nur das Nötigste sagen. Das schafft er schon… und Marcello ist ja auch noch da,“ relativierte der Schwarzhaarige die Anstrengung, die es Andi kosten würde, und er wollte da jetzt auch gar nicht drüber nachdenken. Er wollte jetzt einfach nur diese Zigarette rauchen, keine Fragen beantworten müssen und sich seiner Erschöpfung hingeben. Seine Kraft war verbraucht. „Sei jetzt einfach still, ja?“ bat er Tom.
Der Dreadlockige antwortete mit einem zustimmenden Schweigen, und so lagen sie die nächsten Minuten einfach nur ruhig nebeneinander, und während Bill seinen Blick weiter in den Betthimmel schweifen ließ, betrachtete sein Zwilling ihn dabei. Im Zimmer war es ganz leise, kein Laut drang aus dem Wohnzimmer herein, und nur ihr Atem war zu hören, doch im Gegensatz zu der Umgebung, die für einen wohltuenden Moment still zu stehen schien, war es für beide nicht möglich, auch ihre Gedanken auf diese Ruhe zu lenken. Als ihre Zigaretten aufgeraucht waren, fanden sich ihre Hände in liebevoller Verbindung zusammen und auch wenn sie ihre eigene Kraft nicht fühlten, so spürten sie doch die des jeweils Anderen und nährten sich daran.
Bill war der Erste, der irgendwann etwas sagte. „Wollen wir zusammenziehen, Engel?“ drehte er seinen Kopf und sah seinem Bruder in die Augen.
„Ja,“ kam es spontan von Tom. Er musste darüber nicht nachdenken. Der letzte Monat hatte schon gezeigt, dass eigentlich gar nichts Anderes in Frage kam. Sie gehörten mehr als zusammen. Da gab es keine Zweifel. „Zu mir oder zu dir?“ fragte er und musste bei dem Gedanken, wie sie versuchen würden, Bills gesamten Kram in seine dafür viel zu kleine Wohnung zu pressen, grinsen.
Der lebendige Gedanke, der seinem Zwilling im Gesicht stand, war für Bill gerade noch schöner als seine Zustimmung. „Natürlich zu dir,“ huschte auch ihm ein Grinsen über die Lippen. „Nein,“ revidierte er lächelnd. „Ich dachte, wir suchen uns etwas ganz Neues… etwas, was wir gemeinsam aussuchen.“
„Du willst deine Wohnung aufgeben?“ Jetzt war Tom ehrlich erstaunt. Andi hätte seine Freude daran gehabt, wenn er es gesehen hätte. Doch da war auch noch ein anderes Gefühl.
„Ja. Warum nicht?“ Der Schwarzhaarige sah das eher locker. „Gemütlich machen können wir es uns auch woanders.“
„Äh… nee… das geht nicht,“ bekam Tom das andere Gefühl zu fassen.
Bill verstand nicht. „Was geht nicht?“
„Etwas Neues suchen. Ich möchte hier mit dir wohnen. Sag mir nicht, dass du dich hier nicht wohl fühlst.“ Für den Blonden war das ganz einfach. Diese Wohnung gehörte zu Bill… fast so sehr, wie er selbst es tat. Außerdem fühlte er sich hier von Anfang an richtig wohl… ach was… sauwohl. Er liebte diese Wohnung mit all dem, was er hier in der kurzen Zeit bereits erlebt hatte. Dinge wie Sicherheit oder Freiheit gab es sowieso nirgends. Das wusste er im Moment deutlicher als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt… dennoch fühlten sich diese Wände für ihn irgendwie nach Zuflucht an.
