~Bill~

Ich hatte mir schnell meine Shorts angezogen, während Tom mit sich beschäftigt gewesen war, doch es war mir unmöglich, mir noch mal dieses Kleid anzuziehen. Ich hielt es weiter vor mich, und als Tom mit dem Vorschlag, schlafen zu gehen, rausrückte, war mein Hals wie zugeschnürt. Ich konnte nur nicken, griff meine Stiefel und lief die ersten Meter neben ihm her... doch bereits nach ein paar Schritten, fühlte ich die Last, die die ganze Situation gerade auf uns packte, und meine Unfähigkeit, das jetzt ertragen zu können. Ich musste einfach schnell weg von hier. "Es tut mir leid", entschuldigte ich mich mit belegter Stimme dafür bei Tom, dass ich im selben Moment losrannte, vor ihm wegrannte... so schnell ich nur konnte. Die Tränen, die ich nicht zurückhalten konnte, ließen den Weg vor mir verschwimmen, und mit jedem Meter, den ich mich weiter von Tom wegbewegte, hatte ich das Gefühl, schlechter atmen zu können. Meine Stiefel und das Kleid ließ ich fallen, sobald ich zur Tür hindurch war, und nahm beim Hochrennen der Treppe nur jede dritte Stufe, um endlich an mein Ziel zu gelangen, auf das ich mich hinaufwarf, als ich es erreichte. Mein Gesicht tief in das Kissen vergraben, gestattete ich mir, meine Überforderung laut hinauszuschluchzen.

~Bill~

Es dauerte einige Minuten, bis sich der erste Sturm in mir ein klein wenig legte und ich einen Gedanken zum nachgehen fand, der mich so ablenkte, dass meine Tränen weniger wurden, doch als ich am Ende dieses Gedankens ankam, reihte sich der nächste Gedanke ein und ein Meer von Fragen schwamm darin. So sehr ich mich anstrengte, Gründe dafür zu finden, dass unser Verhalten falsch war, so sehr scheiterte ich daran. Waren wir nicht total im Einklang gewesen, bevor Tom den moralisch verwerflichen Gedanken zu fassen bekam? War unser erregendes Spiel miteinander nicht von purer Liebe getragen gewesen? Konnte das, was ich vor wenigen Minuten noch als das reinste, höchste Glück empfunden hatte denn wirklich falsch sein? Durften wir uns nicht lieben, wenn wir uns doch liebten? So sehr ich es versuchte... ich konnte nichts Böses in unserem Handeln entdecken... nur das, was uns die Gesellschaft als böse verkaufen wollte... und hatte uns das wirklich jemals interessiert, was die Leute über uns dachten? Interessierte es Tom? ... Warum hatte es ihn so entsetzt? War es die Gesellschaftsmoral, die ihn aus dem Konzept gebracht hatte oder sein wirklich eigenes Entsetzen, dass ihn mich so von sich wegstoßen lassen hatte? Was hatte ihm plötzlich so eine Angst gemacht? Zu viele... viel zu viele Fragen, die mich nicht in Ruhe ließen und mich schließlich aufstehen ließen. Ich zog mich an, wischte mir halbwegs die Spuren meiner Tränen weg und ging runter, öffnete ohne anzuklopfen Toms Zimmertür. Wie versteinert saß er auf seinem Bett und wirkte wie abgeschaltet, doch als ich die Tür hinter mir wieder geschlossen hatte, blickte er auf und sah mich kurz an. Ich setzte mich mit etwas Abstand neben ihn. "Wovor hattest du plötzlich so eine Angst?" fragte ich leise. Ich konnte mit meinen Fragen einfach nicht mehr allein bleiben.

~Bill~

Ich verstand Toms Worte nicht so recht... nur, dass er bitter bereute, was zwischen uns geschehen war und dass er sich wahrscheinlich wünschte, dass das nie passiert wäre, dass er sich schämte. Er tat mir leid, wie er da saß und was er empfand, doch ich kämpfte auch mit der Wunde, die seine Worte gerade in mein Herz rissen. "War es denn überhaupt gar kein bisschen schön für dich?" krächzte ich, während ich versuchte, mein Selbstbewusstsein zusammenzuhalten.

~Bill~

"Aber warum schämst du dich dann? Und warum entschuldigst du dich dafür?" Ich konnte nicht verstehen, wie er so etwas Wundervolles... das schönste Erlebnis seines gesamten Lebens, wie er es selbst nannte... wieso so ein Erlebnis jetzt den Untergang bedeuten sollte, aber Toms Entschlossenheit für diesen Untergang trieb mir schon wieder die Tränen in die Augen, genauso wie seine Berührung.

