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RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 18.12.2010 21:16von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
Oje... das letzte Mal, das ich ein Kapitel gepostet habe, ist ja echt eine ewige Ewigkeit her.
Dafür ist dieses Kapitel jetzt nicht nur etwas länger geworden, sondern doppelt so lang *das hoffentlich ein klein wenig für die laaaaaaaaaange Wartezeit entschädigt*
~ 27. Kapitel ... Teil 1 ~
Genüsslich trank Bill seinen Kaffee, während er seinem Bruder dabei zusah, wie der langsam anfing zu schwitzen. Er hatte sich seinen Stuhl so platziert, dass er die beste Sicht auf sein Opfer hatte, und sein Opfer die beste Sicht auf ihn. Stuhl war schon fast die falsche Bezeichnung für das antike Möbelstück, das mit seinen aufwendig verschnörkelten Schnitzereien, den edlen Bezügen auf Sitzfläche, Armlehnen und der ungewöhnlich hochragenden Rückenlehne eher an einen Thron erinnerte, nur fehlte für einen Thron das wuchtige Element daran. Dieser Stuhl wirkte verspielter, zarter, fast, als wolle er der grazilen, langbeinigen Figur, die ihn besetzte, den Vortritt lassen und dennoch mit im Rampenlicht stehen. Bill achtete auf die ungewollten Regungen des traumhaften, nackten Körpers vor ihm, auf das nur leicht sichtbare Zittern an den Innenseiten der Oberschenkel, das sich in der nächsten Minuten deutlich verstärken würde, auf die Bewegungen des Adamsapfels, der beim Schlucken unter dem ledernen Halsband, das er ihm angelegt hatte, verschwand, auf das verzweifelte Festkrallen der Hände an den Seilen, die sie gefangen hielten, auf die Augen, die den stärker werdenden Schmerz nicht verbergen konnten, obgleich sie es versuchten. Er wartete geduldig auf den Moment, an dem die Qualen seines Zwillings so vereinnahmend werden würden, dass der nicht mehr in der Lage sein würde, sich auf etwas Anderes als sich selbst zu konzentrieren, denn dann konnte er viel überraschender agieren.
Für den Blonden wurde die Lage von Sekunde zu Sekunde brenzliger, und er fragte sich inzwischen, wie er so blauäugig freiwillig in sie hineingeraten konnte. Sein Herz hatte aufgeregt geschlagen, als er vollkommen entblößt vor seinem Bruder gestanden hatte und seine Handgelenke mit festem Leder umschlossen wurden, wie es bereits an seinem Hals geschehen war. Ohne zu zögern hatte er dessen Befehl zum Hinknien befolgt, hatte erwartungsvoll zugesehen, wie sich die Haken an den Enden der Seile mit den Ösen an seinen Handgelenken verbanden und war beim Spannen dieser Seile und der damit verbundenen Überstreckung seines Oberkörpers zunehmend in den Zustand von Erregung geraten. Eine ängstliche Vorfreude war hinzugekommen, als Bill sich ihm mit einer Gerte genähert hatte, von der er jedoch nur sanfte Anweisungen zum weiteren Spreizen seiner Beine bekommen hatte, so dass sein Körper schmerzhaft auseinandergerissen wurde, seine weit ausgebreiteten Arme noch stärker in den Klauen der Seile hingen. Er hatte leise gestöhnt, weil ihm dieses Gefühl so einen Genuss bereitet hatte. Bill hatte ihn zärtlich geküsst und war dann mit einem gemeinen Glitzern in den Augen für kurze Zeit aus seinem Blickfeld verschwunden. Tom hatte ihn mit wachsender Unruhe dabei beobachtet, wie er die vielen Kerzen, mit denen er wieder aufgetaucht war, eine nach der anderen mit kleinen Flammen verziert und sie dicht an dicht extrem nah an seinen Unterschenkeln platziert hatte, ihm damit sämtlichen Freiraum für seine Beine geraubt hatte. Ehrfurcht hatte ihn ergriffen, nachdem sein Zwilling sich auf dieses alte Möbelstück begeben hatte und ihn mit einem Blick fixiert hatte, für den das Wort machtvoll ebenso wenig ausreichend erschien, wie es wunderschön für den königlichen Anblick war, der sich ihm seitdem bot. Der hatte ihn für die letzten Minuten tatsächlich etwas abgelenkt, doch jetzt reichte das auch nicht mehr, um die Schmerzen, die mehr und mehr Teile seines Körpers befielen, ausreichend auszublenden. Die Position, die er zu Anfang noch genossen hatte, wurde inzwischen zur reinsten Qual, und er wusste nicht, wie lange er es noch schaffen konnte, seine Beine nicht zu bewegen und damit etwas wahrscheinlich noch viel Schlimmeres auszulösen. Die Kerzen, die nah an seinen Knien flackerten, zielten mit ihrer sengenden Hitze auf die immer gleichen Stellen an den Innenseiten seiner Oberschenkel und gaben ihm langsam das Gefühl, dort zu verbrennen. Es war unerträglich.
Mit dem Klang eines Stöhnens verhielt es sich für Bill wie mit den Farben schwarz und weiß. Weiß war für ihn die Höchste Stufe von Genuss, von Ekstase, kurz bevor sie sich zu einem Schrei entwickeln würde. Ein schwarzes Stöhnen hingegen beinhaltete tief empfundenen Schmerz, kurz bevor er sich zu einem Schrei entwickeln würde, und dazwischen gab es ganz, ganz viele Grautöne. Bill liebte es, der kompletten Palette zu lauschen, vor allem, wenn er selbst die Farbtöne bestimmte. Das Stöhnen, das Tom nun von sich hören ließ, erreichte in Bills Farbskala gerade das erste Grau, das er in die Kategorie Dunkelgrau einordnen würde. Es bescherte ihm ein lustvolles Kribbeln, das sich wohlig in seinen Unterleib setzte, und er ergötzte sich daran, wie sich das Zittern, das Toms Beine ergriffen hatte, unaufhaltsam auf den gesamten Körper ausweitete, der angespannt in einer Position verharrte, aus der er am liebsten fliehen wollte. Der Schwarzhaarige stellte seine leere Kaffeetasse beiseite und legte seine Hand an den Griff der Gerte, die auf seinem Schoß lag, beobachtete dabei, wie Toms Blick sehnsüchtig seinen Fingern folgte. Er spürte genau, was sein Zwilling sich wünschte, und er war heiß darauf, ihm seine Wünsche zu erfüllen, ihn in die höchsten Ebenen zu treiben, doch noch hielt er sich zurück, denn er wusste… je tiefer das Tal, desto höher der Gipfel.
Auch Tom hielt sich zurück, denn er wusste, dass Betteln oder Flehen in diesem Moment das Gegenteil von dem auslösen würde, was er sich ersehnte. Es stand nicht in seiner Macht zu entscheiden, was hier passierte, oder wann, und ihm wurde seine Ohnmacht, sein Ausgeliefertsein mit jeder qualvoller werdenden Sekunde bewusster. Genau deshalb war er Bill sofort in diesen Raum gefolgt, und weil er mehr spüren wollte, sich an seine Grenzen führen lassen wollte, oder darüber hinaus. Er vertraute vollkommen darauf, dass sein Zwilling fühlte, was er brauchte, und es war erregend, zu wissen, dass er mit dem, was er selbst brauchte, Bill gleichzeitig etwas gab, was der brauchte. Wie sehr sie sich ergänzten, war hier ebenso deutlich sichtbar wie in ihrer Musik. „Oh, Gooott“, stöhnte der Blonde anstelle eines ‚Bitte schlag mich’, das er schwer unterdrückte. Er sehnte sich nach dem rauschbringenden Biss einer Peitsche, der ihn ablenken würde von dem Höllenfeuer, das in seine Schenkel eindrang und ihn seine Zähne zusammenbeißen ließ, zwischen denen er nun dauerhaft stöhnend hindurchatmete. Ergeben ließ er seinen Kopf hängen. Er fühlte sich jetzt bereits ziemlich am Ende seiner Kräfte, doch als er das Geräusch von Bills Stiefelabsätzen vernahm, hob er hoffnungsvoll sein Kinn, glitt mit seinem Blick an der hoch aufgerichteten Gestalt empor, blieb an diesem übermächtigen Gesichtsausdruck hängen. Niemals hätte er beschreiben können, wie sehr ihn das Bild seines Bruders fesselte, wenn dieser in diese göttliche Rolle schlüpfte.
Der Schwarzhaarige genoss es, wie sein Zwilling ihn ansah. In dessen Augen verbanden sich Qual und Bewunderung miteinander. Eine wundervolle Mischung. Zeit, kreativ zu werden, beschloss er. „Du wirst jetzt mein Kunstwerk, Darling“, zeigte Bill ein kurzes, liebevolles Lächeln und löschte die Flammen. Die Kerzen jedoch ließ er stehen. „Wenn du eine umkippst oder auch nur einen Millimeter verrückst, zünde ich sie wieder an“, reagierte er auf das erleichterte Ausatmen von Tom, nicht dass der auch nur auf die Idee kommen würde, irgendetwas könnte besser für ihn werden.
Die Androhung verfehlte ihre beabsichtigte Wirkung tatsächlich nicht. Sie lenkte Toms Aufmerksamkeit ganz auf seine Haltung, besonders auf seine bitter schmerzenden Beine, die nichts anderes taten, als danach zu schreien, diese nicht aushaltbare Position verlassen zu dürfen. Verzweifelt klammerten sich seine Hände an den Seilen fest. Was das Bewegen der Kerzen betraf, da war er sich ziemlich sicher, dass er versagen würde, doch er betete, das würde nicht so früh passieren, wie es sich anfühlte. Angestrengt schnappte er nach Luft, und in dem Moment, in dem er realisierte, dass Bill aus seinem Sichtfeld verschwunden war, passierte es auch schon. Das Ende der Peitsche, die schwirrend die Luft zerschnitt, traf unvermittelt hart unter seinem rechten Schulterblatt auf, und in direkter Folge gleich noch mal auf der linken Rückenseite auf gleicher Höhe. Sein Körper wollte sich herauswinden, fliehen, doch er musste krampfhaft seine Stellung halten, um mit seinen Beinen nichts umzuwerfen. Das war Folter und Erlösung zugleich, und genau so klangen auch die Laute, die seine Kehle verließen. Gott, er wollte mehr davon, und das bekam er auch. Immer wieder spürte er den heißen Biss der Peitsche auf seinem Rücken, seinen Oberarmen, seinem Po, und mit allergrößter Anstrengung schaffte er es, so standhaft zu sein, dass er die Kerzen um sich herum nicht berührte. Als ihn das lederne Ende an der gereizten Innenseite seines Oberschenkels erwischte, entfuhr ihm sein erster Schrei.
„Whoa“, reagierte Bill geflasht darauf. Er war himmlisch erregt von diesem Spielchen und wirklich beeindruckt von Toms Körperbeherrschung, und um diese zu brechen, holte er sofort zum nächsten Schlag aus, den er schwungvoll auf die andere Oberschenkelinnenseite katapultierte. Ein weiterer dunkler Schrei, der den Raum erfüllte, steigerte seine Lust, ebenso zu spüren, wie sein Zwilling nun an seine letzten Kraftreserven ging, und zu sehen, wie jeder Muskel zum Zerbersten angespannt arbeitete. Tom war so wunderschön.
Die weiteren Schläge lenkten den Blonden so sehr von seinem Problem mit seinen Beinen ab, dass er die Überforderung nach einer Weile fast nicht mehr spürte, ähnlich, als hätte er einen toten Punkt überwunden. Das Einzige, das ihm noch wirklich bewusst war, war der Schmerz, der immer wieder neu und mit jedem Mal etwas fieser an einer anderen Stelle seines Körpers einschlug… guter, befreiender, einnehmender, heftiger Schmerz, der ihn überstrapazierte, berauschte und in einen ganz eigenen Himmel transportierte. Auf einmal erlosch das Schwirren der Peitsche, und Tom fühlte außer der brennenden Rückseite seines Körpers, wie Bill sich ihm von hinten näherte. Sein Herz klopfte vor Spannung schneller, und er hoffte, dass dieses sadistische Wesen noch nicht fertig mit ihm war, jetzt, wo er sich gerade so schön darauf eingerichtet hatte, gequält zu werden. Er lauschte den Schritten, bis sein Liebster wie ein dunkler, mächtiger Engel in seinem Sichtfeld auftauchte, in der rechten Hand eine lange, aufgerollte Lederpeitsche. Gott, er stand auf diesen hochmütigen Blick, der ihn so herablassend taxierte, als sei er ein elendiger, kleiner Wurm, der nicht mehr verdient hatte, als geschlagen zu werden, während er gleichzeitig diese einzigartige Liebe darin spürte.
Der noch immer schmerzhungrige Ausdruck in Toms Augen verwandelte Bills bereits aufgeheiztes Blut in viele glühende Lavaströme, die sich rasend schnell durch sämtliche Blutgefäße Richtung Körpermitte drängten. Sein Puls verriet so viel mehr, als seine kühle, undurchsichtige Mimik, mit der er um sein hübsches Opfer herum schritt und erst stehen blieb, als er den richtigen Abstand gefunden hatte. Er genoss dieses Spiel sehr, doch Eines fehlte noch. Sein Zwilling zeigte keinerlei Angst. Dafür würde er nun sorgen. „Ab jetzt wird’s weh tun, du gieriges Stück“, prophezeite er vorfreudig gehässig und konzentrierte sich auf den Punkt, an dem Toms Genuss gleich in pure Qual umschlagen würde.
Er sah den entschlossenen Blick, der ihn zwischen seinen Beinen anvisierte, registrierte Bills Arm, der sich bereit machte auszuholen und fühlte, wie sich sein Herz aus seiner Verankerung löste und tief, ganz tief nach unten rutschte. Es schien jeglichen Sauerstoff mit sich zu ziehen. „Oh Gott“, flüsterte er entsetzt, und bevor er auch nur überlegen konnte, entrollte sich die Peitsche wie eine giftige Schlange und zischte rasend schnell auf ihn zu. Sie biss nicht an der erwarteten Stelle zu, sondern erwischte ihn ganz knapp daneben an seinem Innenschenkel, dafür so übel, dass ihm die Luft zum Schreien fehlte. Seine blutleeren Hände krallten sich verzweifelt an den Seilen fest und mit wachsendem Fluchtbedürfnis registrierte er bereits ängstlich das erneute, unheilverkündende Surren der ledernen Bestie, die ihm dieses Mal einen Schrei entlockte, der das ganze Viertel hätte alarmieren können, wäre der Raum nicht schalldicht ausgestattet worden. Der Schmerz hallte so entsetzlich nach, dass er daran dachte, die Notbremse zu ziehen, während er fieberhaft nach Atem rang. Diese Schläge gingen bereits über das Aushaltbare hinaus.
Das mit der Angstmache hatte ausgesprochen gut funktioniert, doch so langsam kam es einer Beleidigung gleich, dass sein Bruder selbst nach dieser bösartigen Attacke noch immer keine einzige Kerze umgeworfen hatte. So ein ungezogenes Ding. Bill ließ ihm nicht die Chance, zu so viel Luft zu kommen, dass er auch nur einen bewusst artikulierten Laut herausbringen konnte und ließ die Peitsche abermals in Toms Richtung zischen. Ihn erregte das Wimmern, das unwillkürlich dessen Kehle erfasste, dabei hatte er ausnahmsweise gerade nicht vor, ihn zu treffen. Zielsicher fuhr das Peitschenende durch Toms Beine hindurch, ohne ihn zu berühren, und traf wie geplant auf den oberen Teil einer Kerze, die erst umfiel, nachdem Bills Spielzeug schon fast wieder ganz zu ihm zurückgekehrt war, und noch zwei weitere mit sich riss. „Du hast da `was umgeworfen.“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll.
Tom war noch mit dem Schock beschäftigt, den ihm dieser Schlag, der nicht ihn, sondern die Kerzen getroffen hatte, versetzte, als Bills Worte ihn daran erinnerten, wie gemein das außerdem von ihm war. Ein Anflug von Empörung stieg in ihm auf, als er merkte, dass er das eigentlich viel zu geil fand, um empört zu sein, doch gleichzeitig potenzierte es auch seine Angst. Die kommende Strafe für das, was er nicht getan hatte, zeigte sich bereits wieder in der zielsuchenden Art, in der Bills Augen seinen zitternden Körper inspizierten. Er liebte und fürchtete es gleichermaßen und vergaß vor Aufregung das Atmen, als sein Zwilling wie Gott und Teufel in einer Person sein Folterwerkzeug auf ihn hetzte. Nur die allerletzten, giftigsten Millimeter der Peitsche schlugen wenige Zentimeter unter seinem Schlüsselbein ein und zogen eine feine Linie quer über seinen Oberkörper bis tief in die Leiste hinunter. Es fühlte sich an, als würde eine glühende Rasierklinge durch seine Haut fahren. Tom verlor die Kontrolle über seinen Körper, weitere Kerzen fielen. Sein Schreien versank in dem unsäglichen Schmerz, der ihn vollständig verschlang, und dann ging plötzlich wieder alles ganz schnell. Seine überforderten Arme fielen von den Seilen ab und eine strenge Hand griff das Stück Halsband in seinem Nacken, noch während er völlig ausgelaugt zusammensacken wollte, und zog ihn in die Höhe. Quälende Atemnot zwang ihn, irgendwie hinterher zu stolpern. Seine Beine gehorchten fast gar nicht. Erst als sein Oberkörper hart auf einer lederbezogenen Pritsche landete, löste sich die Schnürung um seinen Hals, und sein Kopf sank erschöpft auf die Unterlage, während er hastig nach Luft rang.