„Ja, klar fühl ich mich hier wohl. Ich dachte nur… also hier ist so viel von mir. Ich dachte, in einer neuen Wohnung haben wir mehr Möglichkeiten uns Beide zu verwirklichen.“
Jetzt musste Tom schmunzeln. „Was glaubst du denn, wie es in einer gemeinsamen Wohnung von uns aussehen würde? Du bist derjenige von uns, der viel Platz braucht und sich ausbreiten muss, Engel. Was brauch ich denn schon?“ fragte er und beantwortete seine Frage gleich selber. „Das Bett in dem du liegst, ein paar Schubladen für meine Klamotten und eine Ecke für meine Gitarren. Wenn wir in deinem Nähzimmer etwas aufräumen und zurechtrücken, dann hab ich genug Platz für meine Musik… und außerdem wohnt Lilith gleich um die Ecke, es gibt einen Bäcker direkt vor der Haustür und eine Bushaltestelle. Die Gegend ist geil. Das hier ist die perfekte Wohnung in perfekter Lage. Wie lange willst du suchen, um etwas Besseres zu finden?“
„Gar nicht,“ hatte Bill sich von Toms Worten überzeugen lassen, und es fühlte sich richtig gut an. Ein Seufzen löste sich aus seinem Inneren. „Ich liebe dich so sehr. Weißt du das eigentlich?“ flossen seine Worte in das Seufzen mit ein.
„Ja, Engel. Das weiß ich,“ lächelte Tom und beugte sich vor, küsste Bills Lippen. „Bist du bereit wieder rüber zu gehen? Ich hab das Gefühl, das wäre jetzt angebracht.“
Bill seufzte erneut. Er wünschte sich, die Zeit etwas vor drehen zu können… nur ein wenig… vielleicht so zwei Wochen. Dann würde es ihnen sicherlich schon allen wesentlich besser gehen.
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RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 13.01.2009 13:47von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
~ 21. Kapitel ... Teil 2 ~
Zwei Wochen später betraten die Twins ihr gemeinsames Reich und trugen die letzten beiden Kartons, die noch in Toms Wohnung gewartet hatten, hinein. Eigentlich kamen sie von Mareikes Geburtstag, zu dem Tom eingeladen war. Er hatte Bill als Überraschungsgast mitgebracht, der absichtlich den Unnahbaren hatte raushängen lassen, was sowohl Tom, als auch den weiblichen Gästen wahnsinnig gut gefallen hatte, und Mareike war fast in Ohnmacht gefallen, als sie ihre Tür für sie geöffnet hatte. Die männlichen Gäste waren weniger begeistert gewesen, doch das hatte der Stimmung keinen Abbruch getan. Es war ein schöner Abend gewesen.
„So langsam gewöhn` ich mich daran, draußen mit dem Gefühl herumzulaufen, beobachtet zu werden,“ ächzte der Schwarzhaarige, als er den Karton im Schlafzimmer abstellte. „Geht dir das auch so?“
„Nur, wenn ich nicht allein draußen bin.“ Tom tat es seinem Bruder gleich und platzierte den Karton aus seinen Armen auf dem Boden. „Oh guck mal. Andi hat sein Shirt vergessen,“ fiel sein Blick beim Aufrichten schräg unter das Bett, wo das vergessene Teil etwas versteckt lag. Er lief ein paar Schritte und hob es auf.
Andi war die ganze Zeit bei ihnen gewesen und hatte sich erst heute Mittag gemeinsam mit Lilith auf den Rückweg nach Magdeburg gemacht. Die ersten Tage, als die Wunden noch so frisch waren, hatten sie sich gegenseitig gehalten. Für die Zwillinge war es neu gewesen, auch gleich darüber zu sprechen, und sie hatten viel miteinander geredet. Immer wieder waren Tränen geflossen, doch mit jedem Tag war es ihnen etwas besser gegangen. Das erste vor die Tür gehen war für alle hart gewesen, aber sie hatten sich nicht davon abhalten lassen, ihr Leben wieder aufzunehmen. Andi hatte etwas zum Staunen gehabt, als Toms Wunden bereits am sechsten Tag vollständig und narbenlos verheilt waren und sein Körper so aussah, als sei nie etwas geschehen, und auch die Wunden des Weißhaarigen heilten gut, was sicherlich nicht zuletzt durch die liebevolle Fürsorge seiner Wahlbrüder und Lilith unterstützt worden war. Auch Micha und Marcello schienen das Passierte ganz gut zu verkraften und immer mehr schaffte es die Heiterkeit, sich langsam wieder in das Leben aller Beteiligten einzunisten.