~Bill~

"Wir sind nicht wie Mama und Papa", schluckte ich und schüttelte mit dem Kopf. Ich wusste, was er mir sagen wollte, doch ich wollte es nicht hören. Das, was uns vorhin im kalten Gras miteinander verbunden hatte... das war zu bedeutungsvoll gewesen, um es einfach wieder loszulassen... und zu kurz. Ich wollte mich nicht damit abfinden müssen, Tom, den ich über alles liebte, so nah bei mir zu wissen, und vergessen zu müssen, was für Gefühle uns getragen haben. Wie sollte ich das auch vergessen können? Das, wovor Tom Angst hatte, war doch bereits passiert. Wir würden uns nie wieder ansehen können, ohne zu wissen, wie nah wir uns sein konnten. Vielleicht schaffte Tom es, damit umzugehen, wenn er sich in weitere, tausende Abendteuer mit Frauen einließ... ich war mir nicht sicher... doch was würde ich tun? Ich hatte mir ein weiteres Packet Sehnsucht auf meine von Sehnsucht bereits beladenen Schultern gelegt... und diese spezielle Sehnsucht würde mich von diesem Moment an in Form und Menschengestalt mein weiteres Leben begleiten, so wie Tom es schon immer gemacht hatte, bereits bevor unsere Körper aufeinandergeprallt waren. Immernoch schüttelte ich mit dem Kopf. Ich konnte einfach nicht glauben, dass unsere Liebe, egal durch was, enden konnte.

~Bill~

Ich konnte nicht anders, als Tom in meine Arme zu ziehen. "Du kannst mich nicht verlieren", versprach ich ihm mit all der Gewissheit, die ich hatte. "Ich kann nicht erklären, wieso... aber ich weiß es, Tom. Die Natur hat uns füreinander geschaffen... vertrau mir." Selbst wenn ich vor dem heutigen Tag daran Zweifel gehabt hätte... und das hatte ich nicht... aber selbst wenn... dieses reine, strahlende Gefühl, das ich hatte, wenn ich an Tom dachte... es war so übermächtig, dass es keine Zweifel zuließ. "Ich liebe dich über alles", flüsterte ich, während ich ihn ganz fest hielt.

~Bill~

Toms Verzweiflung versuchte mich mit aller Gewalt mit sich zu ziehen, doch sie hatte sich den falschen Zeitpunkt dafür ausgesucht. Auch wenn mein Zwilling das gerade nicht spüren konnte... ich fühlte unsere unzerstörliche Basis und unsere ebenso unzerstörbare Liebe. "Es gibt für nichts im Leben eine Garantie", zitierte ich einen Satz, den bestimmt jeder Mensch schon mehrfach gehört hatte, und streichelte dabei sanft über Toms Rücken. "Aber wer bitte könnte denn bessere Chancen auf ein ewiges Miteinander haben als wir, mein Herz? Wir kennen von klein auf all unsere Macken, all das, was uns aneinander stört oder was wir besonders aneinander lieben. Wir waren immer zusammen und können es uns gar nicht anders vorstellen." Ich zählte ein wenig von dem auf, was mir gerade so eine Sicherheit verschaffte, und ich wollte, dass mein zerrissener Bruder auch etwas von dieser Sicherheit spürte. "Unsere Hochzeit war nicht echt, Marylin war nicht echt... aber das, was ich dir vor ihr versprochen habe, das war echt... und das, was wir vorhin miteinander im Gras liegend gespürt haben war auch echt... ich weiß, dass du es auch gefühlt hast... und jetzt... bitte sag mir, mein Herz... kann unsere Liebe falsch sein?" Ich löste mich ein kleines Stück von ihm und nahm sein Gesicht in meine Hände, küsste voller Zärtlichkeit die Stelle neben seinem Mundwinkel. "Ist das wirklich so falsch?" fragte ich mit meinem inneren Wissen, dass es das nicht war.

~Bill~

Toms Frage beschäftigte mich, während ich gleichzeitig erleichtert darüber war, dass er aufgehört hatte zu weinen. "Mich bringt das wirklich nicht sehr durcheinander", stellte ich am Ende meiner Überlegung fest. "Das liegt vielleicht daran, dass ich vorhin darüber nachdenken konnte, als ich allein war", überlegte ich laut weiter. "Ich finde einfach keinen echten Grund, der gegen uns spricht", erklärte ich mir meine zugegebenermaßen außergewöhnliche Gelassenheit und öffnete mit einem leichten Schmunzeln den obersten Knopf an Toms Hemd. "Und solange dir auch kein echter Grund dagegen einfällt, hast du auch sicherlich nichts dagegen, wenn ich hier weitermache", befand ich, während ich einen weiteren Knopf öffnete.