Ein paar Sekunden Erholung gönnte Bill seinem Bruder, doch nur so lange wie es brauchte, seine schmalen Reißverschlüsse links und rechts an seinen Hosenbeinen zu öffnen. Dann endlich ließ er seiner bislang gezügelten Lust freien Lauf und nahm sich, wonach ihm gelüstete. Mit einem energischen Griff in Toms Haare zog er dessen Kopf in den Nacken, so dass dessen Gesicht in der Spiegelwand direkt vor ihnen auftauchte. „Sieh mich an“, begleitete der Befehl seine Bewegung, als sein Zwilling bereits wieder überfordert und noch immer atemlos aufstöhnte.
Für einen Moment drehte sich bei dem Blonden alles, und noch während er einen Punkt zur Orientierung suchte, drängte Bill sich von hinten zwischen seine Beine. Als er ihn im Spiegel entdeckte, verstärkte sich das Kribbeln in seinem Unterleib, und er hielt mühsam den Blick, als sein Engel anfing so himmlisch in ihn zu stoßen, dass jeder seiner schmerzenden Muskeln überreizt wimmerte und sein Gehirn nur noch mit der Ausschüttung von Glückshormonen beschäftigt war. Unfähig sich selbst irgendwie noch zu regen, ließ er sich einfach göttlich durchficken und in den Rausch der puren Lust treiben. Dieser Zustand war viel zu perfekt, um ihn lange durchzuhalten und so reichte es am Ende aus, dass sich Bills schmale Brust auf seinen Rücken legte und dessen geiles Gestöhne seine Gehörgänge verzauberte, um seinen Orgasmus endgültig nicht mehr aufhalten zu können.
Bill ließ sich bereitwillig von diesem Höhepunkt mitreißen und blieb schließlich zufrieden auf seinem Zwilling liegen, ließ sich von dessen hastigem Heben und Senken des Brustkorbes schaukeln. Erfüllt von der Verbundenheit ihrer Herzen, lauschte er schweigend dem Keuchen unter sich, das langsam in gemächlicheres Atmen überging, hin und wieder von leisem Seufzen durchzogen.
„Ich fühl mich, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir, nur unendlich viel besser. Ich glaube, ich kann mich die nächsten Stunden nicht mehr bewegen.“ Toms Stimme war durchtränkt von Wohlgefühl, seine Augen waren entspannt geschlossen und auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das er gar nicht hätte unterdrücken können. Jeder Muskel unterhalb seines Halses schmerzte erledigt, in seinem wunden Fleisch brannte es und ließ ihn spüren, wie schön das Leben sein konnte. Das Gewicht seines Zwillings auf seinem Rücken und der heiße Atem, der über seine langsam abkühlende Haut streichelte, verstärkten seine Zufriedenheit noch. Das fühlte sich einfach nur perfekt an, und für einen Augenblick träumte er, dieser Zustand würde anhalten, für immer. Das schien gar nicht so unmöglich.
Eine knappe Minute träumte der Schwarzhaarige noch mit, bevor er seinen Kopf mitsamt Oberkörper etwas anhob, sich mit dem Ellenbogen seitlich neben Tom abstützte, seinen Kopf in seine Handfläche legte und aus dieser Position betrachtete, was er mit dessen Rücken angestellt hatte. Zärtlich fuhr er mit den Spitzen seiner Fingernägel die blutunterlaufenen Linien nach, die noch vor einigen Minuten deutlich dunkler und geschwollener hervorgetreten waren und schmunzelte über die Schnurrlaute, die sein Engel direkt wieder von sich gab. „Wenn du noch sehen willst, wie gelungen dein Rücken geworden ist, solltest du dich schnell wieder zum Hochkommen aufraffen. Du heilst schon wieder wie verrückt.“ Auch wenn Tom ganz sicher Morgen noch Schmerzen in seinen Muskeln erwarten konnte, seinem Körper würde man der Tortour von eben leider nichts mehr ansehen können.
Nur wenige Minuten später war der Blonde doch aufgestanden und verdrehte seinen Hals, um durch den Spiegel hindurch seine Neugier bezüglich des Aussehens seines Rückens zu befriedigen. Das, was er entdeckte, machte ihn tatsächlich für die Zeit, die er brauchte, diese Kunst an seinem Körper zu erfassen, sprachlos. Mit offenem Mund bestaunte er die Präzision, mit der dieses außergewöhnliche Muster erstellt wurde. Ihm war bisher zwar sicherlich nicht entgangen, dass Bill mit Talent für Zielgenauigkeit an seinem Folterinstrument ausgestattet war, doch mit derartig Kreativem hatte er ganz bestimmt nicht gerechnet. So was hatte er vorher noch nie gesehen. „Das ist ja abgefahren.“ In seiner Stimme und seinen Augen lagen Anerkennung und Bewunderung, als er sich wieder seinem Zwilling zuwandte. Er legte seine Hände an dessen schmale Hüfte, doch sie wanderten gleich weiter über den glatten Stoff, bis sie an Öffnungen kamen, an denen sie warme, nackte Haut spüren konnten. Zärtlich fingen seine Finger an, unförmige Kreise darauf zu zeichnen. „Meine Vorgänger haben dich offenbar sehr, sehr, sehr oft zu spüren bekommen“, sagte er ohne Vorwurf, doch nicht ganz neidlos. Sein Bruder musste für diesen professionellen Umgang mit Peitschen ziemlich viel geübt haben. Nur zu gern, wäre er selbst sein Übungsobjekt gewesen.
Bill lachte. „Deine Vorgänger…“ Er hob beide Hände, um mit den Zeige- und Mittelfingern Anführungszeichen in die Luft zu malen. „… waren hauptsächlich irgendwelche Getränkedosen und viele, viele Nüsse in allen Formen und Größen. Die paar Menschen, die mal dazwischen waren, fallen da gar nicht auf. Außerdem kann man niemanden davon als deinen Vorgänger bezeichnen. Du bist eine ganz andere Kategorie, mein Engel.“ Ein zarter Kuss folgte seinen Worten. „Und jetzt geh ich mich umziehen. Ich bin langsam echt hungrig.“
Ein Fiepen, das dem eines Hundes glich, drang aus Toms Kehle. „Du willst das doch nicht schon wieder ausziehen?“ rief er mit einer Mischung aus Bedauern und Entsetzen. Er hatte sich daran noch lange nicht satt gesehen, doch sein weiteres Schmeicheln und Bitten, brachte ihm lediglich, dass Bill ihm schmunzelnd versprach, ihn irgendwann demnächst noch mal in den Genuss so eines Anblicks kommen zu lassen. Schließlich wurde er einfach stehengelassen, und so machte er sich ebenfalls daran, seinen Körper wieder mit Klamotten zu verhüllen.
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Toms Bauch war so voll gefuttert, dass er sich kein Stück mehr regen mochte, und das musste er zum Glück auch nicht. Gemütlich eingekuschelt lag er in Bills Armen und genoss diese seelenheilende Geborgenheit, die er in diesem Moment besonders stark empfand. Er saugte diese Nähe auf wie ein Schwamm, aalte sich darin wie ein Kleinkind im Bällebad. Hier war er zu Hause. Wahrscheinlich gab es außer seinem Zwilling kaum jemanden, der dieses Gefühl auf so eine Art zu schätzen wusste, wie er es tat. Das war mehr, als einfach nur unfassbar schön. Seine Augen lagen ruhig auf dem flackernden Kaminfeuer, das er neu entfacht hatte, bevor sie sich um eine Uhrzeit über ihr Frühstück hergemacht hatten, an dem die meisten Familien in der Stadt ihr Abendessen bereits hinter sich hatten. Draußen war es schon längst wieder dunkel. Bills Atem streichelte sanft seine Wange. Es gab keinen Ausdruck dafür, zu beschreiben, wie gut es ihm gerade ging.
„Du hast mich überrascht heute Nacht“, brachte der Schwarzhaarige seine Gedanken über seine zufriedenen Lippen.
„Du meinst, weil ich Andi gefickt habe?“ Ein Schmunzeln zog bei der Erinnerung über Toms Lippen. „Darüber war ich selbst überrascht“, gab er zu. Selbst im Rückblick konnte er sich nicht erklären, wie es eigentlich dazu gekommen war. Mitten im Durcheinander ihrer aufgeheizten Leiber, hatten sie sich plötzlich geküsst, und dann war irgendwie die Lust mit ihnen durchgegangen.
Vor Bills innerem Auge tauchte augenblicklich das Bild der Beiden von heute Nacht auf. „Mmmh, das war heiß“, raunte er und streifte dabei absichtlich Toms Schläfe mit seinen Lippen. „Aber das meinte ich gar nicht. Was mich wundert ist, dass du dir Lilith nicht genommen hast. Warum hast du dich so zurückgehalten? Du wolltest sie doch unbedingt.“ Natürlich hatte er mitbekommen, wie wahnsinnig schwer es seinem Bruder gefallen war, nicht haltlos über sie herzufallen, doch verstand er nicht, warum dieser sich so gezügelt hatte.
Der Blonde zögerte einen Augenblick mit seiner Antwort, weil er nicht wusste, wie er das formulieren sollte, was er fühlte. „Weil sie nicht irgendeine Frau ist “, sagte er schließlich. „Sie ist die erste Frau, für die ich wirklich etwas empfinde. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, verliebe ich mich etwas mehr in sie, und ich will ihr nicht weh tun. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Es ist… also ähm… sie hat heute Nacht etwas gesagt… nein, eigentlich hat sie etwas nicht gesagt, was mich nachdenklich macht. Es ging um dich.“ Er stoppte seine Ausführungen an dieser Stelle, weil er sich einfach nicht weiter formuliert bekam. Da war so ein Gefühl, das er nicht in Worte fassen konnte. In seinem Kopf arbeitete es angestrengt, weil er das auch für sich selbst noch nicht wirklich geklärt hatte.
„Um mich?“ Bill hatte plötzlich ein unsicheres Gefühl in seiner Magengegend, und beim Versuch, sich weiter in Tom hineinzuversetzen, stieß er auf Verwirrung. Er versuchte, sich aus dem bereits Gesagten irgendetwas zusammenzureimen. „Du machst dir Sorgen um sie“, äußerte er das, was er wahrnahm, und damit fing auch er augenblicklich an, sich zu sorgen, ohne den Grund dafür zu kennen. „Hab ich etwas falsch gemacht?“ fügte er deshalb mit einem ansteigend unguten Gefühl hintenan. Eigentlich hatte er gedacht, dass die Unstimmigkeiten zwischen ihm und Lilith gestern geklärt worden waren, als er bei ihr gewesen war. War das etwa ein Trugschluss gewesen?
„Du hast überhaupt nichts falsch gemacht, Bill“, hörte Tom überraschend die weibliche Stimme, die ihm inzwischen ziemlich vertraut war, und sah in die Richtung, aus der sie kam. Lilith. „Und hier muss sich auch niemand Sorgen um mich machen“, blickte sie ihm mit fester Stimme direkt in die Augen, und Tom bekam bei ihrem Blick das Gefühl, eben fast zu viel gesagt zu haben, was seine Vermutung und seine Sorge um sie auf einen Schlag festigte. „Mir geht`s gut“, setzte sie für seinen Geschmack etwas zu trotzig hinterher, bevor sie sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank angelte und wieder mal auf ein Glas verzichtete, um ihren Durst zu löschen. Sie trug nur ein weites, langes T-Shirt von ihm, das sie sich offensichtlich aus seinem Schrank stibitzt haben musste. Trotz seiner Sorge entging ihm nicht, wie sexy sie selbst darin wirkte.
Bill war klar, dass Lilith nicht erst seine letzten Sätze gehört hatte, und der Blick von ihr zu Tom hatte etwas Alarmierendes an sich gehabt. „Worüber habt ihr heute Nacht denn gesprochen?“ bohrte er sofort nach. Schließlich ging es hier irgendwie auch um ihn, zumindest hatte Tom das gesagt.
„Über nichts Besonderes“, winkte die Schwarzhaarige ab und holte sich jetzt doch ein Glas aus dem Schrank. Als sie sich den Zwillingen gegenüber an den Tisch setzte, auf dem sie das Glas und die geöffnete Wasserflasche abstellte, sah man an ihren Bewegungen, dass sie sich körperlich jedenfalls noch nicht wieder wohl fühlte. Sie zog ihre Beine an und umfasste sie mit ihren Armen.
„Schläft Andi noch?“ Tom hoffte, mit der Frage vom Thema ablenken zu können, denn er spürte, wie Bill nur auf den richtigen Moment wartete, um weiter nachforschen zu können.
Lilith schüttelte nur minimal ihren Kopf. „Nicht mehr wirklich. Ich tippe, der will noch eine Weile allein vor sich hinvegetieren. Sehr gesprächig war er jedenfalls noch nicht.“ Sie löste ihre Position bereits wieder etwas, um sich von dem Wasser einzuschenken und die Hälfte des Glases in mehreren Schlucken zu leeren, bevor sie es absetzte. „Oh Mann. Ich sollte duschen gehen“, rieb sie sich etwas Schlaf aus dem Augenwinkel. „Aber erstmal hätte ich gern eine Zigarette. Gibt’s hier irgendwo welche?“ blickte sie suchend über den noch gedeckten Tisch.
„Ich hol dir welche“, löste Tom sich von Bill und verschwand schnell ins Wohnzimmer.
Jetzt hatte der Schwarzhaarige seinen Moment, und er nutzte ihn auch sofort, erhob sich aus seiner fast liegenden Position in eine sitzende. „Warum macht Tom sich Sorgen um dich?“ Mit gekräuselter Stirn sah er seine Freundin direkt an. Hier stimmte etwas nicht, und er würde keine Ruhe geben, ehe er herausgefunden hatte, was es war.
„Ich hab keine Ahnung. Ganz ehrlich.“ Lilith war ehrlich. Sie wusste nicht, was in Toms Kopf vorging, warum er befürchtete, ihr wehzutun, wie er es ausgedrückt hatte. Ja, sie hatte gelauscht, aber nicht mit Vorsatz. Die Beiden hatten sie nicht bemerkt, als sie zur Küche hereingekommen war, und dann war ihr Name gefallen. Das hatte sie automatisch aufhorchen lassen, und als sie begriffen hatte, dass Bill von Tom wissen wollte, warum der sie in dieser Nacht nicht wollte, ja, da hatte sie sich dann bewusst lauschend ganz, ganz ruhig verhalten, hatte sogar für einen Moment lang den Atem angehalten, weil sie selbst mehr als neugierig auf die Antwort gewesen war, bis sie dann hatte einschreiten müssen, weil die Spekulationen der Zwillinge definitiv in die falsche Richtung gegangen waren. Sie rieb sich ihren Nacken, weil der sich anfühlte, als seien dort über Nacht Knochen in ihre Muskeln gewachsen. Alles fühlte sich ungemütlich verspannt an, nicht nur ihr Nacken. Ihr Wunsch nach einer Dusche dehnte sich zu dem Wunsch nach einer heißen Wanne aus, als Tom mit einer Zigarettenschachtel zurückkam, die er ihr höflich geöffnet hinhielt, so dass sie sich nur noch eine herauszuziehen brauchte. Kaum hatte sie das getan, gab ihr der Gentleman in Baggy Pants gleich noch Feuer und stellte ihr einen frischen Aschenbecher in Reichweite. „Danke“, kommentierte sie diese nette Geste und pustete den Rauch ihres ersten Zuges in die Luft. Eigentlich fühlte Lilith sich noch nicht so wirklich kommunikationsfähig, doch irgendwie stand dieses Sorgenthema nun im Raum, und sie war einfach zu neugierig, um das noch auf später zu verlegen. Sie wartete, bis Tom sich wieder hingesetzt hatte, aber auch keinen Augenblick länger. „Erzähl mal. Warum machst du dir Sorgen um mich?“ Geradeheraus sah sie den Blonden an, der bei der Frage ganz offensichtlich unruhiger wurde.
Irgendwie wurde das hier gerade kompliziert. Tom wusste nicht, wie er reagieren sollte und kramte sich deshalb jetzt auch erstmal eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an. Das gab ihm noch einen Moment Zeit nachzudenken. „Ich glaube, das will ich nicht mit euch Beiden gemeinsam ausdiskutieren“, folgte er dann seinem Gefühl. Er konnte sich auch irren, obwohl er das nicht für wahrscheinlich hielt, und dann würde er mit seiner Vermutung vielleicht nur unnötige Verwirrung streuen. Das war zumindest sein Gedanke. Er sah von der verdutzten Lilith neben sich zu seinem Bruder, der nicht so sehr anders dreinschaute.
„Du willst, dass ich rausgehe?“ deutete Bill Toms Blick schon ganz richtig, doch so recht fassen konnte er das nicht. Da stand plötzlich ein Geheimnis zwischen ihnen, das er nicht greifen konnte. Das war komisch. „Ich denke, es geht auch um mich?“ Wieso wollte Tom mit Lilith allein sprechen, wenn es doch auch ihn betraf? Doch bevor er sich in mehr ungut anfühlende Fragen vertiefen konnte, kam von seinem Zwilling ein leises „Bitte!“. Es war eindringlich, und so nickte er fast unmerklich und stieg über das Sofapolster hinter Toms Rücken vorbei. Auch wenn er sich gleich ganz allein und wahrscheinlich erfolglos sein Gehirn zermatern würde und nicht wusste, was hier eigentlich los war… er vertraute Tom, und er vertraute Lilith, und nur deshalb verließ er nun halb freiwillig die Küche und schloss die Tür fest hinter sich.
Lilith verstand auch nicht, was vor sich ging. „Wird das jetzt anstrengend?“ versuchte sie zu ergründen, worauf sie sich einzustellen hatte. Tom wirkte so ernst, dass sie nichts Gutes erwartete.