Bill nahm Tom das Shirt aus der Hand. „Das ist gut,“ sagte er. „Dann hat er jedenfalls einen Grund, schnell wiederzukommen.“ Es war, trotz des unschönen Anlasses des langen Besuchs, schön für ihn gewesen, seinen alten Freund so lange am Stück bei sich zu haben. Er faltete das Shirt unordentlich zusammen und legte es auf ein Schränkchen, wo es auf seine Abholung warten sollte, als Toms Hände sich auf seine Hüfte legten und ihn zu sich umdrehten.
„Stimmt. Ohne das T-Shirt hätte Andi ja auch überhaupt keinen Grund, nach Berlin zu kommen,“ schmunzelte der Blonde und zog seinen Bruder näher an sich heran, um ihn liebevoll zu küssen. „Ich will noch schnell die Kartons auspacken.“ Alle seiner anderen Sachen hatten bereits ihren Platz in der Wohnung gefunden und fühlten sich genau dort, wo sie hingekommen waren, auch sehr wohl. Er wollte den Umzug jetzt vollenden, auch mit dem letzten Rest von sich ankommen und löste sich mit einem weiteren Küsschen wieder von Bill.
„Okay. Ich schieb uns `ne Pizza in den Ofen und erwarte dich dann in der Küche,“ ließ Bill Tom sein Ding machen und verließ das Schlafzimmer, um in den Raum zu gehen, den er Tom gerade genannt hatte. Schon die ganzen letzten Tage war es draußen noch kälter und trister geworden als davor. Der Wind hatte jetzt fast alle Blätter von den Bäumen geholt, doch jetzt war der Tag gekommen, auf den der Schwarzhaarige bereits etwas gewartet hatte. Als er die Pizzas im heißen Backofen untergebracht hatte, widmete er sich dem kunstvollen Aufbau der Holzscheite, die er gleich entzünden wollte. Im letzten Jahr, als er den Kamin zum ersten Mal mit knisterndem Feuer belebt hatte, hatte er mit Lilith und Luka hier gesessen, und sie hatten den Negativbefund von Liliths Schwangerschaftstest gefeiert, den sie hatte machen lassen, nachdem sie einen Kondomunfall mit einem One-Night-Stand gehabt hatte. Damals kannten sie Luka erst seit ein paar Wochen, und Bill war zu der Zeit scharf auf ihn gewesen. Luka war für den Schwarzhaarigen am Anfang ein ungewöhnlich faszinierendes Wesen gewesen, mit dem er unbedingt eine heiße Nacht hatte erleben wollen, doch er war der erste schwule Mann, den Bill, trotz ausgesprochen hartnäckiger und geschickter Anmache, nicht geknackt hatte, bis auf diesen einen, wahnsinnig kribbelnden Kuss an eben jenem Abend, der der Beginn einer immer fester werdenden Freundschaft war. Er hatte sich seitdem vorgenommen, dass das erste Anzünden des Kamins in der kalten Jahreszeit, immer an einem Tag stattfinden sollte, wenn es etwas zu feiern gab. Tom packte gerade seine letzten Sachen aus, und sie hatten ihre gemeinsame Wohnung ganz für sich allein. Das war ein wundervoller Grund zum Feiern.
In ihrer Lieblingsposition miteinander saßen sie etwas später auf dem Küchensofa und aßen die Pizza aus der Hand. Bill saß zwischen Toms Beinen und kuschelte sich mit seinem Rücken nah an ihn, zusätzlich lag eine flauschige Decke über ihren Beinen. Das flackernde Feuer warf warmes Licht in ihre Gesichter, und das beruhigende Knacken und Knistern des verbrennenden Holzes ersetzte ihre Unterhaltung. Die Kerzen, die Bill im Rest des Raumes verteilt hatte, fielen kaum auf, und doch waren sie das I-Tüpfelchen, das die wohltuende Atmosphäre abrundete.
