~Bill~

Obwohl ich eigentlich lieber allein war, wenn ich mich vor dem Spiegel zurecht machte, genoss ich es jetzt wieder, seine Blicke auf mir zu tragen, und als mich mein Spiegelbild perfekt geschminkt ansah, schlüpfte ich noch schnell in meine Schuhe und ging mit Tom runter zum Frühstück. Er verputzte wirklich eine Menge heute und mein Appetit war auch nicht gerade klein. "Warte einen Moment hier,“ bat ich ihn, als wir mit gut gefüllten Mägen durch die Lobby kamen und rauschte noch mal schnell in mein Zimmer, packte alles zusammen, was gebraucht werden könnte und verstaute es in einer Tasche, die ich mir über die Schulter hängte, als ich wieder runter ging und mit Tom vors Hotel trat. Als sei es schon ganz natürlich, nahm ich wieder seine Hand auf dem Weg in die belebteste Einkaufsmeile der Stadt, suchte uns ein nettes Café mit Sitzmöglichkeiten auf der Straße und bestellte uns etwas zu trinken. Eine Weile beobachtete ich die Menschen, die in unserem Blickfeld waren und blieb dann an einer alten Frau hängen, die mit geschlossenen Augen auf einer Bank saß… so ein entspannendes Bild… ich fand sie toll. "Siehst du die alte Frau dort auf der Bank?“ machte ich Tom auf sie aufmerksam. "Ich möchte, dass du sie zeichnest… jetzt,“ forderte ich. Das war nun der Moment, wo ich die Tasche mit seinen Zeichensachen öffnete und sie Tom rüberreichte.

~Vivian~

Auch wenn mir die Zeit hier in der Wäscherei so vorkam, als würde sie kriechen, wurde der Berg der Bettwäsche, die noch zusammengelegt werden musste, immer kleiner, dafür verschlimmerte sich die Übelkeit in meinem Magen wieder und ich pustete immer wieder auf eine Art aus, die die Übelkeit wieder eindämmen sollte und ich versuchte, mein Arbeitstempo nochmal zu steigern. Ich musste dringend fertig werden, bevor ich hier in der schwülen, feuchten Luft zusammenklappen würde. Als ich etwa eine halbe Stunde später den Berg abgearbeitet hatte, versicherte ich mich bei einer Angestellten, ob das wirklich alles gewesen sei und als sie bejahte, war ich schneller draussen aus diesem Raum, als ich richtig tschüss sagen konnte. Der Hotelmanager zahlte mir, trotzdem ich viel früher fertig geworden war, die kompletten 60 Laros aus und bedankte sich überschwenglich... echt netter Kerl. "Ich hab zu danken," strengte ich mich an, normal zu klingen und anstatt in mein Zimmer zurückzugehen, trat ich auf die Straße. Es blieb keine Zeit mehr, zu versuchen, nochmal in Ruhe meine Kräfte zu mobilisieren, denn das hätte eh keinen Zweck gehabt. Ich musste dort hin, wo viele Menschen waren... und ich musste aufmerksam sein, um darunter den Richtigen anzusprechen.

~Bill~

"Warum?“ wiederholte ich seine Frage mindestens ebenso verständnislos, wie er. "Weil du ein Maler bist, Engel,“ antwortete ich sanft. "Und das bleibst du immer… auch wenn du nicht malst, und auch, wenn du damit kein Geld verdienst. Es ist doch in dir drin.“ Ich sah auf seinen Block. Geschickt setzte er einen Strich nach dem anderen. Seine Hand schien kein bisschen unsicher zu sein in dem, was sie tat, obwohl ich in diesem Moment nicht verstehen konnte, wie aus diesem Gewirr an Strichen noch ein Motiv herauskommen sollte, doch das zeigte er bereits in seinem nächsten Schritt, als sich seine Hand weiter über dieses Strichekuddelmuddel bewegte und wie von Zauberhand etwas erkennbar wurde. „Ich finde es absolut faszinierend, dir dabei zuzusehen,“ verriet ich ihm. Was ich ihm nicht verriet, war mein innerer Wunsch, ihn dazu bringen zu wollen, sich selbst wieder zu erkennen. Es war so offensichtlich, dass malen sein Leben war... und ich wollte, dass er es aufhob und zu sich nahm. Ich wollte, dass er lebte und glücklich war.

~Vivian~

Die Wärme, die mir sonst an Thalassa so gefiel, drückte jetzt auf mich, als ich durch die Straßen lief und jedem, dem ich auf meinem Weg begegnete, in die Augen sah. Ich konnte eigentlich nicht verstehen, warum die Cops das nicht checkten... aber ich fand, dass man es jedem an den Augen ansehen konnte, der Flex geraucht hatte, man konnte den Schleier des Verdrängens in ihrem Ausdruck sehen. Keinen Gedanken verschwendete ich noch an Theon. Ich kämpfte inzwischen viel zu sehr mit meinen Entzugserscheinungen, und mein einziger Gedanke galt dem Stoff, den ich brauchte. Ich war inzwischen in der Einkaufszone angekommen, aber um weiterzulaufen, ging es mir einfach zu mies. Ich setzte mich auf den Rand eines großen Blumenkübels, atmete tief ein und aus und beobachtete die Menschen, die vorbeikamen... verdammt... wo waren sie denn alle? Es gab doch eigentlich viele von unserer Sorte... aah... da hinten... der Typ, den ich entdecht hatte, kam in meine Richtung... und ich wartete darauf, dass er an mir vorbeikam, damit ich seine Augen besser sah. Hoffnung keimte in mir auf.