„Ja, vielleicht“, wusste er es selbst nicht so recht, und er wusste auch nicht wirklich, was er eigentlich sagen sollte. „Willst du mit aufs Sofa kommen?“ bot er ihr an. Die Stühle, die am Küchentisch standen, waren durchaus bequem. Das wusste er ja, doch Lilith wirkte so, als wäre ein wenig mehr Gemütlichkeit für sie angebracht, und möglicherweise war es auch richtiger, solch private Dinge, die er ansprechen musste, nicht quer über den Tisch zu besprechen, auch wenn ihm noch jegliche Worte dafür fehlten. Er rückte in eine Ecke des Sofas. Lilith ließ sich in die andere Ecke fallen und zog an ihrer Zigarette, während sie ihn aufmerksam ansah. Tom fühlte sich unsicher. Er war nicht geübt darin, Gespräche über Gefühle zu führen, und Lilith war nicht Bill, und auch nicht Andi, und sie war eine Frau. Eine Tatsache, die nicht zu unterschätzen war. Nervös drehte er seine Zigarette zwischen seinen Fingern und führte sie in kurzen Abständen an seinen Mund, suchte nach einem Anfang.
Als sie Tom bestimmt eine lange Minute Zeit gegeben hatte, von sich aus etwas zu sagen, dabei immer stärker bemerkte, wie schwer es ihm fiel, auch nur ein Wort herauszubringen, beschloss Lilith ihm zu helfen. „Du hast zu Bill gesagt, dass du dir über etwas Gedanken machst, was ich nicht gesagt habe.“ Sie drückte den Rest ihrer Kippe im Aschenbecher aus und faltete dann ihre Hände in ihrem Schoß. „Was hab ich denn nicht gesagt?“ interessierte sie das, was der Schweigsame in sie hineininterpretierte.
Bis eben war der Blonde ihrem standhaften Blick ausgewichen, doch nun sah er Lilith an. „Du hast dich so tierisch gefreut, als ich dir gesagt hab, dass Bill schwul ist. Warum?“ An diesem Punkt grübelte er hauptsächlich herum, und irgendwie kam er immer wieder nur auf eine einzige Antwort, die ihm schlüssig erschien, und die wiederum ließ Fragen in ihm auftauchen, auf die er noch keine Antwort fand.
Lilith hatte sich nicht wirklich Gedanken darum gemacht, was Tom auf dem Herzen hatte. Sie war noch zu groggy, um aktiv mitzudenken, aber nun ahnte sie, dass das Gespräch tatsächlich anstrengend werden könnte. Eigentlich war ihr nicht danach, das Thema zu vertiefen. „Weil ich es endlich bestätigt bekommen habe“, antwortete sie wahrheitsgemäß, auch wenn an dieser Wahrheit noch einiges mehr hing, deshalb versuchte sie es mit einer Erklärung, die ihr Gegenüber zufrieden stellen sollte. „Es hat mich irgendwie immer verrückt gemacht, dass Bill das nicht zugeben will. Ich meine, das ist doch offensichtlich, dass er nicht auf Frauen steht. Für mich war das so, als hätte ich die letzten Jahre auf eine weiße Wand geguckt, von der ich genau wusste, dass sie weiß ist, weil ich das ja deutlich sehen konnte, aber alle anderen haben immer gesagt, sie wäre schwarz. Da fängt man irgendwann an, an seiner Wahrnehmung zu zweifeln, und wenn dann jemand kommt, der dir darin zustimmt, dass du auf eine weiße Wand guckst, dann ist das einfach wahnsinnig erleichternd.“
Das, was Lilith sagte, war ziemlich einleuchtend für Tom, doch überzeugen wollte ihn das irgendwie trotzdem nicht ganz. „Zu Anfang musst du doch aber auch noch eine schwarze Wand gesehen haben, oder?“ übernahm er die benutzte Metapher. „Schließlich wart ihr mal zusammen.“
„Ja, klar, aber nicht lange.“ Lilith winkte ab. Das Stückchen schwarze Wand, das sie gesehen hatte, als sie Bill kennengelernt hatte, war aus ihrer damaligen Verliebtheit entstanden. In solchen Momenten ist man schon mal blind und überdeckt die Realität mit eigenen Träumen.
„Wann ist denn die Wand für dich weiß geworden?“ Von Bill wusste Tom ja ein wenig, was damals zwischen den Beiden war, doch mit Lilith hatte er noch nie über die Zeit gesprochen, was auch nicht verwunderlich war. Es kam fast nie dazu, dass Gespräche zwischen ihnen tiefer wurden, was zum einen sicherlich daran lag, dass sie selten allein miteinander waren, aber auch daran, dass Tom solchen Gesprächen für gewöhnlich lieber aus dem Weg ging. Das, was sie in den letzten Wochen im allgemeinen Umgang miteinander voneinander mitbekommen hatten, reichte auch so bereits aus, um sich ehrlich zu mögen.
Die Schwarzhaarige dachte an den Moment zurück, in der ihr Bills eigentliche sexuelle Ausrichtung schmerzhaft deutlich und schlagartig klar geworden war. „Das war, als ich das erste Mal gesehen habe, wie er einen Typen gevögelt hat. Das war der Tag, an dem unsere Beziehung vorbei war“, erzählte sie. Es kam ihr so vor, als läge das alles schon eine Ewigkeit zurück. „Er hatte mir seine angebliche Bisexualität zwar nicht verheimlicht, aber als ich sein Gesicht gesehen hab, als er es mit diesem Typen getrieben hat, wie viel Lust er daran hatte, obwohl er offensichtlich nicht in ihn verliebt war, da wusste ich einfach, dass es das war, was er eigentlich wollte.“ Die schlimmen Gefühle, die sie damals dabei hatte, waren nur noch Erinnerung, die schon lange nicht mehr weh tat. Allerdings begleitete sie seitdem Wehmut an etwas, was nicht sein konnte.
Tom konnte sich vorstellen, dass das nicht leicht für sie gewesen sein musste. „Hast du lange gebraucht, um damit klarzukommen?“ versuchte er den Grad ihrer Verletzung auszuloten und dabei seiner Vermutung nachzugehen.
„Geht so“, log sie, ohne nachzudenken. „Das war höhere Gewalt. Gegen so was kann man nichts machen.“ Sie zuckte instinktiv mit ihren Schultern, ließ ihre Lüge so wahrer erscheinen. Wäre Lilith in diesem Moment nicht so ausgepowert gewesen, hätte sie sicherlich bereits nachgebohrt, worauf ihr Gegenüber denn nun hinauswollte, doch war ihr Zustand eher so, dass sie noch nicht mal die Energie aufbrachte, nebenbei über Toms Fragen nachzudenken. Irgendwann würde er schon auf den Punkt kommen. Davon ging sie zumindest einfach mal aus.
Auf den Punkt steuerte der Blonde auch zu, und wäre er nicht so unsicher bezüglich seiner eigenen Wahrnehmung gewesen, hätte er ihn möglicherweise auch schon angetippt, aber er war gehemmt, traute sich nicht dem zu vertrauen, was er beobachtet hatte. Was wusste er schon von Frauen? Genau genommen nicht mehr, als wie man sie dazu bringt, die Beine zu spreizen. Er hatte sich bei keiner die Mühe gemacht, herauszufinden, wie sie vielleicht tickte, doch nun sah er Lilith und empfand so viel mehr als die bloße Begierde auf ein schnelles Abendteuer, wie er es beim Anblick hübscher Frauen üblicherweise von sich kannte, und so versuchte er, sie erstmal noch weiter auszuloten. „Wenn du dir so sicher bist, dass Bill schwul ist, warum hast du dann noch Sex mit ihm?“ stellte er ihr eine Fangfrage, zumindest empfand er sie selbst als solche, außerdem war sie an sich schon merkwürdig, weil sie sich bereits in sich selbst widersprach, doch darum ging es nun ja gar nicht.
„Du meinst heute Nacht? Das war echt eine seltene Ausnahme“, winkte Lilith sofort ab, stockte dann aber. „Ähm... ist das ein Problem für dich?“ Stutzig sah sie ihr Gegenüber an, weil ihr die Frage nun doch komisch vorkam. Manchmal sah nach dem Aufwachen ja Einiges anders aus. Das hatte sie bereits selbst mehrfach erlebt.
„Nein, überhaupt nicht“, antwortete Tom ehrlich, während er das Bild der Beiden im Kopf hatte. Er wusste, dass Bill nicht mit ihr geschlafen hatte, weil er so wahnsinnig scharf auf ihren Körper gewesen war, sondern weil er sie zutiefst liebte. Das hatte er fühlen können, und es war wirklich in Ordnung für ihn, doch das, was er bei Lilith glaubte gefühlt zu haben, ließ sie nun zusammen hier sitzen. „Ist das ein Problem für dich?“ gab er ihr ihre Frage unverändert zurück, nur dass er das letzte Wort stärker betonte, als sie es getan hatte, und kam damit ganz nah an den Aspekt, der ihn beschäftigte.
„Warum sollte das ein Problem für mich sein? Ich habe keine Probleme mit Sex, wie du eigentlich mitbekommen haben solltest“, kam die Schwarzhaarige mit einer Gegenfrage um eine wirklich gezielte Antwort herum und wurde innerlich etwas aufmerksamer. Sie war sich nicht sicher, ob sie mit Tom über das Thema sprechen wollte, auf das er zusteuerte, und hoffte, sie irrte sich mit seiner Fahrtrichtung.
„Das war kein Sex“, behauptete Tom. „Mit Andi hast du Sex… oder mit sonst wem. Das, was du mit Bill gemacht hast, war Liebe.“ Er stellte seine Beobachtung nun einfach in den Raum und sah zu, wie Liliths Augenbrauen gleichzeitig in die Höhe gingen, wie sich ihre Arme vor ihrem Körper verschränkten. Er war sich nicht sicher, ob das Misstrauen war, das ihn durch ihre Augen hindurch ansah.
„Sicher, dass du wirklich kein Problem damit hast?“ musste sie noch mal nachhaken.
Tom nickte bestätigend. „Ja. Ganz sicher.“
„Dann sag mir doch endlich, worauf du hinaus willst.“ Liliths Stimme war matt. Sie hatte keine Lust herumzuspekulieren, doch so langsam wollte sie den Sinn dieses Gesprächs mal verstehen.
Der Blonde wusste nicht, wie er ausdrücken sollte, was er fühlte. „Ich glaube, du liebst ihn“, versuchte er es dennoch.
„Na, das ist ja wohl kein Geheimnis“, reagierte sie etwas enttäuscht über diese unspektakuläre Vermutung, die als Vermutung schon von Anfang an keine Berechtigung hatte. „Das tut doch jeder, den er in seine Nähe lässt. Jeder Einzelne, der hier vorgestern Nacht am Tisch gesessen hat, liebt ihn. Ich dachte, das wäre dir auch klar.“
Ja, das war Tom auch klar, nur gab es, mit Ausnahme von ihm selbst, einen Unterschied zwischen Lilith und den Anderen am Tisch. Zumindest glaubte er das, und am liebsten hätte er seinem Gegenüber noch viele Fragen gestellt, doch das schien nicht mehr erwünscht, also probierte er sich daran, genauer zu erklären, was ihn beschäftigte, und er brauchte etwas Mut, um das auszusprechen. „Ich weiß noch nicht lange, was Liebe ist, und vielleicht kenne ich mich auch noch nicht so gut damit aus, aber dass man auf unterschiedliche Weise lieben kann, das hab ich bereits begriffen. Dass die Beziehung zwischen dir und Bill eine besondere ist, war klar, aber die Frage, auf welche Art du ihn eigentlich liebst, habe ich mir bisher nicht wirklich gestellt… zumindest nicht bis zur letzten Nacht.“ Er stockte, weil ihm die Worte für den Anschluss fehlten, und da er ihn irgendwie auch nicht fand, setzte er neu an und ging dabei aufs Ganze. „Ich denke, dass Bill dir so sehr vertraut, dass er den Teil, den du ihm vorspielst, nicht durchschaut. Er nimmt dir die scheinbare Leichtigkeit, mit der du durchs Leben gehst, genauso ab wie er glaubt, dass er mit dir schlafen kann, ohne dass du später daran zu knabbern hast.“ Tom konnte bereits sehen, dass ihr nicht gefiel, was er sagte, und das verunsicherte ihn etwas, aber jetzt wollte er keinen Rückzieher mehr machen. „Ich glaube das nicht mehr. Ich glaube eher, dass wir beide etwas gemeinsam haben“, brachte er mit fester Stimme rüber. „Für mich ist Bill der Eine…“ Absichtlich ließ er den Satz offen und warf der Dunkelhaarigen einen fragenden Blick zu.
Hätte Tom sie in einem anderen Zustand in dieses Gespräch gezogen, hätte Lilith sicherlich augenblicklich eine Antwort parat gehabt, doch jetzt schnappte ihr Mund nur kurz ein Mal auf und wieder zu. Zum einen war sie baff, und zwar gleich über mehrere Dinge, und zum anderen hatte Tom ihr gerade ganz schön viele Sachen auf einmal zugeworfen. Das war sie von ihm definitiv nicht gewohnt, und das brachte sie ebenso in eine kurze Verwirrung wie der Inhalt seiner Sätze. „Das siehst du nicht ganz…“ fing ihr Mund schon an zu antworten, als ihre Gedanken sie dann doch an einem anderen Punkt hängenbleiben ließen. „Moment. Was meinst mit ‚Bill etwas vorspielen’ und ‚scheinbarer Leichtigkeit? Willst du mir etwa vorwerfen, ich würde Bill oder euch belügen?“
„Nein, ich will dir gar nichts vorwerfen. Ich will dir wirklich überhaupt nichts Böses“, beteuerte der Blonde sofort mit besänftigend agierender Handbewegung, bevor ihr Gesicht noch kritischer gucken konnte. „Ich glaube aber, dass du manche deiner Gefühle vor Bill verheimlichst, um ihn zu schützen… und dich selbst wahrscheinlich auch“, fügte er hinzu.
„Wie kommst du da denn darauf?“ hinterfragte Lilith in bewusst belangloser Art, während sie sich streckte und nach der Schachtel mit den Zigaretten griff. Ihr war jetzt ganz arg danach, noch eine zu rauchen.
Tom beobachtete sie aufmerksam und wartete, bis sie den Blickkontakt wiederherstellte. „Ich hab dich heute Nacht gesehen, Lilith.“
Es war sein Tonfall, die Art, wie er es sagte und wie er sie dabei ansah, was Lilith dazu brachte, keine weiteren Ausweichmanöver zu starten, weil die Energie, die in diesem Augenblick von Tom ausging, ihr deutlich machte, dass er sie bereits enttarnt hatte und nicht einfach nur im Dunkeln herumstocherte. Sie fühlte sich nicht ungut ertappt, sondern vielmehr liebevoll wahrgenommen. Das war eine Seite an Tom, die sie in dieser Form noch nicht von ihm kannte. Die Hand mit der noch nicht entflammten Zigarette, die sie sich gerade zwischen ihre Lippen schieben wollte, sank irgendwie erlöst wieder nach unten. „Machst du dir deswegen Sorgen um mich?“ Tom nickte, woraufhin Lilith leicht mit dem Kopf schüttelte. „Unnötig“, fiel ihr dazu zuallererst ein, und weil leugnen eh keinen Sinn mehr hatte, beschloss sie, sich Tom gegenüber zu öffnen… unter einer Bedingung. „Ich könnte es dir erklären, aber… kann ich dir etwas erzählen, ohne dass Bill davon erfährt?“
Tom nickte erneut. „Das kannst du“, unterstrich er das noch deutlicher und sah sie dabei geradeheraus an, damit sie merken konnte, wie ernsthaft er das meinte.
„Okay“, kam sein ehrlicher Blick bei ihr an, und dann sammelte sie sich einen Moment, überlegte, an welcher Stelle sie ansetzen musste. „Zu dem Zeitpunkt, als ich Bill kennengelernt habe, fühlte ich mich einsam. Ich kannte zwar viele Leute, aber während meiner Schulzeit hatte ich nur eine einzige, wirkliche Freundin. Wir waren für ein paar Jahre absolut unzertrennlich und haben alles miteinander geteilt, und dann ist sie mit ihrem ersten, festen Freund zusammengekommen, und ich war von einem auf den anderen Tag nicht nur nicht mehr wichtig für sie... sie hat mich sogar als Bedrohung für ihre Beziehung gesehen und wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich fühlte mich echt einsam und verlassen in den Monaten danach, und dann traf ich Bill, jemanden, der im Gegensatz zu mir, wirklich einsam war, aber das hab ich ja erst später rausbekommen. Jedenfalls war er der rätselhafteste, außergewöhnlichste Mensch, der mir je über den Weg gelaufen war. Ich war vom ersten Tag an verliebt in ihn, und bis zu dem Zeitpunkt, als ich herausfinden musste, dass er eigentlich auf Männer steht, bin ich wie auf Wolken gelaufen… rosarote Mädchenwolken.“ Lilith unterdrückte ein Seufzen. „Damals dachte ich, er wäre der Eine für mich.“
„Jetzt nicht mehr?“ fragte der Blonde etwas ungläubig.
„Na ja… das ist äh… wie soll ich das beschreiben?“ grübelte Lilith. „Also mein Kopf weiß seit drei Jahren ziemlich sicher, dass er es gar nicht sein kann, und das hat mein Herz auch nach und nach einsehen müssen, aber es gibt trotzdem immer wieder Phasen, in denen mein Herz anfällig für Rückfälle ist. Kurze Rückfälle. Dann brauch ich ein paar Tage und dann geht es wieder. Inzwischen ist das aber eher selten. Für mich ist die Freundschaft zu ihm weitaus wichtiger. Er ist der Mensch, der für mich da ist, seitdem ich ihn kenne und der, dem ich mich einfach am nächsten fühle.“
„Hatte dein Herz heute Nacht einen Rückfall?“ musste Tom schnell dazwischenhuschen, obwohl er bemerkte, dass sie eigentlich noch etwas sagen wollte.