Tom war vor seinem Zwilling satt und leckte sich seine Finger ab, bevor er seine Arme unter denen seines Liebsten hindurch schob und seine Hände auf dessen Bauch ablegte. Schon beim Essen hatte er seine Augen nicht von dem Feuer nehmen können. Die tänzelnden Flammen zogen unaufdringlich seine Aufmerksamkeit auf sich, und wie das Pendel in der Hand eines Hypnotiseurs, hatten sie den Blonden in einen Zustand gebracht, der ihn verträumt aussehen ließ. Hätte man ihn gerade angesprochen, so hätte er nicht sagen können, was er gerade gedacht oder angeschaut hatte. Er dachte einfach an gar nichts… entspannte, ohne es selbst zu bemerken. Er bemerkte auch nicht seine Finger, die, wie so oft, gedankenlos mit dem spielten, was eben gerade zwischen sie geriet.
Dafür bemerkte Bill sie umso deutlicher. Sie machten sich am Saum seines Hemdes zu schaffen, rafften es ein Stück nach oben, ließen den Stoff wieder fallen, um ihn an anderer Stelle wieder zu greifen und einen Finger darin einzurollen, der sich gleich darauf wieder daraus befreite, um den Anderen, die ihr Spiel unermüdlich fortsetzten, weiter zu folgen. Der Schwarzhaarige beobachtete dieses Schauspiel auf seinem Bauch, am letzten Stück seiner Pizza rumkauend. Gott, er hatte so schöne Hände, und immer wieder berührten Toms Fingerspitzen kurz seine empfindliche Haut. Es war so warm und kuschelig in seinen Armen, und Bill genoss es… aber eigentlich ersehnte er sich, dass diese Hände, die ahnungslos an ihm herumspielten, etwas Anderes tun würden. Er wünschte, sie würden ihn jetzt packen und seinen Körper nach oben drücken, um ihn im nächsten Moment ungeduldig auf den Küchentisch zu pressen und ihm gierig seine Hose vom Leib zu reißen. Die Bilder in seinem Kopf sahen so gar nicht nach kuscheln aus. Sie zeigten nackte, schwitzende Körper, die ausgehungert übereinander herfielen… lüstern, zügellos, unersättlich. Bill sehnte sich nach hartem, dreckigem Sex, und das am Liebsten sofort…
Mit seinen Gedanken irgendwo zwischen hier und dem Nirwana, bekam der Blonde die Sehnsucht seines Zwillings gar nicht mit. Erst ein Seufzen des Schwarzhaarigen riss ihn aus seiner Welt. „Hast du irgendetwas gesagt?“ war er sich nicht sicher.
„Nein.“ Was hätte er auch sagen sollen? Nimm mich hier und sofort? Selbst sein Seufzen war nicht gewollt gewesen. Es war einfach so aus ihm herausgekommen. Er konnte Tom ja verstehen… ja, wirklich. Es war nicht einfach sich wieder zu öffnen, wenn einem bei allzu intimen Berührungen die falschen Hände, der falsche Geruch, die falsche Szenen in den Kopf sprangen. Nach so einem Erlebnis war bereits das Aufnehmen des alltäglichen Lebens ein Kraftakt, der mehr Energie benötigte, als eigentlich da war, und Bill war stolz auf seinen Bruder… stolz darauf, wie er sich wieder aufrichtete, wie er dafür kämpfte, sein Leben zurückzuerlangen. Er selbst rang noch sehr mit der Begegnung mit dem Mann, dessen Namen er noch nicht mal denken wollte. Auch er musste damit klar kommen, dass die Kontrolle über ihr Leben keinesfalls zu Ende war, dass seinen Liebsten so Schlimmes widerfahren war. Auch sein Leben steuerte mal wieder ungewollt in stürmischem, unsicherem Gewässer… doch er war nicht eingesperrt gewesen. Er war nicht erniedrigt, nicht geschlagen, nicht in der Form gedemütigt worden, wie es seinem Engel passiert war. Ihre Bedürfnisse waren zurzeit nicht dieselben. Bill hielt sich die ganze Zeit zurück, wenn er seinen Bruder berührte, wollte nicht, dass Tom seine Hände mit denen des Ungeheuers in Verbindung bringen würde. Er wusste, dass es Zeit brauchte… aber dieses Wissen stillte nicht sein Verlangen, das immer drängender in ihm aufschäumte, ihn langsam aber sicher zu quälen begann. Er kannte ihn doch erst seit gut eineinhalb Monaten. Er war noch so wahnsinnig frisch verliebt, und er wollte dieses Gefühl so gern auch körperlich ausleben. „Es tut mir leid,“ flüsterten sich Toms Worte in sein Ohr und wanden sich widerspenstig durch Bills Gehirngänge. „Ich will das nicht mehr hören, Tom.“ Er versuchte, seine Stimme nicht genervt klingen zu lassen, aber so langsam gingen ihm diese Worte auf den Geist. Ja, er war stolz auf das, was sein Zwilling bisher erreicht hatte, aber dass er diese Schuldgefühle so vehement mit sich herumtrug, war auf Dauer schwer zu ertragen. Andi und er hatten mit Engelszungen und schlichten Fakten so oft versucht, ihm dieses Gefühl zu nehmen, doch es hatte sich so hartnäckig in Tom eingenistet, dass es wie ein Kampf gegen Windmühlen erschien.