~Bill~

Seine Frage, die er schnell durch die Fragen des Kletterns wegwischen wollte, war sehr wohl bei mir angekommen. Es war mir schon klar, dass Tom nicht aus eigenem Antrieb zeichnete. Ich würde ihn so oft und so viel zeichnen lassen, bis er spürte, dass er selbst den Stift hielt, den er führte, doch ich achtete seinen stillen Wunsch, das Thema zu wechseln. "Ich klettere überall rauf. Da gibt es keine Höhe, die ich dir nennen könnte und darum gehts mir auch nicht. Es geht um das Klettern an sich. Ich werde dir später alles zeigen, und du wirst so hoch klettern, wie es sich für dich gut anfühlt. Ausserhalb der Stadt gibt es ein paar nette Bergzüge, die jede erdenkliche Schwierigkeitsstufe bieten. Du wirst sehen, es... ey... weitermachen," unterbrach ich mich selber, als er aufhörte zu zeichnen und mich ansah. "Die Frau wird dort nicht ewig so sitzen."

~Vivian~

Bingo... seine Augen zeigten genau das, was ich schon von Weitem gesehen hatte. Ich erhob mich und ging auf ihn zu. "Entschuldige bitte... darf ich dich mal kurz stören," bat ich ihn und bekam ihn dadurch dazu, stehen zu bleiben. Etwas umständlich, ohne den Namen einer Droge zu erwähnen, versuchte ich ihm klar zu machen, was ich wollte. Er verstand mich. "Warum sollte ich dir helfen?" fragte er mich und sah mich skeptisch an. "Weil du nett bist und mich nicht weiter leiden lassen willst," schlug ich ihm vor. "Es springt auch etwas für dich dabei heraus," versprach ich ihm noch, was ihn offenbar überzeugte. "Okay, pass auf... ich mach hier noch schnell meinen Einkauf zu Ende, kümmer mich dann drum und wir treffen uns dann genau hier wieder," erklärte er. "Ich schätze, das dauert so etwa eine dreiviertel Stunde." Ich stimmte natürlich erleichtert zu und er zog von Dannen. Ich kehrte zurück auf den Rand meines Blumenkübels und wartete.

~Bill~

So still, wie Tom weiterarbeitete, so still sah ich ihm zu bis er den letzten Strich zu Ende gezeichnet hatte. Ich war wieder total beeindruckt von dem fertigen Bild. Die Frau sah wieder aus, als wäre sie fotografiert worden... Tom war es meisterhaft gelungen, ihre Ausstrahlung mit einzufangen... irre... und er hatte sie in eine andere Umgebung gesetzt. Von dieser Einkaufszone war nichts zu erkennen, ausser der Bank vielleicht, die allerdings gleich ganz anders in der Szene wirkte, als hier in echt. Es tat gar nichts zur Sache, dass Tom es war, der dieses Kunstwerk zustande gebracht hatte... ich wäre bei jedem anderen Künstler ebenso beeindruckt gewesen. Am Liebsten hätte ich ihm gesagt, wie unglaublich genial ich seine Werke fand und wie beeindruckt ich war, in was für einer kurzen Zeit er sie fertig stellte, doch ich war mir sicher, dass er mein Kompliment eh nicht annehmen können würde, also schluckte ich es herunter. "Mir gefällt es, dass du sie in eine andere Umgebung gesetzt hast," sagte ich also nur und rückte mit meinem Stuhl näher an ihn heran und strich mit einer Hand über seinen Rücken. "Einen Kuss hätt ich jetzt gern," sagte ich, als wollte ich bei ihm eine Bestellung aufgeben und kam seinen Lippen schon mal lächelnd näher. "Und dann zeigst du mir, welches Motiv du auswählen würdest, wenn du jetzt noch etwas zeichnen wollen würdest," war ich gespannt darauf, wo seine Augen wohl hängen bleiben würden.

~Vivian~

Erst versuchte ich noch mich dadurch abzulenken, dass ich die Menschen beobachtete, aber mein Kopf fühlte sich inzwischen so an, als ob er zerspringen wollte und mein Magen rebellierte ununterbrochen. Ich stützte meine Ellenbogen auf meinen Oberschenkeln ab und legte meinen Kopf in meine Hände, schloss die Augen und konzentrierte mich auf meinen Atem, sog tief die Luft ein und pustete sie geräuschvoll wieder aus. In dieser Schonhaltung war es ein klein wenig besser, wenn auch immer noch unerträglich.