„Ja, einen kleinen“, gab sie zu. „Da haben die Pillen mitgedreht… und ich glaube, ich hätte nicht unseren Tanz mit ihm tanzen sollen.“ Was sie in diesem Moment verschwieg, war der Rückfall, den Bill erst am vergangenen Montag bei ihr ausgelöst hatte, als ihr Vater sie fast in einer höchst brenzligen Situation miteinander erwischt hätte. Sie hatte keine Ahnung, ob Bill Tom davon überhaupt erzählt hatte. Den Rückfall von Montag hatte sie erst gestern wirklich verwunden bekommen, nachdem sie die Aussprache mit Bill hatte. Sie war also quasi kaum aus dem einen Rückfall rausgewesen, als sie bereits in den nächsten gefallen war. Das wäre alarmierend für sie gewesen, wenn sie nicht die momentanen Umstände dafür verantwortlich hätte machen können. Außerdem lag ihr letzter Rückfall davor bestimmt schon acht oder neun Monate zurück, also kein Grund wegen dieser zufälligen Häufung sofort in Sorge zu verfallen, und das versuchte sie jetzt auch ihrem Gegenüber beizubringen. „Meine Leichtigkeit, wie du es nennst, ist übrigens nicht gespielt. Ich bin einfach ein optimistischer Mensch. Das war ich schon immer. Natürlich hab ich auch Momente oder Tage, an denen es mir nicht gut geht, und du hast recht damit, dass ich schlechte Momente manchmal vor Bill verberge, aber das muss ich nicht mehr oft, und das tue ich auch nur, weil er mir gegenüber sonst ein völlig unnötiges, schlechtes Gewissen bekommen würde, und das würde dann wahrscheinlich all das Leichte zwischen uns kaputt machen. Das Letzte, was ich will, ist, dass es ihm wegen mir schlecht geht, verstehst du? Und ich komme klar… ganz ehrlich“, versicherte sie.
Tom brauchte einen Augenblick, um in sich selbst zu überprüfen, ob er ihr in all dem, was sie gesagt hatte, Glauben schenken sollte. Übrig blieb wieder eine Frage. „Bist du frei, Lilith?“ wollte er wissen, und da er auf eine bestimmte Form von frei sein hinauswollte, erklärte er das noch. „Ich meine, wenn morgen ein Mann auftauchen würde, der alles hätte, was du dir von einem Mann wünschst, und er würde sich unsterblich in dich verlieben. Hätte er eine Chance, mit dir eine Beziehung zu führen?“
„Nein“, war sie aufrichtig. „Ich bin noch nicht frei. Daran arbeite ich noch.“ Jetzt entzündete sie doch die Zigarette, die sie die ganze Zeit in ihrer Hand hielt und pustete langsam den Rauch aus, während sie überlegte, wie Tom wohl mit der Wahrheit, die sie ihm hier offen präsentierte, umgehen würde. Schließlich gab sie gerade zu, dass sie nicht von dem Mann loskam, mit dem er eine Beziehung führte, auch wenn wohl absolut klar war, dass sie keine Konkurrenz darstellte.
Sie bestätigte ihm gerade exakt das, was er wahrgenommen hatte, und das hinterließ bei ihm ein Gefühl der Hilflosigkeit, weil er wirklich nicht damit umzugehen wusste, und gleichzeitig hatte er das Bedürfnis, Lilith in den Arm nehmen zu wollen, doch er ließ es bleiben. Sie tat ihm leid, und irgendwie war er sich ziemlich sicher, dass sie genau das nicht bei ihm erreichen wollte. In dieser Stille, die gerade zwischen ihnen entstand, beobachtete er sie unbewusst, denn seine Gedanken suchten nach Möglichkeiten, ihr in die Freiheit zu helfen, obwohl er wusste, dass er der Letzte war, der ihr da helfen konnte. Er selbst besetzte den Platz, den sie sich ersehnte und nie erreichen konnte. Ungewollt fühlte er sich ein wenig schuldig an ihrer Situation. Tom dachte darüber nach, was er ihr wohl alles genommen hatte, seitdem er selbst hier aufgetaucht war und sein Zwilling genau deshalb weniger Zeit für sie hatte, und in diesem Moment fiel ihm auf, dass Lilith ihm nicht ein einziges Mal das Gefühl gegeben hatte, ihm den Platz an Bills Seite nicht zu gönnen. „Warum bist du eigentlich so nett zu mir?“ fragte er mit einem Anflug von Unverständnis.
Lilith verstand die Frage nicht, weil die Antwort doch so sehr auf der Hand lag, dass sie so einer Frage gar nicht bedurfte, doch weil Tom sie so ernsthaft stellte, tat sie ihm den Gefallen, es auszusprechen. „Na, weil ich dich mag. Sehr sogar. Ich dachte, das wüssten wir voneinander.“
„Ja, aber Bill hat mir erzählt, dass ihr fast jede freie Minute zusammen wart in den letzten Jahren und wie wichtig ihr euch seid.“ Er verkniff sich laut auszusprechen, dass sie der wichtigste Mensch in dessen Leben war, bis er selbst an diese Stelle getreten war. „Und dann komme ich und na ja… zusammen mit dem, was du für ihn empfindest… äh… müsstest du mich da nicht eigentlich komplett scheiße finden? Oder zumindest wünschen, ich wäre nie aufgetaucht?“
„Das hab ich mir tatsächlich in einigen, schwachen Momenten schon gewünscht“, sagte sie geradeheraus. „Aber wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte und entscheiden könnte, ob du und Bill sich kennenlernen… ich würde es ganz sicher nicht verhindern. Soll ich dir mal von dem Bill erzählen, den ich kenne?“ Ihre Frage war rein rhetorisch, denn sie redete sofort weiter. „Ruhelos – arbeitssüchtig – unnormal verschlossen – zwanghaft alles kontrollierend.“ Mit jedem Punkt, den sie nannte, erhob sich ein Finger an ihrer Hand, den sie mit dem Zeigefinger der anderen Hand jeweils kurz antippte. „Jedem und allem gegenüber überaus misstrauisch – meistens unentspannt – perfektionistisch“, zählte sie weiter auf. „… und natürlich auch wahnsinnig liebenswert. Ich könnte die Liste noch ohne groß nachzudenken weiterführen, aber abgekürzt gesagt… er war niemals glücklich, bevor du und Andi aufgetaucht seid und ihn von jetzt auf gleich in einen lebendigen, fast schon ausgeglichenen, fröhlichen Menschen verwandelt habt. Ich habe mir immer gewünscht, dass es ihm mal so gut geht, und ganz ehrlich, ich freue mich wirklich total für ihn, dass er dich gefunden hat… und Andi. Ich würde den neuen Bill nicht wieder gegen den alten austauschen wollen.“ Sie wünschte nur, sie selbst hätte etwas zu seiner Verwandlung beitragen können. „Und dich möchte ich ehrlich gesagt auch nicht mehr missen, genauso wenig wie Andi. Ich hab mich schon so an euch gewöhnt“, endete ihre Ausführung mit einem leicht neckischen Grinsen. Sie war inzwischen so in das Gespräch vertieft, dass es ihre körperlichen Beschwerden fast ausblendete.
Toms Mundwinkel kräuselten sich nur kurz zu einem flüchtigen Lächeln, bevor er sie, immer noch besorgt, zweifelnd musterte. Ihm ging so vieles durch den Kopf, was er nicht zu formulieren wusste. In diesem Moment hätte er es gut gefunden, in Lilith so hineinfühlen zu können, wie er es bei Bill konnte, doch da er das Talent nicht besaß, häuften sich schon wieder weitere Fragen auf. So langsam bekam er das Gefühl, sie könnten noch stundenlang hier sitzen, ohne dass ihm die Fragen ausgehen würden. Eigentlich wollte er wissen, was nötig wäre, damit Lilith auch glücklich werden konnte, doch irgendwie schwappte etwas ganz Anderes aus seinem Mund. „Denkst du an ihn, wenn du mit anderen Männern Sex hast?“
„Wieso? Wolltest du deshalb nicht mit mir schlafen?“ kam es prompt zurück.
„Tust du’s?“ Dieses Mal ließ er sich nicht von ihren Gegenfragen ablenken.
„Nein. Zumindest nicht, wenn’s gut ist. Dann lass ich mich in das fallen, was es ist.“ Die Schwarzhaarige blieb weiterhin aufrichtig. „Ich glaube, du stellst dir meine Situation schlimmer vor, als sie ist“, deutete sie Toms Gesichtsausdruck. „Ich leide nicht darunter… also zumindest nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Wenn ich wegen meiner Gefühle zu Bill mal traurig werde, dann ist es eher wie… äh… wie ein langes Seufzen. Keine Ahnung, wie ich es besser ausdrücken soll. Der größte Teil in mir hat schon akzeptiert, dass es nicht geht. Ich glaube nicht, dass ich noch ewig brauchen werde, um das letzte Stückchen zu verarbeiten, das mich noch auf ungesunde Weise an ihn bindet. Außerdem bin ich nicht allein damit. Luka ist für mich da und Andi neuerdings… und du hilfst mir ja auch seit einigen Wochen dabei.“
„Ich?“ Toms Stimmlage glitt wegen seiner Verwunderung eine Terz nach oben. Wenn jemand von ihnen dem Anderen in den letzten Wochen geholfen hatte, dann war das definitiv Lilith mit ihrer Fürsorge, ihrem Verständnis, ihrer unerschütterlichen Fröhlichkeit, aber ganz bestimmt nicht er. Verwirrt sah er sie an.
„Du siehst süß aus, wenn du so guckst“, musste Lilith grinsen. „So hast du viel öfter geguckt, als wir uns kennengelernt haben“, erinnerte sie sich. Toms Versuch, jetzt ein grimmiges Gesicht zu machen, war aber auch nicht weniger niedlich. Sie musste lachen.
„Ich? Dir? Geholfen? Erklärst du’s mir?“ bat er.
„Seitdem du da bist, braucht Bill mich nicht mehr.“ Sie sah, wie Tom sofort protestieren wollte und hob abwehrend die Hand, damit er sie aussprechen ließ. „Nicht mehr so wie vorher“, milderte sie deshalb auch erstmal ab. „Du bist der Eine für ihn, und das ist auch verdammt gut so. Ihr seid wirklich wie geschaffen füreinander, und ich gönne euch eure Liebe wirklich, allein schon, weil du ihn so glücklich und lebendig machst, und das genau ist meine Chance. Es tut mir zwar weh, nicht mehr seine Nummer eins zu sein, aber es hilft mir, mich von ihm zu lösen, wenn ich sehe, dass es für ihn jetzt mit dir weitergeht. Das ist so konkret und steht einfach fest. Dadurch kann ich mich mehr auf mich und meine Bedürfnisse konzentrieren, auch wenn ich noch etwas brauchen werde, um das wirklich zu wollen, aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, spüre ich bereits, dass das genau der richtige Weg für mich ist.“ Lilith nickte leicht, ohne es selbst zu bemerken. „Wahrscheinlich hätte mir niemand außer dir diesen Weg öffnen können. Verstehst du, wie du mir hilfst?“
Tom verstand es und nickte deshalb. Er merkte, wie ehrlich sie zu ihm war, und auch wenn Lilith in seinen Augen gerade mit all dem, was sie gesagt hatte, nur noch stärker geworden war, als er sie bisher schon gesehen hatte, tat sie ihm nach wie vor leid. „Weiß Andi das alles? Also wie es dir mit Bill geht?“ musste er noch mal auf ihre Bemerkung von eben eingehen. Dass Lukas Name dabei auch gefallen war, wunderte ihn nicht und war deshalb auch nicht hinterfragenswert.
„Ja. Er weiß alles“, bestätigte sie und lächelte. „Ich habe inzwischen viel Zeit mit Andi verbracht, und er hat die Gabe, schnell ein guter Freund zu werden.“ Ja, das war er inzwischen für sie, eigentlich schon so was wie ihr neuer Vertrauter. Er konnte wahnsinnig gut zuhören und ging so sensibel und liebevoll mit ihr um, dass er nicht lange gebraucht hatte, ihr Vertrauen zu gewinnen.
„Ja, die Gabe hat er“, musste Tom zustimmen und konnte bei dem Gedanken auch nicht umhin, ein Lächeln zu zeigen. „Glaubst du, wir können auch Freunde werden?“ fragte er, im Moment nicht so recht wissend, wie sich das zwischen ihnen beiden eigentlich verhielt. Klar… er wusste, dass sie ihn mochte… sehr sogar, aber mit Freundschaften schließen hatte er ja nun nicht so viel Erfahrung, und genau genommen gar keine Erfahrung mit einer Frau, die er zudem noch begehrte, wie keine andere zuvor.
„Sind wir das nicht schon?“ Ihre Stimme war so sanft wie der Ausdruck in ihren Augen. „Ich meine… du sitzt da“, deutete sie auf Tom. „… und ich hier. Du sorgst dich um mich und ich mich um dich… und ich erzähle dir Dinge von mir, die gerade dich eigentlich überhaupt nichts angehen. Also aus meiner Sicht ist das schon Freundschaft… zumindest von meiner Seite aus.“ Außerdem war durch die vielen Ereignisse in den letzten Wochen bei ihr ein Gefühl aufgekommen, schon ganz schön viel mit ihm durchgemacht zu haben, auch wenn sie selbst nie direkt an den Dingen, die passiert waren, beteiligt war.
„Ja.“ Tom fühlte eine so tiefe Erleichterung über ihre Antwort, dass es ihn selbst überraschte. Sein Herz floss in ihre Richtung. „Von meiner Seite aus auch“, seufzte er, und ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus.
Lilith war froh darüber, dass Tom nicht noch weitere Fragen in ihre Richtung schoss, so gab er ihr den Raum für das, was sie unbedingt beantwortet haben wollte. „Okay, mein Freund“, rückte sie schmunzelnd näher an ihn heran. „Dann erklär mir doch jetzt mal bitte, warum du mich heute Nacht nicht wolltest… also so unter Freunden.“
„So kann man das nicht sagen. Ich wollte ja“, wehrte sich der Blonde gegen ihre Formulierung. „Nur als ich dich und Bill gesehen hab, da… ähm&he

RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 18.12.2010 21:22von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
~ 27. Kapitel ... Teil 2 ~
„Wenn man vom Teufel spricht“, bemerkte Andi, als Tom den Kopf zur Tür hereinstreckte und seinen Körper seltsam schwerfällig folgen ließ.
„Der Teufel sitzt doch bereits neben dir und versteckt sich hinter seinem Engelsgesicht“, erwiderte Tom, während er beim Nähertreten an das Himmelbett mit jedem Schritt schmerzhaft schön an das erinnert wurde, was Bill ihm vorhin angetan hatte. Er war ein wenig erleichtert, dass er ihn hier mit Andi gemeinsam vorfand. So wurde er möglicherweise nicht sofort mit Fragen bezüglich des Gespräches mit Lilith bedrängt. Er setzte sich ans Fußende des Bettes und lehnte seinen Rücken vorsichtig und langsam gegen den breiten Bettpfosten.
„Ihr seid beide der Teufel. Der Teufel in Zwillingsgestalt.“ Dessen war sich der Weißhaarige neuerdings ganz sicher. „Bevor ich noch mal mit euch Drogen nehme, bade ich lieber in Weihwasser und reib mich dann mit Knoblauch ein, damit ihr mir nicht zu nah kommen könnt.“ Er schlug mit seinen Zeigefingern ein Kreuz und reckte es seinen Freunden bedrohlich entgegen.
„Das hilft vielleicht bei Vampiren“, belustigte Bill sich über Andis Warnungen. „Gegen den Teufel ist man wohl ziemlich machtlos.“
„Der beste Beweis für meine Theorie“, fühlte sich Andi von der Äußerung nur bestätigt. „Und gegen zwei davon ist man doppelt machtlos. Jede Form von Kuscheln mit euch ist jedenfalls für unabsehbare Zeit gestrichen“, sagte er rigoros und untermauerte das mit einer strikten Handbewegung.
„Kein Kuscheln?“ Bill fasste sich getroffen ans Herz und verzog gespielt gekränkt sein Gesicht. „Dann gibt’s eben nur wildes Rumknutschen und harten Sex“, sagte er in emotionslosem Tonfall und unterstrich das mit einem gleichgültigen Achselzucken. Nur in den Tiefen seiner Augen zeigte sich ein spitzbübisches Grinsen, als er seine Hand ganz harmlos nach seinem Freund ausstreckte.
Andi gab einen knurrenden Laut von sich und fletschte die Zähne, während er die Decke schützend höher zog und weiter weg rückte. „Fass mich bloß nicht an!“
Jetzt lachte Bill laut auf. „So kenne ich dich ja gar nicht“, amüsierte er sich über Andis fehlende Contenance. Sonst war er in allen Lagen so beherrscht… na ja… fast immer zumindest.
Tom hingegen hing zwischen loskichern wollen und Stirnrunzeln. Er hatte das Gefühl, etwa neunzig Prozent dessen, was hier abging, zu verstehen, vielleicht sogar fünfundneunzig Prozent, und da es ganz offensichtlich war, dass er etwas verpasst hatte, versuchte er aus dem, was er wusste und dem, was er gerade beobachtete, den Rest zusammenzureimen.