Jetzt seufzte auch Tom. Es tat ihm einfach so leid, dass er gerade nichts dafür tun konnte, um Bills Bedürfnisse zu stillen, wo dieser doch alles dafür tat, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Inzwischen hatte er schon wahrgenommen, was seinen Zwilling beschäftigte, und dass er selbst so gehemmt war, ließ diesen Moment, der doch eigentlich sehr schön angefangen hatte, in einen unschöneren Zustand kippen. Auch das tat ihm tierisch leid. Er wusste, dass Bill ihn liebte und dass die Zeit sie auch gemeinsam wieder in bessere Tage führen würde, doch liebte er sich selbst gerade nicht so, wie er es eigentlich gebraucht hätte, und er schaffte es immer wieder, ja auch keinen Fettnapf auszulassen, in den er treten konnte… so wie eben gerade. Warum hatte er nicht einfach seinen Mund gehalten? Er hatte das Gefühl, eigentlich nichts richtig machen zu können. Wenn die Stimmung schon im Eimer war, dann konnte er auch das ansprechen, was er in den letzten Tagen gespürt hatte. Er hatte gehofft, dass Bill und Andi ihn von allein aufklären würden, doch jetzt war Andi weg, und keiner von beiden hatte etwas gesagt. „Andi und du verschweigt mir etwas,“ stellte er seine Wahrnehmung in den Raum. „Warum?“ Das war die Frage, die ihn mehr beschäftigte als das, was die Zwei ihm verschwiegen.
Es war Bill klar gewesen, dass Tom ihn darauf ansprechen würde, doch das ersparte ihm nicht das ungute Gefühl, das deshalb jetzt in ihm aufkeimte. „Weil es dir nicht gefallen würde,“ antwortete er und heftete seinen Blick dabei auf die Flammen im Kamin.
„Es geht um unsere Akten, nicht wahr?“ Es war ja nicht so, dass der Blonde sich nicht schon Gedanken gemacht hatte, und Bills Antwort brachte ihn nur in diese eine Richtung.
„Ja,“ reagierte der Schwarzhaarige widerwillig. „Hör auf zu fragen, Tom. Du willst es nicht wissen,“ versuchte er seinen Bruder zu stoppen.
„Sag mir, dass ihr da nicht noch mal reingehen wollt,“ forderte Tom, seine dunkelste Vermutung aussprechend.
Bill sagte nichts.
Die Reaktion hatte Tom befürchtet. „Scheiße… Bill,“ brauste er auf. „Du hast Recht. Das gefällt mir nicht… ganz und gar nicht. Was wollt ihr damit bezwecken? Was willst du damit bezwecken? Bist du so scharf darauf, `ne Runde gefoltert zu werden, und hat Andi noch nicht genug?“ ärgerte er sich über diesen bescheuerten Plan seiner Brüder… egal wie der aussah. Es war falsch.
„Er ist tot,“ wehrte sich der Schwarzhaarige erstmal automatisch gegen den Vorwurf, der in Toms Frage steckte.
„Ja und? Glaubst du, das macht einen Unterschied?“ schritt Tom wütend ein, bevor Bill überhaupt weiter sprechen konnte. „Meinst du, dass euch deshalb nichts passieren kann? Dass ihr da einfach so reinspazieren könnt und in diesen scheiß Akten rumwühlen könnt? Hast du eine Ahnung, wie bescheuert du gerade klingst?“
„Ich will immer noch Antworten, Tom… und sie scheinen an diesem Ort zu liegen. Außerdem wissen wir jetzt, womit wir es zu tun haben. Wir wollen da doch nicht gedankenlos rangehen,“ verteidigte Bill ihr Vorhaben. Im Gegensatz zu Toms Stimme war seine gerade eher leise. „Wir wollen auch nicht da bleiben, sondern die Akten da rausholen und so schnell wie möglich wieder damit verschwinden. Das könnte…“
„Ach, scheiß doch auf die Antworten,“ unterbrach der Blonde schnauzig und schob Bills Oberkörper von sich weg, um sich hinter ihm herauszuwühlen und aufzuspringen. „Dadurch wird nichts besser… außerdem… du checkst nicht, wie viele Akten dort liegen. Du bräuchtest einen LKW um das da raus zu bringen. Das hat nichts damit zu tun, irgendwo kurz rein zu springen, sich etwas zu greifen und schnell wieder zu verschwinden. Egal, wie ihr das vor habt… das ist Wahnsinn und komplett schwachsinnig,“ schleuderte er seinem Bruder seine Meinung nun direkt ins Gesicht. Er fühlte, wie es seinen Körper hier wegzog. Er wollte von so einem irrsinnigen Plan nichts hören, er wollte nicht darüber nachdenken und auch nicht darüber diskutieren. „Aber meine Meinung scheint dazu ja eh nicht gefragt zu sein,“ fühlte er sich außerdem übergangen und tat das, was er in Situationen, in denen er nicht klar kam, gern tat. Er trat aus der Küche, schubste die Tür etwas zu laut zu und verließ den Ort des Konfliktes.
Bill fiel es schwer, aber er ließ Tom seine Flucht, spürte, dass er die Zeit für sich allein brauchte, dass es keinen Zweck hatte, seinem Gefühl nachzugeben, das seinem Zwilling hinterherlaufen und ihn beruhigen wollte. Auch in diesem Punkt konnte er ja Toms Haltung verstehen, aber in ihm fühlte es sich anders an. Er wollte inzwischen nicht mehr nur Antworten, die ihr Leben erklären konnten… er wollte Antworten, um herauszufinden, was genau immer noch passierte und warum sie für eine unbekannte Gruppe immer noch interessant waren. Er hatte einfach nicht vor, sich den Rest seines Lebens beobachten zu lassen, und er musste unbedingt herausfinden, wie weit der Einfluss dieser grauen Herren ging, damit er wusste, wohin sie gehen mussten, um aus deren Machtbereich herauszutreten. Lieber wollte er ein schwachsinniges Vorhaben, wie Tom es nannte, angehen, als seinen Kopf in den Sand zu stecken und sich damit abzufinden, dass sie weiterhin irgendwie Gefangene waren. Das Leben, das er sich in seiner unwirklichen Freiheit aufgebaut hatte, hatte er gemocht, vor Allem, seitdem er Tom getroffen hatte… und das wollte er verdammt noch mal als echte Freiheit zurück haben.
Etwa eine halbe Stunde später öffnete der Schwarzhaarige die Tür zu seinem Nähzimmer, jetzt auch Toms Musikzimmer, hinter der Gitarrenklänge zu hören waren, und brachte damit Licht aus dem Wohnzimmer mit herein. Ansonsten war es hier stockdunkel. Die Musik verstummte abrupt und Bill erkannte die Konturen seines Bruders auf dem Sessel in der Ecke. „Soll ich lieber wieder gehen?“ fragte er, ohne Toms Augen sehen zu können. Er fühlte nur, wie der ihn ansah.