„Ich hätte das Wochenende einfach zu Hause bleiben sollen,“ fing der Weißhaarige an, mit sich selbst zu sprechen und seinen Kopf über sich selbst zu schütteln. „Ich hätte faul vor dem Fernseher hängen können und mir Pizza liefern lassen können. Ich hätte meine Papiere endlich mal sortieren können oder einfach ein Puzzle puzzeln…“
„Du hast überhaupt kein Puzzle“, bemerkte Tom trocken. Er verstand noch nicht, warum Bill sein Grinsen beibehielt, während Andi tatsächlich irgendwie einigermaßen verstört wirkte.
„Ich hätte mir ein Puzzle kaufen können.“ Andi sah Tom schnippisch an.
„Stattdessen hast du Pillen gekauft“, mischte Bill sich noch breiter grinsend ein. „Wessen Idee war denn das? Und wer wollte das denn unbedingt?“ zog er seinen Freund auf. „Ich war von Anfang an dagegen, aber du warst ja nicht abzuhalten. Ich finde, wir sollten die Teufelsfrage noch mal neu diskutieren.“
„Oh. Eine Teufelsfrage hab ich auch“, hob Tom seinen Zeigefinger, als müsste er sich melden, um dran zu kommen. „Was zum Teufel ist denn eigentlich das Problem?“ Er sah Andi dabei an, doch es war Bill, der kichernd antwortete.
„Es hat ihm gefallen heute Nacht.“
„Das ist gelogen“, grummelte Andi hinter seiner Decke.
„Stimmt. Ich muss mich verbessern“, lenkte der Schwarzhaarige einsichtig ein und sah seinen Zwilling dann schmunzelnd an. „Es hat ihm mehr als sehr gefallen.“
Andi bestritt das wieder mürrisch. „Gar nicht wahr.“
Für Tom war es offensichtlich, dass Andi gerade einfach unzugänglich war, weshalb er ihn nun auch kurzerhand überging und mit Bill weiter sprach. „Natürlich hat’s ihm gefallen. Ja und? Mir hat’s auch gefallen, aber deshalb tu ich doch nicht so, als würde das nicht stimmen.“
Andi jedoch konterte lieber für sich selbst. „Für dich ist es ja auch ganz normal, mit deinem Bruder zu schlafen.“
„Definiere normal“, forderte der Blonde ihn automatisch auf, worauf Andi nur mit Augenrollen reagierte. Mit dem Wort brauchte ihm wirklich niemand zu kommen. Normalität war von ihm und seinem ganzen Leben so weit entfernt wie die Sonne vom Jupiter, dennoch glaubte er nun ungefähr zu verstehen, womit sein Freund beschäftigt war. „Es haut dich ziemlich um, dass es so geil war, hm?“ fühlte er mit ihm, während er nebenbei daran dachte, wie verwirrt er selbst in den ersten Tagen war, als er Bill kennengelernt und sich sofort in ihn verliebt hatte.
„So in etwa könnte man es ausdrücken“, seufzte Andi.
Für Bill war es einfach unmöglich, sein Grinsen aus dem Gesicht zu bekommen. „Willkommen in der schwulen Welt“, breitete er einladend seine Arme aus. Er hatte es heute Nacht schon grandios gefunden, wie Andi sich als doch nicht so hetero gezeigt hatte, und er fand es immer noch großartig. „Der Beginn einer neuen Ära“, sinnierte er übertrieben.
Der Weißhaarige stöhnte entwaffnet. „Könnten wir vielleicht mal das Thema wechseln?“ fragte er matt. „Ich bin nicht bereit für ein Willkommen in einer neuen Ära.“
„Ich weiß, was du jetzt brauchst.“ Tom klang überzeugt. Er löste sich ächzend aus seiner Position und bewegte sich nun langsam auf seinen Wahlbruder zu. „Du brauchst die Bestätigung, dass sich eigentlich nichts verändert hat“, machte er den Verständnisvollen, um mit vertrauenerweckender Miene noch näher zu kommen.
Argwöhnisch versuchte Andi dahinter zu kommen, ob dieses Verhalten einfach nur zu dem neuen Tom gehörte, den er erst seit einigen Wochen entdeckte, oder ob er es als verdächtig einordnen sollte, als er bereits körperlich überrumpelt wurde und schwungvoll nach hinten in die Kissen kippte. Eben noch diente ihm die Decke als Schutz, doch jetzt war er plötzlich so sehr in sie eingewickelt, dass seine Arme darin gefangen waren und nur noch sein Kopf und seine Beine Knie abwärts herausguckten. Er hörte Bill lachen, doch es war Toms Gesicht, das grinsend über seinem auftauchte. „Ey“, beschwerte er sich perplex, als er auch noch aktiv in diesem Kokon festgehalten wurde.
„Wäre ich jetzt an deiner Stelle, würdest du mich bestimmt, ohne zu deutlich zu werden, fragen, ob es denn schön für mich war, und ich würde wahrscheinlich zögerlich mit dem Kopf nicken und mich dafür schämen, dass ich dabei so rot anlaufe, wie du es gerade tust.“ Tom kicherte die letzten Worte, und weil er Andi gut kannte und seine spezielle Art wie ein Film vor seinem inneren Auge ablief, kamen die nächsten Sätze irgendwie ganz leicht aus ihm heraus. „Dann würdest du wissen wollen, ob ich es denn nun bereue, und ich würde immer noch nicht antworten können, aber mit dem Kopf schütteln, auch wenn es sich komisch anfühlt, aber weil du so eine Aura von Verständnis um dich hast, wäre es okay für mich, das sogar vor mir selbst einzugestehen. Auf irgendeine Art würdest du mich dann dazu bekommen, dir davon zu erzählen, wie verwirrt ich bin, weil ich von mir selbst bisher gar nicht wusste, dass ich Sex mit Männern richtig geil finden könnte – und viel schlimmer noch – weil es Männer sind, die für mich wie Brüder sind. Da klebt dieser unmoralische, perverse Inzeststempel drauf, der sich anfühlt, als wäre ich ein furchtbarer Mensch, weil ich es auch noch genossen habe. Dabei ist es egal, ob echter oder gewählter Bruder, weil es um das Gefühl geht. Ich würde dir erzählen, dass ich mich schäbig fühle und nicht weiß, wie ich jetzt mit der ganzen Situation umgehen soll, und dann würdest du an den Kern kommen und fragen, wie denn die Gefühle füreinander sind und ob sich jetzt irgendetwas daran verändert hätte. Damit würdest du mich dazu bringen, eine möglichst realistische Betrachtung der Dinge vorzunehmen, um zu erkennen, dass die Gefühle sich tatsächlich verändert haben – dass sie noch viel stärker geworden sind. Von dir käme dann ein kleiner, hingabevoller Vortrag über die Liebe, in dem du irgendein kluges Zitat einbauen würdest, so was wie ‚Die Liebe ist das höchste Gesetz von allen’, und dann würdest du mir erklären, dass doch alles gut ist, wenn alle Beteiligten sich lieb haben. Mit einem Rest an Unbehagen würde ich dir zustimmen und mich gleich viel besser fühlen. Du findest immer die richtigen Worte, so dass man sich am Ende besser fühlt, weiß du das?“ Toms Stimme war ganz weich geworden. „Aber weil ich nicht du bin, sag ich’s mit meinen Worten“, schlich sich ein vorwitziger Ausdruck in seine Augen, und er legte seinen Kopf ein wenig schief. „Wir hatten alle eine schöne Nacht mit bedeutungsvollem Sex, und weil es echt gut war, wird es auch nicht bei diesem einen Mal bleiben, also gewöhn dich lieber dran.“ Sein Lächeln war jetzt so unverschämt wie sein Tonfall, und sicherheitshalber – auch wenn er eigentlich gar nicht wusste, was er damit in Wirklichkeit bezwecken wollte – hielt er die Decke weiterhin fest um die Arme seines Freundes gezurrt.
Für einen Augenblick war Andi noch verwirrter als vorher, was mehr an dem lag, was Tom ausstrahlte, als an dem Inhalt seiner Rede, obwohl selbst die bemerkenswert untypisch für ihn war. Noch nie hatte sein Freund ihn so gespiegelt. Der Satz ‚Du hast dich so wahnsinnig verändert’ schwirrte wieder und wieder durch seinen Kopf, ohne einen Ausgang zu finden, doch es war kein störender Gedanke, vielmehr die Fortsetzung einer schon länger andauernden Verwunderung, von Faszination, einer ungläubigen, unnötigen Ängstlichkeit und stiller Freude durchzogen. Wärme staute sich unter der engen Decke, und obwohl Tom ihn nicht auf klassische Weise umarmte und er in einer eigenartigen Position feststeckte – oder vielleicht gerade deshalb – fühlte er sich von ihm unbeschreiblich gehalten. Innerlich wurde er immer ruhiger, während die Bedeutung von Toms Botschaft wie rieselnder Sand in ihn sickerte und dabei irgendetwas klärte. Alles, was sein Freund ihm gesagt hatte, machte mehr Sinn, als er es von ihm gewohnt war. Am Ende fiel ihm auf, dass diese Botschaft auf verdrehte Art ja irgendwie seine eigene war. Das ziehende Argument war die Kraft der Liebe, an die er nicht nur glaubte – er konnte sie tief in sich und um sich wundervoll spüren. „Mann, bin ich gut“, grinste er plötzlich befreit.
Tom und Bill prusteten gleichzeitig los, und auch Andi musste jetzt lachen.
„Ist das Kuschelverbot wieder aufgehoben?“ wollte der Schwarzhaarige wissen.
„Als ich das ausgesprochen habe, war ich nicht ganz bei mir.“ Andi lächelte ein leicht verschämtes Lächeln.
„Gut. Ich hätte das eh nicht akzeptiert“, lächelte Bill zurück.
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Natürlich hatte Bill Tom über das Gespräch mit Lilith ausgefragt, sobald Andi das Schlafzimmer verlassen hatte, und selbstverständlich war Tom dabei an den Punkt gekommen, dass er seinen Zwilling zur weiteren Klärung all seiner Fragen an seine Freundin verwiesen hatte. Jetzt waren Lilith und Bill im Schlafzimmer. Bill föhnte ihr ihre langen Haare, während sie Rede und Antwort stehen musste, und Andi gönnte sich eine lange, heiße Dusche.
Tom nutzte die Situation, um sich zurückzuziehen und einfach mal eine Runde allein zu sein. Er holte sich eine seiner Gitarren und setzte sich mit ihr in eine Sofaecke ins Wohnzimmer. Ein paar Minuten lang musste er über all das Gesprochene noch nachdenken, doch dann brachte ihn die Beschäftigung mit seinem Instrument langsam zum Abschalten, und seine Gedanken verloren sich im Reich seiner selbsterschaffenen Klänge. Erst als Andi sich irgendwann zu ihm setzte, tauchte er wieder auf.
„Aah … ich fühle mich wieder halbwegs wie ein Mensch“, beschrieb der Weißhaarige genüsslich seinen Zustand, während er an seinem Sweatshirt nach dem Eingang suchte. Von seinen Kopfschmerzen war nichts mehr übrig, und das unangenehme Ziehen und Zwicken irgendwelcher Teile innerhalb seines Körpers hatte sich auf ein erträgliches Maß reduziert. Seine Psyche erholte sich ebenfalls kontinuierlich von den glückraubenden Nachwirkungen der Droge.
Toms Finger glitten weiter über die Saiten, als er seinem Freund beim Überziehen des Pullis betrachtete. Sein Blick wurde dabei so lange auf dessen Handgelenke gezogen, bis sie beide mit Stoff bedeckt waren. Er hörte auf zu spielen, griff nach Andis rechtem Arm und schob den Ärmel bis auf die Hälfte des Unterarmes wieder hoch. „Wie geht’s dir damit?“ fragte er, während er den roten Streifen untersuchte, der noch ganz deutlich das Handgelenk wie ein eingewachsenes Armband umschlang. Der Schorf hatte sich schon länger von der Wunde gelöst, doch auf Andis blasser Haut sahen die Spuren der Fesslung noch immer aus wie eine deutliche Warnung.
„Es tut nicht weh, aber ich versuche, möglichst nicht hinzusehen.“ Hinsehen war Erinnerung, und die war durchaus schmerzhaft. Andi wusste, dass Tom unter diesen Wunden wahrscheinlich sogar mehr litt, als er selbst, doch er widerstand dem Drang, ihm seinen Arm zu entziehen. Vielleicht war es ja gut für seinen Wahlbruder, zu sehen, dass es überhaupt besser wurde, wenn auch lange nicht in dem Tempo, das er gewohnt war.
Andi brauchte seine Antwort nicht ausführen. Der Blonde verstand sehr genau, was seine Worte bedeuteten. Er empfand es als furchtbare Ungerechtigkeit, dass sein Freund diese Zeichen tragen musste und er selbst nicht. „Glaubst du, es gibt eine Chance, dass es irgendwann ganz verheilt und nichts mehr zu sehen ist?“ Er kannte sich zu wenig mit gewöhnlicher Wundheilung aus, um eine Einschätzung dafür vornehmen zu können.
„Ich weiß es nicht“, konnte Andi das jedoch auch nicht beurteilen. „Ich hoffe es aber.“ Es war jedoch keine große Hoffnung, die er hatte. Die Einschnitte waren tief genug gewesen, um begründete Zweifel an einer vollständigen Heilung zu hegen. Da konnte sein ihm innewohnender Optimismus auch nichts Großartiges ausrichten.
„Ja. Das hoffe ich auch“, seufzte Tom. Der Gedanke, es würden dauerhafte Narben sichtbar bleiben, war unschön quälend, und er wünschte, er hätte die Macht, sie einfach verschwinden zu lassen, so wie es bei ihm selbst immer wie von Geisterhand geschah – und auf einmal kam ihm eine verrückte Idee. „Wenn man sich eincremt, zieht die Creme doch in die Haut ein und wirkt dann unter der Oberfläche, oder?“ vergewisserte er sich.
„Äh, ja … ich denke schon“, reagierte Andi spontan.
„Was, wenn wir ein wenig Creme mit meinem Blut vermischen und hier einreiben?“ Tom strich mit seinem Zeigefinger über die rote Linie und sah Andi dann in die Augen. „Wenn es mir hilft, dann hilft es dir vielleicht auch“, unterbreitete er seine Überlegung.
Etwas im Weißhaarigen scheute zurück. „Blut?“ Der Gedanke löste etwas Ekel in ihm aus.
Tom nickte. „Einen Versuch wäre es wert. Findest du nicht?“
Zögerlich dachte Andi nach. Bei genauer Betrachtung war Toms Vorschlag wirklich interessant. Viel Blut wäre für so ein Experiment nicht nötig – ein paar Tropfen. Das konnte er annehmen. „Ja, einen Versuch ist es wert“, stimmte er zu, und kaum hatte er das gesagt, sprang sein Freund auch schon auf und steuerte zielstrebig die Küche an.
Lilith und Bill kamen gerade aus dem Schlafzimmer, als Tom ihnen, mit Messer und Papiertüchern bewaffnet, fast in die Arme rannte.
„Oh. Gut. Zu euch wollte ich gerade“, stoppte der Blonde seinen Lauf. „Ich brauche eine Creme, die besonders schnell einzieht“, sah er die Zwei abwechselnd an, wissend, dass beide sicherlich sofort ein geeignetes Produkt im Kopf haben würden. Da Bill sofort nach dem Warum fragte, erklärte er es in einem Satz, und kurz danach versammelten sie sich – jetzt zusätzlich mit Bills kostbarster Hautcreme ausgestattet – um Andi herum.
Es wurde entschieden, nur den rechten Arm zu behandeln, um später einen Vergleich mit dem linken anstellen zu können, und während Andi eine Cremeschicht auf seine geschändete Hautpartie auftrug, fügte Tom sich mit der Klinge des scharfen Küchenmessers eine kleine Wunde an der Innenseite seines linken Unterarmes zu, tief genug, um ausreichend Blut herausquellen zu lassen und es anschließend auf dem vorbereiteten Handgelenk sanft einzumassieren.
Nicht zum ersten Mal beobachtete Lilith diese drei jungen Männer dabei, wie sie miteinander umgingen, wie fürsorglich sie füreinander waren und welch unerschütterliche Einheit sie bildeten – ein Bild, das in den letzten Wochen zunehmend bewirkt hatte, dass sie sich ausgeschlossen fühlte. Heute jedoch – und auch schon in der Nacht zuvor – bedrängte sie dieses Gefühl nicht mehr. Es war seit ihrem Gespräch mit Bill wie weggeblasen. Vielmehr hatte dieses Wochenende sie in all seinen Facetten spüren lassen, dass sie nicht nur Freundin oder Anhängsel dieser kleinen, ungewöhnlichen Familie war, sondern ein Teil von ihr – ein gleichberechtigter Teil, ebenso wichtig wie jeder Einzelne der drei Anderen. Diese Erkenntnis stellte ihr angeknackstes Selbstbewusstsein wieder her, und ihr Herz lief momentan wie auf Wolken. „Wenn ihr drei Brüder seid … was bin ich denn dann für euch?“ überlegte sie laut. Wie eine Schwester empfand sie eigentlich für keinen der Dreien, und erst recht nicht wie eine Mutter oder Tante oder so was.
„Du bist das Lustobjekt“, reagierte Tom leicht schmunzelnd und sah nur kurz von seinem Tun auf, um ihr einen unverschämten Blick zuzuwerfen.
„Kommt von dem, der sich nicht traut, es anzufassen“, kicherte Lilith in das Gelächter von Bill und Andi hinein. Mit der zugewiesenen Rolle war sie vollkommen einverstanden. So, wie Tom das Wort Lustobjekt benutzte, hatte es nichts Abwertendes, ganz im Gegenteil – es schmeichelte ihr.