Tom hingegen konnte Bill gut in dem Lichtkegel sehen, in dem er abwartend stand. „Nein. Komm ruhig her, Engel,“ bat er seinen Liebsten näher und stellte seine Gitarre zur Seite. Sein Ärger war inzwischen völlig verpufft. Er hatte ziemlich große Angst vor dem, was seinem Bruder im Kopf rumspukte, aber er konnte ihn ebenso verstehen, wie der ihn.
Vorsichtig bewegte Bill sich in den dunklen Raum hinein und setzte sich auf die Sessellehne, als er angekommen war. „Deine Meinung ist sehr wichtig, Schatz. Ich wollte…“ Wieder kam er nicht weiter, weil Tom ihn auf seinen Schoß zog und ihm ins Wort fiel.
„Schhhh… ich weiß, was du sagen willst,“ bremste der Blonde Bills Erklärungsversuch. „Ich versteh`s doch… auch wenn es mir eine scheiß Angst macht. Lass mich eine Nacht drüber schlafen und wir reden Morgen darüber, okay? Ich bin jetzt einfach zu müde für anstrengende Gespräche,“ beschrieb er seinen Zustand und streichelte Bill über seine Arme. „Ich liebe dich, mein Herz,“ sagte er zärtlich.
„Ich dich auch.“ Bill seufzte und legte seine Stirn an die von Tom. „Tut mir leid… ich kann nicht anders,“ flüsterte er.
„Ich weiß. So gerate ich auch immer in Schlamassel,“ flüsterte Tom zurück und keinerlei Vorwurf steckte in seinen Worten. Bill war wie er selbst… wenn ein drängendes Gefühl im Inneren etwas vorschrieb, dann musste dem nachgegangen werden. Auf diese Weise geschah nicht immer Gutes, aber es war auch das, was sie bis jetzt hatte überleben lassen. Seine Lippen trafen kurz auf die seines Zwillings. „Lass uns schlafen gehen.“
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Am Montag schloss Tom bereits um kurz nach zwei die Tür zu ihrer Wohnung auf. Die Band, die heute ihre Sachen einspielen wollte, war nicht aufgetaucht und nachdem sie noch an ein paar bereits gemachten Aufnahmen gearbeitet hatten, war nichts Wichtiges mehr zu tun gewesen und sie hatten beschlossen, dass dieser Tag ein guter Tag dafür war, einfach mal ganz früh Schluss zu machen. Tom war sich nicht ganz so sicher, ob er nicht doch lieber weitergearbeitet hätte, als er seine Schuhe auszog und seine Jacke ablegte. Sein Job und die damit verbundene Konzentration auf die Musik tat ihm gerade ziemlich gut und es würde sicherlich noch eine Weile dauern, bis Bill nach Hause kommen würde und ihn vom Alleinsein mit seinen Gedanken erlösen würde. Er beschloss, sich aufs Bett zu schmeißen und sich vom Fernsehprogramm ablenken zu lassen. Das hatte er lange nicht mehr gemacht.
Kurz vor der Schlafzimmertür bekam er ein eigenartiges Gefühl und wusste nicht warum. Erst als er nach der Klinke griff, durchzog ihn ein Schauer, und er zog seine Hand schnell wieder zurück. Die Tür war nur angelehnt. Sein Herz fing schneller an zu klopfen, als er seine Entdeckung in seinem Kopf gründlich untersuchte. Bill hatte vor ihm die Wohnung verlassen, Micha hatte heute frei, weil er seinen Sohn zu irgendeiner Fahrt von der Schule begleitete, und der Dreadlockige war sich sicher, dass er die Tür ganz hinter sich zugezogen hatte, bevor er gegangen war. Er wusste das noch so genau, weil er Türen für gewöhnlich immer offen stehen ließ, doch heute Morgen war Bill sein Toast verbrannt und Tom hatte keine Lust darauf gehabt, dass der Geruch sich im Schlafzimmer breit machen würde. Es musste jemand hier gewesen sein, und das holte die bösesten Ahnungen in ihm hervor.