„A propos anfassen“, meldete Andi sich zu Wort und sah zwischen Lilith und Bill hin und her. „Gibt es eine Geschichte zu dem Anmachtanz, den ihr gestern vorgeführt habt? Was war das?“ Die Frage wollte er schon loswerden, seitdem er die Zwei hat tanzen sehen. Er hielt seinen Arm, den Tom aus seinen Händen entlassen hatte, jetzt etwas hoch, damit das Gemisch auf seinem Handgelenk ungestört noch ein wenig einziehen konnte.
„Das war kein Anmachtanz. Das war der Eindrucktanz“, protestierte das Lustobjekt. „Damit wollte ich Eindruck schinden … und Bill war das arme Opfer, das mitmachen musste.“ Lilith ließ ihr klares, helles Lachen erklingen.
Das arme Opfer nickte grinsend. „Als Lilith ihr Abi in der Tasche hatte, gab es diese Abiparty, zu der weder Lehrer noch Eltern eingeladen waren. Diese Party war Tradition an ihrer Schule, und Lilith wollte unbedingt an diesem Abend erreichen, dass die komplette Aufmerksamkeit aller für einige Minuten ganz auf sie gezogen wird. Über ein halbes Jahr hat sie mich in jeder freien Minute dazu gezwungen, diesen Tanz mit ihr zu üben. Ich glaube, dafür hat sie mehr gebüffelt, als für ihr Abi – und ich mit ihr.“ Bill grinste noch breiter. Es war eine schöne Erinnerung an eine anstrengende Zeit.
„Das halbe Jahr brauchten wir aber auch. Bill hat ewig gebraucht, um seine Bewegungen endlich mal geschmeidig hinzubekommen. Ein Wunder, dass er zu der Zeit schon Aufträge für Catwalks hatte“, lästerte Lilith liebevoll.
„Das Wunder heißt Sexappeal, Schatz.“ Bill lächelte seine Freundin überlegen an. „Davon hatte ich damals schon massig.“
„Ja, ja“, winkte Lilith augenrollend ab. „Jedenfalls habe ich am Ende mein Ziel erreicht. Wir waren Hauptgesprächsthema. Mehr wollte ich ja gar nicht.“
„Das Ziel hättest du auch erreicht, wenn du da einfach nackt aufgetaucht wärst … ganz ohne mich sechs Monate lang zu foltern“, bemerkte der Schwarzhaarige.
Wieder lachte Lilith. „So hat’s doch viel mehr Spaß gemacht.“
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Müde schlurfte Tom die Treppe nach oben. Endlich Feierabend. Viel Schlaf hatte die letzte Nacht nicht zu bieten gehabt, für keinen von ihnen. Andi war in den frühesten Morgenstunden zurück nach Magdeburg aufgebrochen, und er selbst war kurz vor Bill und Lilith gegangen, denen der Schlafmangel nicht weniger als ihm selbst anzusehen gewesen war. Als er seinen Haustürschlüssel aus seiner Hosentasche zog, klingelte sein Handy. Er ging ran, während er die Wohnungstür aufschloss. „Hallo?“ – „Hi, ich bin’s“, hörte Tom, und dann fing Andi an zu weinen. „Was ist passiert?“ fragte er sofort alarmiert.
„Nichts ist passiert“, schluchzte der Weißhaarige durch seine Tränen hindurch. „Ich lieb dich nur so sehr.“ Toms Stimme hatte seine Gefühle überfließen lassen. Er war gerade so voll von Hoffnung und Freude, dass es schon fast zu viel war. Das musste dringend geteilt werden, damit er nicht daran zerplatzte. „Ich bin heute nach der Uni direkt eingeschlafen und gerade erst wieder aufgewacht“, schniefte er, doch seine Aufregung war auch durch seine belegte Stimme hindurch nicht zu überhören. „Mein Arm …“ Wieder überfielen ihn seine Gefühle, und sein Weinen verhinderte in den nächsten Sekunden, dass er weitersprechen konnte.
Ungewisse Sekunden für Tom, der ungeduldig darauf wartete, dass sein Freund sich wieder ein wenig beruhigte.
„Es funktioniert, Tom. Auf meinem rechten Arm ist die Wunde nur noch halb so rot wie auf der linken Seite, und sie ist nicht mehr so tief. Ich bin so erleichtert und so glücklich“, klärte Andi seinen Bruder endlich auf. Er konnte gar nicht beschreiben, wie erleichtert und wie glücklich er war, weil seine Tränen erneut das Kommando übernahmen. Es war einfach zu viel Glück auf einmal.
Bei Tom kam diese gute Nachricht mit ebenso einer Erleichterung an, wie Andi sie durch den Hörer schickte. Erschöpft lehnte er sich an die Wand im kleinen Flur und kämpfte nun auch mit den Tränen, dennoch schafften es seine Lippen, ein Lächeln zustande zu bringen. „Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, lasse ich dich in meinem Blut baden“, seufzte er liebevoll.
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RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 01.01.2011 15:15von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
Danke, Charlotte
Du überrascht mich gerade mit deinem Posty. Ich dachte, schäfchen wäre inzwischen meine einzige Leserin.
Und es freut mich echt, dass dir dieses Kapitel gefällt, weil ich selbst dazu nämlich ein ganz komisches Gefühl hatte... also keines, das ich irgendwie beschreiben könnte^^ ... aber ich war irgendwie unsicher, nachdem ich es fertiggestellt hatte, was das denn nun geworden war.


RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 09.01.2011 19:38von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
~ 28. Kapitel ... Teil 1 ~
„Kopenhagen“, schüttelte Bill ungläubig den Kopf und fing sofort wieder an zu lachen, und auch Tom prustete erneut mit los. Es war nicht das erste Mal, dass sie heute den Stadtnamen aussprachen und dabei lachen mussten. Er war zum Running Gag der letzten Stunden geworden, und jetzt, nachdem sie gelandet waren, war er irgendwie sogar noch lustiger. Als sie nun am Gepäckband des Flughafens darauf warteten, dass ihre Koffer darauf auftauchten, waren sie müde und überdreht.
Als sie vor etwa vierzehn Stunden in Berlin ihr erstes Flugzeug bestiegen hatten, hatten sie keine Ahnung, wo sie am Ende landen würden. Bei ihrem ersten Anflug auf Nizza heute Vormittag, war das Mittelmeer so anziehend unter ihnen aufgetaucht, dass sie ihren viel zu kurzen Aufenthalt dafür genutzt hatten, ein Mal schnell zum Steinstrand zu kommen, zwischen den Palmen hindurchzulaufen und ihren Blick über die Weite des Meeres zu schicken. Im Gegensatz zum kalten Winter in Deutschland, waren ihnen die zwölf Grad Lufttemperatur dort vorgekommen, als wären sie einfach mal unerwartet in den Frühling gefallen. Der Regen in Brüssel am Nachmittag war dagegen nicht sehr einladend gewesen. Während ihrer Wartezeit waren sie dort zum Essen einfach im Gebäude geblieben und hatten zum ersten Mal über Kopenhagen gelacht, nachdem sie herausgefunden hatten, dass das ihr Endziel sein würde.
Das heutige Spiel hieß: Gehe zum Flughafen und steige in den ersten Flieger, in dem noch Platz ist – egal wohin es geht – und wiederhole diese Prozedur dann noch zwei weitere Male … dann such dir einen Schlafplatz. Dieses Spiel hatte den Zweck, Verwirrung zu stiften, ihre Verfolger auf Trab zu halten und die Aufmerksamkeit möglichst ganz auf sich zu lenken. Selbst wenn es der Geheimdienst mit all seinen zur Verfügung stehenden Mitteln war, der ihnen an den Fersen haftete, waren Bill und Tom sich relativ sicher, dass sie durch ihr Flugspielchen – das wirklich mehr als reibungslos gelaufen war – zumindest einen kleinen Vorsprung erreicht hatten. Wenn sie selber schon nicht wussten, in welches Hotel sie am Ende einchecken würden, dann konnte selbst der Geheimdienst nicht vor ihnen dort sein.
Erleichtert entdeckten sie ihr Gepäck und hoben es vom Band. Dass ihre Sachen bei dem Zickzackkurs nicht verloren gegangen waren, werteten sie als gutes Omen – und das konnten sie wieder einmal wirklich gebrauchen. Heute war der fünfundzwanzigste Dezember – für die meisten Menschen der christlichen Welt ein Feiertag, den sie mit ihren Familien verbrachten – für die Zwillinge war es der Tag, in den sie in den letzten Wochen fast jede freie Minute investiert hatten, auf den sie alle hingearbeitet hatten. Es hatte weitere aufwühlende Treffen mit Karl und anderen gegeben. Auch wenn sie nun wussten, dass dessen Name eigentlich Andreas war, nannten sie ihn weiterhin Karl. Von ihm hatten sie eine uralte Adresse der Schwester ihrer Mutter bekommen. Es war unerwartet leicht gewesen, dadurch ihren jetzigen Wohnort auszumachen, und vor vier Tagen hatte es tatsächlich eine Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit ihr gegeben, die für alle Beteiligten sehr emotional verlaufen war.
Die alberne Stimmung, in der Bill und Tom seit ihrem Aufenthalt in Brüssel steckten – und mit der sie auf dem Flug nach Kopenhagen ihre Umgebung genervt hatten - war purer Selbstschutz. Das hielt sie davon ab, sich mit den vielen anderen Gefühlen zu beschäftigen, die sie damit zu überspielen versuchten. Diese Reise hatte mit Erholung nichts zu tun – das war von vornherein klar gewesen. Dank der mittelmäßigen Deutschkenntnisse ihres Taxifahrers, hatte Bill die Möglichkeit, ihm seine Ansprüche an die Unterkunft, zu der er sie bringen sollte, zu verdeutlichen, und so landeten sie nach etwa zwanzigminütiger Fahrt im Marriott Hotel. Als die Tür ihres Zimmers hinter ihnen zuschnappte, fiel die Albernheit von ihnen ab wie reifes Obst.
„Wie spät ist es?“ wollte Bill wissen, noch während er seinen Koffer an einen freien Platz rollte.
Tom sah an seinem Handgelenk nach. „Einundzwanzig Uhr vier“, las er genau vor. Sie hatten sehr viel weniger Zeit für ihre Flüge gebraucht, als sie gedacht hatten. „Du kannst also noch locker anrufen“, sagte er, doch da hatte Bill bereits gewählt und hob sein Handy ans Ohr.
„Hi. Wir sind in Kopenhagen gelandet“, verkündete der Schwarzhaarige seinem Freund in Magdeburg und setzte sich auf die Bettkante. Es war das erste Mal heute, dass ihm bei dem Stadtnamen nicht danach war, loszukichern, aber es war schon erleichternd, dass er noch mal mit Andi sprechen konnte, bevor der sich zusammen mit Micha, Luka, Marcello und einer Hand voll unbekannter Krimineller in Gefahr begeben würde. Seine Sorge um das Wohl seiner Freunde war jetzt schon nicht gut zu ertragen, doch in wenigen Stunden würde sie ihn ganz sicher in den Wahnsinn treiben.
Tom gefiel es ebenso wenig wie Bill, dass ihre Freunde für sie die Drecksarbeit machten, doch sie hatten ihren Plan lange durchdiskutiert, und immer wieder waren sie an den Punkt gekommen, dass es sicherer für ihre Freunde war, wenn sie nicht in ihrer Nähe waren heute Nacht. Das Einzige, das sie tun konnten, war möglichst viele Leute auf sich selbst zu lenken und hoffen, dass alles gut gehen würde. Das war recht unbefriedigend. „Bin gleich wieder da“, flüsterte er seinem Engel zu und machte sich noch mal auf den Weg ins Erdgeschoss zur Rezeption. Es gab ein hoteleigenes Fitnesscenter, über das er sich informieren wollte. Sicherlich würde er das noch zum Stressabbau gebrauchen können. Als er zurückkam, kämpfte Bill gerade damit, sich von Andi zu verabschieden. Tom konnte fühlen, wie schwer es ihm fiel. Er zog seine Schuhe aus und krabbelte hinter seinen Bruder aufs Bett, streckte seine Beine neben seinen und schlang liebevoll seine Arme um Bills zarten Oberkörper. Vorsichtig legte er sein Kinn auf dessen Schulter ab.
Inzwischen hatte Bill sich eigentlich ganz gut daran gewöhnt, sich von Andi zu verabschieden, doch jetzt war es schlimm, zumal er immer noch das Gefühl hatte, dass die Aktion falsch herum ablief – Andi und die Anderen sollten lieber in Sicherheit in diesem Hotel sitzen, nicht er und Tom – aber er war Realist genug, um zu sehen, dass das einfach sehr unrealistisch war. Aus Furcht, seinen Freund noch mal verlieren zu können, klammerte sich seine Hand fest um das flache Handy. Er hätte ihm so gern so viele Dinge gesagt, bei denen er sich auf die Lippe biss, um nichts zu verraten. Seitdem Tom und Andi auf scheußliche Weise herausgefunden hatten, dass sie noch immer überwacht wurden, achteten sie sehr darauf, dass sie am Telefon nichts sagten, was nicht auch der Feind hören durfte, so verkniff Bill sich selbst das dringliche ‚Passt auf euch auf’, das er seinem Wahlbruder, der sich nicht davon abhalten lassen hatte, die Anderen begleiten zu wollen, hinüberrufen wollte. Es war ein wahrer Kraftakt, nach der fünften oder sechsten Verabschiedung, seinen Daumen gegen seinen Willen dazu zu bewegen, die Taste zu drücken, die die Verbindung beendete, und als er es geschafft hatte, sackte sein Körper ein Stück tiefer in Toms auffangende Umarmung. Er wusste, was nun folgte. „Jetzt sind wir zum Nichtstun verdammt“, murmelte er, und ihm war anzuhören, dass das für ihn so ziemlich die Höchststrafe war. Unwillkürlich erinnerte er sich an seinen ewig andauernden Rückflug von Los Angeles vor fast zwei Monaten, als er vor Sorge um Tom und Andi fast wahnsinnig geworden wäre und nichts weiter hatte tun können, als hilflos die Landung abzuwarten. Hilflosigkeit war ein Zustand, der ihn besonders hart forderte – viel zu oft und viel zu lange hatte er dieses kräftezehrende Gefühl bereits aushalten müssen, doch man gewöhnte sich nicht daran. Jedes Mal fand es einen Weg, seine Angst und seine Verzweiflung neu zu gebären. Nun darauf warten zu müssen, dass dieses Gefühl ansteigen und sich bis zur Unerträglichkeit hochziehen würde – und dass das passieren würde, war sicherer als der nächste Atemzug – war für ihn nur denkbar, weil sein Wesen, dessen wundervoller, beruhigender Duft ihn mit umhüllte, hier bei ihm war.
Mit einer selbstverständlichen Bewegung nahm Tom Bill das Handy aus der Hand und legte es zur Seite. „Ich muss dir erstmal etwas ganz Wichtiges sagen, bevor ich vergesse, wie es geht.“ Schon den ganzen Weg zurück in dieses Zimmer, hatte er den vorhin erlernten Satz wie ein Mantra in seinem Kopf wiederholt. Nun versuchte er, sein Gefühl in die ungewohnten Worte zu bringen und schloss dabei seine Arme wieder fester um seinen Liebsten. „Jeg elsker dig, min Angel“, flüsterte er in dem Tonfall, den er auch benutzt hätte, hätte er es in Deutsch gesagt.
Auch wenn Bill kein einziges Wort Dänisch konnte, verstand er die Bedeutung sofort, und entgegen seiner Grundstimmung musste er lächeln. Tom war niedlich. „Sag das noch mal“, bat er. Sein Engel tat ihm den Gefallen mit honigsüßer, melodischer Stimme, die von warmem Atem begleitet wurde. Bill konnte ihn als beruhigendes Streicheln an seiner Wange fühlen. Er verdrehte seinen Hals, um seinem Zwilling in die Augen sehen zu können. „Von wem hast du das? Von der Frau, die uns an der Rezeption begrüßt hat?“
„Jette heißt sie.“ Der Blonde nickte zustimmend. „Ich weiß jetzt auch, was ja, nein und danke auf Dänisch heißt – ja, nej und tak“, stellte er es gleich unter Beweis. „Wenn ich jetzt noch wüsste, was ‚zieh dich aus’ heißt, wäre ich komplett für dieses Land gerüstet, aber das mochte ich Jette dann doch nicht fragen“, kräuselte sich ein kleines Grinsen auf seinen Lippen. Wäre Jette jünger gewesen, hätte er das vielleicht sogar gemacht, doch durch die Tatsache, dass sie vom Altersunterschied locker seine Mutter hätte sein können, und da er weder sie noch sich selbst in Verlegenheit hatte bringen wollen, hatte er es bleiben lassen. Er küsste Bill zart auf den Mund, bevor der seinen Kopf wieder erschöpft an seiner Schulter anlehnte. Nun, da er seine kompletten Dänischkenntnisse losgeworden war, nahmen seine Gedanken sofort wieder das Thema des Tages ein. „Wie war Andi eben drauf?“ wollte er wissen und warf automatisch noch einen Blick auf die Uhr. Der Trupp aus Berlin müsste jetzt schon auf dem Weg sein. Ein unangenehmes Kribbeln wanderte aufgeregt durch seinen Magen.
„Verdächtig fröhlich“, beschrieb Bill nachdenklich. „Ich glaube, er hat damit seine Angst überspielt, damit ich sie nicht mitbekomme.“ Er seufzte. Andi hatte den schwierigsten Part von allen, und das schmeckte ihm ganz und gar nicht. „Noch könnten wir sie anrufen und alles abblasen“, stellte er mit dem wachsenden Gefühl, genau das tun zu sollen, fest. Ihre Freunde nahmen ein viel zu großes Risiko für sie in Kauf. Wenn irgendetwas schief ging – er wusste nicht, wie er damit leben könnte.
Tom ging es mit dem Thema nicht anders. Er unterdrückte das spontane ‚Sollen wir?’, das ihm auf der Zunge lag, und den Reflex, nach dem Handy zu greifen – außerdem war die Sache mit dem Abblasen nicht so einfach, wie es klang. „Ich glaube, wir haben unsere letzte Chance verpasst, als wir in den letzten Flieger gestiegen sind. Jetzt können wir es gar nicht mehr rechtzeitig zurück schaffen, obwohl wir nicht weit weg sind“, seufzte auch er nun. „Sie sind schon unterwegs und sie sind entschlossen. Wir haben das schon zu oft diskutiert, als das wir jetzt noch einen von ihnen zum Umkehren bewegen könnten. Ich denke, unsere Macht darüber endet hier, Engel.“ Er sprach das absolut nicht gern aus, aber das war gerade die Realität. Es machte es nur schlimmer, sich etwas zu wünschen, was nicht mehr im Bereich des Möglichen lag.
Diese Realität riss schmerzhaft an Bills Herz. Machtverlust. Das führte zu Kontrollverlust und am Ende zum Verlust seines Verstandes, und es begann genau jetzt. „Ich will zurück“, wimmerte er leise mit dem pathologischen Gefühl, seine Freunde nie mehr wiederzusehen. Sie hätten nie, niemals diesen schwachsinnigen Plan entwickeln dürfen. Sie hätten es nicht aussprechen dürfen, geschweige überhaupt daran denken dürfen. Er war sich sicher, dass etwas Furchtbares, Tragisches passieren würde – etwas, was er sich selbst niemals verzeihen können würde. Verzweiflung bohrte sich brutal durch seine Eingeweide.
Bills übersteigerte Gefühle fuhren mit Wucht in Toms eigene, angekratzte Verfassung, und für einen Moment neigte er stark dazu, mit in diesen Strudel aus gefühltem Tod und Verderben fallen zu müssen, doch dann erhob sich daraus sein Beschützerinstinkt wie ein mächtiger Krieger und zog sein Schwert. „Wir können sie nicht mehr aufhalten, aber wir können ihnen helfen, indem wir hier bleiben, und indem wir an sie glauben, Engel“, redete er beruhigend auf seinen Zwilling ein und fing an, über dessen Unterarm zu streicheln. „Sie werden gegenseitig aufeinander aufpassen. Luka spürt bestimmt vor allen Anderen, falls etwas in der Luft liegen sollte, und Micha allein bringt so viel Muskelmasse und Umsicht mit wie drei Männer, außerdem bringt ihn absolut nichts aus der Ruhe. Die Typen, die Karl aufgetrieben hat, haben Ahnung und Erfahrung. Wir wissen, dass er uns niemanden angeschleppt hat, der den Plan untergraben will oder so. Das hat Luka doch alles abgeklopft. Wir können sie unterstützen, indem wir daran denken, dass wir ihnen vertrauen können, und indem wir nicht verzweifeln, sondern unsere ganze Gedankenkraft darauf lenken, dass alles gut ausgeht. Wir sind nicht ganz machtlos, mein Engel. Überleg mal, wie wir uns ohne es zu wissen gegenseitig geholfen haben, als wir noch nicht mal voneinander wussten, und als ich mit Andi zusammen … da war ich nicht der Einzige, dem deine Anwesenheit die Kraft gegeben hat, das durchzustehen. Er konnte dich auch spüren. Da bin ich mir sicher.“ Seine Redepause dauerte nur einen längeren Atemzug. „Wenn die Menschen, die wir lieben, spüren können, wenn wir intensiv an sie denken, dann können wir sehr viel für sie tun. Sie werden es schaffen, Bill. Andi weiß ganz genau, worauf er achten muss. Du solltest ihm vertrauen, dass er alles dafür tut, dass sie heil wieder herauskommen. Das gilt für alle. Und falls doch ein Bösewicht auftauchen sollte, erschießt Marcello ihn versehentlich“, versuchte er am Ende einen Witz zu machen, der überhaupt nicht lustig war, wie ihm erst auffiel, nachdem er ihn ausgesprochen hatte. „Sorry. Das war nicht gut“, fügte er deshalb direkt an.
„Doch, war es“, widersprach Bill. Ihm war zwar nicht zum Lachen zumute, doch all das, was Tom gesagt hatte, war wie eine Anleitung zum Nichtverzweifeln. Sein Bruder hatte Recht. Sie konnten etwas tun – nicht so viel, wie Tom ihm glauben machen wollte, aber immerhin etwas. Das war so viel mehr als nichts, dass es nach frischer Hoffnung roch. Falls er wirklich mit seinen Gedanken irgendetwas bewirken konnte, und wenn es nur ein Hauch war, dann wollte er sein Bestes geben, um seinen verschwindend geringen Teil beizutragen. Als erste Handlung seiner neuen Aufgabe verbot er sich selbst, Gedanken zu haben, die seinen Freunden schaden könnten und sie gegen solche zu ersetzen, die mit Zuversicht und überdimensionalem Optimismus ausgestattet waren – und er beschloss, so lange daran zu üben, bis er an diese positiven Gedanken glauben würde, als wären sie die einzige Wahrheit. „Sie werden ohne Probleme da reinmarschieren, niemand wird davon etwas mitbekommen, und es wird das reinste Kinderspiel für sie werden.“ Er fing gleich an, sich etwas Gutes einfallen zu lassen. „Nicht wahr, Tom?“ suchte er allerdings nach Unterstützung. Das Gerüst, auf das er stieg, war noch sehr wackelig.
„Ja, genau so ist es. Alles wird viel, viel besser als erwartet laufen“, war Tom mit ihm auf dem selben Weg. Er war erleichtert, dass Bill sich so gut hatte auffangen lassen. Wenn sie am gleichen Strang zogen, wurden ihre Erfolgschancen nicht nur verdoppelt – zusammen konnten sie eine Kraft entwickeln, die darüber hinausging. Dankbarkeit darüber, dass sie in dieser Situation nicht getrennt voneinander waren, beschwichtigte sanft und unablässig sein Gemüt. Er küsste zärtlich in Bills Halsbeuge. „Zieh dich aus und leg dich hin. Ich will dich massieren, Engel.“ Das forderte er aus zweierlei Gründen. Zum einen würde es seinem Liebsten helfen, sich zu entspannen, und zum anderen hätte er selbst damit etwas, das ihn beschäftigte, während er das Potential von Visualisierung erforschen würde.
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In dem Augenblick, in dem die Zwillinge von Lilith erfuhren, dass der Plan nicht nur nicht funktioniert, sondern den Supergau ausgelöst hatte, versteinerte Bill von außen nach innen. Zuerst verschwand die Wahrnehmung für die Umgebung. Luka und Micha in Untersuchungshaft! Dann schwand die Fähigkeit, seinen Körper zu bewegen. Marcello! Tot! Sein Herz zerfiel mit einem grausamen Schrei. Andi! Er verlor die Verbindung zu Tom. Andi war tot! Bill spürte in seiner unermesslichen Ohnmacht nichts mehr, außer einem vagen, wahnsinnig weit entfernten Gefühl einer vielleicht möglichen Existenz…
…
…
…
…
…
…
…
…
…
…
…
…
…
…
„Bill!“
Es gab nur diese Stimme. Sie lag dumpf und weit weg hinter einem Vakuum, doch sie schien ihn erreichen zu wollen. Er lauschte in die Dunkelheit hinein…
„Engel!“
Die Stimme wurde eindringlicher, kam näher. Da war plötzlich ein Arm – und eine Hand auf diesem Arm. Irgendetwas rüttelte.
„Bill. Hörst du mich?“
Das war Toms Stimme – direkt neben ihm. Bill nahm wahr, dass es sein eigener Arm war, an dem gerüttelt wurde, und das ging ihm augenblicklich an die Nerven. Er wusste nicht warum, aber eine starke Abwehr sträubte sich vor der Außenwelt, die ihn von diesem Ort weglocken wollte. Gegen seinen Willen schwand die schützende Dunkelheit jedoch kontinuierlich. Er blinzelte. Tageslicht stach in seinen Augen, und als er das Gesicht seines Zwillings entdeckte, fiel ihm mit einem Schlag alles wieder ein. Erneut überkam ihn ein Zustand des Schocks. Schwer nach Luft ringend, setzte er sich auf, und obwohl Sauerstoff seine Lungen erreichte, blieb das Gefühl, ersticken zu müssen.
„Ruhig atmen, Engel. Ich bin’s nur.“ Tom sprach besänftigend mit ihm und legte wieder vorsichtig seine Hand auf Bills Arm. „Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken. Alles ist gut. Du hattest einen schlimmen Traum.“ So überfordert wie sein Bruder aussah, war er sich nicht sicher, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, ihn zu wecken, auch wenn er eben noch ganz anderer Meinung gewesen war.
Bill fand zu einer flachen, schnell flatternden Atmung. Traum? Hatte er geschlafen? Ein Zweifel überprüfte innerhalb einer Sekunde die Möglichkeiten. Vielleicht … vielleicht war er kurz weggetreten gewesen, aber er hatte doch nicht geschlafen. Verwirrt blickte er sich im Hotelzimmer um. Alles sah noch genau so aus wie es vor ein paar Minuten auch ausgesehen hatte, bevor Lilith angeru… – Moment mal. „Oh nein. Sie ist ja jetzt ganz allein. Wir müssen zu ihr“, keuchte er und sprang mit wieder anwachsender Panik aus dem Bett.
Reaktionsschnell hechtete Tom hinter ihm her. Es war weder zu übersehen, noch zu überhören, dass Bill noch so in seinem Traum gefangen war, dass er ihn noch nicht als solchen erkannte. Tom hielt ihn an den Schultern fest. „Sieh mich an, Engel. Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst. Es war ein Traum!“ versuchte er ihm abermals begreiflich zu machen.
Der Schwarzhaarige schüttelte ungläubig den Kopf. Nein. Das, was er spürte und gesehen hatte, war viel zu real für einen Traum. „Aber Lilith … du hast sie doch gehört! Du hast doch mit ihr gesprochen!“ verteidigte sich sein Gefühl. Er verstand nicht, warum Tom angesichts der Lage so ruhig bleiben konnte.
„Nein. Ich hab nicht mit ihr gesprochen. Das musst du geträumt haben“, arbeitete Tom weiter daran, ihn in die Realität zurückzuholen. „Guck hier.“ Er schwenkte seinen Linken Arm vor Bills Gesicht und hielt ihm seine Uhr vor die Nase. „Es ist noch vor der verabredeten Zeit. Sie hat noch gar nicht angerufen.“
Toms Argumente besaßen eine gewisse Überzeugungskraft. „Sie hat noch gar nicht angerufen?“ wiederholte Bill zweifelnd, während er versuchte, die Kluft zwischen dem, was er empfand und dem, was sein Zwilling ihm zu erklären versuchte, zu überbrücken. Toms bestätigendes „Nein, hat sie nicht“, kam so direkt bei ihm an, dass es unmöglich war, ihm keinen Glauben zu schenken, doch minderte es den rasenden Schlag seines Herzens nicht so, wie diese Erkenntnis es hätte tun sollen, denn er war sich noch immer sicher, dass er nicht geschlafen hatte. Wenn es kein Traum war und auch gar nicht passiert ist … aufs Neue überdachte er den Ist-Zustand … und nun fiel ihm auf, dass er eben im Bett liegend zu sich gekommen war. Das passte überhaupt nicht. Als Lilith angerufen hatte, da stand er nämlich neben dem Bett, so wie jetzt auch, und von dem Punkt hatte er sich auch nicht mehr wegbewegt. Da war er sich absolut sicher. Und Tom hatte neben ihm gestanden, genau wie er es jetzt tat. Das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben, verdichtete sich schlagartig, als die Melodie seines Handys erklang und ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass sein Traum wirklich kein Traum gewesen war – es war eine Vision! Starr vor Angst beobachtete er, wie Tom sich umdrehte, sich mit einem Bein auf das Bett kniete, sich vorbeugte und reckte, um mit der rechten Hand das Handy zu greifen … ganz genau so, wie er es schon ein Mal gesehen hatte, vor wenigen Minuten erst, aus genau dem gleichen Blickwinkel.
‚Schatz’ las Tom auf dem Display und spürte die Aufregung, die plötzlich durch seine Adern tobte. „Der Anruf, auf den wir warten“, murmelte er nervös, als er sich wieder aufrichtete und zu Bill umdrehte. Der Moment der Wahrheit. Hatte der Plan bis hierher funktioniert? Eine leichte Übelkeit pflanzte sich in seinen Magen.
Dieselben Worte, der gleiche Ausdruck in Toms Augen, als er ihn genau so ansah, wie er es bereits vorausgesehen hatte – Bill wusste, wie es weiterging. Der wahre Albtraum fing gerade erst an. Er wollte schreien, Tom davon abhalten, ranzugehen, ihn warnen, doch er spürte schon wieder die Versteinerung, die Besitz von ihm ergriff. Er fühlte sich wie gelähmt und konnte nur zusehen, wie sein Bruder das Handy hob, es zwischen ihn und sich hielt, sofort die Lautsprechertaste drückte, als er das Gespräch annahm … voller Entsetzen wartete er auf Liliths Schluchzen, das auch Tom sofort verraten würde, dass gar nichts gut war.
„Hi“, brachte Tom es nicht fertig, bei der Lautbildung nur zweier Buchstaben seine zitternde Stimme zu verstecken.
„Jetzt habe ich alles vorbereitet, um euch zu einem spontanen Mittagsfrühstück einzuladen, und nun erfahre ich von Andi, dass ihr euch klammheimlich einfach nach Dänemark verdrückt habt, und das zu Weihnachten. Das könnt ihr doch nicht einfach so machen, ohne mir Bescheid zu sagen“, schallte Liliths Empörung in das Hotelzimmer in Kopenhagen. „Das sollte meine Weihnachtsüberraschung für euch werden, und ich hab mir Mühe gegeben. Wer soll denn das jetzt alles essen? Das schaffen Andi und ich doch gar nicht allein.“
„Sorry, das konnten wir ja nicht ahnen“, reagierte Tom, und dieses Mal schaffte er es, seiner Stimme den angebrachten, leicht zerknirschten Tonfall zu verpassen, der für seine Antwort wichtig war, und das, obwohl er innerlich vor Erleichterung fast platzte.
Rein akustisch hatte Bill Lilith verstanden. Der Code, den sie benutzt hatte, war der Wunschcode schlechthin. Er bedeutete nichts Geringeres, als dass der Plan nicht besser hätte laufen können. Er bedeutete, dass alle am Leben waren. Er bedeutete, dass seine vermeintliche Vision ein furchtbarer Albtraum gewesen war – so wie es Tom versucht hatte zu erklären – doch saß sein Schock noch viel zu tief, um das zu begreifen. Er konnte nicht von einer Sekunde auf die andere von einer in die andere Realität switchen. Ihm ging gerade alles zu schnell. „Wenn ihr noch was von den Resten abbekommen wollt, solltet ihr euch um ein Rückflugticket kümmern“, hörte Bill Andis amüsierte Stimme. Andis Stimme! Das war jetzt wirklich zu viel für ihn. Mit einem lauten Schluchzen zerbrach seine Starre.
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RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 09.01.2011 19:41von Lowy • Besucher | 28.932 Beiträge
~ 28. Kapitel ... Teil 2 ~
Es war schon wieder dunkel, als die Zwillinge von ihrer Tour durch Kopenhagen zurückkamen und auf ihr Hotel zuliefen. Von außen sah es nicht sehr einladend aus. Es war ein ziemlich großer, mindestens zehnstöckiger Kasten mit unendlich vielen, großen Fenstern, an dem, leicht versetzt, noch so ein Kasten klebte. Er fügte sich in eine Umgebung ein, die man einfach nur als hässlich bezeichnen konnte, da waren Bill und Tom sich einig. Hier stand ein Klotz neben dem anderen. Die kleinen, blattlosen Bäumchen, die gezwungen waren in gerader Linie und gleichen Abständen voneinander die vierspurige Straße zu säumen, wirkten, als wären sie viel zu schwach für den Schnee, der sich zentimeterhoch selbst auf ihren kleinsten Verzweigungen häufte. Das gemütliche Restaurant, in dem sie sich den Bauch vollgeschlagen hatten, hatten sie in einer schöneren Gegend der Stadt gefunden, und Bill hatte so einige Geschäfte entdeckt, in denen er gerne stöbern gegangen wäre, doch leider waren sie wegen des Feiertages natürlich alle geschlossen gewesen.
Der Schwarzhaarige zog die Hände aus seinen Manteltaschen und hauchte seinen warmen Atem hinein, bevor er sie kräftig aneinander rieb. „Wir hätten andersrum fliegen sollen. Dann wären wir jetzt in Nizza“, bibberte er vor Kälte. Das hier war nicht sein Wetter. Zum Glück waren es nur noch ein paar Meter, bis sie die warme Empfangshalle betreten würden.
Tom hüpfte an Bill vorbei und hielt ihm die Tür auf. Sobald man drin war, vergaß man, wie hässlich außen alles war. Innen dominierte heller Marmor, der auf moderne Art mit rotbraunem, edlem Holz kombiniert war. Alles hier roch nach Reichtum. Im Gegensatz zu seinem Zwilling hatte Tom zuvor noch nie in so einem Hotel gewohnt und er fühlte sich auf angenehme Weise deplatziert zwischen den ganzen Schlipsträgern, die hier sonst noch herumliefen. Er beobachtete wie sie Bill anstarrten sobald sie ihn entdeckten und wie sie schnell wieder wegsahen, wenn sie mitbekamen, dass er sie dabei beobachtete. Der Fahrstuhl beförderte sie so sanft in die siebte Etage, dass er das Gefühl hatte, es hätte sich gar nichts bewegt als die Tür den Weg in den Flur freigab. Sofort nachdem sie ihr Zimmer betreten hatten bog er ins Bad ab und ließ heißes Wasser in die Wanne. Nur kurze Zeit später lag er seinem Zwilling darin gegenüber.