Mit angehaltenem Atem legte er seine Hand an das Holz und drückte die Tür ganz langsam und leise auf. Als er seinen Bruder auf dem Bett entdeckte, wollte ihn ein erleichterter Laut verlassen, doch er hielt ihn gerade noch zurück, als ihm auffiel, dass sein Zwilling dort nicht einfach nur lag. Seine Augen nahmen jedes Detail der Szene erstmal in sich auf. Bills lang gestreckter Körper schien nicht erst damit angefangen zu haben, an sich rumzuspielen. Sein schwarzes, aufgeknöpftes Hemd umschmeichelte seine Arme und Schultern und bildete einen Kontrast zu der hellen Brust, die sich immer wieder gespannt anhob und wieder senkte. Die Hosen hatte er nur so weit herunter gezogen, wie es nötig war, und das gelöste Ende des Gürtels bewegte sich in dem Rhythmus, den Bills rechte Hand vorgab. Tom sah die Anspannung und Erregtheit in diesem wunderschönen Gesicht, dessen geschminkte Augenlider leicht flatterten. Wie leise sein Bruder mit sich selbst war. Kein Laut verließ den Mund, dessen Zähne sich gerade erotisch in die Unterlippe gruben, und Tom konnte förmlich spüren, wie sein Liebster sich zusammennahm, um seinen Höhepunkt noch herauszuzögern.
Wäre er nicht nach Magdeburg gefahren, um seine bescheuerten, gefälschten Akten einzusehen, hätte der Blonde jetzt genau gewusst, was er in diesem Augenblick getan hätte, doch so…. Das Bild triggerte seinen krankhaften Schuldkomplex an. Hätte er doch nur seine verdammte Neugier gezügelt, dann wäre jetzt alles noch wie vorher. Er vermisste das Glück, dass sie miteinander hatten… aber hatte er das verdient? – Nein… nicht in seinen Augen. Traurig wandte er sich um. Er wollte nicht, dass Bill ihn entdeckte, und als er aus der Zimmertür ging, hörte er hinter sich den leisen Laut, der erleichtert Bills Kehle entsprang. Das unerwartete Klingeln an der Haustür ließ ihn zusammenschrecken, doch wie ein auf Glöckchen trainierter Hund, nahm er sofort den Weg zur Wohnungstür und betätigte den Knopf für die Gegensprechanlage.
Bill kam ihm bereits entgegen und knöpfte sich eilig sein Hemd zu, als er durch den Wohnzimmerdschungel zurück Richtung Schlafzimmer rannte. Er hatte keine Zeit, sich bei ihm dafür zu entschuldigen, dass er ihn offensichtlich ziemlich erschreckte. „Das ist die Polizei. Sie will dich sprechen. Ich hab sie ins Haus gelassen. Sie sind gleich hier,“ ratterte er die kurzen Sätze in einem Anflug von Panik herunter, während er seinen Lauf abrupt stoppte.
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„Worum geht’s?“ Wollte Bill von den zwei Beamten wissen und schaute dabei den von den Zweien an, dessen Gesicht ihm irgendwie bekannt vorkam, und ein Suchprozess startete automatisch in seinem Kopf, um den Mann eingeordnet zu bekommen, während ihm das Herz, hinter seiner Maske des braven Bürgers, bis zum Hals schlug. Innerlich voller Widerwillen hatte er die Polizisten hereingebeten und ihnen einen Platz angeboten, doch nach Außen spielte er seine Rolle perfekt, und auch Tom hatte sich nach dem ersten Schrecken schnell wieder einbekommen und saß jetzt still auf dem Sofa neben ihm.
„Hatten sie in letzter Zeit Kontakt zu Wolfgang Bobrich?“ kam der Polizist mit dem bekannten Gesicht gleich zur Sache.
Noch während die Frage gestellt wurde und er die Stimme richtig hörte, fiel Bill ein, woher er diesen Mann kannte. Die Haare waren dunkler und zum größten Teil unter der Mütze versteckt, und der Bart war weg. Augenblicklich wünschte er sich, er hätte die Beiden nicht hereingelassen.
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