Ein paar Minuten lang genoss Bill das wärmende Nass mit geschlossenen Lidern und hörte dem Knistern des Schaums zu. Toms Hände lagen an seinen Unterschenkeln und streichelten ihn hin und wieder abwesend. Es roch angenehm nach Zedernholz und Bergamotte. Er öffnete seine Augen als er spürte, dass er einschlafen würde, wenn er sich weiterhin einfach der entspannenden Atmosphäre hingeben würde, und betrachtete das ebenmäßige Gesicht seines Liebsten. „Worüber denkst du nach?“ bemerkte er die Grübeleien dahinter.
Jetzt öffnete auch Tom seine Augen. „Ich muss daran denken, was Becky über ihr letztes Gespräch mit ihrer Schwester gesagt hat, und ich frag mich die ganze Zeit, was sie denn gesehen haben kann, was sie nicht hätte sehen dürfen.“ Becky – eigentlich Rebecca – war die ältere Schwester ihrer Mutter, mit der sie sich am letzten Samstag in einem Café getroffen hatten – ihre Tante. Die erste halbe Stunde ihrer Begegnung war für beide Seiten sehr schwierig gewesen. Unsicherheit und Misstrauen, das Gefühl, einander völlig fremd zu sein, Neugier und das Chaos der sonstigen Gefühlswelt hatten sie überwinden müssen, bis sich daraus langsam und vorsichtig ein wirklicher Austausch entwickelt hatte. Jetzt wussten die Zwillinge einiges über das Leben ihrer Mutter und sie hatte ein Gesicht bekommen – ein sehr junges Gesicht. Becky hatte ein paar alte Fotos aus Jugendtagen mitgebracht und sie ihnen geschenkt. Darauf war ihre Mutter jünger als sie selbst es heute waren. Sie war erst neunzehn Jahre alt als sie verschwand. Von all den Informationen, die sie bekommen hatten, war das allerletzte Telefonat zwischen den Schwestern der Punkt, der Tom am meisten beschäftigte. Er enthielt Rätsel, die genauso verzweifelt nach einer Lösung bettelten wie ihre eigenen. Da war eine Verbindung zu spüren.
„Mach dich damit jetzt bloß nicht verrückt“, warnte der Schwarzhaarige, doch selbstverständlich erinnerte er sich jetzt auch an Beckys Beschreibung der Szene. ‚Ich hab’ Simone vorher nie so erlebt – sie wirkte völlig gehetzt und war richtig wahnsinnig vor Angst’, hatte sie berichtet und ‚Sie hat gesagt, sie hätte etwas gesehen, was sie nicht hätte sehen dürfen, und dass sie gar nicht an dem Ort hätte sein dürfen und dass sie ihren Freund ermordet haben’. Bevor Becky eine Chance gehabt hatte, irgendetwas zu sagen oder zu fragen, hatte Simone mit der Aussage, sie würde jetzt versuchen, sich irgendwo zu verstecken, und sie melde sich wieder, aufgelegt. Seitdem quälte Becky die Frage, was passiert sei. Sie hatte irgendwann aufgegeben, daran zu glauben, ihre Schwester würde noch leben, doch nie aufgehört zu hoffen. Dieser letzte Kontakt zwischen den Beiden war am 16. Januar des Jahres, in dem die Zwillinge geboren wurden, gewesen. Wenn das Datum auf ihrer Geburtsurkunde stimmen sollte, wäre sie da bereits mit ihnen schwanger gewesen, hatten sie ausgerechnet. „Wir sollten versuchen, nicht daran zu denken, bis wir damit anfangen können, die Akten zu durchwühlen. Ich bete nur, dass wir darin irgendetwas finden, was hilft.“
„Hoffentlich können wir überhaupt damit anfangen“, seufzte Tom und verzog abgeneigt sein Gesicht beim Gedanken daran, da wirklich noch mal reinzugucken. Seine Gefühle dazu waren mehr als gespalten, und nur, weil der Plan, die Akten zu entwenden, funktioniert hatte, war das Ganze noch lange nicht ausgestanden. Der Diebstahl war bestimmt bereits bemerkt worden. Sie mussten nun alle abwarten, was passieren würde, doch es drängte ihn, nach Berlin zurückzukommen und sich persönlich davon zu überzeugen, dass es allen gut ging. Zum Glück ging ihr Flug am nächsten Morgen ganz früh.
„Das wird auch klappen.“ Bill probierte es weiter mit der in der letzten Nacht geübten Zuversicht, auch wenn ihm sein böser Traum die ganze Zeit über noch recht übel nachhing. Ohne Tom hätte er den letzten Tag nicht durchgehalten. Dankbar blickte er in das müde Gesicht. „Wenn du die letzten vierundzwanzig Stunden nicht bei mir gewesen wärst, dann wäre ich total durchgedreht“, sagte er zärtlich und streichelte mit seinen nassen Fingern über Toms Knie, das aus dem Wasser herausragte. Sein Herz floss über vor Liebe. „Ich bin so glücklich, dass es dich gibt, mein Engel.“
Tom ließ sich nur zu gern auf das Gefühl ein, das ihm entgegenkam, und ihm fiel dazu nur eine einzige Antwort ein. „Jeg elsker dig, min Angel“, lächelte er und war froh darüber, dass ihm diese Worte noch nicht wieder entfallen waren.
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Die erste Überraschung des Morgens waren Lilith und Andi, von denen sie am Flughafen empfangen wurden. Bill hatte schwer damit kämpfen müssen, nicht einfach loszuheulen, als er sie in die Arme geschlossen hatte, und als sie nun, ihre Koffer hinter sich herziehend, alle vier gemeinsam die Wohnung der Zwillinge betraten, folgte Überraschung Nummer Zwei. Marcello, Luka und Micha warteten bereits in ihrem Wohnzimmer auf sie.
Tom entdeckte sie zuerst und wurde von einem Gefühlsmix aus ungeheurer Erleichterung, großer Freude, tiefer Dankbarkeit und Liebe überrannt. „Oh, Gott. Ihr seid alle die Geilsten“, strahlte er überwältigt, bevor er versuchte, möglichst alle auf einmal zu umarmen.
Selbstverständlich waren Bill und Tom begierig darauf, zu erfahren, wie ihre Einbrecherfreunde, unterstützt von den fünf Profis, die sie durch Karl angeheuert hatten, es nun tatsächlich geschafft hatten, die Akten aus dem unterirdischen Bunker zu holen und in das neue Versteck zu bringen, ohne dabei erwischt zu werden, und ihre Freunde berichteten mit der überschwänglichen Laune des Erfolgs ihr außergewöhnliches Erlebnis. „Dadurch, dass wir die Schlüssel von dem toten Arschloch hatten, war es echt ein Kinderspiel. Karls Leute haben ihren Job wirklich richtig professionell gemacht. Die wussten echt, was sie tun. Sie haben uns den Weg gründlich frei gehalten … und wir mussten nur noch da reinspazieren und die Kisten packen und wir haben nicht halb so lange gebraucht, wie wir gedacht hätten“, erzählte Andi zwischendrin, und das brachte eigentlich die gesamte Aktion auf den Punkt. Die Zwillinge erfuhren, dass ihre Freunde noch aus zwei weiteren Räumen Material mitgenommen hatten, dass die drei alten Vans, die sie benutzt hatten, bereits in einer Schrottpresse zu kleinen Klumpen verarbeitet wurden und all die Klamotten, die sie getragen hatten, verbrannt waren.
„Hier sind übrigens eure Schlüssel“, legte Luka zwei frisch glänzende Exemplare vor sich auf den Tisch. Sie gehörten zu den beiden Räumen, die er auf seinen Namen in dem Gebäude angemietet hatte, in dem sich auch die Agentur, für die Marcello, Lilith, Bill und er selbst manchmal arbeiteten, befand. So konnten sie später alle da reingehen, ohne dabei aufzufallen, und sie hatten damit Anspruch auf einen Platz in der Tiefgarage, der besonders in der vorletzten Nacht unbezahlbar gewesen war. In dem hinteren Raum stapelten sich jetzt Berge von Kartons mit gestohlenem, hochbrisantem Inhalt. Das vordere Zimmer hatte er so gestaltet, dass es wie ein Lager für seine Arbeitsutensilien aussah. Alle, die hier versammelt waren, besaßen nun einen dieser Schlüssel, auch wenn klar war, dass ab jetzt ausschließlich Tom und Bill den hinteren Raum betreten würden, wenn die Zeit gekommen war, dass es sicher genug schien.
„Mehr gibt es glaub ich nicht zu sagen“, überlegte Micha, ob sie noch irgendetwas aus der Geschichte vergessen hatten, und blickte nacheinander in jedes Gesicht der Runde, in der heute eines für alle ganz besonders stark spürbar war – sie waren eine starke Einheit geworden. „Die unschlagbaren Sieben“, äußerte er lächelnd das Gefühl, das ihn inmitten seiner Mitkämpfer ergriff. Für ihn waren die letzten Wochen, als wären sie in eine Schlacht gezogen – zum Kampf für die Freiheit. Ein guter Grund, in eine Schlacht zu ziehen. Zufrieden lehnte er sich zurück und zwirbelte gemütlich die Spitze seines Bartes.
„Die unschlagbaren Sieben“, wiederholte Marcello grinsend, und ein gewisser Stolz darüber, mutig mitgemacht zu haben, meldete sich bei den Worten in seiner Brust. Er hatte den warmherzigen Wikinger, den er beim allerersten Anblick seinerzeit noch für einen Auftragskiller gehalten hatte, richtig lieb gewonnen. „Also ich hab inzwischen ein wirklich gutes Gefühl, dass keiner von uns erwischt wird. Dass irgendwann jemand auf die Idee kommen sollte, ausgerechnet in dem Raum zu suchen, wo die Akten sind, halte ich für ziemlich unwahrscheinlich, weil uns niemand dabei gesehen hat, wie wir sie dort hingebracht haben, und alles, was uns mit dem Einbruch in Verbindung hätte bringen können, ist bereits vernichtet. Ihr Beiden wart nachweislich noch nicht mal im Land. Ich meine, selbst wenn sie bei euch anfangen zu suchen … da gibt’s doch nichts, was ein richtiger Beweis wäre“, fand er keine wirkliche Schwachstelle mehr, die ihm großartige Sorgen bereitete.
„Außer Bills Kontobewegungen“, erinnerte Luka an die eine, große Schwachstelle, die sie in Kauf genommen hatten.
Der Einbruch hatte so viel gekostet, dass es selbst bei Bills sowieso schon verschwenderischem Umgang mit Geld auf seinem Konto auf jeden Fall auffällig war, zumal er das alles in mehreren großen Barauszahlungen abgehoben hatte. „Das ist doch egal“, winkte er ab. „Denen ist doch sowieso klar, dass Tom und ich dahinterstecken, auch ohne die Kontobewegungen.“
„Hauptsache ist, dass keine Spur zu euch führt“, ergänzte Tom das, was sein Zwilling auch drangehängt hätte. „Aber was das betrifft hab ich inzwischen auch ein gutes Gefühl, Marcello“, stimmte er dessen Grundaussage zu. Die positive Stimmung im Raum konnte gar nichts anderes zulassen. „Es gibt leider kein Wort, das beschreiben könnte, wie dankbar ich euch allen bin.“ Der wahrscheinlich schwierigste Schritt war gelungen – blieb nur zu hoffen, dass die ganze Aktion am Ende auch zum Erfolg führen würde.
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„Der letzte Ton war perfekt, Engel“, sprach Tom in das Mikrophon, während er den Knopf gedrückt hielt, der nötig war, damit sein Bruder ihn auch hörte und nicht nur sah. „Das war’s. Du kannst jetzt zu mir kommen.“
Bill lächelte, als er die Kopfhörer abnahm und sie an die davor vorgesehene Halterung hängte. Die letzten Stunden waren erholsam und kräftezehrend zugleich gewesen und nun begann augenblicklich die aufregende Vorfreude darauf, was dabei herausgekommen war. Endlich hatten sie einen Tag gefunden, an dem sie ihre eigenen Stücke aufnehmen konnten. Es war entspannend, sich über so einen langen Zeitraum voll und ganz aufs Singen zu konzentrieren und damit dort zu bleiben, wo kein anderer, störender Gedanke die Chance hatte, ihn aus seinem Gleichgewicht zu zerren, aber nun hatte er auch genug gesungen und spürte, wie erledigt er war. „Ich hätte nicht gedacht, dass das so anstrengend ist“, sagte er, als er in Toms Regieraum eintrat. Es war ähnlich wie beim Modeln – es beanspruchte einen viel mehr, als es von außen den Anschein hatte, wenn man es gut machte. Unbekümmert ließ er sich in den Drehstuhl neben Tom sinken. „Kann ich was hören?“ Seine Neugier wollte nun schnell befriedigt werden.
„Na klar.“ Der Blonde startete eine der Aufnahmen und spielte Bills Stimme ohne seine bereits eingespielte Begleitung ab. Erst etwa eine halbe Minute später gab er leise die Spur dazu, die seine Gitarrenklänge mit einbrachte.
„Es ist komisch, mich so zu hören“, stellte Bill fest. Das ging ihm mit seiner ersten, nicht so professionellen Aufnahme vor vielen Jahren auch schon so. Er erkannte sich zwar, doch klang seine Stimme in seinem Kopf beim Singen etwas anders – er konnte nicht sagen, ob besser oder schlechter – vielleicht gewohnter.
„Das geht, glaub ich, fast jedem Sänger so“, berichtete Tom aus Erfahrung. „Und du hast mir heute übrigens richtig geiles Material geliefert, Engel. Wenn mein Chef das hören würde, würde er dich sicherlich überreden wollen, in die Musikbranche zu wechseln.“ Etwas Schwärmerisches lag in seiner Stimme und subjektiv gesehen war Bills Gesang das weitaus Schönste, womit er jemals arbeiten durfte, doch das Lob, das er gerade aussprach, war durchaus aus einer objektiven Sicht zu betrachten. Bill hatte seine Sache wirklich hervorragend gemacht – ausgesprochen professionell … und das gleich beim ersten Mal in so einem Studio. Der Kuss, zu dem er sich nun zu seinem Zwilling rüberbeugte, war allerdings wieder ganz eindeutig in die subjektive Ecke einzuordnen, denn er war einzig und allein durch sein eigenes, tiefes Gefühl begründbar. Verliebt sank sein Blick für einen Moment in Bills wunderschöne Augen, bevor es ihn zu seinem nächsten und letzten Arbeitsschritt zog. „Ich muss es noch abmischen, damit es richtig rund klingt“, erklärte er und drehte sich zu seinem Pult zurück, um sofort mit dem Werk zu beginnen.
Eine Weile sah Bill Tom fasziniert dabei zu, wie geübt er fast blind nach dem richtigen von den vielen Knöpfen auf diesem riesigen Mischpult fasste, wie konzentriert er dabei agierte, wie sich dabei hin und wieder ein Lächeln auf den vollen, weichen Lippen zeigte, doch dann schweifte sein Blick ab und mit ihm seine Gedanken…
Ihm fiel auf, wie warm und wohltuend das Licht im Aufnahmeraum verteilt war, und er dachte daran, dass sämtliche Töne, die dort erzeugt wurden, ausschließlich hier im Regieraum gehört werden konnten – dass man dort jedoch von hier gar nichts hörte, wenn es nicht gewollt war. Durch die große, dicke Glasscheibe, die diese beiden Räume voneinander trennte, hatte er Einblick in fast jeden Winkel auf der anderen Seite. Es war viel zu perfekt, um nicht auf die Idee zu kommen, die ihn nun geradezu ansprang. Während er sich über ihre Durchführung Gedanken machte, stand er auf, ging durch die Tür in den Flur, ließ sie hinter sich zufallen und wendete sich um neunzig Grad nach rechts, um durch die nächste Tür den Aufnahmeraum zu betreten und ihn unter ganz anderen Aspekten als noch vorhin zu untersuchen. Dann stellte er sich in die Mitte ans Mikrophon. „Kannst du bei dir mal bitte kurz komplett das Licht löschen?“ sah er zu seinem Bruder rüber.
„Was hast du vor?“ ahnte Tom, der den Rundgang beobachtet hatte, dass Bill etwas Spezielles im Schilde führte.
„Erzähl ich dir gleich“, versprach der Schwarzhaarige und wartete ab, bis hinter der Glasscheibe alles dunkel war. „Perfekt“, lächelte er bei dem Ergebnis und sah in die tiefschwarze Scheibe hinein. „Sag mal, Engel. Hättest du vielleicht Lust auf Sex?“ Er ließ seine Stimme bei der Frage betont rauchig klingen.
„Hmm … ich denke, da könnte ich mich zu überreden lassen“, schmunzelte Tom aus der Dunkelheit heraus. Was auch immer gerade in Bills Kopf vor sich ging – es gefiel ihm jetzt schon.
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RE: ~ Zurück zum Nullpunkt ~
in Fanfictions 09.01.2011 23:02von schäfchen • Besucher | 3.541 Beiträge
Mann ey.
So nen Schock bitte nicht noch mal
Aber das Ende klingt schon wieder vielversprechend^^ und ich bin eh ganz aus dem Häuschen gewesen, dass dich offenbar die Muse geküsst hat *dich gleich mal weiterküss, vielleicht hilfts ja
aber der Schock hätte echt nicht sein müssen, ich hatte ein echt anstrengendes Wochenende und heut ist doch Chilltag, da vertrag ich so was nicht
aber jetzt kann ich wenigstens schlafen

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